Gastbeitrag
Monetäre Verwässerung und Monetisierung auf dem Vormarsch

Angesichts schwächelnder Weltkonjunktur und ausufernder globaler Verschuldung gerät die globale Geldpolitik aus den Fugen. Sowohl die europäische als auch die US-amerikanische Zentralbank haben ihren zuvor angekündigten Kurs einer „geldpolitischen Normalisierung“ innerhalb kürzester Zeit beendet und eine erneute Kehrtwende eingeleitet. Gleichzeitig haben abstruse Ideen für eine „alternative  Geldpolitik“ Hochkonjunktur – wie etwa die „Modern Money Theory“ (MMT) oder das „Overt Monetary Financing“ (OMF).

Eine aktuelle Studie des FERI Cognitive Finance Institute hat diese brisante Thematik analysiert und zieht ein beunruhigendes Fazit: Notenbanken werden zunehmend politisiert und zu staatlichen „Bad Banks“ degradiert, die durch Gelddrucken ökonomische Probleme lösen oder als „Endlager“ für staatliche Schulden dienen sollen. Bedenklich erscheint auch, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) parallel Konzepte für noch tiefere Negativzinsen und eine Abschaffung von Bargeld entwickeln lässt. Anleger und Vermögensinhaber sollten gewarnt sein, wenn die nächste Runde der „monetären Lockerung“ eingeleitet wird.

Die diesjährige Konferenz der Europäischen Zentralbank im portugiesischen Sintra begann mit einer Überraschung: Kurz vor seinem Amtsende kündigte EZB-Chef Mario Draghi eine dramatische Umkehr seiner bisherigen Strategie an. Die EZB sei im Falle weiterer Konjunkturschwäche der Euro-Zone  bereit, zu einer Politik massiver Wertpapierkäufe zurückzukehren und auch noch tiefere Negativzinsen in Betracht zu ziehen. Statt geldpolitischem Small Talk präsentierte Draghi – einmal mehr – einen „whatever it takes“-Moment.

Damit reiht sich die EZB ein in einen aktuellen Zeitgeist, der das Drucken von Geld als Mittel zur Lösung realwirtschaftlicher Probleme betrachtet. Neue monetäre Theorien und Ideen für „alternative Geldpolitik“ haben weltweit Hochkonjunktur. Diesen Ansätzen ist eines gemeinsam: Sie alle fordern eine noch stärkere Geldschöpfung durch Notenbanken, um mit neu gedrucktem Geld Staatsausgaben finanzieren oder Staatsschulden aufkaufen und „ausbuchen“ zu können.

Keine Normalisierung in Sicht

Nach der Großen Finanzkrise von 2008 haben Notenbanken weltweit eine Politik des „Quantitative Easing“ („Q. E.“) installiert, umgesetzt über massive Wertpapierkäufe und ultra-niedrige Zinsen. Für 2019 (zehn Jahre nach der Krise) wurde eine Normalisierung dieser extremen Politik in Aussicht gestellt, inzwischen jedoch wieder klar verworfen. Stattdessen zirkulieren zahlreiche Vorschläge, die eine deutliche Ausweitung und Fortführung der „unkonventionellen Geldpolitik“ propagieren:

Ehemalige Top-Notenbanker (wie Ben Bernanke), globale Institutionen (wie der IWF), bekannte Akademiker (wie Kenneth Rogoff, Paul Krugman und Larry Summers), kreative Think Tanks (wie das Institute for New Economic Thinking) sowie ökonomische „Wunderheiler“ (wie Stephanie Kelton) plädieren heute lautstark dafür, die „Möglichkeiten der Geldpolitik neu zu entdecken“. Notenbanken sollen gemäß dieser Logik ihr Privileg der Geldschöpfung dazu missbrauchen, dauerhaft staatliche Schulden und Altlasten zu übernehmen oder generell staatliche Ausgaben und utopische Zukunftsprojekte zu finanzieren. Bislang unumstößliche Regeln und Selbstbeschränkungen in Fragen einer soliden Geldwirtschaft – wie etwa das Verbot der offenen Staatsfinanzierung durch Notenbanken – werden dabei ausgeblendet und als unbedeutend oder altmodisch diskreditiert.

Die wichtigsten dieser neuen Ideen sind bekannt als „Modern Monetary Theory“ (MMT) und „Overt Monetary Financing“ (OMF): Die MMT postuliert die Möglichkeit eines Staates, sich dauerhaft und ohne negative Folgen mit Hilfe der eigenen Notenbank zu finanzieren. Laufende Staatsausgaben sollen dabei mit neu gedrucktem Geld der Notenbank beglichen werden. Auch OMF bezeichnet eine Form unkonventioneller Geldpolitik, die ökonomische Krisen durch expansiven Einsatz der Notenpresse überwinden soll. Im Kern fordert OMF sowohl eine offene Finanzierung staatlicher Defizite als auch eine dauerhafte Übernahme staatlicher Schulden durch die jeweilige Notenbank. Oftmals wird für diese Art monetärer Staatsfinanzierung auch synonym der Begriff „helicopter money“ (Helikoptergeld) verwendet.

Gefährliche Vermischung von Geld- und Fiskalpolitik

Japan könnte weltweit zum ersten echten Testfall für OMF werden: Ausgelöst von einer tiefen, stark deflationär geprägten Krise in den 1990er Jahren hat Japan seitdem zahlreiche Maßnahmen umgesetzt, die weitgehend identisch sind mit MMT, OMF oder schlicht Helikoptergeld. Bereits heute liegen hier 49 Prozent der Staatsschulden in der Bilanz der Notenbank (siehe Abbildung 1). Die Bank of Japan (BoJ) ist somit der größte Einzelgläubiger des japanischen Staats. Der Ankauf der entsprechenden staatlichen Schuldtitel wurde bislang ausschließlich über die Notenpresse finanziert, also durch massive Ausdehnung der BoJ-Bilanz.

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Eine spätere Normalisierung dieser Bilanz, folglich also eine Rückübertragung der Staatsschulden an den Markt, scheint bislang weder angedacht noch rein faktisch jemals durchführbar. Im Gegenteil gibt es zunehmend Indizien für eine dauerhafte Entsorgung der Staatsschulden bei der BoJ. Abbildung 2 verweist bereits sehr klar auf diese Möglichkeit: Die extrem hohe japanische Staatsverschuldung von über 200% des BIP würde sich faktisch sehr deutlich reduzieren, sofern die bei der BoJ liegenden Bestände von dieser „dauerhaft“ gehalten oder „ausgebucht“ würden.

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Die in Japan schon heute praktizierten Maßnahmen sind extrem beunruhigende Beispiele für eine gefährliche Vermischung von Geldpolitik und Fiskalpolitik. Als erstes großes Land weltweit zeigt sich Japan bereit, gezielt in eine Zukunft massiver monetärer Verwässerung voranzuschreiten. Der weitere Verlauf sollte genauestens im Blick behalten werden – als Frühwarnsystem für absehbare Entwicklungen auch in anderen Teilen des westlichen Finanzsystems.

MMT – Laufende Staatsfinanzierung durch die Notenpresse

In den USA macht im Kontext alternativer Geldpolitik aktuell das akademische Konzept der „Modern Monetary Theory“ (MMT) Schlagzeilen. Es zielt auf eine laufende Staatsfinanzierung durch die Notenpresse – und verschiebt damit die Grenzen der öffentlichen Verschuldung mit Hilfe der Notenbank nach außen. Denn wesentlicher Kern der MMT ist die Aussage, ein Staat (oder dessen Regierung) könne viel mehr an Projekten (oder öffentlichen Ausgaben) finanzieren, als nach bisher geltendem Verständnis möglich. Staatsausgaben würden sich demnach durch unnötige Restriktionen wie Bonitäten, Ratings oder Verschuldungsgrenzen unnötig selbst beschränken. Die MMT geht davon aus, dass Staat, Regierung oder Notenbank in der Lage sind, bestehende oder neue Verbindlichkeiten stets über Geldschöpfung zu finanzieren. Voraussetzung dafür sei lediglich, dass ein Staat sich in seiner eigenen Währung verschulde; diese könne von der eigenen Notenbank in beliebiger Quantität „produziert“ und zur Ausgabenfinanzierung bereitgestellt werden.

MMT zeigt also speziell für hochverschuldete, aber währungspolitisch starke Länder wie die USA (oder Japan), die zudem primär in eigener Währung verschuldet sind, einen scheinbar attraktiven Ausweg aus bestehenden Problemen und Altlasten auf. Im Kern ist MMT aber nichts anderes als ein griffig verpacktes und politisch verlockendes Konzept zur Monetisierung staatlicher Schulden, Defizite und Ausgabenprogramme mit Hilfe der Notenpresse. Es basiert also auf den gleichen Wirkungsmechanismen wie das Konzept des Overt Monetary Financing.

Nichts dazu gelernt

Bislang geht das politische Establishment mit zunehmenden strukturellen Problemen genauso um, wie bereits im Zuge der Großen Finanzkrise: Systemische Fehler und strukturelle Schieflagen werden nicht korrigiert oder beseitigt, da die politischen Kosten offenbar zu hoch erscheinen. Stattdessen werden bestehende Beschränkungen der Geldpolitik gelockert, aufgeweicht oder umgangen, damit Notenbanken offene Geldschöpfung betreiben und so – stellvertretend für den Staat – als „financier of last resort“ mit unlimitierter finanzieller Feuerkraft einspringen können. Mittel- oder langfristige Risiken für die Integrität, die Stabilität oder den künftigen Bestand des zugrundliegenden Finanzsystems und dessen Geldordnung werden dabei gezielt negiert oder stark verharmlost.

Folglich lautet die Prognose: Die Geldpolitik wird noch extremer, ihre Grenzen dürften schon in naher Zukunft noch mehr gedehnt werden. Damit dürfte auch das Ausloten neuer Möglichkeiten zur offenen Geldschöpfung und zur Staatsfinanzierung über die Notenpresse weiter voranschreiten.

Die ständige Progression, weg von einer „normalen“ Funktionsweise von Geldpolitik, und hin zu immer abenteuerlicheren Ausprägungen und Mutationen, verdeutlicht Abb. 3:

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Alarmierende Konsequenzen

Niemand kann heute mit Gewissheit vorhersehen, ob und wie stark sich Konzepte wie MMT und OMF zukünftig durchsetzen werden. Allerdings wird deren Attraktivität – scheinbar unbegrenzte Finanzierungsmöglichkeiten trotz leerer Kassen – für ehrgeizige Politiker extrem hoch sein.

Die Konsequenzen daraus sind klar, aber wenig beruhigend: Speziell in den USA, wo derzeit sehr ungewöhnliche politische Konstellationen herrschen und eine tief gespaltene Gesellschaft grundlegende Änderungen fordert, könnte das nächste Großexperiment in monetärer Staatsfinanzierung ablaufen. Ähnlich wie in Japan, wenngleich noch etwas schwächer, sind auch in den USA bereits klare Signale in Richtung MMT & OMF erkennbar.

Doch auch für Europa und die Euro-Zone lässt sich eine analoge Erwartung formulieren: Die bisherige Politik exzessiver Geldschöpfung und massiver Aufblähung von Zentralbankbilanzen hat in Europa bereits wichtige Präzedenzfälle in „monetärer Verwässerung“ geschaffen. Und nach Mario Draghis Sintra-Ansprache ist zu befürchten, dass dieser Trend sich weiter verschärft.

Wie Abbildung 4 zeigt, hat die EZB im Zuge ihrer mehrjährigen Q. E.-Politik bereits rund 20 % der Staatsschuldenquote aller Euro-Länder in ihre Bilanz überführt. Sollte dieser Anteil von der EZB dauerhaft gehalten, ausgebucht oder anderweitig neutralisiert werden, würde die effektive Verschuldung der Euro-Zone bereits nahe am Maastricht-Zielwert von rund 60 % des BIP liegen.

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Es scheint extrem unwahrscheinlich, dass die Politik in Europa diese (von der EZB indirekt „vorbereitete“) Chance verstreichen lassen wird. Die kürzlich beschlossene Berufung von IWF-Chefin Christine Lagarde an die Spitze der EZB ist vor diesem Hintergrund ein sehr starkes Signal: Denn Lagarde verfügt zwar über keine geldpolitische Expertise, ist aber sehr vertraut mit dem Problem „untragbarer“ Staatsverschuldung. Somit ist auch für die Euro-Zone davon auszugehen, dass eine dauerhafte Monetisierung staatlicher Schulden durch die Notenbanken (die EZB) über kurz oder lang vollzogen wird. Die schon bisher bei den Notenbanken gehaltenen Staatsschulden könnten dazu ein erster Schritt sein, dem aber durchaus noch weitere folgen können.

Generell sind die Auswirkungen einer Politik staatlich organisierter Geldschöpfung und massiver monetärer Expansion nicht trivial: Ihre Effekte wirken über Gütermärkte, Kapitalmärkte und Arbeitsmärkte auf alle Lebensbereiche und führen zu erheblichen Verzerrungen. Besonders stark sind in der Regel die Impulse für Finanz- und Immobilienmärkte, mit der Folge starker Aufwertungen oder sogar ausgeprägter Blasenbildung. Darüber hinaus kann eine Politik monetärer Verwässerung jedoch auch zu gravierenden Verzerrungen im gesamten Sozialgefüge einer Gesellschaft führen:

  • Durch monetär angeheizte „Asset Price Inflation“ werden bestehende Ungleichgewichte in der Vermögensverteilung einer Gesellschaft unmittelbar verstärkt und oftmals neue Ungleichgewichte erzeugt.
  • Mittelbar können daraus über „Zweit- und Drittrunden-Effekte“ echte Inflation, soziale Verwerfungen und gesellschaftliche Verspannungen größeren Ausmaßes induziert werden.

Fazit

Schon in sehr naher Zukunft ist in nahezu allen westlichen Finanzsystemen von einer anhaltenden und zunehmend unverblümt durchgeführten Politik monetärer Verwässerung und finanzieller Repression auszugehen. Erste Signale in diese Richtung sind bereits heute sehr klar erkennbar. Notenbanken werden dabei immer stärker zu „Bad Banks“ des jeweiligen Finanzsystems, mit dem klaren Auftrag, systemische Altlasten (Schulden) möglichst dauerhaft zu entsorgen. Zugleich werden Notenbanken immer stärker politisiert und instrumentalisiert; sie werden damit zu Erfüllungsgehilfen eines Kurses offener monetärer Finanzierung, der in politischen Kreisen immer stärker um sich greift. Besonders beunruhigend: Der IWF gibt derartigen Überlegungen noch „akademischen Flankenschutz“, statt auftragsgemäß ein stabiles Finanzsystem zu gewährleisten.

Die aufgezeigten Tendenzen sind gefährlich und sollten nicht nur Investoren und Vermögensinhaber, sondern alle Bürger beunruhigen. Welche Maßnahmen zu erwarten sind und welche Konsequenzen im Einzelnen drohen, analysiert das FERI Cognitive Finance Institute in seiner aktuellen Studie: „Modern Monetary Theory und OMF – Monetäre Verwässerung und Monetisierung auf dem Vormarsch“. www.feri-institut.de

 

3 Antworten auf „Gastbeitrag
Monetäre Verwässerung und Monetisierung auf dem Vormarsch“

  1. Naive Frage: wenn die Banken permanent Geldschöpfung bei der Vergabe von Krediten betreiben, wieso führt dies nicht zu einer Inflation? Welcher Mechanismus wirkt hier dagegen? Richtig, unter anderem dadurch, dass das Geld bei der Rückzahlung wieder gelöscht wird. Spielerischer Gedanke: Würde der Staat seine Schulden durch Geldschöpfung tilgen, oder noch weiter gedacht, seine Ausgaben komplett dadurch finanzieren, dann müsste, ähnlich wie bei der Kreditvergabe der Banken, ein Punkt im Finanzsystem gefunden werden, in dem dieses Geld wieder gelöscht wird, um eine Inflation zu vermeiden. Digitales Geld bietet diese Möglichkeit. Die Soziale Geldschöpfung beschreibt eine Idee, nach der der Staat sich selbst – ähnlich wie Banken bei der Kreditvergabe – durch Geldschöpfung finanziert, und der Bürger statt Steuern eine Geldmengenanpassung zahlt. Der Unterschied zur Steuer ist, das durch die Geldmengenanpassung eingezogene Geld wird wieder gelöscht. Der Staat benötigt es in diesem System ja nicht zur Finanzierung seiner Ausgaben. Dies wäre eine komplett neues Geldsystem, in dem die Möglichkeiten digitaler Technik, wie sie bereits von den Banken bei der Vergabe von Krediten genutzt wird, auf staatlicher Ebene ausgeschöpft wird. Staatsverschuldung wäre dadurch obsolet. Ein, zugegeben, zunächst abenteuerlich klingender Gedanke, der eine Menge Fragen aufwirft. Im Kern aber ein neuer, nicht uninteressanter Gedanke, der eine Diskussion wert sein könnte.

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