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Joseph A. Schumpeters Verhältnis zur Wirtschafts- und Theoriegeschichte

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Joseph A. Schumpeter zählt zu den einflussreichsten und bedeutendsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts, der neben theoretischen Arbeiten über Konjunkturzyklen und Geldwirtschaft vor allem durch seine Veröffentlichungen über den Unternehmertypus berühmt wurde. Mit gerade einmal 27 Jahren verfasste er sein drittes Buch mit dem Titel Epochen der Dogmen- und Methodengeschichte, welches den Grundstein für sein späteres Lebenswerk der History of Economic Analysis legte und 1914 als ein Kapitel in Max Webers Grundriss der Sozialökonomik erschien. Doch auch die vorangegangenen Werke Das Wesen und der Hauptinhalt der theoretischen Nationalökonomie und die Theorie der Wirtschaftlichen Entwicklung zogen die Aufmerksamkeit auf den damals jüngsten ordentlichen Professors Österreichs, der seit 1911 den Lehrstuhl für Politische Ökonomie an der Universität Graz innehatte.

Arthur Spiethoff kommentierte: „Was ist unerhörter, ein 25- und ein 27-jähriger, der an den Grundfesten seiner Wissenschaft rührt, oder ein 30-jähriger, der die Geschichte seiner Wissenschaft schreibt“. Am mangelndem Selbstvertrauen fehlte es Schumpeter dabei nicht – so seien seine Vorlesungen die „beste Wirtschaftslehre, die auf der Welt zu haben sei“ und setzt sich zum Ziel „der größte Ökonom der Welt, der begehrteste Liebhaber Wiens und der beste Reiter Österreichs zu werden“. Nach eigenen Angaben erreichte er aufgrund eines zweitklassigen Sattels allerdings nur zwei dieser Ziele.

Schumpeter begann ungefähr 30 Jahre nach dem Erscheinen der Epochen der Dogmen- und Methodengeschichte mit der History of Economic Analysis. Zu diesem Zeitpunkt lehrte er an der Harvard Universität, wo ihn außer Wassily Leontief wissenschaftlich kaum jemand mehr anregte. Der genaue Zeitpunkt, an dem Schumpeter mit dem Schreiben begann, ist nicht bekannt, jedoch schrieb er im Jahr 1939 an das Harvard University Committee on Research in the Social Sciences: „Ich beabsichtige, eine revidierte Fassung meiner 1914 zunächst auf Deutsch veröffentlichten Epochen der Dogmen- und Methodengeschichte zu schreiben“. Schumpeter starb im Januar 1950 bevor er das Buch beenden konnte. Seine Frau Elizabeth Schumpeter ordnete mit ein paar Freunden aus Harvard das chaotische hinterlassene Manuskript und veröffentlichte das fertiggestellte Buch mit 1260 eng bedruckten Seiten schließlich über die Oxford University Press.

Schumpeter betonte durchweg die Bedeutsamkeit der Verbindung von ökonomischer Theorie und anderen Sozialwissenschaften. Er versuchte die Brücken der Disziplinen neu zu definieren und die Interdependenzen so zum Ausdruck zu bringen, dass sich der Wirtschaftsprozess als Ganzes erklären lasse. So schrieb er: „Noch heute ist es schwer- und in einzelnen Punkten geradezu unmöglich- von der Politischen Oekonomik zu sprechen ohne ihre Schwesterdisziplinen zu berücksichtigen“. Diese Ansicht setzte er in seinen frühen Ausführungen über Ökonomen in die Tat um, indem er nicht nur deren theoretische Leistungen beachtete, sondern auch deren Versuche würdigte, ihre Theorie in eine allgemeine Analyse der Gesellschaft einzubeziehen. Schumpeter charakterisierte dabei die Wirtschaftsgeschichte stets als Verbündeten der Wirtschaftstheorie und glaubte, dass sich durch dieses Zusammenspiel neue Erkenntnisse gewinnen ließen.

In der History of Economic Analysis entwickelt Schumpeter seine Ansicht darüber, was den wissenschaftlichen Ökonomen von allen anderen unterscheidet, die sich im Alltag mit Ökonomie beschäftigen, weiter. Er unterteilt den Oberbegriff „ökonomische Analyse“ in drei Komponenten: Wirtschaftsgeschichte, Statistik und Theorie. Gleich zu Beginn betonte Schumpeter die Notwendigkeit der Wirtschaftsgeschichte für das allgemeine Verständnis wirtschaftlicher Zusammenhänge und hebt diese sogar als wichtigste der drei Disziplinen hervor: „Nobody can hope to unterstand the economic phenomena of any, including the present epoch who has not an adequate command of histroical facts and an adequate amout of historical sense or what may be described as historical experience.

Die zweite wichtige Eigenschaft der Wirtschaftsgeschichte sei die Verknüpfung der institutionellen Rahmenbedingungen mit der ökonomischen Theorie, wodurch gleichzeitig auch eine Verbindung zu anderen Sozialwissenschaften geschlagen würde. Bei der dritten Säule der ökonomischen Analyse, der Theorie, verweist Schumpeter auf die berühmte Beschreibung von Joan Robinson, in der sie die Wirtschaftstheorie als eine „box of tools“ charakterisiert. Damit folgt Schumpeter der damals populär werdenden Auffassung, dass es nicht nur ein großes ökonomisches System an Erläuterungen gibt, sondern dass die einzelnen Modelle auf verschiedene wirtschaftspolitische Probleme unterschiedlich angewendet werden können. Trotzdem glaubte Schumpeter laut Mark Perlman an so etwas wie eine einheitliche Theorie, die alle wirtschaftlichen Zusammenhänge erklären kann. Wie Einstein habe er diese Theorie jedoch nie gefunden.

Bei der Theorie wie auch bei der Statistik hebt Schumpeter immer wieder den Blickwinkel des Außenstehenden hervor. Wie wir ökonomische Zusammenhänge deuten und verstehen hängt nicht nur von der zugrundeliegenden wissenschaftstheoretischen Methodik, sondern auch von deren soziokulturellen und historischen Kontexten ab; so könne man weder Theorie noch Statistik ohne den historischen Hintergrund vollständig verstehen. Als Beispiel nennt er die Orientierung der Ökonomik an den Methoden der Physik zur Analyse statischer Gleichgewichte, die sich allerdings nicht eigne um dynamische Prozesse[1] zu beschreiben. Er schließt sich dabei Hayek an, der das kritiklose Kopieren von Methoden aus anderen Wissenschaften als „Scientismus“ bezeichnete. Alle drei Teilbereiche waren Schumpeter wichtig, jedoch warnte er ausdrücklich davor diese miteinander zu vermischen. Er war dabei ähnlicher Auffassung wie sein Rivale Keynes: „…der Meisterökonom eine seltene Kombination von Begabungen besitzen muss. Er muss Mathematiker, Historiker, Staatsmann, Philosoph sein – im gewissen Grade“.

Ein guter Ökonom sollte zwar Wirtschaftsgeschichte, Wirtschaftstheorie und Statistik beherrschen, diese allerdings auch gedanklich trennen können. Als Beispiel nannte er die politische Ökonomie, die er für problematisch hielt, da sich dort ökonomische Analyse mit politischer Ideologie vermischen würde. Außerdem würden sozialpolitische Fragestellungen Ökonomen davon ablenken, sich mit theoretischen wissenschaftlichen Problemstellungen zu befassen. Obwohl man die Teildisziplinen nicht vermischen sollte, gehen sie nicht auf Kosten voneinander, sondern ergänzen sich gegenseitig.

Schumpeter prägte den Begriff „Sozialökonomik“ mit dem er genau dieses Konzept meinte:  Die Wirtschaftswissenschaft sollte breiter aufgestellt sein und über eine reine Wirtschaftstheorie hinausgehen. In der Realität war es schwer diese Kombination auf wissenschaftlicher Ebene zu finden. Paul Samuelson betonte später genau diesen Erkenntnisgewinn, den sich Schumpeter aufgrund der Interdisziplinarität erhofft hat: „Ich glaube, wir suchen alle nach diesem anderen Kerl wie nach einem guten Makler – dem aus der anderen Disziplin, dessen Interessen mit unseren zusammengehen.“ Im Unterschied zu Samuelson wollte Schumpeter durch seinen interdisziplinären Ansatz genau diese Suche vermeiden. Von Beginn seiner Karriere an, hoffte er, durch die Anwendung mathematischer Methoden weitreichende Erkenntnisse zu gewinne, die jedoch immer im Kontext einer allgemeinen Wirtschaftswissenschaft zu sehen sind, die weit über die Wirtschaftstheorie an sich hinausgeht.

Man kann jedoch auch beobachten, dass im Laufe seines Lebens die Affinität zur Wirtschaftstheorie immer weiter abnahm und die ökonomische Geschichte den Mittelpunkt seines Interesses bildete, was wenig verwunderlich war: Schumpeters mathematische Fähigkeiten blieben weit hinter der formalen Brillanz seines bedeutendsten Schülers Paul Samuelson, der gerade damit begonnen hatte, die gesamte Wissenschaft vollständig umzukrempeln. In der History of Economic Analysis leitete er das Unterkapitel Wirtschaftsgeschichte folgendermaßen ein: „Wenn ich meine Arbeit auf wirtschaftswissenschaftlichem Gebiet noch einmal beginnen würde, aber nur eines der drei Grundgebiete […] studieren dürfte, so würde ich mich für die Wirtschaftsgeschichte entscheiden…“. Ferner unterscheidet er zwischen einer Geschichte des analytischen ökonomischen Denkens und einer Wirtschaftsgeschichte. Schumpeter hatte ein positivistisches Verständnis der Theoriegeschichte, weil es ihm explizit darum ging, theoretisch konsistente Ideen zu replizieren und dies nur gelingen würde, wenn man diese sauber von anderen Disziplinen trennt. Für die Wirtschaftswissenschaft an sich sieht Schumpeter Wirtschaftsgeschichte und Theoriegeschichte als Komplemente, da sich beide für das ganze Bild ergänzen und man daher beide gleichermaßen benötigt.

In einem gewissen Sinne spiegeln die beiden Werke sein gesamtes Verständnis der Nationalökonomie und den damit verbundenen Entwicklungsprozess wider. Seine Metabetrachtung eröffnet einen einzigartigen Überblick über die Geschichte der ökonomischen Theorien, beginnend bei Platon bis hin zur damals modernen keynesianischen Makroökonomik. Einzigartig ist sein Werk deshalb, weil der Universalgelehrte laut seinem Biografen Richard Swedberg nicht nur jeden behandelten Ökonomen im Original gelesen hatte, sondern es wie kaum ein anderer vermochte, die Ideen in den geschichtlichen und ökonomischen Kontext einzuordnen. Seine Frau Elizabeth bemerkte im Vorwort der History of Economic Analysis, dass er im Rückblick eigentlich sein ganzes Leben an dem Werk gearbeitet habe und Hayek kommentierte: „…kein Werk ist besser geeignet, ihnen [den jungen Ökonomen] vor Augen zu führen, was sie wissen sollten, wenn sie nicht nur Ökonom, sondern gebildete Menschen sein wollen…“.  

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[1] Das wird bei Schumpeters Beschreibungen über die Rolle des Unternehmers in der Theorie der Wirtschaftlichen Entwicklung deutlich. Dabei nimmt er die statische allgemeine Gleichgewichtsanalyse als Ausgangspunkt und versucht eine Antwort auf die Frage zu finden, wie sich die Dynamik der Wirtschaft integrieren lässt. Die Antwort, die er darauf gibt, ist der Unternehmer als Symbol des Neuen, das aus der Wirtschaft selber kommt. Der Unternehmer befindet sich also innerhalb des statischen Gleichgewichts und unternimmt etwas, das die Produktionsfaktoren verändert. Schumpeter beansprucht hierbei weniger eine Ursachenanalyse für die Dynamik der Wirtschaft vorzunehmen, sondern bietet eine Art feuilletonistische Beschreibung der Eigenschaften erfolgreicher Unternehmer. Dabei lässt er allerdings offen, was genau, einen Unternehmer erfolgreich macht. Dass er im Ungefähren bleibt, sollte allerdings nicht als intellektuelle Barriere verstanden werden, sondern als Anschauung der realen wirtschaftlichen Entwicklung. Somit kann die Unternehmertheorie auch als eine contradictio in adiecto angesehen werden.

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