Kurz kommentiert
„Wer soll das bezahlen“?
Die Ausweitung des Strafgesetzbuches bei terroristischen Vereinigungen als ordnungspolitisches Problem

Vor dem Kammergericht wird gerade gegen einen Iraker verhandelt, der offenbar dem sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) verbunden ist und der sich in Deutschland aufhält. Ihm wird zur Last gelegt, im Irak mutmaßlich an der Tötung eines irakischen Offiziers beteiligt gewesen zu sein. Der Iraker ist u.a. angeklagt wegen

  • Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§§ 129a, 129b StGB),
  • mittäterschaftlichen Mordes (§ 211 StGB) und
  • Kriegsverbrechen gegen Personen (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB).

Es liegt also ein Sachverhalt vor, bei dem es sich sowohl beim Opfer als auch beim mutmaßlichen Täter um einen irakischen Staatsangehörigen handelt und die Tat im – aus deutscher Sicht – Ausland (hier im irakischen Mossul) begangen wurde. Bislang wurde an rund 120 Tagen verhandelt.

Nun findet das deutsche Strafrecht regelmäßig Anwendung, wenn die Tat – unabhängig davon, welcher Staatsangehörigkeit Opfer oder Täter sind – im Inland begangen wird oder, sofern die Tat nicht auf deutschen Hoheitsgebiet stattgefunden hat, es sich entweder beim Täter und/oder beim Opfer um deutsche Staatsangehörige handelt.

Eine Ausdehnung der Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts erfolgt jedoch (unter anderem) im Zusammenhang mit einer Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland: Auch im Falle, daß sowohl Täter als auch Opfer nicht-deutscher Staatsangehörigkeit sind und die Tat im Ausland erfolgte, ist hier das deutsche Strafrecht unter bestimmten Voraussetzungen anwendbar.

Damit ein Strafverfahren eingeleitet werden kann, muß zuerst eine Strafverfolgungsermächtigung vorliegen und darüber hinaus der hinreichende Tatverdacht bestehen, daß die Vorrausetzungen zur Annahme einer terroristischen Vereinigung im Sinne des § 129a StGB gegeben sind.

Einschlägig für die Strafverfolgungsermächtigung ist § 129b StGB, der ausführt, daß „die Tat nur mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz verfolgt“ wird (§ 129b Abs. 1 Satz 3 StGB). Weiter heißt es hier (§ 129b Abs. 1 Satz 5 StGB): „Bei der Entscheidung über die Ermächtigung zieht das Ministerium in Betracht, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen.“

Mit anderen Worten erstellt das Justizministerium eine Art „Schwarze Liste“, auf der bestimmte als besonders gefährlich eingeschätzte terroristische Vereinigungen zu finden sind. Zu diesen zählen neben dem sogenannten „Islamischen Staat“ etwa „al-Qaida“, „al-Aqsa“, „Liberation Tigers of Tamil Eelam“ etc. Freilich gibt es auch andere Gruppierungen, die den strafrechtlichen Kriterien zur Qualifizierung als terroristische Vereinigung durchaus entsprechen, aber nicht auf dieser Liste zu finden sind.

Das Justizsystem inklusive der Strafverfolgungsbehörden wird in der Bundesrepublik Deutschland durch den Staat zur Verfügung gestellt und aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert. Im Sinne eines effizienten Einsatzes knapper Ressourcen muss ein Rechtssystem neben Gerechtigkeitsaspekten und dem Schutz der Bevölkerung – genauer, dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit und dem Privateigentum der Bürger – diesem Nutzen auch die Kosten, welche durch die Bereitstellung entstehen, gegenüberstellen. Der Sachverhalt soll daher einer kurzen ökonomischen Analyse unterzogen werden.

Dabei ist die Übernahme der Kosten eines derartigen Verfahrens – vergleichbar mit anderen Gerichtsverfahren – wie folgt geregelt: Prinzipiell sieht die Strafprozeßordnung (§ 465 StPO) vor, daß der Verurteilte die Kosten des Verfahrens zu tragen hat. Bei den Kosten handelt es sich um die Gerichtskosten und sonstigen Verfahrenskosten. Hinzu kommen noch die eigenen Rechtsanwaltskosten sowie die Kosten für Sachverständige und Zeugen. Insbesondere bei einem Verfahren mit Auslandsbezug können erhebliche Kosten für Übersetzungsleistungen anfallen.

Im Falle der Nichtverurteilung werden die Kosten durch die Staatskasse und somit vom Steuerzahler getragen. Freilich setzt die Übernahme der Kosten durch den Verurteilten voraus, daß dieser über einen ausreichenden finanziellen Hintergrund verfügt, der aber bei Angehörigen terroristischer Gruppierungen nur selten gegeben sein dürfte, insbesondere weil sich die Auftraggeber aller Voraussicht nach keinen zukünftigen Nutzen mehr von dem gefassten Mitglied erwarten, was dessen „Wert“ für die Hintermänner reduziert

Aus ordnungsökonomischer Sicht stellt sich in diesem Zusammenhang offensichtlich die nur prima facie provokante Frage, warum das deutsche Strafrecht derart ausgeweitet wurde und warum die deutsche Staatskasse und damit der Steuerzahler dafür aufkommen soll.

Die Bekämpfung von Verbrechen kann als Kollektivgut angesehen werden, von dem jeder Bürger dieses und auch anderer Länder profitiert, es herrscht grundsätzlich keine Rivalität in der Nutzung und Nicht-Ausschließbarkeit. Wenn wir zunächst einmal davon ausgehen, daß international unstrittig wäre, wie eine „terroristische Vereinigung“ möglichst trennscharf zu definieren ist, dann wäre es eigentlich hier naheliegend, daß die Kosten der Verhandlung und bei Verurteilung die Kosten der Verwahrung nicht durch den Staat getragen werden, in dem die Verhandlung stattfindet und der den Verurteilten verwahrt, sondern daß derartige Kosten von der Staatengemeinschaft insgesamt zu tragen wären, zumal durch die Verurteilung und Inhaftierung auch alle anderen Staaten davon profitieren. Eine solche Aufteilung auf die Nutzenträger wäre bereits dadurch zu rechtfertigen, dass die Kosten der Festnahme bereits im Inland angefallen sind, wenngleich diese oftmals das Ergebnis internationaler Zusammenarbeit der Ermittlungsbehörden darstellt.

Im realistischen Falle, daß es international umstritten ist, ob eine bestimmte Vereinigung terroristischer Natur ist (sicherlich hat bspw. die Regierung des Irans zu bestimmten Gruppierungen hier eine gänzlich andere Meinung als die Exekutive der USA – was grundsätzlich noch nichts über die Einschätzung der Bevölkerung aussagt), verändert sich der Sachverhalt. Aber auch hier profitiert durch die Verhandlung und anschließende Verwahrung wahrscheinlich nicht nur ein Staat, sondern eine Gruppe von Staaten. Es wird also eine Art Clubgut produziert. Auch hier wäre es also naheliegend, die bei der Produktion entstehenden Kosten zwischen den Clubmitgliedern aufzuteilen. In der Clubtheorie ist es selbstverständlich, dass die Mitglieder, also die Konsumenten des Clubguts, für dessen Produktion zahlen. Wenn sich Staaten mit gemeinsamen Wertvorstellungen zusammenschließen, um bspw. Gefahren für Leib und Leben ihrer Bürger abzuwenden, sollten alle an den Kosten dieses Unterfangens beteiligt werden. Nun könnte argumentiert werden, daß sich derartige Kostenvorlagen durch einzelne Staaten im Laufe der Zeit dadurch amortisieren, daß auch andere Länder Gerichtsverfahren „für“ den Club durchführen und somit ein Ausgleich stattfindet. Dieses Argument trägt jedoch nur, wenn

  • alle Mitgliedsländer des Klubs eine korrespondierende Norm in ihr Strafgesetzbuch aufnehmen und
  • Die Festnahmewahrscheinlichkeit in den verschiedenen Staaten gleichverteilt wäre.

Aus Sicht der ökonomischen Rechtsanalyse, die einen besonderen Fokus auf die Effizienz des Justizsystems legt, wäre eine Konkretisierung der Regelung wünschenswert, so daß ebenfalls die Kostenaspekte berücksichtigt werden.

Frank Daumann und Florian Follert

Eine Antwort auf „Kurz kommentiert
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Die Ausweitung des Strafgesetzbuches bei terroristischen Vereinigungen als ordnungspolitisches Problem

  1. Grundsätzlich finde ich die Überlegungen nachvollziehbar, jedoch übersehen sie einen wichtigen Aspekt, der in der ökonomischen Theorie des (transnationalen) Terrorismus eine durchaus prominente Rolle spielt. Das Argument, das von den Autoren vorgebracht wird, lässt sich zu einem Problem positiver Externalitäten vereinfachen. Der deutsche Staat zieht auf eigene Kosten Terroristen aus dem Verkehr, die nicht nur hier, sondern auch anderswo Schaden anrichten könnten. Man kann das Ganze aber auch umdrehen: indem Deutschland potenziellen Terroristen signalisiert, dass sie hier besonders intensiv verfolgt und hart bestraft werden, werden diese Personen abgeschreckt und begeben sich in anderen Staaten, in denen sie ihre Aktivitäten gefahrloser und effektiver durchführen können (Weakest-Link-Problem). Die deutsche Strafverfolgung schafft also eine negative Externalität für die Nachbarstaaten. Nach dieser Logik müsste Deutschland die Nachbarn also für sein eigenes Handeln kompensieren… Das Problem mag in dem hier beschriebenen Fall des Irakers vielleicht nicht besonders realistisch erscheinen, es ist aber höchst relevant, wenn es um einzelstaatlich veranlasste Antiterror- oder mit den Terrorismus-Argument begründete Zuwanderungspolitiken geht.

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