In der Wahl vom Dezember haben die separatistischen Parteien Kataloniens erneut die Mehrheit der Sitze gewonnen. Sollte Katalonien unabhängig werden? Was kann die ökonomische Theorie zur Beantwortung dieser Frage beitragen?
Zunächst einmal das Prinzip der Konsumentensouveränität: Entscheiden sollte derjenige, dessen Nutzen maximiert werden soll, denn er hat dazu den stärksten Anreiz. Eigenverantwortung ist besser als Fremdbestimmung. Das Prinzip der Konsumentensouveränität bezieht sich nicht nur auf private Güter, sondern auch auf öffentliche Güter, d.h. die Organisation des Staates. Nicht-Ökonomen sprechen vom Selbstbestimmungsrecht, aber das ist fragwürdig. Selbstbestimmung ist kein Recht, das einem von irgendjemandem verliehen wird. Für die Selbstbestimmung spricht, dass sie effizient ist. Sie ist eine Voraussetzung für die Maximierung der Nutzen. Aus ökonomischer Sicht ist daher klar: Die Katalanen sollten selbst entscheiden, von wem sie regiert werden wollen.
Auch die ökonomische Theorie der externen Effekte hilft weiter. Die Katalanen sind innerhalb Spaniens eine Minderheit und werden von der Mehrheit systematisch überstimmt. Ökonomisch betrachtet ist die Überstimmung von Minderheiten eine negative Externalität. Darauf haben schon Buchanan und Tullock in ihrem Klassiker „The Calculus of Consent“ (1962, Kap. 7) hingewiesen. Es gibt aber auch innerhalb Kataloniens eine starke Minderheit. Sie will bei Spanien bleiben und würde nach der Sezession ebenfalls systematisch überstimmt. Auch dies wäre eine negative Externalität. Welche wiegt schwerer?
Im Dezember haben 47 Prozent der katalanischen Wähler für die drei separatistischen Parteien gestimmt und 43 Prozent für die pro-spanischen Parteien. Die Sezession Kataloniens würde also die Zahl der überstimmten Wähler von 47 Prozent auf 43 Prozent verringern. Sezessionen helfen, die negativen externen Effekte demokratischer Mehrheitsentscheidungen zu reduzieren. Dabei ist vorausgesetzt, dass die Mitglieder der Mehrheit und der Minderheit im Durchschnitt ähnliche Präferenzintensitäten aufweisen und dass die Wahlbeteiligung einigermaßen repräsentativ ist. In der letzten katalanischen Wahl lag sie bei 82 Prozent.
Gegen die Sezession Kataloniens könnte eingewandt werden, dass der Wahlsieg der Separatisten zu knapp ist. Eine Sezession ist eine konstitutionelle Entscheidung. Nach der spanischen Verfassung würde eine so grundlegende Verfassungsänderung eine Zwei-Drittel-Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments, Neuwahlen, die Bestätigung des verfassungsändernden Gesetzes im Parlament und schließlich eine Volksabstimmung verlangen. Aber in einigen europäischen Staaten – innerhalb der EU-15 sind es Dänemark, Frankreich, Irland, Italien und Schweden – kann die Verfassung ohne qualifizierte Parlamentsmehrheit geändert werden – allerdings nicht ohne Volksabstimmung.
An den Verfassungen der EU-15 gemessen reicht das katalanische Wahlergebnis allein also nicht aus, die Sezession zu legitimieren. Zum Parlamentsbeschluss müsste ein entsprechender, korrekt durchgeführter Volksentscheid hinzukommen. Das lässt sich auch inhaltlich begründen. Die Wahl zwischen verschiedenen Parteien hängt nicht von einem einzigen Thema – hier: der Sezessionsfrage – ab. Eine konstitutionelle Entscheidung wie diese verlangt aber eine eindeutige Präferenzäußerung: eine Volksabstimmung. Tatsächlich wird in allen Ländern, die Sezessionen ausdrücklich zulassen und dafür ein Verfahren entwickelt haben, nämlich in der Schweiz, Kanada und Großbritannien, die Zustimmung des Volkes in einem Referendum vorausgesetzt. Auch der britische Austritt aus der EU wurde durch eine Volksabstimmung – und zwar mit durchaus knapper Mehrheit – legitimiert.
Madrid sollte zur Kenntnis nehmen, dass man in einem zivilisierten Land mit einer demokratischen Verfassung nicht mit Gewalt gegen Volksbefragungen vorgehen kann. Die geltende Verfassung (Art. 149 Abs. 1 Nr. 32) erlaubt es dem spanischen Staat, katalanische Volksabstimmungen über jedes beliebige Thema zu genehmigen. Der nächste Schritt sollte sein, dass Madrid einer Wiederholung des katalanischen Referendums zustimmt und diesmal den Ablauf nicht stört, sondern unterstützt. Alles Weitere wird sich finden. Das Prinzip der Selbstbestimmung ist jedoch unvereinbar mit der Vorstellung, dass Spanien „unteilbar“ ist, wie es in Artikel 2 der geltenden Verfassung und des „Staatsorganisationsgesetzes“ der Franco-Ära heißt.
Hinweis: Der Beitrag ist in Heft 2-3 der Fachzeitschrift WiSt als Leitartikel erschienen.
Gretchenfrage bleibt leider offen: Welche negative Externalität wiegt denn nun schwerer?
1. Status Quo: Spanier überstimmen Katalanen (in Spanien)
2. Sezession: Katalanen überstimmen Spanier (in Katalonien)
Nur wenn die Katalanen sich zu 100% für oder gegen eine Sezession entscheiden, kann diese Frage eindeutig beantwortet werden.
Ansonsten bleibt es bei einem theoretischem Geschwurbel bezüglich dieser Frage. Denn wie will man die Externalität messen? Ökonomen sollten sich auch mit konkreten Lösungsansätzen beschäftigen und nicht ständig „alte Weisheiten“ zitieren.
Von meiner Kritik unberührt, bleibt die Vaubelsche Anmerkung, dass freie Volksabstimmungen stattfinden können sollten, d. h. ohne Gewalt etc.