Gastbeitrag
Kann die Politik den digitalen Strukturwandel aufhalten?

Kürzlich hat die CDU den Vorschlag gemacht, den Online-Handel zu besteuern, um den Einzelhändlern zu helfen. Warum das keine gute Idee ist.

In der Vorweihnachtszeit wurde der Vorschlag zweier Politiker der Christlich-Demokratischen Union (CDU) bekannt, den Online-Handel linear zu besteuern, um mit diesen Zusatzeinnahmen den gebeutelten Einzelhändlern in den Innenstädten zu helfen. Diese Initiative ist auch als eine Reaktion auf die Probleme der Einzelhändler im Zuge der Coronakrise gemeint.

Es gibt auch gleich relativ vorhersehbare Reaktionen: Die Sozialdemokraten (SPD) jubelten, dass die CDU endlich begriffen hätten, dass auch Internetgiganten Steuern zahlen müssten. Bei den Grünen hielt man sich zurück. Dennoch dürfte der Vorstoß auf Zustimmung bei denen treffen, die sich an der in der Tat sehr ärgerlichen Praxis der Internethändler, die zurückgeschickte Ware gleich zu vernichten, stören. Die Freien Demokraten (FDP) sprechen von einem neuerlichen Bürokratiemonster. Die Interessenvertretung der Einzelhändler, der Handelsverband Deutschland (HDE) warnt davor. Schließlich hätten sich viele Einzelhändler ein digitales Standbein aufgebaut und würden nun besteuert, um sich selbst zu retten.

Ist eine Steuer auf Versandhandel also wirklich eine gute Idee?

Es wird in Europa viel darüber diskutiert, ob die großen digitalen Spieler ausreichend besteuert werden; es geht vor allem um die Körperschaftsteuer. Während es für die Europäische Kommission und viele nationale Politiker ausgemacht ist, dass dies nicht der Fall ist, zeigen Studien ein differenziertes Bild. Demnach sind die effektiven Steuersätze für die Unternehmen der digitalen Wirtschaft vergleichbar mit den Sätzen für traditionelle Sektoren. Davon abgesehen ist die von den CDU-Abgeordneten geplante Steuer eher mit einer Umsatzsteuer vergleichbar. Sie würde vermutlich auf die Kunden abgewälzt. Wäre es da nicht ehrlicher (und effektiver), einen Teil der Mehrwertsteuer oder der Einkommensteuer direkt an die Einzelhändler als die Zielgruppe der finanziellen Wohltaten auszuschütten?

Im Übrigen ist das Argument der Kritiker, es würde damit die Verwaltungstätigkeit noch weiter intensiviert, nicht von der Hand zu weisen, auch wenn der Begriff Monster vermutlich übertrieben ist. Man muss davon ausgehen, dass die bereits angespannten Finanzbehörden mit einer neuen Steuer noch stärker unter Druck geraten. Angesichts der vielfältigen Aufgaben sollten die Finanzbehörden eher entlastet als neuerlich belastet werden – wie auch die Unternehmen.

CDU akzeptiert den Strukturwandel nicht

Aber diese eher technischen Argumente sind im Grunde unwichtig. Viel wichtiger ist das Verständnis für die Arbeitsteilung zwischen staatlichen und privaten Akteuren, das die CDU-Abgeordneten mit ihrem Vorschlag offenbaren. Sie sind nicht bereit, den Strukturwandel zu akzeptieren, der auch schon vor dem Ausbruch der Corona-Krise stattfand. Damit reiht sich diese Initiative nahtlos in Aussagen und Maßnahmen aus der CDU speziell – aber nicht nur – seit Beginn der Corona-Krise ein, die zeigen, dass die Partei den marktwirtschaftlichen Kompass verloren hat. Der Glaube an die staatliche Allmacht im Adenauer-Haus ist offenbar sehr stark gewachsen; dabei sollte man gelernt haben, dass die Unterdrückung des Strukturwandels langfristig nur Schäden anrichtet. Ich empfehle den beiden Initiatoren, noch- oder erstmals Ludwig Erhards „Wohlstand für alle“ zu lesen. Auch macht es Sinn, sich noch einmal daran zu erinnern, dass es in der Vergangenheit immer wieder Angebote gegeben hat, die verschwunden sind, weil es attraktivere Alternativen gab. Das hat in der Regel den Wohlstand gesteigert.

Denn der so beschriebene Strukturwandel ist in der Regel sowohl vom Angebot (hier digitaler Dienste) als auch der Nachfrage getrieben. Die Kunden sind offenbar nicht mehr so stark daran interessiert, in Fachgeschäften beraten zu werden, und nicht mehr bereit, dafür zu zahlen. Das kann man bedauern, aber nicht zurückdrängen. Viel besser wäre es, sich darauf einzustellen.

Den ersten Beleg dafür liefert der HDE selbst. Er argumentiert, dass die Unternehmen den Strukturwandel selber als Anlass genommen haben, sich umzustellen und ihren Kunden ein digitales Angebot zu machen. Dies ist doch allemal besser, als auf die Zahlungen aus einer digitalen Strafsteuer zu hoffen, zumal die Einzelhändler sie ja zum Teil selbst zahlen sollen.

Zweitens ist es Aufgabe der Kommunen, das Veröden der Innenstädte zu bremsen. Dies ist keineswegs ein völlig neues Problem, sondern wird von entsprechenden Fachleuten seit Langem diskutiert. Dazu muss vermutlich für jede Innenstadt eine individuelle Strategie entwickelt werden. Ein neuer Fonds zur Kompensation für die Umsatzausfälle des Einzelhandels kann nur lindern, aber das darunter liegende Problem nicht lösen. Eher wird die Lösung verzögert.

Drittens kann man völlig zu Recht die Frage stellen, ob der Versandhandel ökologisch nachhaltig ist – das gleiche gilt aber auch für Autofahrten der Kunden in die Innenstädte. Die Antwort auf mögliche Schäden für das Klima liegt auf der Hand: Durch die Einbeziehung der Klimaschäden in die Energiepreise (hier Benzinkosten) mit Hilfe einer CO2-Steuer kann dieses Problem angegangen werden.

Man sieht, dass es einer Mischung von Instrumenten bedarf, um die Innenstädte wieder zu beleben. Werden sie auch als Wohnorte attraktiver, hilft das auch dem Einzelhandel (und dem Klima). Die Klimapolitik kann dazu beitragen. Aber eine interventionistische Finanz- und Wirtschaftspolitik wird das Problem nicht lösen.

Hinweis: Der Beitrag erschien am 1. Januar 2021 in der Online-Ausgabe der Wirtschaftswoche.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert