Der organisierte Sport in der „Corona“-Krise
Der Staat als Helfer in der Not?

Ausgangslage

Die Maßnahmen der öffentlichen Stellen zur Reduzierung der Covid-19-Problematik beeinträchtigen das Berufs- und Alltagsleben der Bevölkerung und werden teils heftig diskutiert. Auch der Sport bleibt von dieser Entwicklung nicht ausgenommen. Vielmehr schlagen sich die Maßnahmen auf der gesamten Bandbreite der Sportorganisationen nieder – sowohl der in Vereinen und Verbänden organisierte Sport als auch der ungebundene Sport, wie er etwa in Fitnessstudios ausgeübt wird. Es ist offensichtlich, dass der von der Exekutive beabsichtigte Gesundheitsschutz durchaus teuer erkauft wird. Wenngleich die erwarteten materiellen und immateriellen Kosten für Bürger und Organisationen bislang noch kaum beziffert werden können, dürften sich die sozialen, ökonomischen und psychischen Folgen der abrupten Stilllegung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens doch mittelfristig ihren Weg bahnen.

Der Gesetzgeber hat nun mit verschiedenen Maßnahmen reagiert, um die negativen ökonomischen Auswirkungen der Pandemie zu mildern (Bundesministerium der Finanzen 2020). Insbesondere werden kurzfristige Liquiditätshilfen größtenteils unbürokratisch bereitgestellt, um drohende Zahlungsunfähigkeit und damit die Insolvenz abzuwenden. Nach dem ökonomischen Verhaltensmodell (etwa Kirchgässner 2013) reagieren Individuen systematisch auf Anreize, die ihren subjektiven Möglichkeitsraum verändern. Es ist dabei nicht zu verhindern, dass die Unterstützungsmaßnahmen, die notgedrungen nach dem Gießkannenprinzip erfolgen, auch negative Anreize bspw. für Missbrauch setzen. Möglicherweise werden auch wenig tragfähige Geschäftsmodelle kurzfristig auf künstliche Weise am Leben gehalten. Dies ist selbstverständlich kein originäres Problem der Covid-19-Pandemie, vielmehr sind derartige unerwünschten Effekte wie die Beeinträchtigung des Wettbewerbs, die Behinderung von Innovationen und die Abbremsung des Strukturwandels Konsequenzen, wie man sie etwa aus der massiven Subventionierung einzelner Branchen kennt (etwa Oberender 1987a; 1987b; Kortmann 2004).

Es war daher nur eine Frage der Zeit, bis vermehrt Forderungen aus dem Sport nach einer zusätzlichen Unterstützung, die auch schon teilweise erfüllt werden (z. B. Hessisches Ministerium des Innern und für Sport 2020, Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen 2020). Es stellt sich die Frage nach der ökonomischen Beurteilung dieser Forderungen. Zunächst kann festgehalten werden, dass ein staatlicher Eingriff in einen Markt allenfalls nach einer sorgfältigen Abwägung zwischen dem erwarteten Nutzen und den erwarteten Kosten gerechtfertigt werden kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Kosten der Maßnahme von der Gesamtheit der Steuerzahler getragen werden, der Nutzen jedoch von einzelnen Individuen konsumiert wird. Im Kern lässt sich die Legitimität einer staatlichen Unterstützung des organisierten Sports nur beantworten, wenn die Frage nach dem Nutznießer der Maßnahmen geklärt ist.

Ökonomische Analyse

Befürworter einer finanziellen Unterstützung des organisierten Sports könnten anführen, dass der Sport Kollektivgüter produziere, die durch Nicht-Ausschließbarkeit von der Nutzung und durch fehlende Rivalität bei der Nutzung aus (Samuelson 1954) charakterisiert sind.

Durch die Nicht-Ausschließbarkeit können externe Effekte in positiver Form (der Dritte hat einen Vorteil) oder aber in negativer Form (der Dritte hat einen Nachteil) auftreten. Wird beispielsweise ein Fußballstadion gebaut, ist die meist mit einer sehr guten Verkehrsinfrastruktur verbunden, woraus Anwohner einen Nutzen ziehen. Negative externe Effekte besteht jedoch in einer Beeinträchtigung: So haben Anwohner eines Fußballstadions mit erheblichen Geräuschemissionen, einem hohen Abfallaufkommen und Staus zu kämpfen, ohne dass sie dafür entsprechend finanziell kompensiert werden (hierzu etwa Mause 2020).

Es wäre demzufolge zunächst zu prüfen, ob derartige Charakteristika beim Sport in seiner Allgemeinheit anzutreffen sind. Diverse Studien indizieren positive Gesundheitswirkungen des Sports (1) (für viele z. B. Fiuza-Luces et al. 2018). Zudem werden mit dem organisierten Sport sozio-edukatorische (2) und ökonomische Effekte (3) assoziiert (Bundesregierung 2019: 15), die als Begründung für eben diesen Ausnahmebereich und damit für eine staatliche Förderung herangezogen werden:

Diese Argumente sollen im Folgenden kurz beleuchtet und im Hinblick auf ihre konstitutive Eigenschaft zur Rechtfertigung eines Ausnahmebereichs analysiert werden.

Ad 1)   Die Auswirkungen des Sports auf die Gesundheit sollte differenziert betrachtet werden: Medial werden zwar insbesondere die positiven Wirkungen des Sports auf die Gesundheit präsentiert, es gehört jedoch zu einer ausgewogenen Analyse, dass auch das Risiko von Sportverletzungen, die zu Kosten bei Sporttreibenden, Arbeitgebern und Krankenkassen führen (Hockenjos 1995: 116). Die Sachlage ist demnach unterschiedlich zu beurteilen, je nachdem ob ein Individuum an vier Tagen in der Woche 45 Minuten Bahnen schwimmt oder eine Risikosportart betreibt. Zudem ist eine Differenzierung zwischen Breiten- und Leistungssport erforderlich. So zeigt Thieme (2020) für deutsche Olympiamannschaften von 1956-2016, dass die Teilnehmer im Vergleich zur gesamten Bevölkerung eine höhere Sterberate aufweisen.

Unabhängig davon, ob nun eher der der Gesundheit zuträgliche oder aber der der Gesundheit abträgliche Effekt des Sports überwiegt, ist der betroffene davon in erster Linie der ausübende Sportler selbst. Es liegt also kein originär externer Effekt beim Sportreiben vor: Der Sportler verbessert, wenn keine Sportverletzungen auftreten, seine eigene Gesundheit und nicht die Dritter (Gratton und Taylor 2001: 104 ff., Langer 2006: 162 ff.). Das Hilfsargument, durch das Sporttreiben werde die gesetzliche Krankenkasse entlastet, wodurch ein positiver externer Effekt für die anderen Versicherten auftrete, ist nicht nur wegen der zu beobachtenden Sportverletzungen zurückzuweisen.

Ad 2)   Sozio-edukatorische Effekte des Sports werden im Wesentlichen in den folgenden Bereichen identifiziert: So wird vermutet, Sport

  • vermittle gesellschaftlich bedeutsame Normen (z. B. Unterordnung unter demokratische Entscheidungsstrukturen, Akzeptanz bestehender Regelwerke, Akzeptanz des Leistungsprinzips),
  • trage zur Integration unterschiedlichster Bevölkerungsgruppen und
  • zur Gewaltprävention bei.

Tatsächlich gibt es für diese sozio-edukatorischen Effekte kaum empirische Nachweise (Pawlowski und Breuer 2012: 164 ff.): So scheint die Einübung gesellschaftlich bedeutsamer Normen empirisch unerheblich zu sein; vielmehr lässt sich hier eine Vielzahl von Regelübertretungen etwa in Form des Dopings und des Game Fixings feststellen. Zudem ist die Bilanz des Sports bei der Gewaltprävention durchwachsen; so führt Sport in manchen Fällen gar erst zu Gewalt oder zumindest ermöglicht er diese (Gratton und Taylor 2001: 109 ff., Langer 2006, Ohlert et al. 2018). Im Zusammenhang mit der Integration unterschiedlichster Bevölkerungsgruppen durch den Sport zeigt sich ebenfalls keine eindeutige Wirkungsrichtung: Sport integriert, aber er exkludiert auch (Smith et al. 2019). Insofern müssen offenbar die sozio-edukatorischen Effekte des Sports in seiner Gesamtheit wohl eher als unbedeutend angesehen werden. Einen Ausnahmebereich damit zu rechtfertigen gelingt somit nicht.

Ad 3)   Freilich gehen vom Sport auch ökonomische Effekte aus: Manche Facetten des Sports haben eine durchaus größere ökonomische Bedeutung wie etwa der Profi-Fußball (hierzu etwa Vöpel und Quitzau 2009; Follert 2018) oder internationale Sportgroßveranstaltungen (zu einer differenzierten Darstellung der ökonomischen Effekte der WM 2006 siehe Maennig 2007; Effekte auf den Tourismus, die Beschäftigung oder kleine Unternehmen werden empirisch untersucht z. B. bei Baumann & Matheson 2017; Hotchkiss et al. 20117; Duignan 2019). Nun reicht aber die ökonomische Bedeutung für sich allein nicht aus, um hier einen Ausnahmebereich zu rechtfertigen. Würde man diesen Gedanken nämlich weiterentwickeln, so wäre jeder Wirtschaftsbereich ab einer bestimmten Größe zu fördern.

Der organisierte Sport im Spagat zwischen Sportlern und Politikern

Als Argument für eine staatliche Unterstützung des organisierten Sports könnte jedoch sprechen, dass Sportorganisationen zwar vordergründig, d.h. gemäß ihren Satzungszielen der Förderung des Sports und damit den Interessen ihrer Mitglieder verpflichtet sind, der Sport jedoch zunehmend gesellschaftspolitische Aufgaben übernimmt. Emrich, Koch und Anthonj (2014) interpretieren bspw. die Position von Landessportverbänden als Common Agency. Kennzeichnend für diese institutionenökonomische Interpretation ist, dass die Organisation einerseits Agent ihrer Mitglieder und andererseits in zunehmendem Maße Agent der Exekutive ist (Emrich, Koch und Anthonj 2014). Problematisch daran könnte sein, dass der Sport dazu genutzt wird, „sozialpolitische Wünsche der Landesregierung“ (Emrich, Koch und Anthonj 2014: 20) zu bearbeiten, die nicht zu seinen originären Organisationszielen gehören. Insbesondere die in (2) diskutierten Themen Integration, Gewaltprävention und Inklusion beschäftigen den organisierten Sport seit Jahren und es liegt nicht fern zu argumentieren, dass gesellschaftspolitische Aufgaben ausgelagert werden, dem Sport dadurch Kosten entstehen, da sich die Ressourcenallokation der Organisation bei einem festen Zeitbudget notwendigerweise zulasten der satzungsmäßigen Aufgaben ändert. Sollte diese These sich empirisch bestätigen lassen, wäre dies sicherlich ein Argument, dass der Staat den organisierten Sport als seinen Agenten entsprechend unterstützen sollte.

Zusammenfassung

Fasst man die Ergebnisse zusammen, so zeigt sich, dass der Sport wohl eher keinen Ausnahmebereich darstellt und sich damit eine besondere staatliche Unterstützung – auch in Zeiten von COVID-19 – nicht begründen lässt. Freilich erzeugt der Sport einen sehr hohen individuellen Nutzen, sonst würden nicht so viele Menschen Sport treiben oder Sport in den Medien oder vor Ort verfolgen. Die Effekte des Sports kommen aber in erster Linie und offensichtlich ausschließlich denjenigen zugute, die ihn auch selbst ausüben oder sportliche Wettkämpfe als Unterhaltungsdienstleistung konsumieren. Die Situation sollte auch genutzt werden, um das Verhältnis zwischen Staat und organisiertem Sport zu diskutieren. Kommt es nicht zu einer staatlichen Unterstützung, verbessert dies künftig die Verhandlungsposition des Sports gegenüber öffentlichen Stellen, sodass sich der Sport wieder vermehrt seinen originären Aufgaben nachkommen könnte.

Literatur

Baumann, Robert/Matheson, Victor (2017): Mega-events and tourism: The case of Brazil. Contemporary Economic Policy. Vol. 36. S. 292–301.

Bundesregierung (2019): 14. Sportbericht der Bundesregierung. Deutscher Bundestag (2019), Drucksache 19/9150 19. Wahlperiode 04.04.2019.

Duignan, Mike (2019). London´s local Olympic legacy. Journal of Place Management and Development. Vol. 12, S. 142–163.

Emrich, Eike/Koch, Michael/Anthonj, Pierre (2014): Eine Bestandsaufnahme für die Gegenwart: Zum Verhältnis von Sport und Politik in der Region Rheinland-Pfalz. Diskussionspapier des Europäischen Instituts für Sozioökonomie Nr. 7.

Fiuza-Luces, Carmen et al. (2018): Exercise benefits in cardiovascular disease: beyond attenuation of traditional risk factors. Nature Reviews Cardiology. Vol. 15. S. 731–743.

Follert, Florian (2018): Ökonomisierung des Fußballs. Das Wirtschaftsstudium. 47. Jg. S. 668–670

Gratton, Chris/Taylor, Peter (2001): Economics of Sport and Recreation. London, New York: Routledge.

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Hotchkiss, Julie L. / Moore, Robert E./Rios?Avila, Fernando (2015). Reevaluation of the Employment Impact of the 1996 Summer Olympic Games. Southern Economic Journal. Vol. 81. S. 619–632.

Kirchgässner, Gebhard (2013): Homo Oeconomicus. 4. Aufl. Tübingen: Mohr Siebeck.

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Oberender, Peter (1987a): Möglichkeiten und Grenzen staatlicher Technologieförderung: Eine ordnungspolitische Analyse. Zeitschrift für Sozialwissenschaft. 15. Jg. S. 127–145.

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Ohlert, Jeannine/Seidler, Corinna/Rau, Thea et al. (2018): Sexual violence in organized sport in Germany. German Journal of Exercise and Sport Research. Vol. 48. S. 59–68. DOI: 10.1007/s12662-017-0485-9.

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Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen (2020): „Soforthilfe Sport“ für notleidende Sportvereine in der Corona-Krise. Zugriff am 15. Mai 2020 unter: https://www.land.nrw/de/pressemitteilung/soforthilfe-sport-fuer-notleidende-sportvereine-der-corona-krise.

Thieme, Lutz (2020): Jung stirbt, wen die Götter lieben? Zur Mortalität deutscher Olympiateilnehmer 1956 bis 2016. German Journal of Exercise and Sport Research. 50. Jg. 280–296: DOI: 10.1007/s12662-020-00654-x.

Vöpel, Henning/Quitzau, Jörn (2009): Strategie 2030 – Wirtschaftsfaktor Fußball. Studie der Berenberg Bank und des HWWI. Zugriff am 16. Mai 2020 unter: http://www.hwwi.org/fileadmin/hwwi/Publikationen/Partnerpublikationen/Berenberg/Strategie-2030_Wirtschaftsfaktor-Fussball.pdf.

Frank Daumann und Florian Follert

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