Wie liberal ist die Wirtschaftspolitik der Grünen?

In den Umfragen sind die Grünen auf dem Weg zur Volkspartei. Ob sich das bei Bundestagswahlen tatsächlich so materialisieren wird, ist eine andere Frage. Die Älteren erinnern sich: 2011 schien die Partei schon einmal auf dem Weg nach ganz oben, aber die grüne Spekulationsblase platzte dann doch recht schnell. Dennoch: mit hoher Wahrscheinlichkeit werden die Grünen bald eine größere Rolle spielen als bisher.

Begleitet wird der Aufstieg in den Umfragen von einer wohlwollenden Berichterstattung, in der die Grünen als nunmehr liberale, bürgerliche Partei gezeichnet werden. Auf manchen Gebieten der Politik ist da natürlich durchaus etwas dran. So wird etwa gegenüber Autokraten wie Putin und Erdogan eine durchaus überzeugende, an liberalen Werten orientierte Außenpolitik geboten. Einige der konsequentesten Verteidiger Israels als einziger liberaler Demokratie im Nahen Osten sind Grüne. Und selbst mit der NATO haben Teile der Grünen inzwischen ihren Frieden gemacht, weil sie die Bedeutung der Verankerung Deutschlands in westlichen Bündnissen erkannt haben. So weit, so gut — wie sieht es aber in der Wirtschafts- und Finanzpolitik aus?

Den Solidaritätszuschlag möchten die Grünen behalten. Sie sehen kein Problem bei hohen Steuerlasten und argumentieren stets von der Ausgabenseite des Budgets her. Sie haben einen unerschöpflichen Vorrat an Ideen für öffentliche Ausgaben, da wären Steuersenkungen nur im Weg. Die liberale Einsicht, dass Steuern immer auch mit Zwang zu tun haben und die individuelle Freiheit der Bürger einschränken, spielt im Grünen Denken keine wesentliche Rolle. Der Staat tut Gutes, er muss so großzügig wie möglich finanziert werden.

In dieser Grundeinstellung der Grünen spiegelt sich auch ein Misstrauen gegenüber individuellen Entscheidungen der Bürger, manchmal sogar gegenüber deren individueller Entscheidungsfähigkeit insgesamt. Der berüchtigte Veggie-Day war vor der Bundestagswahl von 2013 ein Symptom dieses Denkens, aber er ist eben tatsächlich nur ein Beispiel. Die Grünen werden manchmal eine Lifestyle-Partei genannt, die gewählt wird, weil ihre Wähler einen bestimmten, scheinbar sympathischen Lebensstil mit ihr in Verbindung bringen. Man fährt mit dem Fahrrad zum Biomarkt, kauft dort Demeter-Milch und holt sich auf dem Weg zur Bürgerinitiative für neue Fahrradwege beim Homöopathen seines Vertrauens noch ein paar Globuli ab. Das ist natürlich ein Klischee, aber durchaus eines mit einem wahren Kern.

Wer seinen Lebensstil für vorbildlich hält, der hält ihn auch für verallgemeinerbar, die Verallgemeinerung sogar für geboten. Dass die Grünen genau dies tun, ist offensichtlich. Zum Paria wird aus Sicht der Grünen, wer sich dem Bio-Biedermeier entzieht, denn er scheint nicht einsichtsfähig. Bunt und vielfältig darf die Welt nur sein, wenn es um die Schubfächer der Identitätspolitik geht, aber nicht bei politisch unkorrekten Konsummustern. Dies ist aber offensichtlich kein liberaler Ansatz. Dieser würde, wo es nötig ist, externe Effekte über Pigou-Steuern internalisieren, aber ansonsten auf moralisch aufgeladene Ge- und Verbote sowie auf Bußpredigten lieber verzichten.

Auch die neuesten Habeckschen Vorstellungen zur Reform der sozialen Sicherungssysteme erscheinen wenig liberal. Wieder wird primär von der Ausgabenseite gedacht. Es wird definiert, was man als wünschenswert sieht, die nötigen Staatseinnahmen werden dann schon generiert. Der Wegfall von Anreizen für Leistungsempfänger, sich um eine neue Beschäftigung zu bemühen, tritt zurück hinter den Anspruch, eine vermeintlich soziale Partei zu sein. Aus liberaler Sicht steht das Ziel im Vordergrund, Leistungsempfänger wieder in den Arbeitsmarkt zu bringen und sie auf eigenen Beinen stehen zu lassen. Aus Grüner Sicht hingegen scheinen Leistungsempfänger in ihrer passiven Rolle gefangen. Alles, was man noch für sie tun kann, ist ihnen mehr Geld zu geben und sie ansonsten in Ruhe zu lassen.

Eine liberale Politik zeichnet sich nicht zuletzt durch den Optimismus aus, dass die ungeplanten Ergebnisse, die auf Märkten immer wieder spontan hervorgebracht werden, mehr positive als negative Eigenschaften haben. Märkte sind nun einmal, wie wir seit Schumpeter und Hayek wissen, die Arenen, in denen ständig Neues hervorgebracht und Altes verdrängt wird. Dieser kreative Prozess aber ist offen. Wer hätte im Jahr 1988 vorhersagen können, wie wir heute leben? Vieles, was seitdem nicht nur unseren Konsum, sondern auch unser gesellschaftliches Zusammenleben verändert hat, war damals noch völlig unbekannt — das Internet, Smartphones, Skype und Messenger-Apps, um nur einige Beispiele zu nennen. Nicht zufällig aber haben die Grünen damals, im Jahr 1988, vehement gegen Digitalisierung, gegen ISDN und den damals noch bekannten Bildschirmtext, ja sogar gegen das Kabelfernsehen gekämpft. Das alles erschien ihnen unheimlich.

Diese konkreten Positionen der frühen Technikverweigerung haben die Grünen inzwischen zwar geräumt, zu absurd erschien irgendwann angesichts der tatsächlichen Erfahrungen die negative Sichtweise auf Computer und elektronische Kommunikation. Aber sehr präsent in der politischen DNA der Grünen ist immer noch die Aversion gegen die Ambiguität, die offene, ungeplante, spontane gesellschaftliche Entwicklungen nun einmal mit sich bringen, in denen Individuen unternehmerisch Dinge ausprobieren, ohne die Politik um Erlaubnis zu fragen. Ein ins Extrem interpretierte, Veränderungen hemmendes Vorsorgeprinzip ist da nur ein Beispiel. Da wird ein neues und nach allen wissenschaftlichen Einschätzungen sicheres gentechnisches Verfahren wie CRISPR dämonisiert, so wie 1988 noch ISDN als Ausgeburt der Digital-Hölle galt.

Hier sind die Grünen keinesfalls liberal. Sie sind aber auch nicht unbedingt konservativ. Konservative wollen den Stand der Dinge bewahren. Liberale lassen dem unternehmerischen Handeln und der freiwilligen Assoziation der Bürger freien Lauf und freuen sich über die überraschenden Innovationen und den ungeplanten Fortschritt. Grüne hingegen bleiben im Kern Sozialisten. Sie haben störrische und enge Vorstellungen davon, wie ihre Traumgesellschaft geordnet sein soll. Sie wollen alle gesellschaftlichen Kräfte mobilisieren, um dieses Ökotopia zu realisieren. Keine Überraschungen, keine Ambiguität, keine Offenheit. Das Ziel ist klar und nur die Grünen bringen uns hin.

Der Liberalismus bleibt bei den Grünen ein Randphänomen. Natürlich gibt es einzelne Themenbereiche, in denen die Grünen scheinbar für mehr individuelle Freiheit sind, etwa wenn es um die Legalisierung weicher Drogen geht. Aber wie konsequent und konsistent ist das, wenn auf der anderen Seite von der Abschaffung des Individualverkehrs auf den Straßen geträumt wird, oder man sich ständig neue Ernährungsvorschriften überlegt? Schon die in der Politik beliebte, kollektivistische Frage „wie wir leben wollen“ lässt einen Liberalen erschaudern. Wenn eine Lifestyle-Partei wie die Grünen auf diese Frage aber entschiedene Antworten gibt, dann zeigt das, dass sie den Kern liberalen Denkens eigentlich offen ablehnt. Das ist nicht schlimm, in der demokratischen Parteienlandschaft ist Platz für viele Angebote. Aber es ist eben auch nicht liberal.

Eine Antwort auf „Wie liberal ist die Wirtschaftspolitik der Grünen?“

  1. Die wenig marktwirtschaftliche Gesinnung der grüner Politiker ergibt sich aus einer Kombination aus Ausbildung und beruflicher Erfahrung. Um nur mal das derzeitiger Spitzenpersonal anzuführen: Herr Habeck ist Germanist, Frau Baerbock Politikwissenschaftlerin. Beide ragen mit diesen wirtschafts- und naturwissenschaftsfernen Ausbildungen schon aus ihrer Fraktion heraus, die ja zum guten Teil aus Berufslosen besteht. Gleich nach ihren Ausbildungen ging es dann sofort in die Parteipolitik. Mit Wirtschaft haben beide Personen damit aber weder im Studium noch in der Realität auch nur die geringste Erfahrung gemacht.

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