Lollipop-Politik in der Finanzkrise? Nein danke!

Die Welt der Wirtschaftspolitik wird gerade auf den Kopf gestellt. Alte Regeln werden über Bord geworfen. Wirtschaftspolitische Glaubenssätze von gestern ersetzen tradiertes Wissen. Der neue Nobelpreisträger Paul Krugman hat es kürzlich so formuliert: Tugend wird zum Laster, Vorsicht zum Risiko, Klugheit zur Dummheit. In einer Depressions-Ökonomie würden bisherige Rezepte nicht mehr helfen. Märkte hätten ihre Selbstheilungskräfte verloren. Helfen könne nur noch der Staat mit einer expansiven Fiskalpolitik. Dabei dürfe es nicht nur ein bisschen mehr sein, es müsse viel mehr sein. Der Staat müsse klotzen, nicht kleckern. Nur so lasse sich die Misere bekämpfen.

Unruhige Zeiten

Trotz wirtschaftspolitischer Zeitenwende hat sich aber eines nicht verändert. Gut ist Wirtschaftspolitik zu allen Zeiten nur, wenn sie an den Ursachen der Probleme ansetzt und nicht an Symptomen kuriert. Die Ursachen sind heute der Verfall der Häuserpreise in den USA und der weltweite konjunkturelle Abschwung. Erst das Gemisch aus beidem macht die Lage so explosiv. „Toxische“ Finanzprodukte in den Bilanzen der Banken schmelzen nicht nur deren Eigenkapital ab, sie lähmen auch den Interbanken-Markt. Beides schränkt die Möglichkeiten der Banken erheblich ein, Kredite zu vergeben. Eine spürbare Kreditklemme beschleunigt den wirtschaftlichen Abschwung, der auch ohne Finanzmarktkrise eingetreten wäre, allerdings gefährlich.

Eine expansive Geldpolitik, die bewährte Medizin in Phasen des konjunkturellen Abschwungs, scheint nicht mehr anzuschlagen. Die amerikanische Federal Reserve hat ihr zinspolitisches Pulver nicht trocken gehalten. Nun rächt sich die viel zu expansive Geldpolitik in wirtschaftlich guten Zeiten. Aber auch ihr geht die Munition nicht aus, wie die „quantitativen“ Lockerungsübungen zeigen. Die fiskalischen Risiken einer solchen „innovativen“ Geldpolitik sind allerdings erheblich. Aber auch die vernünftige Geldpolitik der EZB scheint weniger wirksam. Selbst massive Zinssenkungen verpuffen, weil sie das Misstrauen der Banken untereinander nicht abbauen. Damit kommt der Interbanken-Markt nicht recht in Schwung. Die von den Notenbanken zur Verfügung gestellt massenhafte Liquidität wird offensichtlich nicht über mehr Kredite an den realen Sektor weitergereicht.

Stunde der Fiskalpolitik?

Das ist für viele die Stunde der expansiven Fiskalpolitik. Fehlende private Nachfrage müsse temporär möglichst schnell und zielgerichtet durch staatliche ersetzt werden, lautet das Credo. Wegen der Schwere der Krise seien deutlich sichtbare fiskalische Wegmarken zu setzen. Die Erfahrungen der Vergangenheit sind allerdings ernüchternd. Weder temporär steigende staatliche Ausgaben noch zeitlich befristet sinkende Steuern haben das Bruttosozialprodukt jemals nachhaltig nennenswert erhöht. Das gilt auch für die Steuerschecks, die im Frühjahr 2008 in den USA verteilt wurden. Die Hoffnungen auf eine nachhaltige Wende der Konsumnachfrage erfüllten sich nicht.

Die Erfahrung zeigt, einmalige Finanztransfers bewirken kaum etwas. Kurzfristig erhöht sich zwar die Nachfrage nach Konsumgütern. Dieser Lollipop-Effekt, ist nur ein Strohfeuer. Und er war bei den amerikanischen Steuerschecks nicht mal besonders groß, weil 80 % der Steuernachlässe gespart wurden. Höhere Ersparnisse sind nicht schlecht, ganz im Gegenteil. Sie sind der Humus, auf dem über den Tag hinaus wirtschaftlicher Wohlstand gedeiht. Nur konjunkturpolitisch kann man mit ihnen wenig Staat machen. Die ernüchternde Erkenntnis ist: Mittel- und langfristig gab es bei temporär expansiver Fiskalpolitik immer nur einen Effekt. Der staatliche Schuldenberg war größer als zuvor. Konjunkturpolitik ist weitgehend wirkungslos, die Kosten tragen zukünftige Generationen. Eine Fiskalpolitik wirkt nur nachhaltig, wenn sie dauerhaft und vorhersagbar ist.

Wurzel des Übels

Wer den wirtschaftlichen Abschwung wirksam abbremsen will, darf nicht Akupunktur mit der groben fiskalpolitischen Gabel betreiben. Er muss vielmehr versuchen, die Finanzmarktkrise in den Griff zu bekommen. Der Harvard-Ökonom Martin Feldstein, will das Übel an der Wurzel packen. Er schlägt vor, den 12 Millionen amerikanischen Hauseignern, deren Hypothekenschulden den Marktwert ihrer Häuser übersteigen, finanziell spürbar unter die Arme zu greifen. Die Anreize steigen, die Kredite zu tilgen. Im günstigsten Fall gelingt es, einen unkontrollierten, überschießenden Verfall der Immobilienpreise aufzuhalten. Die Ansteckungsgefahr für den Rest der Volkswirtschaft wird verringert. Allerdings gibt es auch Risiken und Nebenwirkungen solcher und ähnlicher Programme. Der Anpassungsprozess auf dem Häusermarkt wird behindert, ein Teil der Schuldner weicht aus, die Belastungen für den Steuerzahler sind erheblich.

Erst wenn der Preisverfall auf dem amerikanischen Häusermarkt zum Stillstand kommt, lassen sich die zweifelhaften Papiere wieder verlässlicher bewerten. Die Bilanzen der Banken werden transparenter, das Misstrauen untereinander schwindet, der Interbanken-Markt kommt wieder in Gang, eine expansive Geldpolitik wird wieder wirksam, die Gefahr einer Kreditklemme sinkt. Das alles verringert die Fallhöhe des konjunkturellen Abschwungs. Bis dahin wäre es aber selbst dann ein langer Weg, wenn Vorschläge à la Feldstein unverzüglich in die Tat umgesetzt würden und die Risiken und Nebenwirkungen solcher Programme sich in Grenzen hielten. Es ist deshalb weiter notwendig, den Finanzsektor zu stabilisieren. Das muss absolute Priorität haben. Ohne staatliche Hilfe wird es allerdings nicht gelingen.

Neue Politik

Die Art der staatlichen (Notfall-)Hilfe ändert sich allerdings seit Ausbruch der Krise fast wöchentlich. Kein Wunder bei dem, was wir nicht wissen. Der Systemwettbewerb wirkt als hilfreiches Entdeckungsverfahren. Regierungen lernen voneinander. Zunächst stärkten sie die Eigenkapitalbasis der Banken teils mit, teils ohne deren Zustimmung. Um den Preis für die Steuerzahler zu minimieren, hat Greg Mankiw aus Harvard vorgeschlagen, für jeden Dollar frischen privaten Eigenkapitals steigt der Staat selbst temporär nachrangig mit einem bestimmten Betrag ein. Die Warren Buffets sind allerdings rar geworden. Eine Rekapitalisierung stärkt zwar die Abwehrkräfte der Banken in der Krise, das herrschende gegenseitige Misstrauen löst sie allerdings nur teilweise und sehr langsam auf.

In einer anderen Variante tritt der Staat als Versicherer des Systemrisikos auf. Er versichert „toxische“ Papiere gegen eine Prämie und eine spürbare Selbstbeteiligung der Banken. Diesen Weg, der im deutschen Finanzmarktstabilisierungsgesetz für risikobehaftete Bilanzpositionen vorgesehen ist, scheinen nun auch die USA spätestens seit dem zweiten Rettungsplan der Citigroup einschlagen zu wollen. Auch eine stärkere staatliche Absicherung für den Geldhandel zwischen den Banken ist denkbar, allerdings nicht kostenlos. Damit gelingt es eher, das seit Lehmann verloren gegangene Vertrauen der Banken untereinander wieder aufzubauen. Der Interbanken-Markt fasst wieder Tritt. Wie der Aufkauf von Commercial Papers durch die Fed zeigt, können temporär auch direktere Kreditbeziehungen der Notenbanken zum privaten Sektor notwendig sein. Tatsächlich braucht man beides, eine Rekapitalisierung der Banken und eine möglichst anreizkompatible staatliche Versicherung des Systemrisikos.

Fazit

Jede Politik, die hilft, den Finanzmarkt zu stabilisieren, ist einer irrlichternden, ungezügelten Lollipop-Fiskalpolitik vorzuziehen, bei der alle fiskalischen Dämme brechen. Wir wissen einfach zu wenig, ob eine massive Fiskalpolitik wirklich hilft oder nur das inter-generative Desaster vergrößert. Zu denken geben sollte allerdings, dass die empirischen Befunde simple keynesianische Glaubenssätze in Frage stellen. Damit gleichen aber die flächendeckend geforderten massiven fiskalpolitischen Aktivitäten einem wilden Ballern auf bewegliche Scheiben im dichten wirtschaftlichen Nebel. Stabilere Finanzmärkte sind auch konjunkturell das A und O. Darauf sollte sich die Politik konzentrieren und nicht auf den zweifelhaften großen fiskalpolitischen Wurf. Dann klappt es auch wieder mit der Geldpolitik. Ein tiefgreifender rezessiver Absturz kann verhindert werden.

Eine Antwort auf „Lollipop-Politik in der Finanzkrise? Nein danke!“

  1. Gute Wirtschaftspolitik unterscheidet sich noch immer von schlechter durch Langfristorientierung und allgemein verbindliche Regeln. Gute Wirtschaftspolitik zielt gerade nicht auf konjunkturelle Auf-und-Abs. Gute Wirtschaftspolitik dient nicht Sonderinteressen wie Autobauern oder Hausbesitzern. Diese Lektion in Wirtschaftspolitik von Henry Hazlitt sollte gerade jetzt als Vorbild dienen.

    Dies lässt sich an einem Aspekt verdeutlichen, der in Ihrem Beitrag zu kurz kommt: Die Wirtschaft ist als Teil der Gesellschaft keine Sozialmaschine, deren Geschwindigkeit und Produktionsausstoß beliebig angekurbelt, geschweige denn zentral gesteuert werden kann. Es sei denn unter Inkaufnahme der bekannten verheerenden Folgen. Die Preise zeigen uns längst eine Knappheits- und Bedürfnisrealität, gegen die sich politisch zu stemmen kontraproduktiv ist. Preise sagen uns was wir zu tun haben. Und oft ist dies etwas anderes als wir beabsichtigt haben. So lautet Hayeks nicht zu überschätzende Erkenntnis über das Wesen des Preissystems.

    Im Einklang mit der österreichischen Geld- und Konjunkturtheorie sollten wir die Volksweisheit befolgen: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Dies gilt für Autobauer, Preisverfall bei Immobilien und Bankenrekapitalisierung wie Schrottkredite – zumal die Politik das zu stabilisieren versucht, was sie zuvor destabilisiert hat. In besonders folgenreicher Weise trifft dies auf die (US-)Geldpolitik zu.

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