Die Integration und der Populismus
Wohin treibt die Europäische Union?
2. Update: Die Integration wird schwieriger (28. Mai 2019)

„I think it is one of the fundamentals, not only of the European Union but also of free trade, that competition is fair.“ (Margrethe Vestager)

Die Europäische Union ist in keinem guten Zustand. Sie befindet sich seit dem 16. Juni 2016 in einer Schockstarre. Zwar ist die wirtschaftliche Entwicklung so schlecht nicht. Ein Blick auf die Makrogrößen zeigt, das wirtschaftliche Chaos ist ausgeblieben, Risiken bleiben aber. Die regionalen Unterschiede sind weiter beträchtlich. Eskaliert der Handelskrieg mit den USA, steht ökonomisch vieles auf des Messers Schneide. Politisch dagegen, sieht es gegenwärtig eher düster aus. Von Einigkeit fehlt jede Spur. In der Flüchtlingskrise sind sich Ost und West nicht grün. Der Konflikt in der Eurokrise zwischen Nord und Süd ist nicht ausgestanden. Die EU ist nur ökonomisch, sie ist auch politisch heterogen. Das zeigt sich in der „neuen Hanse“ wie in einem Brennglas. Wie fragil die europäische Integration ist, wurde nach dem britischen Referendum klar. Mit dem schwelenden Brexit wurde die EU zu einem Projekt auf Widerruf. Zu allem Übel schießen populistische Parteien wie Pilze aus dem Boden. In vielen nationalen Parlamenten treiben sie schon heute ihr Unwesen. Nach den Wahlen zum Europaparlament werden sie morgen auch auf europäischer Ebene politisch Unfug machen. Das alles ist Gift für die wirtschaftliche und politische Integration.

Die europäische Integration stockt

Der Prozess der europäischen Integration ist ins Stocken geraten. Die Ziele der Gründer der EWG sind zwar weiter hoch aktuell: Frieden, Freiheit und Wohlstand. Von der Idee allerdings, Europa wirtschaftlich zu integrieren, um es politisch zu einen, ist wenig geblieben. Darüber kann auch die Rhetorik der berufsmäßigen Europäer in Brüssel nicht hinwegtäuschen. Europa hat sich nicht zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt entwickelt. Im Gegenteil, Europa gerät wirtschaftlich immer mehr ins Hintertreffen. Der Abstand der Pro-Kopf-Einkommen zu den weltweit führenden USA hat sich, trotz europäischem Binnenmarkt seit der Ölpreis-Krise kaum mehr verringern. Dagegen holen asiatische Länder, wie China, mit Riesenschritten auf. Allerdings hinken sie im Wohlstandsniveau noch meilenweit hinterher. Aber auch inter-regional zeigt die EU erhebliche Schwächen. Seit der Finanz- und Euro-Krise haben sich die Unterschiede im wirtschaftlichen Wohlstand wieder verstärkt. Gewinner ist Deutschland.

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Die EU verliert gegenüber den USA an Boden, weil seit Anfang der 90er Jahre die Arbeitsproduktivitäten langsamer wachsen und die Erwerbsquoten stärker zurückgehen. Trotz europäischem Binnenmarkt und den „vier Grundfreiheiten“ sind Güter- und Faktormärkte in Europa lange nicht wirklich offen. Staatliche Regulierungen, bürokratische Verwaltungen, öffentliche Subventionen und staatliche Monopole schikanieren den Wettbewerb. In der EU enteilt Deutschland wirtschaftlich wichtigen Ländern, weil es entweder bei der Arbeitsproduktivität oder den Erwerbsquoten gegenüber der europäischen Konkurrenz gewinnt. Frankreich gerät ins Hintertreffen, weil inflexible Arbeitsmärkte hohe (Jugend)Arbeitslosigkeit produzieren. Italien kommt nicht auf die Beine, weil Varianten des „crony capitalism“ die Arbeitsproduktivität hemmen. Die EU entwickelt sich immer mehr zur Mehr-Klassen-Gesellschaft. Von wirtschaftlicher Konvergenz ist wenig zu sehen. Damit erodiert auch die wirtschaftliche Basis für eine politische Integration in Europa.

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Es sind nicht nur die ökonomischen Ungleichgewichte, die den Prozess der wirtschaftlichen Integration in Europa behindern. Mit der schwankenden ökonomischen Basis nehmen auch die politischen Unstimmigkeiten zu. Die Meinungsverschiedenheiten lassen sich immer weniger mit (deutschem) Geld zukleistern. Der erste Riss trat bei der Euro-Krise auf. Er spaltete die Euro-Zone in Nord (Zahler) und Süd (Empfänger). Die „neue Hanse“ ist ein erstes Ergebnis der politischen Unstimmigkeiten. Ein zweiter, tieferer Riss entstand in der Migrations-Krise. Die Dublin-Abkommen verteilten die Lasten der externen Zuwanderung ungleich in Europa. Leidtragende waren vor allem die Mittelmehrländer. Der Graben zwischen Ost und West vertiefte sich, als osteuropäische Länder sich weigerten, anteilig Flüchtlinge aufzunehmen. Den schwersten Schlag versetzte allerdings der (unvollendete) Brexit der EU. Die Personenfreizügigkeit und der Brüsseler Zentralismus trugen zum Bruch des Vereinigten Königreichs mit der EU bei. Die tiefen Risse in der EU machen eine Politische Union à la „Vereinigte Staaten von Europa“ zu einem Muster ohne Wert.

Der Populismus in Europa boomt

Der Prozess der wirtschaftlichen Integration stockt, die politische Integration ist nicht mehr vorn auf der Tagesordnung der Politik, populistische Parteien in Europa erleben einen Aufschwung, „rechts“ und „links“. Ist die Gleichzeitigkeit dieser Entwicklungen nur ein Zufall? Nein! Stockt die wirtschaftliche Integration in Europa, kommt auch die politische nicht mehr voran, populistische Bewegungen werden gestärkt. Der Ruf des Populismus ist schlecht, nicht nur in Südamerika. Warum? Richtet sich die Politik am (mehrheitlichen) Willen des Volkes aus, ist dagegen nichts einzuwenden, ganz im Gegenteil. Es gibt allerdings eine andere, pathologische Variante des Populismus, auch in Europa. Er stellt fest, dass die Gesellschaft auseinanderfalle, ökonomisch, politisch und sozio-kulturell. Das ist legitim. Er behauptet, dass sich einige wenige auf Kosten der Mehrheit die Taschen vollstopften. Das ist umstritten. Er postuliert, dass die Politik („die“) den Willen des Volkes („wir“) missachtet. Das ist falsch, zumindest in den demokratisch organisierten Staaten der EU.

Es ist nicht ganz einfach festzustellen, was populistisch ist und was nicht. In der wissenschaftlichen Diskussion hat sich durchgesetzt, Populismus als eine Haltung zu beschreiben, die sich für das „einfache“ Volk und gegen die herrschenden gesellschaftlichen und politischen Eliten einsetzt (hier). Schwierig ist auch, zwischen populistisch und extremistisch zu trennen. Das ist nicht abschließend geklärt. Timbro, ein schwedischer Think Tank, erstellt im zweijährigen Rhythmus einen Populismus-Index für Europa (hier). Der Anteil der Wähler, die sich im Jahre 2018 in nationalen Wahlen für populistische Parteien entschieden, lag in Europa knapp unter 23 %. Populistische Parteien gibt es schon lange, linke und rechte. Allerdings schwankte ihr Anteil lange Zeit um die 10 %. Das hat sich geändert. Seit Mitte der 90er Jahren nahm die Bereitschaft der Wähler in Europa zu, populistische Parteien zu wählen. Die Finanz- und Eurokrise brachte den Populisten einen Schub in der Wählergunst, die Flüchtlingskrise verstärkte diese Entwicklung noch einmal.

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Ein wichtiger wirtschaftlicher Treiber ist der „doppelte“ strukturelle Wandel. Globalisierung, technischer Fortschritt und Präferenzen beschleunigten in den 90er Jahren den sektoralen Strukturwandel. Diese Entwicklung wurde verstärkt, weil China in die Weltwirtschaft reintegriert wurde. Das weltweite Arbeitsangebot vervielfachte sich. Vor allem einfache Arbeit kam unter die Räder. Sie wurde verstärkt arbeitslos, ihre Entlohnung stagnierte, mancherorts sank sie sogar. In einer solchen Welt wachsender wirtschaftlicher Unsicherheit steigt die Nachfrage nach Sicherheit. Der Nationalstaat soll sie bieten. Die eigene nationale Identität wird wichtiger. Fremde werden als Störenfriede angesehen. Anti-Einwanderungsgesetze sind ein Indikator für diese Entwicklung. Tatsächlich kann der Nationalstaat diese Sicherheit nicht bieten. Die Bürger sind unzufrieden mit der politischen Klasse und dem Zustand des Landes. Das Establishment wird auf die Strafbank gesetzt. Das alles ist der Humus, auf dem der Populismus wächst und gedeiht.

Den Populismus in Europa gibt es in „links“ und „rechts“. Beide haben sich ganz unterschiedlich entwickelt. Noch Anfang der 80er Jahre dominierte der „linke“ den „rechten“ Populismus. Das hat sich grundlegend geändert. Die „linken“ Populisten verloren bis zur Finanzkrise ständig an Zustimmung, die „rechten“ gewannen stetig dazu. Gegen Ende der 90er Jahre überholten die „rechten“ die „linken“ Populisten. Obwohl die „linken“ populistischen Parteien ihren Tiefpunkt überwunden haben, sind sie gegenwärtig nur noch weniger als halb so stark wie die „rechten“ Populisten. Interessant ist auch, dass der Populismus im europäischen Süden eher „links“ und im Norden tendenziell „rechts“ ist. Das hat allerdings wenig zu sagen. Inhaltlich haben sich die beiden Richtungen einander angenähert. Beide Varianten sind anti-marktwirtschaftlich, fremdenfeindlich und national-sozial (hier). Was schwerer wiegt: Der Erfolg der Populisten trägt dazu bei, dass die traditionellen Parteien die populistischen nachahmen. Mehr (Sozial)Staat, mehr Nationalismus, mehr Protektionismus findet sich nun auch in den Programmen der Volksparteien.

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Die Populisten behindern die Integration

Der Populismus in Europa zeigt sich flexibel. Er segelt integrationspolitisch auf neuem Kurs. Die Populisten kämpfen nicht mehr dafür, dass ihre Länder aus der Europäischen Währungsunion und der Europäischen Union austreten. Vielmehr wollen sie die europäischen Institutionen von innen heraus grundlegend verändern. Das ist nur möglich, wenn sie nicht nur in den nationalen Parlamenten, sondern auch im Europäischen Parlament möglichst viele Mandate erringen. Dabei haben sie zwei große Baustellen aufgemacht. Die eine ist ein wirksamer Schutz großer Teile des „Volkes“ vor wirtschaftlichen Unsicherheiten, die Abwehr von Einwanderern vor allem aus Drittländern und der Kampf gegen die Raffgier des politischen und ökonomischen Establishments. Die andere große Baustelle ist ihr originärer Widerstand gegen die schleichende Zentralisierung der Politik in der Europäischen Union und die Forderung, Kompetenzen aus Brüssel wieder in die nationalen Hauptstädte und die europäischen Regionen zurück zu verlagern.

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Die wirtschaftspolitischen Programme der europäischen Populisten sind heterogen. Eines haben ihre Pläne aber gemeinsam: Sie sind ein Angriff auf die vier Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarktes. Abschottung, Regulierungen und Subventionen dominieren. Tarifäre und nicht-tarifäre Handelshemmnisse sollen Importe begrenzen. Ausländische Investitionen sollen verringert, nationale Champions aufgepäppelt werden. Höhere Barrieren sollen die Migration in inländische Arbeitsmärkte und heimische Sozialstaaten eindämmen. Ein ausgebauter Sozialstaat soll (einheimische) Verlierer des strukturellen Wandels entschädigen. Das alles und noch viel mehr behindert die wirtschaftliche Integration in Europa. In einem Punkt liegen die Populisten allerdings so falsch nicht. Die EU führt zwar immer wieder die Subsidiarität im Munde, eine klare vertikale Verteilung der Kompetenzen existiert aber bis heute nicht. Kompetenzen werden kreuz und quer verteilt, oft steht die Subsidiarität auf dem Kopf. Auch hat sie sich nicht entschieden, ob sie ein Bundesstaat werden oder als Staatenbund operieren will. In diesem Kompetenzvakuum hat sich die EU-Kommission breit gemacht und Kompetenzen an sich gezogen. Die Populisten wollen diese unkontrollierte zentralistische Entwicklung bremsen.

Alle Prognosen sagen den Populisten bei den Wahlen zum Europäischen Parlament einen signifikanten Stimmenzuwachs voraus, vor allem den „rechten“. Wie sich dies auf die europäische Gesetzgebung auswirkt, ist allerdings unklar. Es spricht wenig dafür, dass die Rechtspopulisten einen Erdrutschsieg einfahren und eine Mehrheit im Europäischen Parlament gewinnen. Das dürfte sich auch nicht ändern, wenn sie sich in einer Großfraktion aller „rechten“ Populisten (EKR, EFDD und ENF) versammeln und Victor Orban mit seiner Fidesz-Partei die EVP verlässt und sich ihnen anschließt. Viel wahrscheinlicher ist, dass die „Altparteien“ (EVP, S&D, ALDE und Grüne/EFA) weiterhin eine Mehrheit auf die Beine bringen werden. Die „rechten“ Populisten könnten in diesem realistischen Fall versuchen, einige ihrer Ziele zu verwirklichen, indem sie in der (protektionistischen) Wirtschaftspolitik mit den Sozialdemokraten und in der Migrationspolitik mit den Christdemokraten kooperieren. Darauf weist der NZZ-Journalist Niklaus Nuspliker hin (hier). Auf nationaler Ebene besteht in einigen Ländern der EU (Italien: Lega und Forza Italia, Österreich: ÖVP und FPÖ) dieses Modell der politischen Kooperation schon länger.

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Das realistischste Szenario dürfte allerdings sein, dass es den „rechten“ Populisten nicht gelingt, ihre neue Kraft in politischen Einfluss umzumünzen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass eine Kooperation unter den Populisten immer gescheitert ist. Persönliche Animositäten, ideologische Differenzen und unterschiedliche nationale Interessen sorgten dafür. Das könnte auch dieses Mal der Fall sein. So plädiert etwa die italienische Lega für eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge in der EU. Die ungarische Fidesz ist entschieden dagegen. Die französische Rassemblement Nationale verfolgt protektionistische Ziele, die polnische PiS setzt dagegen auf offene Märkte. Auch in der Finanzpolitik gehen die Meinungen weit auseinander. Die italienische Lega will eine Vergemeinschaftung der nationalen Schulden in der EWU, die deutsche AfD ist strikt dagegen. Es spricht also vieles dafür, dass unter den „rechten“ Populisten über kurz oder lang erbitterter Streit ausbricht. Eine gemeinsame Strategie im Europäischen Parlament ist nicht zu erwarten.

Marktliche Reformen werfen doppelte Dividende ab

Auch wenn die „alten“ Parteien bei den Wahlen zum Europaparlament noch einmal mit einem blauen Auge davon kommen werden, die populistische Gefahr von „links“ und „rechts“ ist in der Europäischen Union noch lange nicht gebannt. Aber, wie hält man sie im Zaum? Die politischen Rezepte, die vorgeschlagen werden, könnten unterschiedlicher nicht sein. Die einen wollen die Populisten isolieren. Das ist keine gute Idee. Besser wäre es, die populistischen Parteien inhaltlich zu stellen und sie mit ihren kontraproduktiven Angeboten an Lösungen für offfenkundige Probleme zu konfrontieren. Andere wollen die Populisten imitieren. Damit nimmt man ihnen erfahrungsgemäß aber den Wind nicht aus den Segeln. Viele populismusaffine Bürger wählen lieber das Original als die Kopie. Schlimmer ist allerdings, dass ein immer stärker anti-marktwirtschaflicher, fremdenfeindlicher und sozialchauvinistischer Kurs der „Altparteien“ die europäische Integration auf wirtschaftliche und politische Abwege steuert. Schließlich setzen auch einige darauf, mit den Populisten zu kooperieren. Diese Strategie würde dort Sinn machen, wo gemeinsame Interessen existieren und Demokratie, Rechtsstaat und Marktwirtschaft nicht in Frage gestellt werden. Die Schnittmenge mit den Populisten ist allerdings (noch) eher klein.

Es ist unbestritten, der Strukturwandel, die Zuwanderung und der Zentralismus treiben populistischen Parteien viele Wähler zu. Dieser zerstörerische Prozess muss gestoppt werden. Am besten sind marktwirtschaftliche Reformen. Sie werfen eine doppelte Dividende ab. Die europäische Integration kommt wieder in Schwung, die populistischen Parteien werden eingedampft. Der Prozess der schöpferischen Zerstörung des „doppelten“ Strukturwandels produziert nicht nur viele Gewinner, einige verlieren auch. Es macht allerdings keinen Sinn, ihn mit interventionistischen und protektionistischen Mitteln aufzuhalten. Das würde die Basis des Wohlstandes nachhaltig beschädigen. Effizienter und gerechter ist, den Verlierern zu helfen. Am besten ist ihnen geholfen, wenn sie schnellstmöglich wieder in eine neue Beschäftigung kommen, meist aber in einem anderen Sektor. Arbeitsmärkte müssen flexibler werden, die räumliche und soziale Mobilität muss steigen. Mehr Investitionen in Humankapital sind ein probates Mittel für beides. Dennoch gibt es dauerhafte Verlierer. In diesen Fällen ist der Sozialstaat gefordert. Wirksame Hilfe bei Arbeitslosigkeit und im Alter sind Ansatzpunkte, um Armut zu vermeiden.

Ein wichtiger Treiber populistischen Erfolgs ist die Angst vieler einheimischer Bürger vor der Zuwanderung. Mit der Einwanderung kommt Druck in die inländischen Arbeitsmärkte. Entweder wachsen die Löhne weniger oder die Arbeitslosigkeit steigt an, zumindest kurzfristig (hier). Beide Entwicklungen können auch inländische Arbeitnehmer treffen. Dieser Prozess ist unvermeidlich. Er lässt sich nicht abstellen, will man nicht auf die Vorteile der Zuwanderung verzichten. Ein weiteres Problem entsteht, wenn die Migranten nicht in Beschäftigung, sondern in den Sozialstaat zuwandern. Das dürfte bei gering qualifizierten Zuwanderern öfter als bei qualifizierten vorkommen. Gesetzliche Mindestlöhne verstärken diese Entwicklung. Dieses Problem ließe sich verringern, wenn in der EU das Heimatland-Prinzip gelten würde (hier). Die Zuwanderung in die Arbeitslosigkeit würde Ansprüche an den inländischen Sozialstaat auslösen, die sich an den Leistungen des ausländischen Sozialstaates orientieren, aus dem die Zuwanderer kommen. Da diese im allgemeinen geringer sind, sind die Anreize einer Zuwanderung in großzügigere Sozialstaaten niedrig.

Eine Entwicklung, mit der Populisten bei den Wählern punkten, ist die Zentralisierung in der Europäischen Union. Zentrale Politik ist nicht per se schlecht. Sind inter-regionale externe Effekte relevant und die Präferenzen der Bürger relativ homogen, spricht vieles dafür, solche Politikbereiche zu zentralisieren. Ein einheitlicher Rahmen für den europäischen Binnenmarkt zählt dazu, eine europäische Verteidigungspolitik wäre ebenfalls sinnvoll, auch eine gemeinsame Asylpolitik fiele darunter. Auf den meisten anderen Feldern sind allerdings die inter-regionalen externen Effekte eher gering und die Präferenzen der Bürger heterogen. Wachsender Wohlstand differenziert die Vorstellungen der Bürger aus, ökonomisch, sozial und politisch. In diesem Fall sind wettbewerbliche föderale Strukturen sinnvoller. Das spricht dafür, die Strategie einer „ever closer union“ in Europa zu ersetzen. Ein „Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten“, besser noch ein „Europa à la carte“ wären sinnvollere Wege. Das täte der europäischen Integration gut und nähme „linken“ und „rechten“ Populisten viel Wind aus den Segeln.

Fazit

Die europäische Integration hat an Schwung verloren, ökonomisch und politisch. Wirtschaftlich ist der Wind rauer geworden. Globalisierung, Digitalisierung und Migration setzen ihr zu. Politisch haben sich einige Spaltpilze eingenistet. Euro, Zuwanderung und Brexit verursachen Risse im Fundament. Das ist der Humus, auf dem Populismus gedeiht, „linker“ und „rechter“. Auf nationaler Ebene mischen Populisten schon länger mit, „rechte“ noch stärker als „linke“. Aus den Wahlen zum Europäischen Parlament werden sie gestärkt hervorgehen. Die „Altparteien“ werden Federn lassen. Die Populisten legen geschickt die Finger in die Wunden ökonomischer und politischer Fehler. Bei den Vorschlägen zur Lösung realer Probleme sind sie allerdings ziemlich blank. Trotz vieler Unterschiede eint „linke“ und „rechte“ Populisten in Europa ein anti-marktwirtschaftlicher, fremdenfeindlicher und national-sozialer Kurs. Die Gefahr ist groß, dass sie weitere Barrieren für die wirtschaftliche und politische Integration in Europa errichten. Vorwärts geht es mit der Europäischen Union nur, wenn es gelingt, marktliche Reformen auf den Weg zu bringen. Sie werfen eine doppelte Dividende ab. Die europäische Integration kommt wieder in Schwung, die populistischen Parteien werden eingedampft.

Updates

1. Update: Das neue Europäische Parlament (27. Mai 2019)

Das neue Europäische Parlament ist gewählt. Allerdings ist das Ergebnis doppelt vorläufig. Das amtliche Endergebnis fehlt noch; der Brexit könnte es noch verändern. Wirklich überraschend ist das bisherige Ergebnis nicht. Die beiden großen Volksparteien, die Europäische Volkspartei und die Sozialdemokraten, haben kräftig verloren. Eine Mehrheit im Parlament haben sie nicht mehr. Zu den Verlierern zählen auch die Linken. Auch sie erlitten Einbußen. Die großen Gewinner sind die Liberalen. Sie verdanken ihren Erfolg vor allem der République en marche. Gewonnen haben auch die Grünen. Dazu hat vor allem das sehr gute Wahlergebnis der deutschen Grünen beigetragen. Die Rechtspopulisten haben gewonnen, allerdings nicht erdrutschartig. Während sich der Stimmanteil das Rassenblement national nur leicht erhöhte, waren die Zuwächse der Lega erheblich.

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2. Update: Die Integration wird schwieriger (28. Mai 2019)

Nun kam doch alles halb so schlimm. Eine Schicksalswahl war die Europawahl sicher nicht. Das war Wahlkampfgetöse. Die Angst, rechte Populisten könnten bis zu einem Drittel der Sitze im Europäischen Parlament erobern, hat sich als unbegründet erwiesen. Nach einem Zuwachs von eher mageren 20 Sitzen kommen die rechtspopulistischen Fraktionen auf knapp ein Viertel der Sitze. Es ist allerdings denkbar, dass sich die Zahl der Mandate noch erhöht, wenn Parteien, wie die ungarische Fidesz, noch offiziell ins nationalistische Lager wechseln. Die populistische Gefahr ist in Europa damit allerdings noch nicht gebannt. Gelingt es dem politischen Establishment nicht, die Ursachen des Aufschwungs „rechter“ und „linker“ Populisten wirksam zu bekämpfen, bleibt der Populismus eine Gefahr für Wohlstand, Rechtsstaat und Demokratie.

Die Wahlen haben allerdings das Europäische Parlament verändert. Es ist politisch fragmentierter geworden. Die „alten“ Volksparteien, Konservative (EVP) und Sozialdemokraten (S&D), haben an Gewicht verloren, wie in den nationalen Parlamenten auch. Gewonnen haben die Liberalen. Das ist allerdings vor allem auf den Wahlerfolg von „La République en marche“, der Partei des französischen Präsidenten, zurückzuführen. Die grüne Bewegung hat ebenfalls zugelegt. Das hat vor allem mit dem Zuwachs der deutschen Grünen zu tun. Ansonsten spielen sie in Europa nach wie vor eher eine nachrangige Rolle in der nationalen Politik. Damit setzt sich auf europäischer Ebene fort, was auf nationaler schon länger zu beobachten ist. Die Präferenzen der Bürger werden heterogener. Diese Entwicklung kann von den Volksparteien nicht aufgefangen werden. Kleinere, homogenere Parteien sind die Nutznießer dieser Entwicklung.

Die Fragmentierung des Europäischen Parlamentes verändert die Machtverhältnisse im europäischen Institutionengefüge. Es wird im Europaparlament schwieriger, gemeinsame Positionen zu finden. Das zeigt sich schon darin, dass es drei Fraktionen braucht, EVP, S&D und ALDE, um eine Mehrheit für den Vorschlag des EU-Kommissionspräsidenten zu zimmern. Die beiden Spitzenkandidaten, Manfred Weber und Frans Timmermans, sind mit einer dritten Kandidatin, der dänischen Kommissarin, Margrethe Vestager, konfrontiert. Diese fragmentierte Entwicklung spielt dem EU-Rat, den Regierungschefs, in die Karten. Einige der Staatschefs, wie der französische Präsident, wollen ihren eigenen Kandidaten durchsetzen. Tatsächlich sehen die Europäischen Verträge ein Vorschlagsrecht des Europäischen Parlamentes nicht vor. Das ist Sache der Regierungschefs. Das Europäische Parlament kann die ganze Kommission nur bestätigen oder ablehnen.

Im neuen Europäischen Parlament wird die europäische Integration schwieriger. Die populistischen Parteien sind trotz einiger nationaler Unterschiede, im Schnitt interventionistischer und protektionistischer. Das bleibt nicht ohne Folgen für die wirtschaftliche Integration. Es steht zu befürchten, dass weitere Schritte hin zu einer Vollendung des europäischen Binnenmarktes, dem Herzstück der wirtschaftlichen Integration in Europa, schwieriger werden. Das dürfte auch für Handelsabkommen mit Drittländern gelten. Freihandelsvereinbarungen, wie sie mit Kanada, Japan und Singapur geschlossen wurden, werden noch schwerer eine parlamentarische Mehrheit finden. Darauf hat Gabriel Felbermayr, der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel aufmerksam gemacht (hier). Das alte Europäische Parlament stimmte im Schnitt mit 70 % für Freihandelsverträge. Im neuen Parlament sinkt die Rate der Zustimmung auf 66 %, immer vorausgesetzt das Abstimmungsverhalten der Fraktionen ändert sich nicht.

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