Bringt uns Digitalisierung zwangsläufig mehr Arbeitslosigkeit?

„Digitalisierung“ ist mittlerweile in aller Munde. Selbst in das Programm mancher Partei ist dieser Begriff an prominenter Stelle eingeflossen. Leider wird der Begriff oftmals für jede Form der Invention verwendet. Sinnvollerweise sollte man zwischen „digitizing“, der reinen Umwandlung von analogen in digitale Signale, und „digitization“, der damit bewirkten Umformung verschiedenster Handlungsbereiche der Individuen, unterscheiden (Alt & Puschmann, 2016, S. 21 f.; Tilson, Lyytinen & Sørensen, 2010, p. 4).

Mit dem Phänomen der Digitalisierung wird eine massive Freisetzung von Arbeitskräften verbunden und daher sogar etwa die Forderung laut, eine sog. Maschinensteuer einzuführen (Zitelmann 2018). Betrachtet man die Auswirkungen der Digitialisierung auf den Arbeitsmarkt, so lassen sich im wesentlichen zwei Effekte identifizieren (Degryse, 2016; Eichhorst et al., 2017), die wir hier näher betrachten wollen:

  1. Durch „digitale“ Innovationen entstehen gänzlich neue Produktmärkte wie etwa im Social Media-Bereich.
  2. Im Zuge der Digitalisierung treten Prozeßinnovationen auf, die zu einer Verminderung der Produktionskosten führen.

Obgleich durch das Entstehen neuer Produktmärkte die Nachfrage auf dem Faktormarkt zunimmt, wird weitgehend erwartet, daß dieser Zuwachs durch das Auftreten von Prozeßinnovationen mehr als kompensiert wird. So befürchtet man, daß viele Tätigkeiten, die früher manuell durchgeführt wurden, komplett automatisiert werden. Diskutiert wird dieses Phänomen unter den Schlagwörtern „Has Creative Destruction Become More Destructive?“ (Komlos, 2016) oder „Zero marginal costs“ (Rifkin, 2014). Anekdotische Evidenz scheinen dabei die Beschäftigungszahlen zu geben: So setzte die Kodak-Insolvenz rund 145.000 Beschäftigte frei; ein global erfolgreiches Unternehmen wir Facebook hatte hingegen im Jahre 2016 nur rund 17.000 Arbeitnehmer unter Vertrag.

Mit einer einfachen graphischen Analyse läßt sich jedoch zeigen, daß prinzipiell beide Fälle möglich sind. So muß die Digitalisierung nicht zwangsläufig zu einer Arbeitsfreisetzung führen, sondern kann ebenso eine erhöhte Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt induzieren.

claschabb1

– zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken –

Mit D als Nachfrage auf dem Absatzmarkt und einer Produktionsfunktion x = cL (mit x als Produktionsmenge des abgesetzten Gutes, L als Menge an Arbeitskräften und c als Produktionskoeffizient) ergibt sich die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt DL als Zusammenhang zwischen der angebotenen Menge an Arbeitskräften und dem Lohn w.

Prozeßinnovationen erhöhen den Produktionskoeffizienten und führen damit zu einer Veränderungen der Arbeitsnachfrage (siehe Abbildung 2).

claschabb1

– zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken –

In Abhängigkeit des Arbeitsangebots sind nun Situationen denkbar, die entweder zu einer Arbeitsfreisetzung (Fall 1) oder eben zu einer Mehrbeschäftigung (Fall 2) führen.

Was bedeutet das? Wenn die Digitalisierung die Produktivität erhöht, was nicht zwangsläufig der Fall sein muß, mündet dies nicht automatisch in eine Freisetzung von Arbeitskräften. So ergibt sich zwar durch eine höhere Produktivität ein geringerer Bedarf an Arbeitskräften, um die gleiche Menge an Gütern zu produzieren (direkter Effekt), gleichzeitig führt die Digitalisierung aber auch zu einer Abnahme der Grenzkosten. Und auf wettbewerblichen Märkte resultieren aus einer Abnahme der Grenzkosten geringere Preise und damit bei einer normal verlaufenden Nachfrage eine größere produzierte Menge, für die gleichwohl wieder zusätzliche Arbeitskräfte benötigt werden (indirekter Effekt). Nun kann es durchaus sein, daß der indirekte Effekt – wie die einfache graphische Analyse zeigt – den direkten Effekt überkompensiert und damit die Digitalisierung zu einer höheren Beschäftigung führt.

Quellen

Alt, R., & Puschmann, T. (2016), Digitalisierung  der Finanzindustrie. Grundlagen der Fintech-Evolution, Berlin, Heidelberg: Springer, Gabler.

Degryse, C. (2016), Digitalisation of the Economy and its Impact on Labour Markets, ETUI Research Paper – Working Paper 2016.02.

Eichhorst, W., Hinte, H., Rinne, U., & Tobsch, V. (2017), How Big is the Gig? Assessing the Preliminary Evidence on the Effects of Digitalization on the Labor Market in: management revue, Jg. 28, S. 298 – 318.

Komlos J. (2016), Has Creative Destruction become more Destructive?, in: The B.E. Journal of Economic Analysis & Policy, Vol. 16(4), pp. 1 – 12.

Rifkin, J. (2015), The Zero Marginal Cost Society: The Internet of Things, the Collaborative Commons, and the Eclipse of Capitalism, Reprint of the 1st ed., New York: St. Martin’s Griffin.

Tilson, D., Lyytinen, K., & Sørensen, C. (2010), Desperately seeking the Infrastructure in IS Research: Conceptualization of “Digital Convergence” as co-evolution of social and technical infrastructures, in: Proceedings of the 43rd Hawaii International Conference on System Sciences, pp. 1 – 10.

Zittelmann, R., Siemens-Chef fordert Maschinensteuer, in: Wallstreet Online, https://www.wallstreet-online.de/nachricht/10171043-joe-kaeser-siemens-chef-maschinensteuer [Zugriff: 3. Okt. 2018].

Eine Antwort auf „Bringt uns Digitalisierung zwangsläufig mehr Arbeitslosigkeit?“

  1. Vielen Dank für den kompakten, interessanten Beitrag.
    In der Tat ist die Frage nach den Beschäftigungseffekten der Digitalisierung (Stichwort „Industrie 4.0“) weder trivial noch eindeutig zu beantworten. Eindeutig allerdings ist, dass „Schwarzmalerei“ völlig unangebracht ist. Vielmehr ist Digitalisierung doch gerade für ein Hochlohnland wie Deutschland, noch dazu mit einem starken industriellen Rückgrat – allem voran der mittelständisch geprägte Maschinenbau, eine Phalanx auch bezüglich zunehmend digitalisierter Wertschöpfung und Produkte – als grosse Chance zu begreifen. Eine Chance selbstverständlich, die genutzt werden muss. Und da helfen Gejammere und volle Hosen bestimmt nicht. Vielmehr müssen die Vorhandenen Chancen unternehmerisch clever genutzt werden. Dabei gilt: keine Digitalisierung mit der Giesskanne! Die digitale Transformation hat zunächst einmal aus unternehmerischer und auch volkswirtschaftlicher Sicht keinen Eigenwert. Sie ist Mittel zum Zweck. Nur eine systematische, geschäftsmodellbasierte Identifikation von echtem Zusatznutzen weist den Weg für sinnvolle Digitalisierungsmassnahmen. Sie müssen nachweislich die eigene Wettbewerbsfähigkeit verbessern und die Nachfrage der Kunden sicherstellen bzw. steigern (siehe dazu auch hier: http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=21274). Dann kommen Unternehmenserfolg und sichere, attraktive Arbeitsplätze ganz automatisch. Strukturelle Änderungen der Arbeitsnachfrage wird es allerdings sehr wohl geben, die gab es allerdings schon immer.
    Beste Grüsse aus der Schweiz,
    Christian Abegglen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert