„Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich.“ (Mark Twain)
Die Geschichte der aktiven Arbeitsmarktpolitik ist eine Geschichte der Misserfolge. In den 70er und 80er Jahren hatte sie den Nimbus einer Wunderwaffe im Kampf gegen Arbeitslosigkeit. Vor allem skandinavische Länder, allen voran Schweden, nutzten die vielfältigen Varianten der aktiven Arbeitsmarktpolitik intensiv. Wirklich geholfen haben sie allerdings wenig. Die erhofften Erfolge, (Langzeit)Arbeitslose wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, waren bestenfalls bescheiden. Zumeist gelang es der aktiven Arbeitsmarktpolitik nur, Arbeitslosigkeit in vielen (staatlichen) Programmen zu verstecken. Der Staat entwickelte sich zum „employer of last resort“. Niedrig blieb zunächst nur die politisch relevante offen ausgewiesene Arbeitslosigkeit. Empirisch dokumentierte Misserfolge ließen sich allerdings bald nicht mehr verheimlichen. Als dann auch noch den Staaten das kreditär besorgte Geld ausging, kam es zu einer harten Kurskorrektur. Das Konzept von „Fordern und Fördern“ wurde entwickelt. Es war zunächst recht erfolgreich. Auch vielen Ländern in der EU diente es als Blaupause für eine Reform der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Die Finanzkrise stellte die neue Politik aber auf eine harte Probe (hier).
Vom Elend der Mindestpreise
Auch Deutschland hat unter Rot-Grün mit der „Agenda 2010“ diesen Weg des „Forderns und Förderns“ eingeschlagen. Das war ökonomisch kein Nachteil. Die Lage auf den deutschen Arbeitsmärkten ist trotz Finanz- und Euro-Krise besser als zuvor. Das hat sicher mit der „neuen“ aktiven Arbeitsmarktpolitik der „Agenda 2010“ zu tun. Mit dazu trug auch eine stärker dezentrale Lohn- und Tarifpolitik bei. Ein unterbewerteter Euro half Deutschland arbeitsmarktpolitisch ebenfalls. Über die Gewichte streiten die Ökonomen. Die aktive Arbeitsmarktpolitik tut sich überall schwer, weil ihr Mindestlöhne das Geschäft verderben. Warum das so ist, kann man an einer seit langem notorisch erfolglosen Mindestpreis-Politik erkennen, der Agrarpolitik. Das Ziel dieser Politik ist es, mit Interventionspreisen (Pi) über dem markträumenden Preis (Po) für ein höheres Einkommen der Landwirte zu sorgen. Das Ergebnis sind Milchseen, Rindfleischberge und übervolle Getreidesilos. Und dennoch sind höhere Einkommen der Landwirte nur möglich, wenn der Staat bereit ist, die preisinduzierten überschüssigen Mengen (BC) aus dem Markt zu kaufen. Das Ergebnis dieser Politik der Mindestpreise sind erhebliche allokative Verzerrungen.
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Die Mindestpreis-Politik auf den Agrarmärkten beschert den Landwirten eine höhere Produzentenrente (PiPoAC). Allerdings geraten die Verbraucher auf die Verliererstraße. Die Konsumentenrente schrumpft (PiPoAB). Auf den ersten Blick ist diese Art von Agrarpolitik netto ein Erfolg (ABC). Dieser „Erfolg“ stellt sich aber nur ein, wenn der Staat die überschüssige Menge (BC) zum Preis (Pi) aus dem Markt kauft. Tatsächlich ist allerdings ein positiver Wohlfahrtseffekt nicht möglich. Der Staat kann die aufgekauften Mengen nur mit einem Verlust auf den Weltmärkten zum Preis (Pw) verkaufen. Die inländischen Netto-Wohlfahrts-Verluste sind beträchtlich (BACED). Eine solche Mindestpreis-Politik ist mit erheblichen Verlusten für die inländische (europäische) Ökonomie verbunden. Damit aber nicht genug. Die preisinduzierte agrarische Mehrproduktion ist umweltbelastend, mehr Pestizide, mehr Fungizide und mehr grundwasserbelastender Dünger. Es kommt aber auch zu Ertragseinbrüchen auf den Weltagrarmärkten für die Länder mit komparativen Vorteilen in der Agrarproduktion. Die europäischen Überschüsse drücken auf die Weltmarktpreise (Pw). Die Mindestpreis-Politik ist für alle Länder ein Verlustgeschäft.
Gefährliche Illusionen über Mindestlöhne
Die negativen Erfahrungen der Agrarpolitik wiederholen sich in der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Mit Mindestlöhnen will man die Einkommenssituation vor allem einfacher Arbeit verbessern. Gesetzliche Mindestlöhne (l/p)ML sollen die Erwerbseinkommen auf ein höheres Niveau heben. Soziale Mindestlöhne (Grundsicherung) sollen ein soziales Existenzminimum bei der Arbeitssuche und im Alter garantieren. Beide wirken wie die Mindestpreise in der Agrarpolitik. Sie erzeugen einen Angebotsüberhang (Arbeitslosigkeit) auf den Arbeitsmärkten für gering Qualifizierte. Die Verluste an Wohlfahrt zeigen sich in einem rückläufigen Sozialprodukt (BAED). Mit aktiver Arbeitsmarktpolitik versucht die Politik, diese Verluste zu verringern. Sie kauft über einen „sozialen“ Arbeitsmarkt überschüssige Arbeit (BC) aus dem ersten Arbeitsmarkt. Das ist nicht kostenlos. Zahlt der Staat den gesetzlichen Mindestlohn sind die Kosten (BCED) erheblich. Wie hoch die Kosten tatsächlich ausfallen, hängt davon ab, wie stark reguläre Arbeit verdrängt wird. Ist der Verdrängungseffekt hoch, sind auch die Kosten erheblich. Davon ist auszugehen (hier).
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Die gesamtwirtschaftliche Rechnung fällt noch ungünstiger aus, wenn nicht die gesetzlichen, sondern die „sozialen“ Mindestlöhne greifen. Diese liegen vor allem für Alleinverdiener mit Kindern hierzulande erheblich höher (hier). Die Verluste an Sozialprodukt fallen größer aus, die Verdrängungseffekte „sozialer“ Arbeitsmärkte sind höher. Mit den direkten Kosten der aktiven Arbeitsmarktpolitik geht die Steuer-Abgaben-Schere weiter auf. Die Arbeitsnachfrage nach regulärer Arbeit sinkt, die Arbeitsnachfragekurve verschiebt sich nach links (ANE1). Die Politik sieht sich genötigt, noch mehr überschüssige Arbeit aus dem Markt zu kaufen. Das erhöht die Kosten der Arbeitsmarktpolitik (HBAEK) weiter. Der schrumpfende reguläre Arbeitsmarkt mit einem geringeren Angebot an Arbeitsplätzen signalisiert der Politik weiteren Handlungsbedarf. Um privat angebotene Arbeitsplätze nicht weiter zu gefährden, subventioniert der Staat private Arbeitsplätze. Wie so etwas abläuft, lässt sich gut auf dem französischen Arbeitsmarkt beobachten (hier). Das bestätigt die Ölflecktheorie des liberalen Nobelpreisträgers Friedrich August von Hayek. Eine marktwidrige Intervention in die Märkte zieht weitere marktfeindliche Interventionen nach sich.
Doppelte Lohnuntergrenzen für Flüchtlinge
Der massenhafte Zustrom von Flüchtlingen deckt die Schwachstellen der aktiven Arbeitsmarktpolitik schonungslos auf. Es war von Anfang an illusorisch zu glauben, mit den Bürgerkriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen kämen vor allem gut ausgebildete Arbeitnehmer nach Deutschland. Tatsächlich ist der syrische Arzt die Ausnahme. Nun zeigt sich nach und nach, der größere Teil der Migranten ist eher schlecht ausgebildet, viele sind funktionale Analphabeten. Es bedarf großer sprach- und bildungspolitischer Anstrengungen, diese Menschen hierzulande in Arbeit und Brot zu bringen. Das ist aber eine wichtige Voraussetzung für gesellschaftliche Integration. Mit den gesetzlichen und sozialen Mindestlöhnen legt man ihnen allerdings weitere Steine in den Weg. Die gesetzlichen Mindestlöhne verhindern, dass für diese Menschen ausreichend Arbeitsplätze im privaten Sektor geschaffen werden. Mit den „sozialen“ Mindestlöhnen schwächt man die individuellen Anreize, eine angebotene Arbeit im ersten Arbeitsmarkt anzunehmen. Beide Lohnuntergrenzen vergrößern das Elend auf den Arbeitsmärkten für einfache Arbeit (hier). Die Arbeitslosigkeit steigt weiter, gesellschaftliche Integration gelingt nicht, Parallelgesellschaften entstehen.
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Die aktive Arbeitsmarktpolitik ist hoffnungslos überfordert. Sie muss immer mehr „überschüssige“ Arbeit aus dem Markt kaufen. Mit gesetzlichen und sozialen Mindestlöhnen sorgt die Politik selbst dafür, die Probleme der aktiven Arbeitsmarktpolitik zu vergrößern. Das erhöht die gesamtwirtschaftlichen Kosten der Arbeitsmarktpolitik beträchtlich. Steigende Kosten ziehen auch reguläre Arbeitsmärkte in Mitleidenschaft. Die Arbeitsnachfragekurve nach regulärer Arbeit (ANE1) verschiebt sich weiter nach links. „Soziale“ Arbeitsmärkte mit einem „solidarischen Grundeinkommen“ sind keine Alternative, ganz im Gegenteil. Es entwickelt sich ein mit Mindestlöhnen entlohnter „öffentlicher Dienst“ für Arbeitnehmer mit niedriger Qualifikation. Die Kenntnisse, die sie auf diesen zweiten Arbeitsmärkten erwerben, werden auf regulären Arbeitsmärkten oft nicht nachgefragt, zumindest nicht zu den Mindestlöhnen. Marktverwertbare Fähigkeiten erwirbt man durch „training on the job“ auf privaten Arbeitsplätzen. Das passiert aber nur, wenn es sich für private Arbeitgeber rechnet, Arbeitnehmer mit geringen Qualifikationen zu beschäftigen. Möglich wird dies nur, wenn produktivitätsorientiert entlohnt wird.
Und nun, was tun?
Wirklich erfolgreich ist die Arbeitsmarktpolitik wahrlich nicht, nirgends. Daran ändern auch das grundsätzlich richtige Konzept des „Forderns und Förderns“ der „Agenda 2010“ nur wenig. Die aktive Arbeitsmarktpolitik scheitert, weil sie sich noch immer auf das Herauskaufen „überschüssiger“ Arbeitsmengen aus dem Arbeitsmarkt konzentriert. Ein „sozialer“ Arbeitsmarkt würde dieses Problem noch vergrößern. Der Staat würde zum „employer of last resort“. Es müsste nicht weniger Arbeit, es müsste noch mehr „herausgekauft“ werden. Mit zu hohen Mindestlöhnen, gesetzlichen und sozialen, schafft der Sozialstaat allerdings erst die „überschüssigen“ Arbeitsmengen und legt sie sich selbst vor die Tür, um mit der aktiven Arbeitsmarktpolitik politisch tatkräftig zu erscheinen. Die in die Diskussion gebrachten höheren gesetzlichen Mindestlöhne und ein neues, höheres „solidarisches Grundeinkommen“ würden die staatlich erzeugten „Überschüsse“ am Arbeitsmarkt noch vergrößern. Die aktive Arbeitsmarktpolitik zeigt, dass der Staat die Probleme am Arbeitsmarkt, die er selbst verursacht, durch unsachgemäße Eingriffe weiter vergrößert. Er ist nicht die Lösung des Problems, er ist das Problem.
Die aktive Arbeitsmarktpolitik hat nur Aussicht auf Erfolg, wenn Verteilungspolitik nicht über die relativen Preise (Löhne) betrieben wird. Allokation und Verteilung müssen stärker voneinander getrennt, die Arbeit muss produktivitätsorientiert entlohnt werden. Ist das marktliche Arbeitseinkommen geringer als das gesellschaftlich erwünschte Existenzminimum, muss es zielgerichtet und bedürftigkeitsgeprüft über staatliche Transfers aufgestockt werden. Dabei ist auf Arbeitsanreize, Lohnabstand und Transferentzugsrate zu achten (hier). In einem solchen Umfeld fällt die Arbeitslosigkeit geringer aus. Die aktive Arbeitsmarktpolitik ist effizienter. Sie kann sich auf die wirklichen Problemgruppen am Arbeitsmarkt konzentrieren, nämlich Arbeitslose mit multiplen Vermittlungsproblemen. Umfangreiche „soziale“ Arbeitsmärkte sind zu vermeiden. Eine solche Arbeitsmarktpolitik ist auf der dezentralen Ebene der Kommunen zu konzipieren, finanzieren und administrieren (hier). Sie muss Arbeitsplätze für einfache Arbeit im ersten Arbeitsmarkt fördern. Nur so werden marktverwertbare Fähigkeiten vermittelt. Klar ist aber auch, die umstrittenen Lohnsubventionen gehören ist Arsenal der arbeitsmarktpolitischen Waffen.
Fazit
Das Gerede über die aktive Arbeitsmarktpolitik hält an. Linke und rechte Kritiker laufen arbeitsmarktpolitisch Amok. Sie wünschen sich die düstere „Vor-Agenda-2010-Ära“ zurück. Für sie ist die Zeit gekommen, das verhasste, bedürftigkeitsgeprüfte Arbeitslosengeld II („Hartz IV“) endlich zu schleifen. Gefordert werden (noch) mehr öffentliche Beschäftigung („sozialer“ Arbeitsmarkt) und höhere finanzielle Leistungen („solidarisches Grundeinkommen“). Das alles klingt nach „Vorwärts in die Vergangenheit“. Und das ist es auch. Allerdings: Die gegenwärtige aktive Arbeitsmarktpolitik ist reformbedürftig. Sie ist bestenfalls mäßig erfolgreich. Das liegt nicht nur an ihr selbst: Wer Verteilungspolitik über (Mindest-)Löhne betreibt, darf sich nicht wundern, wenn die Waffe der aktiven Arbeitsmarktpolitik stumpf bleibt. Aber es liegt auch an der aktiven Arbeitsmarktpolitik selbst: Wer sich vor allem damit beschäftigt, (lohn)politisch verursachte „überschüssige“ Arbeit aus dem Arbeitsmarkt herauszukaufen, schafft einen „öffentlichen Dienst light“ für (Langzeit)Arbeitslose. Er kann also nicht ernsthaft erwarten, dass er Erfolg hat, (Langzeit)Arbeitslose wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Wohin eine solche verfehlte Politik führt, lässt sich an der Agrarpolitik der EU studieren.
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