Chinas Aufschwung stößt offenbar an Grenzen und sein Angebot für eine vertiefte Zusammenarbeit mit Europa ist vergiftet. Nicht nur deswegen sollte die EU sich auf keinen Fall dem Regime in Peking zu Füßen werfen.
China bekommt von Europa endlich die Aufmerksamkeit, die es verdient. Einerseits ist es eine alte Kulturnation mit über einer Milliarde Bewohnern, die schon deshalb interessant für uns ist. Überdies ist die Wirtschaft des Landes schnell gewachsen und stellt einen großen Markt für europäische Investitions- und Konsumgüter dar.
Andererseits ist das Wettbewerbsverhalten der chinesischen Firmen auf den Weltmärkten oftmals sehr rüde und unfair, geistige Eigentumsrechte zählen nicht viel, und der chinesische Staat subventioniert seine Betriebe zum Teil massiv. Hinzu kommen zahlreiche und immer häufiger werdende Menschenrechtsverletzungen und Aggressionen den Nachbarn gegenüber.
Zusätzlich droht das Verhalten chinesischer Investoren in Afrika und die sogenannte „Belt and Road Initiative“, also ein großes Infrastruktur-Investitionsprogramm mit chinesischen Krediten an Entwicklungsländer in Asien und Afrika, das – anders als von China propagiert – die betroffenen Länder in starke und einseitige Abhängigkeiten gegenüber dem Reich der Mitte zu bringen.
Schließlich fällt auf, dass der wirtschaftliche Aufschwung offenbar an eine Grenze stößt. Zwar wächst die chinesische Volkswirtschaft weiterhin, aber die totale Faktorproduktivität ist zwischen 2007 und 2012, den letzten Jahren mit verfügbaren Daten, um durchschnittlich etwas über ein Prozent pro Jahr gefallen. Inwieweit dies mit der offenbar wieder stärkeren Einflussnahme des Staates beziehungsweise der Kommunistischen Partei in die Wirtschaftsabläufe zu tun hat, kann nur gemutmaßt werden. Der Handelskrieg mit der USA dürfte die Wachstumsaussichten aber nicht verbessern.
All dies sollte europäischen Entscheidungsträgern und Analysten schon Anlass genug sein, einmal genauer hinzuschauen. In dieser Woche gab es überdies zwei deutliche Signale aus China. Erst hielt Präsident Xi Jinping eine Rede zum vierzigsten Jahrestag der Reformen Deng Xiapings, in der er die Partei in den Mittelpunkt stellt und westlichen Politikstil als mehr oder weniger unvereinbar mit chinesischen Werten erklärte.
Die chinesische Regierung hat am selben Tag außerdem ein Strategiepapier zur Zukunft der chinesisch-europäischen Beziehungen veröffentlicht. Damit wird der Europäischen Union (EU) eine ganze Reihe von Vorschlägen und Angeboten unterbreitet, die sich erst einmal sehr gut anhören, aber mit einigen Haken versehen sind.
In fünf Teilen werden die chinesischen Vorstellungen ausgebreitet. Es geht im zentralen Teil 1 um gemeinsame Interessen und die Leitprinzipien, also gegenseitigen Respekt, Offenheit, Fairness, Austausch und Dialog. China sei an einer stabilen EU interessiert und möchte helfen, den Brexit so organisiert und geregelt wie möglich durchzuführen. Die chinesische „Belt and Road Initiative“ wird als Erfolgsrezept beworben. Danach folgen einige deutlich formulierte Verhaltensregeln für die EU, die Taiwan nicht als eigenen Staat anerkennen, Hongkong als Teil Chinas akzeptieren und sich unter anderem aus den Konflikten Chinas mit Tibet und den Uiguren heraushalten soll. Dass diese Regel gegenseitigen Respekt ausdrückt, kann bezweifelt werden.
Teil 2 befasst sich mit sicherheitspolitischen Fragestellungen und zielt auf verbesserte Kommunikation und Koordination in dieser Hinsicht ab; die Vereinten Nationen seien gemeinsam zu reformieren. Es wird ein Ende des europäischen Waffenembargos China gegenüber gefordert.
In Teil 3 geht es um wirtschaftliche Zusammenarbeit. Die EU wird aufgefordert, Marktzugang für chinesische Waren und Investitionen in Europa zu erweitern – direkt wird die Kritik an subventionierten Staatsunternehmen nicht zurückgewiesen, aber zwischen den Zeilen kann man die Unzufriedenheit damit erkennen. Auch in diesem Feld wird der Multilateralismus beschworen; die Reform der Welthandelsorganisation wird in Aussicht gestellt, wie auch gesteigerte Importe europäischer Güter.
Die abschließenden Teile 4 und 5 sind dem wissenschaftlichen, sozialen und kulturellen Austausch sowie gemeinsamen Aktivitäten im Klimaschutz und der Entwicklungszusammenarbeit gewidmet. Auch hier findet man Forderungen, eventuelle Barrieren für chinesische Akteure in Europa abzubauen, hier jedoch nicht so deutlich wie in Teil 1.
Der Zeitpunkt für die Veröffentlichung des Strategiepapiers ist einerseits gut gewählt, weil Europa gerade erfahren muss, dass die transatlantischen Beziehungen nicht so stark sind wie immer angenommen. Präsident Trump lehnt zudem multilaterale Regeln ab und setzt auf das Recht des Stärkeren und glaubt offenbar, die USA bräuchten sich nicht an globale Regeln – ob im Handel, im Klimaschutz oder in der Rüstungskontrolle – gebunden fühlen. Zwar sind auf der Arbeitsebene die Beziehungen über den Atlantik noch intakt, dennoch muss man befürchten, dass einige Schäden nur schwer und langsam zu reparieren sind. Da könnte eine Initiative eines anderen großen Landes, die multilateralen Beziehungen gemeinsam weiterzuentwickeln und Absatzmärkte für europäische Firmen zu vergrößern, gerade recht kommen.
Andererseits scheint die zeitliche Nähe zur wenig ermutigenden Rede des chinesischen Präsidenten nicht sehr klug zu sein, macht doch die Verbindung beider Veröffentlichungen jedem klar, dass China nicht bereit ist, über westliche Werte zu verhandeln. Das dürften die chinesischen Strategen natürlich wissen und einbezogen haben. Man könnte es so interpretieren: Wer in China Geschäfte machen will, soll gefälligst nach chinesischen Regeln spielen, und dies auf allen Feldern.
Insofern ist das Angebot einer vertieften chinesisch-europäischen Zusammenarbeit ein vergiftetes. Die Europäer sollten auf keinen Fall vorschnell reagieren; das ist ja bisher auch noch nicht passiert. Sie sollten sich ihrer wirtschaftlichen Stärke durchaus bewusst sein und sich nicht im Konflikt der USA und China aufreiben lassen. Europäische Güter und der Marktzugang nach Europa sind attraktiv und sollten nicht verschleudert werden. Ein wesentlicher Treiber des europäischen Erfolges ist die Existenz von Werten wie Menschenrechte und Nicht-Diskriminierung. Man muss nicht bei jedem Besuch in China oder eines chinesischen Gastes darauf hinweisen. Aber man darf auch nicht davon abrücken, nur weil ein Markt lockt.
Die Feinde Chinas zu eigenen Feinden zu erklären, geht auf jeden Fall viel zu weit.
Anders gewendet: Bitte kein Kotau!
Hinweis: Der Beitrag erschien am 21. Dezember 2018 in der Online Ausgabe der Wirtschaftswoche.
- Ordnungspolitischer Unfug (12)Retten Verbote das Klima? - 16. März 2023
- Gastbeitrag
Kann die Wirtschaftspolitik im neuen Jahr so verschlafen weitermachen? - 6. Januar 2023 - Gastbeitrag
Wie sicher ist unsere Energieversorgung? - 1. September 2022