Junge Autoren
Der frühe Ordoliberalismus als Berater des Nationalsozialismus?

Im Zuge der Eurokrise rückte auf einmal der Ordoliberalismus, der ansonsten an den internationalen volkswirtschaftlichen Fakultäten nur wenig Aufmerksamkeit bekommt, in den Vordergrund der akademischen Diskussionen. Plötzlich wurde er, ausgelöst durch die „Austeritätspolitik“, die vor allem, aber nicht nur auf das Konto der Bundesregierung geht, wieder ausgegraben. Um es mit den Worten von Pigou und den Ansichten mancher Kritiker zu sagen: „the wrong opinions of dead men“, wurde mit dem Ordoliberalismus ein vermeintlicher Schuldiger für eine Politik gefunden, die von dem ehemaligen griechischen Finanzminister Varoufakis schon mal als „fiskalisches Waterboarding“ bezeichnet wurde. Die Debatte über die Austeritätspolitik und der angebliche „long shadow of ordoliberalism“ führten zu heftiger Kritik am Ordoliberalismus, der manche Autoren sogar eine Verbindung zum „religiösen Extremismus“ sehen lässt.

Da dauerte es nicht lange, bis auch die ersten Autoren – nach dem Vorbild Dieter Haselbachs (1991) – versuchten, Verbindungen zwischen den Gründervätern des Ordoliberalismus, vor allem Walter Eucken und Franz Böhm, und dem Nationalsozialismus zu etablieren. So werden Thomas Biebricher und Frieder Vogelmann in ihrem 2017 veröffentlichtem Buch „The Birth of Austerity: German Ordoliberalism and Contemporary Neoliberalism“ nicht müde, mit erhobenen Zeigefinger auf derartige, aus ihrer Sicht politisch-moralisch bedenklichen Verbindungen hinzuweisen, obwohl es in ihrem Buch eigentlich um die europäische Austeritätspolitik geht. Zwar seien Eucken & Co. keine „intellectual collaborators“, allerdings sehen sie die im NS-Deutschland publizierten Texte als direkte Beratung für das Naziregime. So sei zwar Franz Böhm nicht unbedingt ein Nazi gewesen, hätte aber mit seinen „valuable and usable“ Empfehlungen in Kauf genommen, der Diktatur zu helfen, ungeachtet des Widerstands durch die Freiburger Kreise gegen den Nationalsozialismus.

Betrachtet man die tatsächliche Wirtschaftspolitik zwischen 1933 und 1945, so scheinen die von Biebricher und Vogelmann als Empfehlungen verstandenen Werke jedenfalls keinen Einfluss gehabt zu haben. Denn im Grunde genommen kann die Wirtschaftspolitik der Nationalsozialisten als der letztlich gescheiterte Versuch, ein Koordinationsproblem zu lösen, das durch den Anspruch des Nationalsozialismus erst geschaffen wurde, beschrieben werden. Der Anspruch lag darin, die Gesellschaft inklusive all ihrer Teilsysteme entsprechend politischer Vorgaben zu steuern, damit diese den Vorstellungen der Politik entsprachen. Die Politik beanspruchte damit nicht nur ein Steuerungsprimat, sie unterstellte sich selbst auch die Fähigkeit, dieses Primat effektiv umsetzen zu können. Es lag gerade im Selbstverständnis der Diktatur, sich die Kompetenz zuzuschreiben, die Gesellschaft in einem eindeutigen Sinne steuern zu können. So war es doch gerade das Fehlen dieser Kompetenz, das man den politischen Gegnern der Vergangenheit, insbesondere während der Weltwirtschaftskrise, unterstellte. „Die sekundäre Rolle der Wirtschaft“ und das Primat der Politik können als Kernstück Hitlers Wirtschaftsauffassung betrachtet werden. So war es für Hitler „Wahnsinn“ zu glauben, „man könne eines Tages durch die Wirtschaft das Reich emporheben.“ Folgerichtig sah man die nach der Machtergreifung entstandenen Steuerungsprobleme als behebbare Fehler der Politik an. Das führte zwangläufig zu einem Widerspruch zwischen Steuerungsanspruch und Steuerungsmöglichkeit, der durch Neuorganisierung und Neubesetzung von verantwortlichen Personen unsichtbar gehalten wurde. Ansonsten hätte man sich die Grenzen der Diktatur klar machen müssen. So konnte sich hinter der Ausrede versteckt werden, dass der Verantwortliche es einfach nicht konnte – also austauschen, wie bei Fußballbundesligatrainern. Dies steht im diametralen Widerspruch zu Euckens Vorstellungen einer funktionsfähigen Wirtschaftsordnung. Der Staat solle zwar die Rahmenordnung für das wirtschaftliche Geschehen planen und durchsetzen, allerdings nicht als Primat, sondern allein dafür, dass sich der Wirtschaftsprozess möglichst effizient und vollkommen frei – innerhalb der Spielregeln – entfalten könne.

Obwohl die Diktatur trotz eigentlicher Planung von der Verstaatlichung von Unternehmen absah und weiterhin auf dezentrale Entscheidungsträger, wie in Speers Ministerium für Rüstung und Kriegsproduktion oder bei der Vierjahresplanbehörde unter Hermann Göring setzte, griff die Politik in die Handlungsspielräume von Unternehmen ein. So konnten Ressourcen auch gegen den Willen der Unternehmen für die Aufrüstung verwendet werden, wodurch der Staat sicherstellte, dass sie etwas taten, für das sie sich vor 1933 nicht freiwillig entschieden hätten. Investitions- und Produktionsentscheidungen an den Bedürfnissen des Krieges (des Staates) auszurichten, könnte nicht deutlicher dem Grundprinzip einer Marktwirtschaft widersprechen, in der der Staat nach Eucken dafür sorgen sollte, dass Unternehmen sich im Wettbewerb entfalten können. Zudem war man der Auffassung, dass der Staat in jedem Fall das Recht und die Pflicht habe, besondere privatwirtschaftliche Interessen – also eine direkte Wettbewerbsverzerrung – durchzusetzen. Hitler wandte sich demnach direkt gegen den ordoliberalen Grundgedanken, dass der Staat vor allem für die günstige Gestaltung des wirtschaftlichen Lebens des Einzelnen gemäß dem Subsidiaritätsprinzip verantwortlich sei.

Vermeintliche Beratungsangebote der Ordoliberalen wären wohl so oder so nicht angenommen worden und wenn doch, dann können sie nicht umgesetzt worden sein, da faktisch kein Einfluss nachweisbar ist. Erstens bezeichnete Hitler die Volkswirtschaftslehre generell als dogmatisch und blind für die Wirklichkeit. Er hingegen würde er ein Programm der Realität vertreten. Seine Verachtung gegenüber der akademischen Volkswirtschaftslehre drückte er am 12. November 1941 wie folgt aus: „Der Kontinent lebt auf. Wir brauchen bloß für die nächsten zehn Jahre alle Lehrstühle für Volkwirtschaft zuzusperren“. Nun könnte man meinen, dass sich das manche heute auch noch so wünschen werden, es zeigt aber zumindest eine volkswirtschaftliche Beratungsresistenz.

Schlussendlich stehen Hitlers Ansichten im direkten Widerspruch zu den Ideen Euckens und Böhm. Hitler verstand unter einem geordneten Wirtschaftsleben eine dominierende Rolle der politischen Führung, deren – für allgemeingültig erklärte – Interessen rücksichtslos gegenüber den Interessen der einzelnen Unternehmer durchgesetzt wurden. Aus diesem Grund wirken die wiederholten Versuche, den ersten Vertretern des Ordoliberalismus eine Verbindung zum Nationalsozialismus nachzusagen, eher als Diffamierung und nicht als wissenschaftliche Erkenntnis.

Eine Antwort auf „Junge Autoren
Der frühe Ordoliberalismus als Berater des Nationalsozialismus?“

  1. Verbindung von Ordoliberalismus und NS-Wirtschaftspolitik?
    Auf so etwas kann nur kommen, wer von der „progressiven“ NS-Wirtschaftspolitik ablenken will. Entscheidend wäre ideengeschichtlich doch die „geistige Verwandtschaft“. Den Schuh einer solchen „geistigen Verwandtschaft“ mit der Wirtschaftspolitik im National-Sozialismus wird sich wohl eher der Keynesianismus anziehen müssen. Keynes selbst bezeugt dies im Vorwort der deutschen Fassung der Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes (1936):
    „Trotzdem kann die Theorie der Produktion als Ganzes, die den Zweck des folgenden Buches bildet, viel leichter den Verhältnissen eines totalen Staates angepaßt werden als die Theorie der Erzeugung und Verteilung einer gegebenen, unter Bedingungen des freien Wettbewerbes und eines großen Maßes von laissez-faire erstellten Produktion.“
    Tatsächlich scheint Hitlers Wirtschaftspolitik gleichsam Keynes vorweg genommen zu haben. Indem Hitler lieber die Menschen als die Industrie verstaatlichen wollte, betrieb er zudem eine Art Vorform des Nudging („libertärer“ Paternalismus). Was die NS-Wirtschaftspolitik (Keynesianismus und Nudging) aber mit Ordoliberalismus gemein haben soll, ist schwerlich nachvollziehbar.
    PD Dr. Andreas Haaker, Berlin

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