Angestoßen von der neuen CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer diskutiert Deutschland über die Wiedereinführung der Wehr- bzw. einer Dienstpflicht für junge Menschen. Dabei ist nicht klar, ob es sich um eine Sommerlochdebatte zur Schärfung des konservativen Profils der Partei oder um vorauseilenden Gehorsam gegenüber US-Präsident Donald Trump handelt, der mehr militärisches Engagement der Deutschen einfordert. Neben der Frage, wie eine ohnehin an allen Fronten überforderte Bundeswehr diese neue Volte der Politik ertragen soll, sind die wirtschaftlichen Folgen für die alternde deutsche Gesellschaft zu klären. Hier sieht es trotz – oder gerade wegen – der günstigen Konjunktur im Lande finster aus, denn ein ganzer Wust an Maßnahmen – von der Wehrpflicht über die Rückkehr zum G9 bis zur Einführung doppelter Haltelinien – gefährdet die Stabilität der Gesetzlichen Rentenversicherung.
Der Alterungsprozess der deutschen Gesellschaft ist seit langem bekannt und nicht aufzuhalten. Trotz des Zustroms von Migranten aus aller Welt gefährdet er die nachhaltige Finanzierung der deutschen Renten. Die rotgrüne Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte daher – nach vielen Geburtswehen – bereits in den frühen 2000er Jahren einschneidende Reformen der Altersvorsorge vorgenommen. Dabei wurde versucht, einerseits die Beitrags- und Rentenentwicklung behutsam an den demographischen Wandel anzupassen und andererseits die Lebensarbeitszeit zu verlängern. Während im ersteren Fall Entwicklungspfade vorgezeichnet und eine staatlich unterstützte private Altersvorsorge zur Ergänzung eingeführt wurden, ist bei der Lebensarbeitszeit vor allem die langsame Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre im Gedächtnis der Bürger geblieben.
Tatsächlich hatte sich – wenn auch aus anderen Gründen – auch am unteren Ende des Erwerbslebenszeitraums etwas getan. Die flächendeckende Einführung des G8, also die Verkürzung der Regelschulzeit um ein Jahr, die Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge mit dem Bachelor als zentralem berufsqualifizierenden Abschluss nach bereits drei Jahren Studium sowie die Abschaffung der Wehrpflicht wurden von Rentenökonomen positiv bewertet, weil sie junge Menschen früher ins Erwerbsleben bringen. Die zusätzlichen Jahre in Lohn und Brot sorgen für längere Beitragszeiten, die zum einen für ein höheres Beitragsvolumen in den Jahren, in denen die Babyboomer demnächst in die Rente eintreten werden, erzeugen und zum anderen jedem Einzelnen mehr Rentenpunkte verschaffen werden. Letztere können dem gebremsten Anstieg des Rentenwerts durch den Nachhaltigkeitsfaktor, der die Entwicklung der individuellen Ansprüche von der Lohnentwicklung abkoppelt, entgegenwirken. Sowohl in der kurzen wie auch der langen Frist wirken diese Maßnahmen entlastend für die Rentenversicherung.
Doch die Realität unterläuft diese positive Entwicklung. Aus Angst vor den Eltern, Lehrern und der eigenen Courage macht ein Bundesland nach dem anderen eine Rolle rückwärts beim G8 und kehrt zurück zum G9. Der Regelabschluss in den meisten Studienfächern ist der Master, der im Vergleich zum Diplom nach fünf statt vier Jahren erreicht wird. Und nun soll auch noch die Wehrpflicht zurückkehren, möglicherweise sogar als allgemeine Dienstplicht für alle, was bedeutet, dass nicht nur junge Männer sondern auch Frauen länger dem Arbeitsmarkt vorenthalten werden. Nimmt man die bisherigen rentenpolitischen Maßnahmen der Großen Koalition (Mütterrente, Rente für langjährig Versicherte) und ihre Pläne für die Zukunft wie die doppelte Haltelinie bei Beitragssätzen und Rentenniveau, die sich bei realistischer Betrachtung nur mit einem massiv erhöhten Bundeszuschuss wird erreichen lassen, zusammen, dann muss den Mitgliedern der Gesetzlichen Rentenversicherung angst und bange werden. Es bedarf keiner besonderen mathematischen Kenntnisse, um zu sehen, dass die finanzielle Solidität dieses Zweigs der Sozialversicherung gefährdet ist.
Es mag gute und weniger gute Gründe für eine allgemeine Dienstpflicht geben, rentenpolitisch ist es wenig hilfreich. Schlimmer noch: sie ergänzt andere Entwicklungen, die für die zukünftigen Renten kritisch sind. Dass diese Zusammenhänge nicht diskutiert, sondern die Rentenkassen als Füllhorn betrachtet werden, ist vor dem Hintergrund der aktuell sehr guten konjunkturellen Lage, die den Blick auf die Herausforderungen des demographischen Wandels verstellt, nachvollziehbar, aber nicht verständlich. Spätestens wenn die sich andeutende Abkühlung der Konjunktur spürbar wird, wird sich herausstellen, dass Gesellschaft und Politik zu leichtsinnig mit den Mitteln der Beitragszahler umgegangen sind. Dann wird es zur nächsten Rentenreform kommen – und diese wird die üblichen Folterinstrumente beinhalten: Beitragserhöhungen, Rentenniveauabsenkungen und ein späterer Renteneintritt. Würde man heute anders handeln, müssten diese Maßnahmen weniger dramatisch ausfallen.
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Herr Krieger hat Recht, wenn er vor unüberlegten Maßnahmen, die dem langfristigen Überleben des umlagefinanzierten Rentensystems entgegenwirken, warnt. Eine „doppelte Haltelinie“ beispielsweise stärkt unter den jungen Menschen in Deutschland den weit verbreiteten Fatalismus („Wir werden sowieso mal keine Rente bekommen“) und schwächt das Vertrauen in das bestehende Rentensystem.
Allerdings sollte nicht jede Maßnahme vor dem rentenpolitischen Hintergrund bewertet werden. G9 oder eine allgemeine Dienstpflicht können aus anderen Gründen (bildungspolitische, zivilgesellschaftliche) durchaus sinnvoll sein und können sich sogar ökonomisch auszahlen. Wer länger in der Schule lernt oder andere Lebenswelten außerhalb des Arbeitsmarktes kennenlernt, erfährt mehr, lernt mehr und kann später in den Unternehmen mit mehr Wissen und Kreativität glänzen.