Der politische Graben zwischen Stadt und Land wird aktuell heiss debattiert. Ist dieser politische Graben auch ein ökonomischer Graben? Und wenn ja: lebt der eine Teil der Bevölkerung auf Kosten des anderen Teils?
Historisch betrachtet sind die Städte die Wirtschaftsmotoren der Schweiz. Wer berufliche Ambitionen hatte, zog (und zieht) in die Stadt. Das Wachstum von Stadt und Wirtschaft ging (und geht) Hand in Hand. Die Feststellung ist erst mal trivial und nicht weiter kontrovers.
Ein paar aktuelle Kennzahlen aus der Schweiz: Auf Stufe der direkten Bundessteuer wurden 2018 von 23 Mrd. Franken 9 Mrd. in Kernstädten entrichtet, während 10 Mrd. aus den urbanen Agglomerationsgemeinden stammten. Pro Kopf lagt das Steueraufkommen damit in den Kernstädten bei 3793 Franken und in den Agglomerationsgemeinden bei 2649 Franken, während es in den ländlichen Gemeinden 1677 Franken betrug.
Gewiss, die Reihenfolge Kernstadt-Agglo-Land sähe ohne Gewinnsteuer der Unternehmen anders aus, und ja, auch über die räumliche Zuordnung – was ist Stadt oder Agglo? – kann man trefflich streiten. Das ist aber unerheblich. Wesentlich ist für den Ökonomen die Frage der Kostenwahrheit: Wer bezahlt wieviel wofür? Um Klarsicht zu bekommen, müssen wir deshalb das Dickicht an Umverteilungsströmen zwischen Reich und Arm, Stadt und Land durchdringen. Zwei Umverteilungsströme im Rahmen des Finanzausgleichs sind von Bedeutung: Ressourcenausgleich und Lastenausgleich.
Der Ressourcenausgleich entspringt einem ausgewiesenen, gewollten und breit abgestützten Umverteilungsmotiv. Im Prinzip verfolgt er die gleiche Absicht wie eine progressive Einkommensteuer für natürliche Personen: eine Umverteilung von den Leistungsstärkeren zu den Leistungsschwächeren. Nur eben findet in diesem Fall die Umverteilung zwischen leistungsstarken und leistungsschwachen Kantonen und Gemeinden statt. Die Begründung hier: die Stärkung der Kohäsion, also des gesamtgesellschaftlichen Zusammenhaltes.
Beim Lastenausgleich geht es darum, dass von der Politik als Lasten definierte Kosten abgegolten werden. Als geografisch-topografische Lasten gelten etwa die Kosten aufgrund einer hügeligen Topografie (Stichwort Berggemeinden). Als sozio-demographische Lasten gelten die Kosten, die aus einer ungünstigen Bevölkerungszusammensetzung entstehen. Und schliesslich spricht man von Zentrumslasten, wenn das Umland städtische Leistungen nutzt (Stichwort Kulturprogramm). Die Begründung hier: Wettbewerbsnachteile sollen finanziell kompensiert werden – doch was, wenn die Nachteile wie im Falle der sozio-demographischen und Zentrumslasten so gewollt sind?
Klar ist erst mal: Die Zahlungen im Rahmen des nationalen Finanzausgleichs NFA wuchsen über die letzten Jahre stetig an und belaufen sich mittlerweile auf über 5 Mrd. Franken. Die Zahlungen innerhalb der Kantone dürften nach Schätzungen nochmals in der gleichen Grössenordnung liegen. Das ist kein Pappenstiel.
Von diesen 5 Mrd. werden jährlich 4 Mrd. im Rahmen des nationalen Ressourcenausgleichs umverteilt. Das Geld fliesst von den Geberkantonen Zürich, Schwyz, Obwalden, Nidwalden, Zug, Basel-Stadt und Genf an die übrigen Kantone. Unter den Geberkantonen sind somit urbane Kantone, wenn auch nicht nur. Bei den Empfängern belegen – gemessen an den Pro-Kopf-Zahlungen – die Kantone Wallis, Jura, Solothurn, Uri, Freiburg und Glarus die Spitzenplätze. Das sind in der Tendenz somit eher ländliche Kantone. Wenn es richtig ist, dass die Städte damals wie heute die Motoren der Wirtschaft sind, dann ist es nur folgerichtig, wenn im Ressourcenausgleich Geld von den städtischen Gebieten in die Peripherie fliesst.
Über die Höhe der Umverteilung kann, ja muss diskutieren werden. Und das wird in der Politik auch getan: Der Unmut der Geberkantone beim nationalen Finanzausgleich NFA mündete in die Reform 2020, mit der immerhin das Wachstum des Ressourcenausgleichs gebremst wurde. Man kann dies je nach eigener Betroffenheit und der politischer Couleur feiern oder betrauern. Klar ist: Die Anreize zur Pflege der Steuerbasis sind immer noch schwach.
Wenig debattiert wird allerdings der Lastenausgleich. Doch was ist eigentlich eine Last? Abgeltungswürdig wären eigentlich bloss Lasten, die von der Politik nicht beeinflussbar und deren Kostenfolgen klar ausgewiesen sind. In der Praxis handelt es sich allerdings um politisch definierte Kosten. Und über geschicktes politisches Lobbying können praktisch alle Kosten in Lasten umgedeutet werden. Das öffnet dem intransparenten Beutejägertum Tür und Tor.
Um welche Beträge handelt es sich denn bei den Lastenausgleichen? Der nationale Finanzausgleich ist 2008 gestartet mit je 341 Millionen Franken für die geografisch-topografischen und für die sozio-demographischen Lasten inklusive Zentrumslasten. 2022 werden es bei den topographischen Lasten 6 % mehr sein als 2008, und bei den soziodemographischen und Zentrumslasten zugunsten der urbanen Gebiete liegt die Abgeltung stolze 47 % höher als damals. Hinzu kommen auch die beträchtlichen Zahlungen innerhalb der Kantone.
Ob städtische Fussballstadien oder Velotunnels, wenn es um die eigens bestellten öffentlichen Leistungen geht, sprechen die Bürger der Städte gerne über den angeblichen Nutzen der neuen Einrichtungen für die Auswärtigen. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass sich über die Kantonsbeteiligung auch die Landgemeinden an dieser Infrastruktur beteiligen, wie beispielsweise Reiner Eichenberger, David Stadelmann und Marco Portmann aufgezeigt haben. Weniger gern sprechen die Städter auch über ihren Nutzen aus dem städtischen Angebot. Dabei bringen sie diesen auf vielfältige Art zum Ausdruck.
Einerseits sind sie im Wissen um die Steuern, sprich den Preis für die öffentlichen Leistungen, in die Städte gezogen. Anderseits stimmen die Städter regelmässig an der Urne über neue Tramlinien, Schwimmbäder und Museen ab. Jedes Abstimmungsbüchlein enthält das Preisschild für das jeweilige Ausgabenprojekt. Aus dem Zuzug und aus der Zustimmung an der Urne muss geschlossen werden, dass der Nutzen die Kosten übersteigt. Wieso sollen dann aber diese Kosten als Lasten angerechnet werden und von den Landbewohnern ohne deren Einwilligung mitgetragen werden?
Die Schlaumeierei mit dem Lastenausgleich lohnt sich oft doppelt. Denn in Wahrheit sind die vermeintlichen Lasten oft Investitionen in die Sicherung eigener Steuererträge und in die Wiederwahl der Politiker. Man kann es niemandem verargen, wenn er die Systemschwäche rational zu seinen Gunsten nutzt, auch den Städtern nicht. Man muss schon beim System des intransparenten Lastenausgleichs ansetzen.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: auch der geographisch-topographische Lastenausgleich zu Gunsten des ländlichen Raums sollte kritisch hinterfragt werden. Da fliesst Geld von eher urbanen Zonen in die Berggebiete. Wenn etwa die Touristen ihre Ferien in den Bergen verbringen, ist eine Hanglage keine Last, sondern ein Wettbewerbsvorteil. Doch wenn Ausgleichszahlungen in erster Linie einer Subventionslogik folgen, dann ist der Lastenausgleich nur noch ein Macht- und Interessenspiel von Beutejägern, die es auf die von uns allen finanzierte Staatskasse abgesehen haben.
Das Resultat des Spiels: ein undurchsichtiges Umverteilungsdickicht und damit immer weniger Kostenwahrheit. Zuweilen scheint das Dickicht so intransparent geworden zu sein, dass Ausgleichszahlungen demokratisch beschlossene Umverteilungsmassnahmen unterlaufen.
Wer mehr oder weniger Umverteilung wünscht, kann politisch auf eine Anpassung des Ressourcenausgleich hinwirken. Wer Umverteilung jedoch als Lastenausgleich versteckt mit dem Argument, es handle sich um punktuelle Verbesserungen am Föderalismus, der schwächt den Föderalismus. Statt wechselseitigem Hochrüsten im Kampf um Ausgleichszahlungen wäre aus gesamtgesellschaftlicher Sicht ein Abrüsten angezeigt.
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