Außenwirtschaftsverordnung
Wer hat Angst vor dem chinesischen Drachen?

Manchmal ist die Arznei schlimmer als das Leiden. Deutschland und andere alte Industrieländer leiden am Gebaren Chinas, von dem sie ihre technologischen Wettbewerbspositionen und zunehmend auch ihre gesellschaftlichen Grundordnungen bedroht sehen.

Eine Arznei, die von der deutschen Bundesregierung dagegen verabreicht werden soll, ist die zwölfte Novelle der Außenwirtschaftsverordnung. Im Grundsatz bietet diese Verordnung der Bundesregierung die Möglichkeit, Unternehmensübernahmen zu untersagen, wenn eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit zu befürchten ist. Bisher galt dabei eine Aufgreifschwelle von 25 Prozent, wenn ein außereuropäischer Investor ein deutsches Unternehmen oder eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung erwirbt. Mit der am 19. Dezember 2018 vom Bundeskabinett beschlossenen Novelle  wird diese Schwelle in besonders sensiblen Bereichen auf zehn Prozent abgesenkt. Betroffen davon sind Unternehmen, die in zivilen sicherheitsrelevanten Infrastrukturen tätig sind. Dazu zählen etwa die Energie- und Wasserversorgung, die Telekommunikation, das Finanz- und Versicherungswesen, Gesundheit und Ernährung sowie Transport und Verkehr. Darüber hinaus werden jetzt  auch Unternehmen der Medienwirtschaft als sicherheitsrelevant eingestuft. Dadurch soll die Nutzung von deutschen Medienorganen durch ausländische Investoren für Desinformationen verhindert werden. Es ist ein offenes Geheimnis, dass diese Novelle in erster Linie auf chinesische Investoren abzielt.

Die hinter dieser Initiative stehenden Sorgen sollen hier nicht verniedlicht werden. Tatsächlich ist nicht zu übersehen, wie Chinas Staatspräsident Xi Jinping daran arbeitet, sein Land als weltweite Führungsmacht zu etablieren.

  • Es begann mit den seltenen Erden (die übrigens weder selten noch Erden sind, sondern besser reichliche Metalle genannt werden sollten). Sie sind quasi überall auf unserem Globus vorhanden, aber überall in extrem niedriger Konzentration. Bis in die 1980er Jahre hinein waren vor allem die Vereinigten Staaten, aber auch einige andere Länder wie Australien und Malawi die wichtigsten Anbieter. Etwa ab dem Jahr 1990 stieg China in den Markt ein, und zwar mit rücksichtslosem Einsatz gegen Mensch und Natur bei der Gewinnung dieser Rohstoffe und mit dem klaren Bestreben, durch niedrige Preise zum Weltmarktführer aufzusteigen. Mittlerweile hält China praktisch ein Weltmonopol in diesem Markt, das allerdings sofort gefährdet wäre, wenn die Preise wieder deutlich ansteigen würden.
  • Der nächste Schritt war der systematische Aufkauf von Rohstoff-Lagerstätten – allem voran in Afrika. Dabei stand zunächst das Bestreben im Vordergrund, China unabhängig von anderen Ländern zu machen. Mittlerweile gibt es allerdings Anzeichen dafür, dass bei wichtigen Rohstoffen, die nur an wenigen Standorten verfügbar sind, Monopolstellungen erreicht werden sollen. Dabei dürfte es gegenwärtig weniger um die Erzielung monopolistisch überhöhter Preise und mehr um den Ausbau der chinesischen Position als bedeutender Akteur in der Weltwirtschaft
  • Seit dem Jahr 2013 steht das Projekt „neue Seidenstraße“ im Fokus, das in China als One Belt, One Road oder auch als Belt and Road Initiative bezeichnet wird. Ziel ist der Aufbau interkontinentaler Handels- und Infrastruktur-Netze zwischen der Volksrepublik China und möglichst vielen anderen Ländern. Die bisher in das Projekt involvierten Länder stellen rund sechzig Prozent der Weltbevölkerung (incl. China, das allein bereits fast zwanzig Prozent der Weltbevölkerung auf sich vereint). Besonders erfolgreich kommt das Projekt in Schwarzafrika voran, wobei China zugutekommen dürfte, dass viele der dort involvierten Länder korrupte Diktaturen sind, in denen die jeweiligen Machthaber sehr empfänglich für persönliche finanzielle Zuwendungen sind. In Europa hat vor allem der Verkauf der Hafenanlagen von Piräus an die chinesische Reederei Cisco im Jahr 2016 Unruhe erzeugt. Zunächst wurde diese Investition euphorisch begrüßt, da Griechenland damit endlich eine wichtige Auflage aus den Euro-Rettungsprogrammen erfüllte. Mittlerweile steht allerdings die Sorge im Vordergrund, in eine Abhängigkeit vom chinesischen Drachen zu geraten.
  • In den höherentwickelten Volkswirtschaften investiert China gezielt in technologieintensive Unternehmen, um Zugang zu deren Know-how zu erlangen. Das erste populäre Beispiel in Deutschland lieferte Kuka – ein Hersteller von Industrierobotern, der im Jahr 2016 mehrheitlich vom chinesischen Investor Midea übernommen wurde. Es folgte der Versuch, den Übertragungsnetzbetreiber 50 Hertz zu übernehmen, was allerdings mit einer taktisch motivierten Kapitalerhöhung durch die KfW abgewendet werden konnte. Auch eine chinesische Übernahme des Werkzeugmaschinenherstellers Leifeld Metal Spinning konnte die Bundesregierung – ebenfalls mit Mühen – verhindern. All diese erfolgreichen und weniger erfolgreichen Übernahmeversuche sind motiviert durch den chinesischen Wirtschaftsplan Made in China 2025, der auf das Erringen der Dominanz in zehn Schlüsselindustrien ausgerichtet ist.
  • Es bedarf wenig Phantasie, um den Aufbau einer militärischen Machtposition als nächstes chinesisches Aktionsfeld zu prognostizieren. Die Chancen dafür stehen vermutlich nicht schlecht, da die Vereinigten Staaten sich aus ihrer alten Rolle als Weltpolizist zurückziehen und Europa nicht wirklich befähigt erscheint, diese Lücke zu füllen. Immerhin ist Xi Jinping bekennender Fan des Großen Vorsitzenden Mao Tse-tung, dem der Satz zugeschrieben wird: „Alle politische Macht kommt aus den Gewehrläufen.“

All diese Entwicklungen werden in Europa und anderen Regionen mit sorgenvoller Miene beobachtet und kommentiert. Selten wird allerdings gefragt, ob und inwieweit sie tatsächlich eine Bedrohung darstellen:

Bei den reichlichen Metallen beispielsweise könnten Länder wie die Vereinigten Staaten, Australien, Kanada oder Grönland  relativ rasch eine eigene Förderung aufbauen, falls China die übrige Welt durch überhöhte Preise auszubeuten drohen würde. Gegenwärtig profitieren die etablierten Industrieländer eher davon, dass diese Rohstoffe, die für zahlreiche technologieintensive Produkte unverzichtbar scheinen, zu Preisen verfügbar sind, die ohne China gar nicht realisierbar wären. Zyniker könnten ergänzen, dass China im gegenwärtigen System auch die ökologischen Lasten für die übrige Welt trägt. Jedenfalls hält China derzeit eine Marktposition, die aus wettbewerbstheoretischer Sicht als bestreitbares Monopol gelten muss.

Mögliche Monopolpositionen bei anderen Rohstoffen könnten dagegen schwerer bestreitbar sein. Insbesondere bei Stahlveredlern wie Mangan, Vanadium, Wolfram und Chrom sind die Lagerstätten auf wenige afrikanische Länder konzentriert, und darauf richten chinesische Investoren ihr Augenmerk. Die Bundesregierung ist bestrebt, mit der im Jahr 2010 gegründeten Deutschen Rohstoffagentur (DERA) eine zentrale Informations- und Beratungsplattform für die deutsche Industrie bereitzustellen. Einen maßgeblichen Einfluss auf die internationalen Rohstoffmärkte hat die Agentur jedoch nicht und kann sie auch nicht haben.

Wenn es China tatsächlich gelingen sollte, im Rahmen der Belt and Road Initiative die  Infrastruktur für die internationalen Handelsströme zu Wasser und zu Lande spürbar zu verbessern, dann könnten davon die allermeisten Handelsnationen und nicht zuletzt Deutschland profitieren. Hauptnutznießer der verschiedenen im Aufbau befindlichen Landbrücken und der maritimen Seidenstraße dürften sicherlich chinesische Exporteure sein, doch das muss nicht zulasten anderer Exporteure gehen.  Falls China versuchen sollte, den Handel anderer Länder zu behindern, würden die etablierten Handelsrouten rasch reaktiviert, und es würden sich vermutlich neue Handelsrouten auftun. Insgesamt investiert China fast eine Billion US-Dollar in dieses Projekt. Falls es damit die Hoffnung verknüpfen sollte, den Löwenanteil des gesamten Welthandels zu monopolisieren, könnte sich diese Investition als schlecht investiertes Geld erweisen.

Damit bleibt von den Bedrohungen lediglich diejenige vom Ausverkauf unseres technologischen Wissens übrig. Womit wir wieder bei der eingangs erwähnten Außenwirtschaftsverordnung angelangt wären. Moderne Technologien spielen ohne Zweifel eine maßgebliche Rolle bei der Sicherung von Einkommen und Beschäftigung in Hochlohnländern wie Deutschland. Es darf aber bezweifelt werden, dass die staatliche Kontrolle von Unternehmensübernahmen ein geeignetes Instrument darstellt, technologische Vorsprünge gegenüber dem Ausland zu schützen. Wie eingangs erwähnt, gibt die Außenwirtschaftsverordnung der Bundesregierung nur das Recht, potentielle Investoren aus Nicht-EU-Ländern abzublocken. Entsprechende Maßnahmen gegenüber Unternehmen, die in der EU ansässig sind, wären mit den vier Freiheiten des gemeinsamen Binnenmarkts nicht vereinbar. Wenn beispielsweise ein französisches ein deutsches Unternehmen aufkauft und dieses anschließend an einen chinesischen Investor weiterverkauft, sind der Bundesregierung die Hände gebunden. Juristisch interessant wäre auch die Frage, wie ein Unternehmen mit Hauptsitz in der EU, das sich vollständig im Besitz chinesischer Anteilseigner befindet, nach der Außenwirtschaftsverordnung zu behandeln ist. Macht es dabei einen Unterschied, ob dieses Unternehmen seinen wirtschaftlichen Interessenschwerpunkt in der EU hat oder lediglich zu dem Zweck gegründet wurde, technologieintensive Unternehmen aus der EU aufzukaufen?

Die Außenwirtschaftsverordnung und ihre Novellen gründen sich auf der Illusion, technisches Wissen lasse sich hinter Grenzzäunen einhegen. Hilfreich ist hier die Unterscheidung zwischen tangiblem und intangiblem Wissen: Tangibles Wissen, das sich etwa in Blaupausen oder anderen Dokumenten darstellen lässt, wird mit oder ohne Außenwirtschaftsverordnung seinen Weg in andere Länder finden, wenn diese Länder bereit sind, in entsprechende Lizenzvereinbarungen oder Unternehmensübernahmen zu investieren – notfalls über die Gründung von Scheinfirmen in der EU. Intangibles Wissen dagegen ist untrennbar mit Personen als Wissensträger verbunden. Das Erfahrungswissen eines im Anlagenbau tätigen Ingenieurs beispielsweise lässt sich nicht per Lizenzvertrag weitergeben. Wenn ein Unternehmen auf diese Art von Wissen eines anderen Unternehmens zugreifen will, muss es die entsprechende Person oder sogar ganze Teams abwerben. Andernfalls blieben das Wissen und die technologieintensive Wertschöpfung (unabhängig von der Eigentümerstruktur) an ihrem ursprünglichen Standort.

Wenn etwa ein chinesischer Investor intangibles Wissen aus Europa nach Asien transferieren wollte, müsste er entsprechend hochqualifizierte Arbeitskräfte dazu motivieren, nach China überzusiedeln. Es mag hier offenbleiben, wie gut die Chancen dafür sind. Festzuhalten ist allerdings, dass die Außenwirtschaftsverordnung auch nach ihrer jüngsten Novelle keinerlei Handhabe bietet, den Abfluss technischen Wissens zu verhindern, da sie  auswanderungswillige Arbeitskräfte mit ihrem intangiblen Wissen im Gepäck nicht an der Auswanderung hindern kann.

Henning Klodt

5 Antworten auf „Außenwirtschaftsverordnung
Wer hat Angst vor dem chinesischen Drachen?

  1. Danke für den guten Beitrag! Die Innovationskraft unserer Volkswirtschaft kann nur durch den Schutz von Privateigentum und Vertragsfreiheit geschützt werden, nicht durch den Schutz spezifischer Technologien. Der Versuch, dennoch einen Grenzzaun für Wissen zu errichten, kann langfristig nur in einer Abwanderung von Wissensträgern enden. Und nicht nur das. Auch Wachstum und Entstehung von Unternehmen wird behindert. Denn wer in Deutschland nicht mehr damit rechnen kann die monetären Erträge seiner Ideen (über Umsätze oder eben über Unternehmensverkäufe) einfahren zu können, der wird in einer globalisierten Welt eben woanders investieren.

  2. Anbei noch ein Azuszug aus meinem „Außenwirtschaftlichen Weihnachtsgruß 2018“ zum Thema:

    Deutschland leidet Sorgenschmerz.
    Denn Kuka, Daimler, 50Hertz –
    darf das Chinesen nun gehören?
    Droht gelbes Geld uns zu betören?

    Die Regelordnung, die muss stimmen,
    man muss sie auf Gefahren trimmen.
    Und globale Ordnung ist jetzt wichtig,
    die WTO braucht man heut‘ richtig.

    Doch fest steht auch – ist nicht zu ändern:
    Der Aufstieg kommt von östlich‘ Ländern.
    Und Planwirtschaft in ihrem Lauf
    hält nur ‘ne echte Marktwirtschaft auf.

    Märkte öffnen, Wettbewerb wagen
    statt „Ausverkäufe“ zu beklagen.
    Wachstum durch Investition
    bringt nicht nur Unternehmern Lohn.

    Und jenseits einer Politik des Handels
    (ich sag‘s in Klammern
    ohne laut zu Jammern)
    gibt’s auch zuhaus‘ Faktoren des Wandels:

    Preise müssen Knappheit zeigen.
    Gewinnaussicht die Lethargie vertreiben.
    Quote, Mietpreisbremse, Mindestlohn –
    für Märkte ist das blanker Hohn.
    Mut und Leistung sollen lohnen.
    Freie Fahrt statt Umweltzonen.

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