Der Ausbau der regenerativen Stromerzeugungstechnologien schreitet in Deutschland mit hohem Tempo voran. Der Anteil grünen Stroms am Stromverbrauch erhöhte sich von unter 7 % im Jahr 2000 – dem Jahr, in dem das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) zur Subventionierung „grünen“ Stroms eingeführt wurde – auf rund 46 % im Jahr 2020. Das frühere Ziel, den Grünstromanteil in Deutschland bis zum Jahr 2020 auf 35 % zu steigern, wurde weit übertroffen.
Was weltweit große Beachtung findet, hat jedoch gravierende Nachteile. So hätte die EEG-Umlage, mit der die Stromverbraucher die grüne Stromproduktion zu finanzieren haben, im Jahr 2021 mehr als 9 Cent je Kilowattstunde (kWh) betragen und damit rund ein Drittel des Endkundenpreises, wenn nicht mit steuerlichen Mitteln aus dem Corona-Konjunkturpaket die EEG-Umlage auf das Niveau von 6,5 Cent gesenkt worden wäre. Besonders betroffen von der Zahlung der EEG-Umlage sind die rund 7,5 Millionen armutsgefährdeten Haushalte in Deutschland. Diese müssen im Vergleich zu wohlhabenderen Haushalten größere Anteile ihres Einkommens für Energie aufwenden und werden daher durch weitere Strompreissteigerungen überproportional stark in Mitleidenschaft gezogen. Darüber hinaus wird immer mehr grüner Strom produziert, für den (noch) keine Nachfrage vorhanden ist: Dem stetig wachsenden Angebot an Grünstrom steht ein über die Jahre hinweg betrachtet stagnierender Stromverbrauch gegenüber.
Das zunehmende Überangebot führt zwangsläufig zu Großhandelspreisen für Strom, die niedriger sind als ohne den massiven Zubau von Erneuerbaren-Kapazitäten, immer häufiger sogar zu negativen Börsenstrompreisen. In diesen Zeiten wird der Strom nicht etwa nur ans Ausland verschenkt. Damit der überschüssige Strom überhaupt Abnehmer findet und so die Netzstabilität gewährleistet werden kann, muss in Form negativer Preise sogar eine „Entsorgungsgebühr“ an die Abnehmer bezahlt werden. Problematisch ist auch, dass die temporären Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage Auswirkungen sowohl auf die Stabilität der Netzspannung als auch die Frequenz haben – die Folge sind immer häufigere Eingriffe der Übertragungsnetzbetreiber zur Vermeidung von Blackouts.
Zu dieser temporären Gefährdung der Versorgungssicherheit mit Strom kommt ein mittel- bis langfristig auftretendes Versorgungsproblem hinzu: Das mögliche Fehlen von konventionellen Kraftwerken als Versicherung gegen den weitgehenden Totalausfall der regenerativen Erzeugungskapazitäten in sogenannten Dunkelflauten im Winter. Diese treten im Durchschnitt alle zwei Jahre über einen Zeitraum von bis zu zwei Wochen auf, weil der Wind in dieser Zeit nur schwach weht und die Windstromerzeugung dadurch praktisch zum Erliegen kommt. Vor diesem Hintergrund dürfte der gleichzeitige Ausstieg aus der Kernkraft und der Kohleverstromung nicht unkritisch sein: Dadurch werden bis Ende des Jahres 2022, wenn sämtliche Atomkraftwerke in Deutschland abgeschaltet sein sollen, rund 22 Gigawatt an Atom- und Kohlekraftwerken — das sind rund ein Viertel aller heutigen konventionellen Kapazitäten — weniger am Netz sein als im Jahr 2018, als der Kohleausstieg noch längst nicht beschlossen war. Ende des Jahres 2022 dürfte die Gesamtleistung aller konventionellen Kraftwerke deshalb unterhalb der maximalen Nachfragelast liegen, die im Winter rund 82 Gigawatt beträgt.
Es stellt sich somit die sehr berechtigte Frage, ob in nicht allzu ferner Zukunft ausreichende Kraftwerkskapazitäten vorhanden sein werden, die dann einspringen können, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Nicht zu Unrecht wurde vor einigen Jahren darüber diskutiert, ob nicht sogenannte Kapazitätsmärkte geschaffen werden sollten, in denen das Vorhalten von Kraftwerkskapazitäten belohnt wird. Eine solche Prämie für Versorgungssicherheit müssten dann die Verbraucher über einen höheren Strompreis bezahlen.
Der Einführung von Kapazitätsmärkten hat das Bundeswirtschaftsministerium damals eine Absage erteilt. Aus gutem Grund: Vor der übereilten Einführung eines Kapazitätsmarktes kann nur gewarnt werden, denn ein solcher Schritt könnte die Etablierung eines neuen, kostenintensiven Subventionsregimes bedeuten. Dessen Wiederabschaffung dürfte sehr schwer werden, wie man am Beispiel der Förderung grünen Stroms mittels des EEG gelernt haben sollte. Mittlerweile liegt das Volumen der EEG-Förderung bei über 25 Milliarden Euro jährlich. Dies erklärt, warum eine Abschaffung dieses Fördersystems bis heute nicht gelungen ist, obwohl regenerative Technologien in der Vergangenheit immer kostengünstiger geworden sind und sich bei Preisen für Emissionszertifikate von aktuell über 50 Euro je Tonne Kohlendioxid ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Kohle- und Erdgas-Kraftwerken stark verbessert hat.
Es ist daher zu begrüßen, dass die Politik in der Frage der Kapazitätsmärkte vorerst weiterhin standhaft bleibt, wenn mit dem Verweis auf potenzielle langfristige Versorgungslücken und darauf, dass in anderen europäischen Ländern Kapazitätsmechanismen bereits eingeführt sind, die Betreiber konventioneller Kraftwerke den Druck erhöhen. Dies ist aus deren Sicht verständlich, da sich viele Kraftwerke wegen steigender Preise von Emissionszertifikaten immer weniger rentieren und die Gewinne weg zu brechen drohen. Das Argument, dass andere Länder die Vorhaltung konventioneller Kraftwerksleistung prämieren, sollte die Politik jedoch gerade nicht unter Druck setzen: Deutschland könnte im Hinblick auf die Versorgungssicherheit von den Kapazitätsmechanismen in den Nachbarländern profitieren, ohne erst einmal selbst solche einführen zu müssen.
Angebot und Nachfrage nach Strom können mittelfristig auch dadurch wieder besser in Einklang gebracht werden, dass der Ausbau der Höchstspannungsleitungen von Norden nach Süden voranschreitet, wenn auch langsam. Zunehmend überschüssiger Windstrom aus dem Norden Deutschlands kann damit in die Verbrauchszentren in den Süden und Westen des Landes sowie ins Ausland transportiert werden. Würden insbesondere auch die grenzüberschreitenden Leitungen ausgebaut werden, könnte der Strom in Zeiten der Unterversorgung aufgrund von Windstille von konventionellen Kraftwerken aus dem Ausland bezogen werden.
Darüber hinaus werden über kurz oder lang Alternativen zur Einführung von Kapazitätsmechanismen in Deutschland geschaffen. Dazu gehören technologische Innovationen wie die Entwicklung besserer Batterien und anderer Speichertechnologien, der Ausbau der Infrastruktur für das Speichermedium Wasserstoff sowie das Lastmanagement zur Flexibilisierung der Nachfrage. So erhalten große Stromnachfrager, wie etwa der Aluminiumhersteller Trimet aus Essen, mittlerweile eine Prämie, wenn sie in Zeiten geringen Stromangebots für einige Stunden auf ihre Produktion und somit auf den Verbrauch von Strom verzichten. Dies stellt einen Paradigmenwechsel dar: Früher hatte sich das Angebot nach der Nachfrage gerichtet, nicht umgekehrt.
Es wird sicher noch einige Zeit dauern, bis dieser Paradigmenwechsel vollzogen ist und kostengünstige Speichertechnologien in großem Umfang verfügbar sind. Durch die Einführung von Kapazitätsmärkten sollte jedoch nicht vorschnell auf die Realisierung dieser Optionen verzichtet werden, ebenso wenig wie auf eine Flexibilisierung des Preissignals zur Stärkung der Marktkräfte. So sollte die Preisobergrenze von 3.000 Euro pro Megawattstunde an der Strombörse erhöht oder gar gänzlich fallen gelassen werden, so dass Betreiber konventioneller Reservekraftwerke in den wenigen Stunden im Jahr, in denen solche Preisspitzen zu verzeichnen sind, ihr Geld verdienen können. (In anderen Ländern sind noch höhere Preisspitzen nichts Ungewöhnliches!)
Nicht zuletzt stellt sich die Frage, ob durch die zunehmende Abschaltung konventioneller Kapazitäten die Strompreise an der Börse nicht ohnehin so stark steigen, dass sich der Betrieb von Erdgaskraftwerken wieder dauerhaft lohnt. Es ist jedenfalls noch nicht ausgemachte Sache, dass der sogenannte Energy-only-Markt, in dem nur die Stromproduktion vergütet wird, nicht aber das bloße Vorhalten von Leistung, es nicht doch richten kann — auch wenn derzeit ohne diverse, außerhalb des Marktes stehende Reservemechanismen wie die Reservekapazitäten, die von der Bundesnetzagentur auf Kosten der Verbraucher requiriert werden, die Stromversorgungssicherheit nicht gewährleistet werden könnte.