Wie das STADER TAGEBLATT (Dienstag 26.07, S. 2) uns Provinzheinis hinter’m Deich berichtet, ist die CDU auf den „Dienst für Deutschland“ gekommen. Man sei sich, wie die Zeitung unter Berufung auf den Generalsekretär der CDU Mario Czaja berichtet, grundsätzlich über ein solches Vorhaben einig. Czaja begrüße, dass es einen gemeinsamen Antrag geben werde, „der den gleichen Geist atmet, aber unterschiedliche Perspektiven auf das Thema aufzeigt“. Worin die Unterschiedlichkeit der „Perspektiven“ besteht, gibt Czaja selbst gegenüber der Zeitung preis: „Unterschiedliche Auffassungen gibt es, ob dieses Deutschlandjahr verpflichtend sein oder man Anreize für einen freiwilligen Dienst ausbauen sollte“.
Die Frage, ob das Deutschlandjahr verpflichten sein soll oder nur ein Angebot, ist aber nicht nur eine harmlose Frage der Perspektive. Sie betrifft vielmehr ganz fundamentale Einstellungen sowohl zu den Grundwerten der freien Selbstbestimmung der Bürger als auch zur Funktionsweise effizienter Arbeitsmärkte.
Im Weiteren werde ich mich damit, ob „man Anreize für einen freiwilligen Dienst ausbauen sollte“ nicht weiter befassen, sondern mich auf die Einrichtung eines verpflichtenden Deutschlandjahres konzentrieren. Dazu berichtet das STADER TAGEBLATT weiter „Einer der Initiatoren ist Carsten Linnemann, stellvertretender Parteichef und Vorsitzender der CDU-Programmkommission: ‚Wir brauchen ein Gesellschaftsjahr, das verpflichtend ist.‘ “
Zwangsarbeit auf Zeit ist ungerechtfertigt und ineffizient
Wenn Herr Linnemann davon spricht, dass „wir“ ein Gesellschaftsjahr brauchen, das verpflichtend ist, plädiert er wie Walter Steinmeier (http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=31187) de facto für die Einführung einer Art Zwangsarbeit auf Zeit. Normen des rechtlichen Respektes für die Selbstbestimmung anderer, die in freiheitlichen Rechtsstaaten nur in Notlagen eingeschränkt werden dürfen, werden ohne Not missachtet. Ein Schelm, der hier an Arbeitsdienst denkt?
Über die flagrante Mißachtung der Grundprinzipien freiheitlich demokratischer Rechtspolitik hinaus führt die bereits von Lore Lorentz beklagte typisch deutsche Kombination aus christdemokratischem Obrigkeitsdenken und sozialdemokratischer Verwaltungsfreude zu einer fatalen Verzerrung der Ressourcenallokation. Im Sinne der Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft ist ein sogenanntes soziales Jahr weder sozial noch marktwirtschaftlich. Wenn wir junge Menschen nach dem Schulabschluss und damit in der Phase, in der sie ihre persönliche Entwicklung am effektivsten und nachhaltigsten fördern können, zu Tätigkeiten dienstverpflichten, die sie sich selbst nicht aussuchen würden – sonst wäre die Verpflichtung unnötig – gehen wir tendenziell verschwenderisch nicht nur mit ihren, sondern auch unser aller gesellschaftlichen Ressourcen um.
Das deutsche Ausbildungssystem, das unterhalb der universitären Ebene augenscheinlich im internationalen Vergleich nach wie vor hervorragend abschneidet, verdient es, zur Bildung von Humankapital so effektiv wie möglich genutzt zu werden. Dazu sollte sich die berufsschulische und praktische Ausbildung in der Regel so nahtlos wie möglich an die schulische anschließen. Verzug bedeutet für die, die „im Schwung“ sind, gewöhnlich mehr als den Verlust eines Jahres. Das gleiche gilt für die akademische Ausbildung, die sich in Deutschland ebenfalls nicht gerade durch Zügigkeit auszeichnet.
Durch Zwangsverpflichtung verliert die Gesellschaft jeweils für ein Jahr die Dienste einer gut ausgebildeten Kraft. Diese leistet Dienste, für die sie nicht ausgebildet ist. Sie mag günstigenfalls einen gewissen Nutzen schaffen, der die staatliche Anerkennungszahlung wert ist. Aber der entgangene Nutzen aus einer voll qualifizierten Tätigkeit bzw. der erwartete Nutzen aus dem während der Zeit geschaffenen Humankapital benennt die wahren Kosten weit besser.
Kosten nennen und nicht verschleiern
Die Forderung nach einem verbindlichen Deutschlandjahr ist vermutlich auch deshalb populär, weil aufgrund der Zwangsverpflichtung die markträumenden Löhne und Gehälter, die für die freiwillige Erbringung der Beiträge zu zahlen sein würden, nicht mehr sichtbar werden. Diese Kosten und die anderen Opportunitätskosten sollten wenigstens näherungsweise bestimmt und explizit benannt werden.
Dass junge Menschen den gesellschaftlichen Frondienst des Deutschlandjahres ausgerechnet dann leisten sollen, wenn sie die größten Fähigkeiten haben, sich zu qualifizieren und produktiver zu werden und damit die durch Zwang verursachten und verschleierten Kosten am höchsten sind, ist schwer nachvollziehbar. Das hilfsweise genannte Ziel, den Zusammenhalt der Gesellschaft durch eine stärkere Durchmischung der sozialen Schichten zu fördern, ist hingegen prima facie nachzuvollziehen. Dafür, dass es durch temporäre Zwangsarbeit besser gefördert würde, als durch eine bessere Ausstattung des Bildungssystems spricht allerdings wenig.
Für die Schulpflicht als eine Art Dienstpflicht für Unmündige gibt es plausible (nicht nur paternalistische) Gründe. Für das Deutschlandjahr gibt es diese nicht, aber viele versteckte Kosten, die man entweder gar nicht sieht oder unter den Teppich kehrt. Im Dienst für Deutschland sollte der fähige Politiker Linnemann von der Schnapsidee eines verpflichtenden Gesellschaftsjahres Abstand nehmen.
Carsten Linnemann der Volkserzieher
Herr Linnemann zeigt sich in einem Radiointerview leider als verhinderten Volkserzieher, in dem er im pluralis majestatis des Stammtischs davon spricht, was den jungen Leuten gut tun wird. Zum Überfluss beruft er sich dabei zustimmend auf die ondulierte philosophische Silberzunge Richard David Precht.
Als Philosoph kann ich nur sagen, dass in diesen Dingen die ordnungspolitisch orientierten Ökonomen etwa der Freiburger Schule die besseren Philosophen sind. Vielleicht sollte sich die CDU mehr auf diese Wurzeln besinnen, auf die sie sich ja auch sonst gern beruft, als auf den Stammtisch, den die Philosophen gern „Diskurs“ nennen.
Blog-Beiträge zum Thema
Wolf Schäfer (2007): Wehrpflicht oder Freiwilligenarmee? Die Wehrstruktur aus ökonomischer Sicht
Wolf Schäfer (2010): Allgemeine Dienstpflicht: Die Inkarnation der Verschwendung
Michael Wohlgemuth (2011): Zur Ordnungsökonomik des Wehrdienstes: Zapfenstreich?
Jan Schnellenbach (2018): Mit der Dienstpflicht zur Gemeinschaft. Eine kleine Polemik
Hartmut Kliemt (2022): Steinmeiers soziale Schnapsidee
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