Wie sonderbar Deutschlands Weg ins Digitalzeitalter verläuft, kann man wunderbar beobachten, wenn man unsere Schüler und Lehrer im Online-Unterricht erlebt. Der erste Lockdown liegt schon fast ein Jahr zurück, aber die technische (und mentale) Ausstattung der Schulen für den Online-Unterricht ist vielerorts immer noch extrem dürftig. Auch in der öffentlichen Verwaltung und in vielen Bereichen der Wirtschaft leben wir offenkundig im digitalen Steinzeitalter – und zwar im Vergleich nicht nur zu anderen Industrieländern, sondern selbst zu zahlreichen Schwellenländern.
Der deutschen Wirtschaftspolitik war das schon lange klar. Unter dem Motto Turbo-Internet für alle fördert die Bundesregierung seit 2015 den Breitbandausbau mit über zehn Milliarden Euro. Dabei wurde zunächst auch der weitere Ausbau des Kupferkabelnetzes subventioniert, das sich mittlerweile endgültig als technologische Sackgasse erwiesen hat. Insgesamt ist bisher von den Fördermitteln allerdings nicht einmal die Hälfte abgerufen worden. Mittlerweile sind manche Kommunen dazu übergegangen, die Fördermittel für den Breitbandausbau in Eigenregie zu verwenden, um die Netze anschließend zu verpachten. Staatswirtschaft statt Marktwirtschaft.
Das primäre Ziel der Förderung liegt in der Schließung der sogenannten Wirtschaftlichkeitslücke, der die Netzbetreiber vor allem im ländlichen Raum gegenüberstehen. Folgerichtig war es nicht zuletzt das ländlich geprägte Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, das zunächst beherzt in die Fördertöpfe griff. Doch auch dort stockt mittlerweile der Breitbandausbau. Es scheint auch wenig zu nützen, dass die Bundesregierung mit Dorothee Bär eigens eine Beauftragte für Digitalisierung installiert hat.
Woran hapert es? Offenbar nicht an zu wenigen Subventionen. Allem voran hapert es wieder einmal an den bürokratisch aufwendigen und langwierigen Planungs- und Durchführungsprozeduren. Das Thema begleitet sämtliche Infrastrukturprojekte in Deutschland (wobei es beim Breitbandausbau ausnahmsweise einmal nicht der Brandschutz ist, der den größten Bremsklotz darstellt).
Hinzu kommt, dass private Investoren zögern, flächendeckende Breitbandnetze für den Mobilfunk aufzubauen, weil ihnen dafür zu wenige und obendrein künstlich überteuerte Frequenzen zur Verfügung gestellt werden. Der 5G-Aufbau stockt in Deutschland auch deshalb, weil die Bundesnetzagentur die dafür nötigen Frequenzen nur sehr zögerlich freigibt. Für manche althergebrachte Nutzungen werden unnötig breite Frequenzbänder reserviert, die dort nur noch teilweise benötigt werden und die für den Mobilfunk geeignet wären. Dies gilt unter anderem für das UHF-Band, das für TV-Sender reserviert ist, von diesen aber nur noch teilweise genutzt wird (digitale Dividende). Wenn es möglich wäre, mit mehr Frequenzen das 5G-Netz zügiger auszubauen, dann würden auch mehr wirtschaftliche Anreize geschaffen, in den privatwirtschaftlichen Ausbau von Breitbandnetzen in der Fläche zu investieren.
Nicht nur im Bereich der Digitalisierung könnte die Politik mehr für die peripheren Regionen tun. Aus regionalpolitischer Sicht ist es mehr als erstaunlich, wie stark die Fördermittel etwa im Wohnungsbau auf die Ballungszentren konzentriert werden: Jedes staatlich geförderte Neubauprogramm für eine Großstadt ist eine schlechte Nachricht für die umliegenden ländlichen Regionen. Denn dort ist Wohnraum oftmals gar nicht knapp und überteuert. Das Argument, die Bürger würden aber lieber in größeren als in kleineren Orten wohnen wollen, wird nie verstummen, solange die Politik alles tut, ihnen die Kosten der Ballung weitgehend abzunehmen.
Da der Trend zum Homeoffice im Zuge der Pandemie einen kräftigen Schub erhalten hat, könnte auch die Wohnungsnachfrage in der Peripherie einen Schub erhalten. Das Homeoffice braucht aber oftmals einen Breitbandanschluss. Aus dieser zusätzlichen Nachfrage könnten sich kräftige Anreize ergeben, den Netzausbau in der Fläche voranzutreiben. Die von den Netzbetreibern beklagte Wirtschaftlichkeitslücke beim Netzausbau in der Fläche würde damit automatisch abgebaut. Dafür müsste die Politik allerdings aufhören, den Wohnungsbau in den Ballungszentren zu subventionieren und die Infrastruktur in der Peripherie zu vernachlässigen.
Breitbandausbau und Wohnungspolitik sind exzellente Beispiele dafür, wie sich die Wirtschaftspolitik mächtig ins Zeug legt, um Probleme zu lösen, die sie durch inadäquate Maßnahmen an anderer Stelle selbst erst geschaffen hat.
Das gilt auch für die kürzlich aus CDU-Kreisen vorgetragene Idee, den Online-Handel zu besteuern und mit den Einnahmen aus dieser Steuer den stationären Einzelhandel zu subventionieren. Hier soll etwas bekämpft werden, was an anderer Stelle mit den Subventionen für den Breitbandausbau gerade gefördert wird.
Unübersehbar ist, dass der Online-Handel in der Pandemie kräftigen Rückenwind erfahren hat – nicht zuletzt zulasten des innerstädtischen Einzelhandels. Aber Covid-19 ist nicht die Ursache, sondern allenfalls ein Beschleuniger dieses Strukturwandels, und zwar aus zwei Gründen: Erstens bringt der technologische Wandel in Form der Digitalisierung auch im langfristigen Trend kräftigen Rückenwind für den Online-Handel und entsprechenden Gegenwind für den stationären Handel. Zweitens bekommt der Online-Handel Rückenwind von den weitverbreiteten Bestrebungen, die Autos (und damit auch die potentiellen Kunden, die diese Autos lenken) aus den Innenstädten zu verdrängen. Die Städte sollten besser darauf setzen, gemeinsam mit dem stationären Einzelhandel ihre Zentren in Wohlfühlorte für die Bürger und Kunden zu verwandeln, anstatt immer neue Schikanen gegen Autofahrer auszuhecken.
Doch auch hier fühlen sich die Politiker offenbar sehr wohl damit, mit neuen Steuer- und Subventionsprogrammen entschlossen gegen Missstände vorzugehen, die sie durch mindestens so entschlossene Maßnahmen an anderer Stelle erst geschaffen haben. So geht ihnen zumindest die Arbeit nicht aus. Und ihren Kritikern auch nicht.
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