Wer bei Google „Bidenomics“ eingibt, erhält 241.000 Treffer (Stand: 9. August 2021). Auch einen eigenen Wikipedia-Eintrag hat der noch junge Begriff bereits. “Bidenomics” versucht die Wirtschaftspolitik des neuen US-Präsidenten in ein Wort zu fassen. Aber geht das überhaupt? Was für eine Wirtschaftspolitik betreibt Joe Biden? Ist sie liberal, links, grün, staatsgläubig?
Barry Eichengreen, Ökonom und Politikwissenschaftler an der Universität von Kalifornien, Berkeley, beschreibt in „Bidenomics: Content and Prospects“ in der jüngsten Ausgabe der Fachzeitschrift Intereconomics die Wirtschaftspolitik des aktuellen US-Präsidenten so: „Im Kern streben Präsident Biden und sein Team eine umfassendere wirtschaftliche Rolle für den Staat an.“
An zwei großen staatlichen Ausgaben-Programmen lässt sich diese Aussage festmachen: a) Erneuerung der Infrastruktur inklusive Kampf gegen den Klimawandel und b) Ausweitung der Sozialpolitik.
a) Joe Biden hatte im Frühjahr vorgeschlagen 2,3 Billionen US-Dollar in die Erneuerung und den Ausbau von Straßen, Brücken, Breitband sowie in den Klimaschutz zu stecken. Die politischen Verhandlungen haben über den Sommer die Pläne gestutzt, auf 550 Milliarden US-Dollar. Um die notwendige Unterstützung durch die Republikaner zu erhalten, waren etwa viele Klimaschutzmaßnahmen aus dem Paket gestrichen worden. Weil beide große Parteien grundsätzlich darüber einig sind, dass die USA ein Infrastrukturproblem hat, wird sich in diesem Bereich einiges tun. Eine erste Hürde hat das Paket bereits genommen. Vor wenigen Tagen hat der US-Senat dem Vorhaben zugestimmt. Eine Verwirklichung ist damit aber noch lange nicht gesichert. Das amerikanischen Parlament – genannt Kongress – hat bekanntlich zwei Kammern: den Senat und das Repräsentantenhaus. Nancy Pelosi, die demokratische Präsidentin des Repräsentantenhauses, hat erklärt, ihre Kammer werde sich erst mit der Vorlage beschäftigen, wenn der Senat auch das zweiten Paket verabschiedet habe.
b) Diese zweite Paket meint Bidens American Families Plan. Der war im Frühjahr mit geplanten Ausgaben in Höhe von 1,8 Billionen US-Dollar angekündigt worden. Mittlerweile ist sogar von 3,5 Billionen US-Dollar die Rede. Er beinhaltet Verbesserungen der Gesundheitsversorgung, Kinderbetreuung, Altenpflege und Bildungsprogramme. In den USA vergleichen viele das Vorhaben mit dem New Deal von Franklin Roosevelt (Präsident von 1933 bis 1945). Damals wurde in den USA die Arbeitslosenversicherung, ein Mindestlohn und staatlich finanzierte Renten eingeführt. Eichengreen: „Die Umsetzung von Bidens Plänen würde eine grundlegende Veränderung für ein Land bedeuten, das traditionell zögerlich ist, über alles nachzudenken, was dem europäischen Wohlfahrtsstaat ähnelt.“
Wird Bidens Plan zum Ausbau der Sozialpolitik Gesetz werden? Die Republikaner lehnen ihn ab. Aber das könnte sich noch ändern, meint Eichengreen: „Einige Beobachter betrachten die Frage aus dem Blickwinkel historischer Abläufe in Politik und Wirtschaft. Demnach hat es zunächst den ‘New Deal’ gegeben. In dieser Zeit galt es als selbstverständlich, dass die Regierung öffentliche Güter und Dienstleistungen bereitstellte. In den 1980er Jahren ist das Pendel in Richtung „Neoliberale Ordnung“ geschwungen, als Ronald Reagan eine Ära begrenzten Regierungshandelns und einen gewissen Marktfundamentalismus einleitete. Vielleicht schwingt das Pendel jetzt zurück in Richtung einer ‚New New Deal Order‘.“ Dieser Umschwung, so Eichengreen, könnte dadurch unterstützt werden, dass die Pandemie viele Amerikaner auf die Unsicherheit ihres Lebens aufmerksam gemacht habe.
In der Abwägung glaubt Eichengreen aber eher nicht an die ganz großen Veränderungen. Seine vage Prognose: “Es könnte am Ende weniger als ein New Deal herauskommen.”
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