Gastbeitrag
Euroraum: Häuserpreise in den Preisindex?

Nicht nur in der EZB wird darüber diskutiert, ob die Kosten für selbstgenutztes Wohneigentum bei der Messung der Inflation – wie in vielen anderen Ländern – berücksichtigt werden sollten. Allerdings würde dies die Inflationsrate deutlich weniger erhöhen als dies viele vermuten. Dies gilt umso mehr, wenn man diese Kosten durch eine höhere Gewichtung der Mieten berücksichtigen würde, was für die nähere Zukunft wohl die realistischste Variante ist und auch aus methodischer Sicht zu vertreten ist.

Unterzeichnet der HVPI die Inflation, …

Wie stark steigen die Preise im Euroraum? Nach der offiziellen Statistik belief sich die Inflationsrate im vergangenen Jahr auf 1,2%, ohne die immer sehr volatilen Preise für Energie, Nahrungs- und Genussmittel war das Plus mit 1,0% sogar noch etwas niedriger. Mancher Beobachter ist allerdings der Meinung, dass dies die Entwicklung der Lebenshaltungskosten unterzeichnet, die wahre Inflation im Euroraum also höher ist. Denn anders als in vielen anderen Länder außerhalb des Euroraums und auch anders als in manchen nationalen Preisstatistiken wie derjenigen in Deutschland werden beim Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) für den Euroraum die Kosten für das Wohnen in den eigenen vier Wänden nicht berücksichtigt. Auch in der EZB gibt es viele, die diese Kosten in Zukunft bei der Berechnung der Inflationsrate berücksichtigen will. Die entsprechende Diskussion wird ein Teil der laufenden Überprüfung der Strategie der Notenbank sein.

… weil er stark steigende Kosten für selbstgenutztes Wohneigentum nicht berücksichtigt?

Befürworter einer solchen Überarbeitung des HVPI verweisen häufig auf den von Eurostat berechneten Preisindex für selbstgenutztes Wohneigentum („Owner occupied housing“, OOH), der seit 2015 deutlich stärker zugelegt hat als der HVPI (Abbildung 1) [1]. In den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 waren diese Kosten immerhin 3,2% höher als im entsprechenden Vorjahreszeitraum, während der HVPI in der gleichen Zeit nur um 1,3% und der häufig im Fokus stehende Kernindex ohne Energie und Nahrungsmittel nur um knapp 1% zulegten. Wären die Kosten für den selbstgenutzten Wohnraum in den HVPI einbezogen worden [2], wäre die Kernteuerungsrate seit Anfang 2016 im Schnitt 0,4 Prozentpunkte höher ausgefallen. Im dritten Quartal 2019 – neuere Daten sind für den OOH nicht verfügbar – hätte die Kernrate nicht 0,9%, sondern 1,3% betragen.

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Verantwortlich für den starken Anstieg des OOHs in den vergangenen Jahren ist der Boom an den Immobilienmärkten. Denn in den meisten Ländern haben die Kosten beim Kauf neuer Gebäude – also der Kaufpreis und die damit vebundenen Kosten wie Notar, Steuern etc. – mit einem Gewicht von 70 bis 90% den Löwenanteil an diesem Index (Abbildung 2). [3] Nur in Finnland machen diese weniger als die Hälfte des Index aus, wo die laufenden Kosten wie Reparaturen und Versicherungen ein Gewicht von etwa 53% aufweisen.

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Späte Verfügbarkeit …

Gerade dieses hohe Gewicht der Häuserpreise spricht allerdings gegen eine Integration des OOH in den HVPI. So liegen Zahlen zu der Entwicklung der Häuserpreise zwar heute früher vor als noch vor ein paar Jahren, aber immer noch deutlich später als die Preise der im HVPI derzeit berücksichtigten Güter und Dienstleistungen. Während vergangene Wochen bereits vorläufige Zahlen zum HVPI für den Januar veröffentlicht wurden, liegen für die Häuserpreise und damit auch den OOH nur Zahlen bis einschließlich dem dritten Quartal vor. Somit könnten die Inflationszahlen also bei Einbeziehung des OOH nur entweder mit einer beträchtlichen zeitlichen Verzögerung veröffentlicht werden oder die Zahlen würden nach einigen Monaten (anders als derzeit) noch einmal spürbar revidiert, was aus Sicht der EZB wohl kaum erstrebenswert ist.

… und methodische Probleme sprechen gegen Integration des OOH

Zudem stellt sich die Frage, ob man mit der Integration des OOH in den HVPI der „tatsächlichen“ Preisentwicklung wirklich näher käme. Schließlich erwirbt ein Haushalt beim Kauf einer Immobilie nicht nur einen Platz zum Leben, sondern investiert auch in einen Vermögensgegenstand. Darum ist ein höherer Kaufpreis nicht unbedingt mit höheren Wohnkosten gleichzusetzen, da unter Umständen auch der später zu erwartende Verkaufspreis steigt.

Folglich spricht manches dafür, bei der Erfassung der Kosten für selbstgenutztes Wohneigentum die Transaktion gedanklich in zwei Komponenten zu teilen: In die Investition in ein Asset und den Erwerb des Wohnrechts. Nur der zweite Teil sollte im HVPI erfasst werden.

Höheres Gewicht für Mieten die bessere Lösung, …

Die Kosten für dieses Wohnrecht lassen sich am einfachsten – und wahrscheinlich auch am besten – durch die Miete für eine entsprechende Immobilie abschätzen. Schließlich verzichtet der Eigentümer durch die Eigennutzung auf diese Miete, sie entspricht also bei einem solchen Alternativkostenansatz seinen Kosten.

In der Praxis werden diese fiktiven Mieten für selbstgenutztes Wohneigentum unterschiedlich erhoben. In Deutschland wird z.B. davon ausgegangen, dass sie sich wie die Mieten von tatsächlich vermieteten Immobilien entwickeln, so dass im Endeffekt die tatsächlich gezahlten Mieten nur mit einem höheren Gewicht in den Index eingehen. [4] In den USA wird hingegen in einer Umfrage erhoben, wie sich diese fiktiven Mieten aus Sicht der Betroffenen – also der Bewohner des selbstgenutzten Wohneigentums – verändert haben. Allerdings bewegen sich in den USA diese so erhobenen fiktiven Mieten zumeist im Einklang mit den tatsächlich gezahlten Mieten, so dass die beiden Methoden wohl zu ähnlichen Ergebnissen führen.

… was an Inflation aber kaum etwas ändern würde

Hätten Mieten in den vergangenen Jahren auch beim HVPI für den Euroraum ein höheres Gewicht erhalten, hätte dies die Kerninflationsrate in den vergangenen Jahren kaum verändert (Abbildung 3). Im Dezember hätte der Unterschied gerade einmal 0,03 Prozentpunkte betragen, was vor dem Hintergrund der anderen Unsicherheiten bei der Erfassung der „richtigen“ Preisentwicklung – z.B. den Fragen im Zusammenhang mit einer Qualitätsbereinigung der Preisentwicklung – wohl kaum als signifikante Änderung anzusehen ist. Vielmehr läge die Kernteuerungsrate auch dann immer noch deutlich unter dem Inflationsziel der EZB.

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EZB wohl auch für höheres Gewicht der Mieten, …

Vor kurzem hat sich EZB-Chefvolkswirt Lane ebenfalls für eine Berücksichtigung der Kosten selbstgenutzten Wohneigentums im HVPI ausgesprochen. Dabei verwies er auch auf das oben geschilderte Problem, dass ein Hauskauf eben mehr als der Erwerb des entsprechenden Wohnrechts ist. Darum gehen wir davon aus, dass sich die EZB am Ende für eine höhere Gewichtung der Mieten aussprechen wird. Hierfür spricht auch, dass die EZB den HVPI zu Beginn ihrer Tätigkeit auch deshalb als das für sie maßgebliche Inflationsmaß ausgewählt hatte, da er schnell verfügbar ist und nie revidert wird. Beides stände – wie oben dargelegt – in Frage, wenn man bei der Berechnung der Kosten für selbstgenutztes Wohneigentum in irgendeiner Form die Häuserpreise heranziehen würde.

… aber bis dahin dürfte es noch etwas dauern

Allerdings kann die EZB über eine solche Änderung des HVPI nicht alleine entscheiden. Denn berechnet wird der HVPI von Eurostat, und einer solchen Änderung der Erhebungsmethode muss nicht nur die EU-Kommission, sondern formell auch das Europäische Parlament und der Europäische Rat zustimmen. Außerdem sind diese Überlegungen keineswegs neu, sondern die EZB hatte schon früher Anläufe unternommen, um den HVPI entsprechend zu ändern, war damit aber am hinhaltenden Widerstand der Kommission gescheitert, die dabei auf methodische Probleme verwies. Darum dürfte die Änderung des HVPI noch einige Zeit auf sich warten lassen, und aus den beschriebenen Gründen dürfte sich der Effekt auf die Teuerungsrate sehr in Grenzen halten.

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[1] Eurostat veröffentlicht Zahlen für den OOH nur für einzelne Länder (mit Ausnahme Griechenlands, für das auch keine Daten zu der Entwicklung der Häuserpreise ausgewiesen wird). Wir haben bei der Berechnung eines Euroraum-Aggregats die gleichen Ländergewichte verwendet, die auch bei der Aggregation der nationalen HVPIs verwendet werden.
[2] Bei der Bestimmung des Gewichts des OOH in einem erweitereten HVPI haben wir uns am Anteil der unterstellten Mieten für Wohnungen am privaten Konsum im Euroraum orientiert. Dieser belief sich im Jahr 2018 inklusive Ausgaben für Instandhaltung, die im OOH auch berücksichtigt sind, auf 13,3%. Im HVPI ohne Energie, Nahrungs- und Genussmittel ergäbe sich damit ein Gewicht von etwa 18%.
[3] Berücksichtigt werden im OOH nur Gebäude, die neu in den Besitz der privaten Haushalte gelangt sind, entweder durch Neubau oder durch den Erwerb von Unternehmen oder vom Staat. Nicht erfasst werden also Transaktionen zwischen privaten Haushalten, wodurch der Erwerb bestehender Häuser in den meisten Ländern beim OOH eine vernachlässigbare Größe sind.
[4] So haben Mieten im deutschen HVPI, bei dem nur die tatsächlich gezahlten Mieten berücksichtigt werden, nur einen Anteil am Warenkorb von 10,7%, während er im nationalen Index, der auch das selbstgenutzt Wohneigentum berücksichtigen soll, mit 20,7% fast doppelt so hoch ist.

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