Nach Hayek ist die Informationsausstattung der Marktteilnehmer unvollständig; das Wissen ist nur dispers vorhanden und entzieht sich weitgehend einer Aggregation. Damit wird Wettbewerb zu einem Entdeckungsverfahren (Hayek 1969; 1976): Die Marktteilnehmer können durch Aufwendungen an neue, für ihr Handeln subjektiv relevante Informationen gelangen. Neben einem unvollständigen Informationsstand, dessen Beseitigung mittels individuell unterschiedlich intensiver Bemühungen durch die Marktteilnehmer versucht wird, kennzeichnet die Entscheidungssituation jedes Marktteilnehmers eine durch subjektive Kriterien geprägte Interpretation der verfügbaren Daten, woraus individuell verschiedenartige Kenntnislagen und Einschätzungen der Marktsituation resultieren.
Auf der Seite des Konsumenten bedeutet unvollständiges Wissen Nichtkenntnis über bestimmte Alternativen der Bedürfnisbefriedigung, die durch Investitionen in die Informationserlangung erschlossen werden können.
Unterschiedliche Informationslagen weisen zugleich auf die Existenz von Informationsvorsprüngen hin. Diese können auf der Anbieterseite in unternehmerischer Weise als Basis eines Vorstoßes genutzt werden, der Innovationen aller Arten unter Beachtung der vorliegenden geltenden Restriktionen (etwa gesetzlicher, sozialer, moralischer Art) umfassen kann. Das Ausnutzen des Informationsvorsprungs und die Realisation einer kreativen Idee bilden zusammen die Innovation. Anreize innovatorischer Tätigkeiten bestehen im Zuwachs an Kaufkraft, der bei Akzeptanz durch die Nachfrageseite zu vermuten ist.
Die Marktgegenseite wirkt somit aus Sicht des Anbieters als Kontrollinstanz, die als Sanktionspotential ihre Kaufkraft einsetzen kann. Wird also ein Vorstoß eines Anbieters positiv sanktioniert, so akkumuliert der Vorstoßende Kaufkraft, die bei anderen Anbietern, zwischen deren Produkten und der Innovation der Konsument Substitutionsbeziehungen aufbaut, abgezogen wird. Andererseits können den nichtvorstoßenden Anbietern Kaufkraftzuwächse zukommen, falls der Vorstoß auf Ablehnung trifft.
Die Akzeptanz, die der einzelne Konsument einer Innovation entgegenbringt, strahlt damit auf die Nichtinnovateure in Form eines abstrakten Signals, eben der verminderten Fähigkeit der eigenen Produkte zur Akkumulation von Kaufkraft, ab, das einer Interpretation hinsichtlich seiner Ursachen bedarf. Der Einsatz des Sanktionspotentials löst bei den Nichtinnovatoren die Gefahr der Marktverdrängung und damit Suchprozesse aus, deren Zweck in der Beschaffung von für eine Gegenstrategie notwendigen Informationen besteht. Der Nichtinnovator hat verschiedene Möglichkeiten, um aus seiner Sicht erfolgreich zu reagieren. So verbleibt neben einer weiteren Innovation die Imitation.
In diesem permanenten Prozeß wird stets neu versucht, die sich verändernden Bedürfnisse der Konsumenten zu treffen oder latent vorhandene Bedürfnisse zu wecken, wobei die zur Bedürfnisbefriedigung angebotenen Produkte maßgeblich durch die bestehenden Restriktionen formeller wie materieller Art geprägt sind. Insbesondere engt der Kranz von formellen Restriktionen auf der einen Seite die Innovationsmöglichkeiten des vorstoßenden Anbieters ein und beschneidet sein Innovationspotential. Auf der anderen Seite werden durch die formellen Restriktionen bestimmte Reaktionsmöglichkeiten vorab ausgeschlossen.
Aus dem vorhandenen Wissenspotential entspringende kreative Ideen, die eine Umsetzung als innovative Produkte oder Produktionsverfahren erfahren, und die Reaktionen der anderen Individuen hierauf, seien diese nun Wettbewerber oder befinden sich diese auf der Marktgegenseite, erzeugen eine irreversible Erweiterung des individuellen Wissenspotentials. Während der Innovator die subjektive Werthaltigkeit der kreativen Idee selbst überprüft, müssen sich die anderen Individuen dieses neu gewonnene Wissen durch eigene Informationssuche selbst erschließen. Der Anreiz, Gewinn infolge eines Vorstoßes zu erzielen, und die Möglichkeit, durch Informationssuche für die eigene Bedürfnisbefriedigung werthaltigere Substitutionsprodukte zu entdecken, tragen zu einer laufenden Ausdehnung des individuellen Wissenspotentials und zu einer Veränderung der Erwartungsbildung bei. Dies macht den Wettbewerb als Entdeckungsverfahren aus.
Der Präferenzen der Konsumenten sind also das Selektionskriterium das über den Erfolg einer Neuerung entscheidet; die Kenntnis der Ausgestaltung dieses Kriteriums würde es demzufolge dem innovativen Akteur ermöglichen, zielerichtet erfolgreiche Neuerungen zu plazieren. Der Instrumentenkasten der Marktforschung enthält Werkzeuge, um dieses Problem zumindest ansatzweise zu lösen, indem Informationen über das Konsumentenverhalten, ihrer Präferenzen etc. abgegriffen werden.
Einen anderen Weg stellt die direkte Einbindung der Konsumenten in den gesamten Prozeß der Innovation dar, was unter dem Begriff „Open Innovation“ diskutiert wird. Dabei geht es im wesentlichen darum, mit unterschiedlichen Tools (Netnography, Crowdsourcing etc.) das bei den Konsumenten, hier besonders bei den sog. Lead-Usern (v. Hippel 1986) oder auch bei anderen Marktakteuren vorhandene disperse Wissen zu nutzen (Outside-Inside-Prozeß im Sinne von Gassmann & Enkel, 2006) und in die Gestaltung eines neuen Produkts einfließen zu lassen. Daneben kann Open Innovation auch bedeuten, daß beim Innovator vorhandenes Wissen etwa in Form von Lizenzen nach außen gegeben wird, so daß andere Innovatoren es nutzen können (Inside-Out-Prozeß). Letzteres kann freilich auch verwendet werden, um Märkte um die Neuerung herum zu initiieren (Coupled-Prozeß).
Betrachtet man ein Vorhaben, das General Electric im Jahre 2014 zusammen mit der University of Louisville unter dem Namen FirstBuild (https://firstbuild.com/) angestoßen hat (McAfee & Brynjolfsson 2017, pp. 11), so wird deutlich, wie weit sich der Konsument in die Ausgestaltung der Neuerung einbinden und wie umfassend sich das dispers vorhandene Wissen durch innovative Unternehmen nutzen läßt: Das Projekt besteht aus einer Online-Plattform, über die Innovationswettbewerbe angestoßen werden können, und einer micro factory, also einer mehr oder minder öffentlichen Werkstatt, die genutzt werden kann, um schnell Prototypen und Komponenten herzustellen. Zuerst eingesetzt wurde das Projekt, um den Opal Nugget Ice Maker zu entwerfen, dessen Idee auf den Gewinner eben des einschlägigen Innovationswettbewerb zurückging. Dabei handelt es sich um eine kostengünstige Küchenmaschine mit der sog. Nugget Ice zuhause hergestellt werden kann.
Der online-basierte Innovationswettbewerb nutzt also die Kenntnisse der Crowd (hier im Sinne Kozinets, Hemetsberger & Schau 2008, 345, als „large, organized groups who gather or are gathered together specifically to plan, manage, and/or complete particular tractable and well defined projects“) direkt für den Innovationsprozeß und löst damit die Grenzen zwischen dem Produzenten und den Konsumenten auf. Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren wird also zunehmend in das Unternehmen verlagert – der Hayeksche Prozeß also damit zu einer unternehmensinternen Veranstaltung. Ob sich dadurch die bisherigen Strukturen der Unternehmen auflösen und Unternehmen letztlich lediglich nur noch Plattformen darstellen werden, auf denen Ideen der Crowd abgegriffen und umgehend realisiert werden, scheint fraglich. So könnten aber vermutlich insbesondere Bereiche mit kurzen Lebenszyklen wie etwa die Video-Spiele-Branche tendenziell eine derartige Umformung erleben.
Literatur
Chesbrough, H. W. (2003), Open Innovation. The New Imperative for Creating and Profiting from Technology, Boston.
Hayek, F. A. v. (1969), Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, in: ders., Freiburger Studien, Tübingen, S. 249 – 265.
Hayek, F. A. v. (1976), Die Verwertung von Wissen in der Gesellschaft, in: ders., Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, 2. Aufl., Salzburg, S. 103 – 121.
Hippel, E. v. (1986), Lead Users. A Source of novel product concepts, in: Management Science. Vol. 32, pp. 791 – 805.
Kozinets, R. V., Hemetsberger, A. & Schau, J. (2008), The Wisdom of Consumer Crowds. Collective Innovation in the Age of Networked Marketing, in: Journal of Macromarketing, Vol. 28, pp. 339-354.
McAfee, A., & Brynjolfsson, E. (2017), Machine – Platform – Crowd. Harnessing our Digital Future, New York, London.
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