Gastbeitrag
Wissenschaft, Medien und Politik aus ökonomischer Perspektive

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Wissenschaft und Medien

In der medialen Berichterstattung bezüglich aktueller gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen wird sich oftmals auf Forschungsergebnisse berufen, dies zeigt sich vor allem in besonders komplexen Fragen wie dem Klimawandel oder der derzeitigen Pandemie. Auch in der deutschen Talkshow-Landschaft sind Wissenschaftler regelmäßig als Experten präsent, deren Autorität und Unabhängigkeit zur Versachlichung der oftmals durch parteipolitische Interessen dominierten Debatte beitragen soll. Dabei wird seitens der medialen Akteure häufig simplifizierend von der Wissenschaft als Institution gesprochen. Dies mag im allgemeinen Sprachgebrauch gerechtfertigt sein, sobald wissenschaftliche Positionen in ihrer Allgemeinheit jedoch der Untermauerung von Argumenten dienen und ein Absolutheitsanspruch verbreitet wird, sollte der aufmerksame Zuschauer respektive Leser hellhörig werden.

Individuelles Handeln und subjektive Ziele

Es gilt an dieser Stelle, mit einem in der Öffentlichkeit weit verbreiteten Missverständnis aufzuräumen. Sowohl für menschliches Handeln im Allgemeinen als auch für den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess im Besonderen gilt der insbesondere durch Joseph Schumpeter (1998) begründete methodologische Individualismus. Nach dieser Konzeption handeln stets Individuen, Kollektive hingegen agieren nicht autonom. Dies gilt für Staaten und Organisationen und ebenso für die wissenschaftliche Gemeinschaft. So wird Forschung lediglich von Individuen betrieben, nicht von einer Institution als Ganzes. Zwar kann argumentiert werden, dass Wissenschaftler an öffentlichen Einrichtungen tendenziell am Gemeinwohl – sollte es so etwas trotz des Unmöglichkeits-Theorems Arrows (1951) geben – orientiert sind, es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass Wissenschaftler – wie andere Menschen auch – am eigenen Wohlergehen interessiert sind. Dieses Eigennutzaxiom hat sich spätestens mit dem Aufkommen der Neuen Politischen Ökonomie (etwa Downs 1957) auch in der Analyse politischer Institutionen als aufschlussreich erwiesen und kann daher auch der interessentheoretischen Analyse des Wissenschaftssystems zugrunde gelegt werde. Auch ein Wissenschaftler orientiert sich bei seinen Entscheidungen an seinem erwarteten Nutzen und vergleicht diesen mit den entstehenden Kosten (etwa Emrich und Follert 2019). Der Nutzen eines Wissenschaftlers kann sich etwa durch Zitationen in wissenschaftlichen Zeitschriften, Nennungen in Zeitungen oder politische Einflussnahme manifestieren. Da insbesondere die Reputation in der „Scientific Community“ über die Karrierechancen eines Wissenschaftlers entscheidet, determiniert sie unmittelbar das Entscheidungskalkül eines Forschers.

Durch eine zunehmende Drittmittelorientierung sieht sich der einzelne Forscher überdies auch dem Einfluss privater Geldgeber, beispielsweise aus der Industrie oder von Nichtregierungsorganisationen, ausgesetzt. Diese spezifischen Partikularinteressen sollten bei der Interpretation der Forschungsergebnisse nicht außer Acht gelassen werden.

Wissenschaftlicher Konsens?

Zudem wird neuerdings oftmals von einer sog. „herrschenden Meinung“ oder einem „Konsens“ in wissenschaftlichen Disziplinen gesprochen. Dies suggeriert zumindest stillschweigend, dass Wissenschaft einem demokratischen Prozess unterliege. Dazu ist zunächst zu bemerken, dass sich wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung nicht nach Mehrheiten richtet. Grundsätzlich zählt in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung das bessere Argument. Natürlich kann nicht bestritten werden, dass eine mehrheitliche Position zumindest ein erstes Indiz hierfür sein kann. Dies ist jedoch keinesfalls zwingend, was der anfängliche Widerstand gegen Albert Einsteins „Relativitätstheorie“ untermauert. Ein Charakteristikum des Wissenschaftssystems ist seine Ungleichheit (Stephan 1996). Besteht aber tatsächlich eine mehrheitliche Position, ist es zudem durchaus erklärbar, dass gegenläufige Ergebnisse seltener publiziert werden. Ein Grund hierfür könnte möglicherweise im Begutachtungsprozess der wissenschaftlichen Zeitschriften, in denen Forschungsergebnisse publiziert werden, liegen (sog. „Peer Review“, hierzu jüngst Dilger 2019, zu Problemen siehe bspw. Frey 2004). Bevor ein Beitrag in einer wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlicht wird, durchläuft er regelmäßig einen mehrstufigen Begutachtungsprozess, in dem andere Wissenschaftler über die Publikationswürdigkeit der Ergebnisse entscheiden. Im Fall zahlenmäßiger Mehrheiten haben folglich umso mehr Wissenschaftler ein Interesse daran, Ergebnisse, die ihrer eigenen Forschung widersprechen, nicht zu befürworten, da sie möglicherweise Reputationseinbußen hinnehmen müssten. Da das Zeitbudget begrenzt ist, kann ein Wissenschaftler die Aktivitäten „Forschen“ und „Forschung begutachten“ (hierzu Leek, Taub und Pineda 2011) zwar zu gewissen Teilen substituieren, jedoch muss er ein gewisses Maß an eigener Forschung betreiben, um als Gutachter angefragt zu werden. In einem anonymisierten Verfahren investiert ein Gutachter Zeit, kann die Resultate jedoch nicht unmittelbar konsumieren. Entscheidet er sich dennoch für eine Begutachtung, hat er möglicherweise ein höheres Interesse daran, zumindest Reputationseinbußen zu verhindern. Selbstverständlich ist dieser Schluss nicht zwingend, was jedoch nicht notwendig ist, um einen potentiellen Interessenkonflikt zu erkennen. Sind Herausgeber- und Gutachtergremien durch eine gewisse Hauptströmung besetzt, orientieren sich gleichzeitig mehr Forscher am wissenschaftlichen Mainstream, um die für die eigene Karriere essentiellen Plätze in den renommierten Zeitschriften zu ergattern (zur Bedeutung der Top-Journale für die wirtschaftswissenschaftliche Karriere jüngst Osterloh und Frey (2020). Gerade unkonventionelle Ideen scheitern nicht selten an ihrer mangelnden Bekanntheit, sodass die Innovationskraft seitens der Gutachter häufig nicht erkannt wird (etwa Frey 2011).  Zwar bestehen insbesondere zwischen Natur- und Sozialwissenschaften grundsätzlich Unterschiede im Prozess der Erkenntnisgewinnung und der Interpretierbarkeit der Ergebnisse, jedoch ist Wissenschaft immer auch ein politisches und gesellschaftliches Feld, das von verschiedenen Triebkräften beeinflusst wird. Dies sollte dem über die Gepflogenheiten des wissenschaftlichen Prozesses regelmäßig wenig informierten Bürger nicht verschwiegen werden, damit er auch wissenschaftlichen Erkenntnissen mit einem gesunden Skeptizismus gegenübertreten kann. Von Seiten der Medien wäre hier eine differenziertere Position im Rahmen der Berichterstattung wünschenswert.

Insbesondere für Journalisten und politische Akteure scheint es äußerst schwer zu akzeptieren, dass in der wissenschaftlichen Diskussion unterschiedliche Positionen vertreten werden, was gerade in der durch Virologen dominierten sog. „Corona-Krise“ deutlich wird. Erstaunlicherweise ist der Glaube an einen wissenschaftlichen Konsens selbst in liberalen Kreisen verbreitet, was eine Aussage Christian Lindners in der Sendung von Maybrit Illner am 16.04.2020 (ab 01:01:02 „[…] und widersprechen sich ja teilweise auch, die Virologen untereinander […]“). Auch die Moderatorin zeigt sich erstaunt hinsichtlich unterschiedlicher Positionen zur Lösung eines derart komplexen Problems, wie es die derzeitige Krise darstellt: „Leopoldina und Helmholtz-Institut haben sich in Teilen wirklich widersprochen […]“ (ab 59:24).

Wissenschaftliche Pluralität statt Monismus

Komplexe Herausforderungen, bei denen die politischen Akteure vor der Aufgabe stehen, Grundrechte gegeneinander abzuwägen und Freiheiten nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beschränken, erfordern eine pluralistische Herangehensweise. Hierbei darf es kein Primat einer einzelnen Disziplin geben. Die aktuelle Krise hat nicht ausschließlich gesundheitliche Folgen, sondern auch wirtschaftliche, soziale und psychische Konsequenzen für eine Gesellschaft. Um diese bewältigen zu können, ist ein intensiver Austausch zwischen Natur- und Sozialwissenschaften unabdingbar, was beispielsweise auch in einem gemeinsamen Interview von Alexander Kekulé und Jens Südekum in der NZZ vom 28. März 2020 (https://www.nzz.ch/international/virologe-kekule-und-oekonom-suedekum-ueber-corona-was-ist-zu-tun-ld.1548836) zum Ausdruck kommt. Allerdings – so zumindest die anekdotische Evidenz – ist die Notwendigkeit einer Interdisziplinarität bei medialen Vertretern noch wenig bekannt. Meist werden Mediziner zu medizinischen, Politikwissenschaftler zu politischen und Ökonomen zu wirtschafts- oder geldpolitischen Themen befragt. Innovative Vorschläge, die beispielsweise von Ökonomen zu anderen Gebieten in die Diskussion eingebracht werden, stoßen selten auf große Resonanz. Versteht man hingegen die Ökonomik als Methode zur Analyse des menschlichen Verhaltens (etwa Kirchgässner 2013), wird man prima facie vielleicht unorthodox erscheinende Vorschläge zur Drogenproblematik (etwa Pommerehne und Hartmann 1980), zur sog. „Politikverdrossenheit“ (etwa Follert 2018), zur „Flüchtlingskrise“ (etwa Osterloh und Frey 2018; Frey und Osterloh 2019) oder zur aktuellen Pandemie (etwa Eichenberger, Hegselmann und Stadelmann 2020; Eichenberger et al. 2020) als durchaus bereichernd anerkennen. Eine Diskussion kann der wissenschaftspluralistische Ansatz nur befruchten, denn eine Disziplin allein, kann den komplexen Herausforderungen in aller Regel nicht gerecht werden.

Literatur

Arrow, K.J. (1951), Social Choice and Individual Value. New York: John Wiley & Sons.

Dilger, A. (2019), Begutachtungsverfahren nach Zahl, Gewichtung und Fehlern der Gutachten. Diskussionspapier des Instituts für Organisationsökonomik 2/2019, https://www.wiwi.uni-muenster.de/io/sites/io/files/forschen/downloads/dp-io_02_2019.pdf.

Downs, A. (1957), An Economic Theory of Democracy. New York: Harper & Brothers.

Eichenberger, R., Hegselmann, R. und Stadelmann, D. (2020), Corona-Immunität als entscheidende Ressource. Der Weg zurück in die Normalität. Wirtschaftliche Freiheit vom 24. März 2020 (http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=27022).

Eichenberger, R., Hegselmann, R., Savage, D.A., Stadelmann, D. und Torgler, B. (2020), Certified Coronavirus Immunity as a Resource and Strategy to Cope with Pandemic Costs. Kyklos: doi: 10.1111/kykl.12227.

Emrich, E. und Follert, F. (2019), Eigenplagiate aus ökonomischer Sicht. Eine institutionenökonomische Betrachtung. ORDO – Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft 70: 239-255.

Follert, F. (2018), Die Bürger-Politiker-Beziehung im Lichte der Neuen Politischen Ökonomie. der moderne staat 11: 233-254.

Frey, B.S. (2004), Publizieren als Prostitution? Perspektiven der Wirtschaftspolitik 5: 333-336.

Frey, B.S. (2011), Ökonomisierung der Wissensgesellschaft – pro, in: Diedrich, R. und Heilemann, U. (Hrsg.), Ökonomisierung der Wissensgesellschaft. Wie viel Ökonomie braucht und wie viel Ökonomie verträgt die Wissensgesellschaft? Berlin: Duncker & Humblot, 231-244.

Frey, B.S. (2019), «Eintrittspreise» statt Menschenschleppe. Neue Zürcher Zeitung vom 13. November 2019, S. 9.

Kirchgässner, G. (2013), Homo Oeconomicus, 4. Aufl., Tübingen: Mohr Siebeck.

Leek, J.T., Taub, M.A. und Pineda, F.J. (2011), Cooperation between Referees and Authors Increases Peer Review Accuracy. PlosOne 6, e26895.

Osterloh, M. und Frey, B.S. (2018), Cooperatives Instead of Migration Partnerships. Analyse und Kritik 40: 201-225.

Osterloh, M. und Frey, B.S. (2020), How to avoid borrowed plumes in academia. Research Policy 49, doi: 10.1016/j.respol.2019.103831.

Pommerehne, W.W. und Hartmann, H.C. (1980), Ein ökonomischer Ansatz zur Rauschgiftkontrolle. Jahrbuch für Sozialwissenschaft 31: 102-143.

Schumpeter, J.A. (1998), Das Wesen und der Hauptinhalt der theoretischen Nationalökonomie, 3. Aufl., Berlin: Duncker & Humblot.

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