Italien wieder in den Schlagzeilen
Neue Akteure, alte Probleme

Viele blicken in diesen Wochen mit Sorge nach Italien: Finanzmarktteilnehmer, Analysten und Ratingagenturen, Medien und Kommentatoren, EU-Partner und Vertreter der EU-Gremien. Die Risikoaufschläge italienischer Staatspapiere haben sich seit Mai deutlich erhöht, ihre Volatilität spiegelt Diskussionen und das Verhalten der Regierenden in Italien. Einer der zentralen Auslöser ist das Ringen um das Budget 2019. Doch kann dieses nicht ohne die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Regierungsparteien sowie ohne die Restriktionen, die sich aus der Mitgliedschaft in der Euro-Union ergeben, eingeschätzt werden.

Neue Akteure in Italien

Die vorgezogenen Parlamentswahlen im März 2018 haben eine mühsame Regierungsbildung und herausfordernde politische Rahmenbedingungen geschaffen. Seit Juni ist die Regierung Conte nun im Amt, eine eigenwillige Koalition von Lega und MoVimento 5 Stelle. Dies sind zwei Partner, die im politischen Spektrum weit voneinander entfernt angesiedelt sind und deren regionale und gesellschaftliche Verankerung in der Bevölkerung ebenso. Während sie ihre Ablehnung der etablierten politischen Parteien und deren Politik verbindet, unterscheiden sich ihre wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Präferenzen und Ambitionen weitgehend. Mit Matteo Salvini stellt die Lega einen außerordentlich konfliktaffinen stellvertretenden Ministerpräsidenten und Innenminister, der laut Befragungen den Stimmenanteil bei den Wahlen inzwischen deutlich erhöhen konnte. Anders die Fünf-Sterne-Bewegung, die mit dem zweiten stellvertretenden Ministerpräsidenten, der auch das Amt des Ministers für Wirtschaftliche Entwicklung sowie für Arbeit und Sozialpolitik bekleidet – Luigi Di Maio – ihren Stimmenanteil inzwischen reduziert hat. Diese politischen Rahmenbedingungen bringen strategische und operative Herausforderungen mit sich, die es Staatschef Conte sowie Wirtschaftsminister Tria sehr schwer machen, mit den EU-Gremien zu verhandeln. Dass sie budgetdefizitfördernd sind, resultiert nicht zuletzt aus den internen Gegensätzlichkeiten der Koalitionsparteien.

Finanzmärkte als Spiegel

Bereits mit der Regierungsbildung und der Ankündigung des Regierungsprogramms zeigten sich Irritationen an den Finanzmärkten, die sich z.B. in der Ausweitung der Spreads italienischer Staatsanleihen gegenüber deutschen Bundesanleihen spiegelten, wie es in Abbildung 1 zu sehen ist. Dieser Indikator hat neben Kapitalabzügen durch ausländische Investoren sehr sensibel auf den Prozess der Vorbereitung des Budgets 2019 und widersprüchliche Signale der politischen Akteure reagiert. Er spiegelt die Höhepunkte von regierungsinternen Diskussionen in Italien ebenso wie die Kommunikation mit den EU-Vertretern. Diese Kommunikation hat vor allem die Bereitschaft zur Einhaltung der Euro-Fiskalregeln zum Inhalt. In einer längerfristigen Betrachtung zeigt sich (Abbildung 2) wie schwerwiegend die Irritationen sind. Diese werden auch die Finanzierung der Staatsverschuldung deutlich erhöhen, die italienischen Banken, die ohnehin noch unter der Finanzmarktkrise und den Folgen leiden, belasten und die Kurse italienischer Aktien nach unten treiben. Aussagekräftig bezüglich der Einschätzung des „Italien-Risikos“ ist auch ein Vergleich italienischer Staatsbonds, die in Euro und jener die in Dollar nominiert sind, in den sonstigen Merkmalen aber weitgehend übereinstimmen. Diese Entwicklung zeigt Abbildung 3. In Abbildung 4 sind die Entwicklung der Zinsstrukturkurve Italiens und ihre Veränderung in den vergangenen Monaten dargestellt. Dass die Bekanntgabe der Ratings durch Moody’s und S&P Ende Oktober in Italien nicht ohne Sorge erwartet werden, ist naheliegend.

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Staatshaushalt 2019 als Stein des Anstoßes

Die Vorbereitung und dann die Vorstellung des Staatshaushaltes 2019, die später als erwartet erfolgte, hat die Unsicherheit über den wirtschaftspolitischen Kurs einerseits weiter angeheizt, geht es doch nun erstmals um die Umsetzung von Wahlversprechen. Es wurde aber auch die Befürchtung bestärkt, dass sich ein Konflikt mit der EU-Kommission abzeichnen könnte. Die Koalitionäre haben ein Haushaltsdefizit von 2,4% des BIP angekündigt und dies auch nach EU-Kritik verteidigt. Kommissionspräsident Juncker hatte in Interviews und Kommissionsvizepräsident Dombrovskis und Wirtschaftskommissar Moscovici schriftlich Kritik am Ausmaß geübt und angekündigt, gegebenenfalls Änderungswünsche nach der offiziellen Vorlage des Haushalts am 15. Oktober vorzubringen. Der Haushalt 2019 würde eine deutliche Abweichung von der gemeinsamen Wirtschaftspolitik und den vereinbarten  mittelfristigen Budgetzielen darstellen. Die noch von der Regierung Renzi angekündigte Neuverschuldung für 2019 lag bei 0,9% des BIP. Dem Defizit von 2,4% haben in der vergangenen Woche Parlament und Senat zugestimmt, begleitet von starker Rhetorik in Italien und harscher Zurückweisung der EU-Kritik. Einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen, von der Vorgänger-Regierung für 2020 avisiert, wurde in die Zukunft verschoben. Selbst Mario Draghi sowie IWF-Chefin Lagarde forderten Italien zu Disziplin und Einhaltung der gültigen Euro-Regeln auf.

Mittelfristige Perspektiven und strukturelles Defizit als Beurteilungskriterien

Bereits im Vorfeld der Parlamentsabstimmung ist es für die folgenden Jahre zu Modifikationen gekommen. So sollen nun die Defizite der folgenden Jahre nicht wie ursprünglich angekündigt auf dem Niveau von 2,4% verharren, sondern 2020 2,1% und 2021 1,8% betragen. Bessere Einsicht oder Verschiebung von Konflikten in die Zukunft? Die 2,4% liegen unter der 3%-Schwelle des Euro-Stabilitätspakts. Doch dieser weist auch ein – meist in Diskussionen kaum beachtetes Element – präventives Element auf, das es ermöglich die Verschuldung hochverschuldeter Mitgliedsstaaten wie Italien abzubauen. Ansatzpunkt dafür ist das strukturelle Defizit, also jenes, das um Konjunktureffekte und einmalige Effekte bereinigt ist. Dieses hätte in Italien um 0,6% des BIP gesenkt werden müssen, nun steigt es. Die Entwicklung der Staatsverschuldung Italiens und seiner Defizite sowie den Primärhaushalt seit 2000 zeigt Abbildung 5. Abbildung 6 stellt die Position Italiens im Vergleich der Euro-Staaten dar und zeigt ein deutliches Bild.

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Wähler erwarten die Einlösung von Wahlversprechen

Es kann nicht überraschen, dass die Einhaltung der Euro-Fiskalregeln bei der Erstellung des ersten Haushalts der neuen Regierung in den Hintergrund getreten ist, geht es doch um die Einlösung von zentralen Wahlversprechen. Erklärterweise sollen diese durch die Anregung von Investitionen das im Vergleich zu den meisten Euro-Staaten zurückgebliebene Wachstum fördern und die Arbeitslosigkeit weiter reduzieren. Dabei hat für die Lega eine Steuerreform mit dem Endziel einer Flat Tax Priorität, ein Instrument, das jedoch inzwischen deutlich verwässert wurde. Die Bewegung der Fünf Sterne zog mit einem (voraussetzungslosen) Bürgereinkommen für alle in den Wahlkampf, dessen Umsetzung inzwischen ebenfalls durch die Realität eingebremst ist. Prognostiziert wurden jährliche Kosten von mindestens etwa 75 Milliarden Euro, die sich im Haushalt niederschlagen würden. Auch die beabsichtigte Rückführung der Rentenreform der Regierung Monti von 2011, die unter anderem das Renteneintrittsalter wieder auf 60 Jahre senken will, ist stark budgetwirksam. Dies gilt auch für das inzwischen umgesetzte „Dekret der Würde“, das Arbeitsmarktreformen der Vorgängerregierung zurücknimmt und bezüglich seiner Wirkungen sehr kontrovers eingeschätzt wird.

Die alten Probleme sind geblieben.

Die strukturellen Probleme Italiens sind geblieben. Eine abnehmende Wettbewerbsfähigkeit mit zunehmendem Abstand gegenüber den anderen Euro-Staaten, Probleme einer veralteten Infrastruktur, die durch zahlreiche internationale Organisationen hervorgehobene Ineffizienz der Bürokratie, Verfilzung einer komplexen und intransparenten Entscheidungsfindung und ein realwirtschaftliches Wachstum, das hinter dem EWU-Durchschnitt zurückbleibt (vgl. Abbildung 7). Das für 2019 offiziell genannte Wachstumsziel soll 1,5% betragen, es mehren sich allerdings Stimmen, die die Erreichbarkeit bezweifeln. Nicht überraschend werden Stimmen italienischer Politiker vernehmbar, die auch wieder Unterstützung der EZB zur Problemlösung in Italien fordern und solche, die eine Erneuerung der Regeln des Stabilitätspakts nahelegen. Dabei ist die Artikulation von Forderungen und Kritikpunkten nicht zimperlich, was die Wortwahl betrifft. Wäre Italien nur im Durchschnitt der Euro-Staaten gewachsen, wären die aktuellen Verschuldungsprobleme weniger dramatisch. Zudem war der Aufbau der Staatsverschuldung bzw. die Verzögerung ihres Abbaus nicht in der Lage, die realwirtschaftliche Entwicklung positiv zu beeinflussen. Dies sind Hinweise dafür, dass es vordringlich ist, die institutionellen Rahmenbedingungen zu verbessern, die die „alten Probleme“ Italiens über einen langen Zeitraum hervorgerufen haben. Dass dies nicht einfach ist, zeigt das Scheitern der Vorgängerregierung.

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Fazit

Wir erleben gerade eine weitere Auflage der Kräfte, die in einer Währungsunion mit heterogenen Mitgliedern wirksam werden können. Der Verlust von Anpassungsmechanismen durch die gemeinsame Währung und die Existenz von Fiskalregeln und anderen commitments zu ihrem Schutz machen die damit verbundene Einschränkung von politischen und wirtschaftspolitischen Spielräumen in den Mitgliedsstaaten zu einer inhärenten Herausforderung für die Stabilität der Union. Gegen vereinbarte Regeln zu verstoßen, ist immer dann naheliegend, wenn sie den Entscheidungsträgern in den Mitgliedsstaaten politischen Spielraum zurückbringen. Dieses Kalkül ist praktisch nicht zu durchbrechen. Zumindest existieren dafür historisch keine Beispiele. Daraus folgt, dass die Diskussion über die Perspektiven der Europäischen Union nicht weiter vernachlässigt werden dürfen, auch wenn bald Europa-Wahlen anstehen.

Blog-Beiträge zu Italien:

Theresia Theurl: Italien nach dem Referendum. Ohne Reformen wird’s nicht gehen

Norbert Berthold: Was wird aus Italien?  Vetternwirtschaft, Populismus und QuItaly

Norbert Berthold: Immer wieder Ärger mit Italien. Populisten rufen zum Marsch in die Schuldenunion auf

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