In Zeiten der Finanzmarktkrise hat der ökonomische Liberalismus einen schweren Stand. Und dies ist nicht ganz unverschuldet. Gleichzeitig hat der klassische Liberalismus einer ökonomisch gebildeten, aber weit ins Sozial- und Rechtsphilosophische ausgreifenden Art wieder deutliche Aufmerksamkeit verdient. Hierfür stellvertretend steht die Haltung von Friedrich A. von Hayek, spätestens seit der vor genau 50 Jahren veröffentlichten „Verfassung der Freiheit“. Zumindest jenseits einer recht blamierten Schmalspurökonomik (meinen Eindrücken zufolge) hat diese Art von Liberalismus die ihm zukommende Aufmerksamkeit nun auch wieder erlangt. Außer Keynes sehe ich fast nur Hayek als einen Ökonomen, der nicht nur im 20. Jahrhundert, sondern wohl noch für viele Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts die Aufmerksamkeit der Sozial- und Geisteswissenschaften auf sich ziehen dürfte. Für diese These kann ich hier nur vor allem Hayek und nur selektive Argumente kurz und hoffentlich provokant vorbringen.
1) Zur Finanzkrise wurde hier schon genug geschrieben. Und natürlich lohnt sich weder die Lektüre von Keynes noch die von Hayek – jeweils etwa aus den 1930er Jahren –, um etwas über asset backed securities oder credit default swaps zu erfahren. Hayek und Keynes ging es um Überinvestition oder Unterkonsumtion in noch in recht handfesten Kategorien des Produktionsaufbaus der realen Wirtschaft; um Investitionen in Maschinen, nicht in Derivate. Beide haben aber auch echte Krisentheorien geliefert, die genau die Momente betonten, die noch heute und in Zukunft entscheidend sind. Und dies sind genau die Momente, die unsere moderne „reine“ Theorie als „unökonomisch“ oder „irrelevant“ aus ihren Modellen mit Gewinn an mathematischer Geschlossenheit und politischem Machbarkeitsdenken, aber mit Verlust an real-politischer Relevanz verbannte: die menschliche Natur („animal spirits“ etc.), die Logik oder auch Magie billigen Geldes und der formelle wie informelle institutionelle Kontext (Recht, Sitte, Gewohnheit). Ich will hier nicht erneut in die Details gehen. Nur diese Frage: Warum wurden in der ökonomisch gebildeten Öffentlichkeit, Publizistik (z.B. hier und hier) und Politik, aber selbst in der professionellen Ökonomik (Krugman u.a.) die Debatten oft erst klar und verständlich – und auch für sich künftig abzeichnende Krisen unverändert relevant – geführt, indem man sie auf tote Ökonomen wie Hayek, Keynes, Minsky, oder wenige andere bezog?
2) Als die Finanzkrise zur Weltwirtschaftskrise geriet und von Öffentlichkeit wie auch maßgeblichen Intellektuellen im Feuilleton (etwa der FAZ) als systemrelevante Krise der „Zukunft des Kapitalismus“ zur Diskussion gestellt wurde, war für lebende Ökonomen schon kaum mehr Verwendung. Soziologen, Philosophen, Literaten, Politologen waren nun gerufen, sich zu den Möglichkeiten und Defekten des Wirtschaftssystems Gedanken zu machen. Für zeitgenössische Ökonomen (die nicht gerade vor oder jenseits der Emeritierung stehen) war das kein Thema. Sie wurden aber auch nicht von den anderen gebraucht. Manche mögen einige gut formulierte Plattheiten von Paul Krugman aufgegriffen haben; wer das Thema aber ernsthaft und tief angehen wollte, griff zur Ideengeschichte: zu Smith, Marx, Gesell, Schumpeter, Keynes, oder (implizit oder explizit): immer auch mal wieder: zu Hayek.
3) Zu Hayek also. Seine geld- und konjunkturtheoretischen Schriften (etwa: Geld- und Konjunkturtheorie von 1929) verdienten gerade heute wieder eine verstärkte Aufmerksamkeit. Schließlich beschreibt Hayek hier die durch zu billigen Kredit angefachte Blasenbildung der Überinvestition – wenn auch in überaus übersetzungsbedürftiger Diktion. Ob es sich bei der gegenwärtigen Krise tatsächlich um eine typische Überinvestitionskrise gehandelt hat, ist zwar umstritten. Aber weil zumindest der Impuls derselbe war, die übermäßige Kreditvergabe, lohnt es sich trotzdem in jedem Fall, sich mit dem Argument auseinanderzusetzen. Auch Hayeks Überlegungen, wie den politischen Anreizen zur billigen Verschuldung und Inflationierung durch Varianten einer „Entnationalisierung des Geldes“ Einhalt geboten werden können, könnten bald jenseits der einst als „lunatic fringe“ wahrgenommenen Nischen der „Austrians“ Aufmerksamkeit gewinnen – und wieder: faute de mieux.
4) Warum Hayek wie (aber vielleicht doch zurecht auch: mehr noch als) Keynes oder jeder andere Ökonom des 20. Jahrhunderts die Debatten auch der künftigen Krisen in meiner Erwartung wenn auch nicht beherrschen, so doch prägen, sollte und wird, liegt an einem anderen Werk. Vor 50 Jahren wurde Hayeks „Verfassung der Freiheit“ veröffentlicht. Überschwänglich wurde behauptet, dies sei seit Mills „On Liberty“ der wichtigste Beitrag zum klassischen Liberalismus. Oberflächlich kann man die Anekdote zum besten geben, Margret Thatcher habe ihrer Partei genau dieses Buch auf den Tisch geknallt mit den Worten: „This is what we believe in“. Nüchtern kann man wohl feststellen, dass sich seitdem wohl (neben bedeutenden Ausnahmen wie James Buchanan und Amartya Sen) kein Ökonom mehr so grundsätzlich mit Rechts- und Moralphilosophie beschäftigt hat und auf eben dieser aufbauend auch eine Ordnungsökonomik der Aufgaben und Grenzen des Staates und seiner Wirtschaftspolitik formulierte. Ich nehme Gegenwetten gerne entgegen. Leichter dürfte es mit Einwänden gegen die Konsistenz oder ordnungspolitische Stringenz vieler einzelner Argumente in Hayeks „Verfassung“ sein (etwa in Teil 3). Darauf kommt es mir hier jedoch nicht an. Es geht mir hier um die vergleichbare Armut der heutigen Ökonomik, die einstmals als Moralphilosophie und Wissenschaft der gerechten Gesetzgebung begründet wurde und sich heute als gescheiterte oder nutzlose Technologie (wenn auch oft zu unrecht) verachtet sieht und aus dem öffentlichen Diskurs selbst heraus spezialisiert hat.
5) Hiergegen erscheint Hayek geradezu als „pontifex“: Ökonomen, die sich ernsthaft mit Hayeks Geld-, Konjunktur-, oder Wettbewerbstheorie beschäftigen, dürften bald auch mit Gewinn Hayeks Ordnungsökonomik – seine Sozial- und Rechtsphilosophie lesen wollen. Sozial- und Rechtsphilosophen, die Hayeks Verfassung der Freiheit lesen, kommen kaum daran vorbei, nebenbei auch mit handfester Ökonomik konfrontiert zu werden. Vielleicht ist dies genau das, was uns heute fehlt: eine Ökonomik, die ihren institutionellen und geistig-moralischen Kontext zu thematisieren und zu problematisieren gewillt und in der Lage ist; und: ein Liberalismus, der auf universalisierbare Regeln gerechten Verhaltens verweist und nicht auf ein Modell-Nirwana ökonomischer Effizienz.
6) „Wirtschaftliche Freiheit“ ist deshalb ein nur bedingt brauchbarer Platzhalter für eine Diskussion ordnungsökonomisch relevanter Fragen wie der nach der „Zukunft des Kapitalismus“. Die Beiträge und Diskussionen in diesem ordnungsökonomischen Blog haben auch gezeigt, dass es uns um etwas anderes geht als um einen rein ökonomischen, marktapologetischen Liberalismus, dessen „Elend“ heute wohl auch darin zu finden wäre, dass ethische Gefühle ebenso wie rechtliche Zwänge, Themen der Moral-, Sozial-, und Rechtsphilosophie in ökonomisch weniger scharf denkende Nachbardisziplinen ausgelagert wurden.
7) Es wäre zutiefst un-hayekianisch zu behaupten, dass im Werk eines Einzelnen wie Hayek oder anderer „dead economists“ all das zu finden wäre, was noch heute relevant ist. Ich würde aber behaupten, dass es wohl kaum einen besseren Einstieg gibt, sich mit vielen relevanten und verbundenen Problemen kritisch auseinanderzusetzen, die sich noch heute stellen. 50 Jahre Hayeks „Verfassung der Freiheit“ sind ein guter Anlass, wirtschaftliche Freiheit als Teilaspekt eines sehr viel weiteren Liberalismus zu verstehen und zu diskutieren. Man kann dieses Feld nicht den Schmalspurökonomen überlassen; aber auch nicht den ökonomischen Illiterati des Feuilletons.
- Gastbeitrag
Macrons Europavision - 8. November 2017 - Gastbeitrag
Zur Zukunft der EU - 9. Mai 2017 - Warum der Europäische Fiskalpakt wichtig wäre … und warum er wohl grandios scheitert. - 30. April 2012
„Nur diese Frage: Warum wurden in der ökonomisch gebildeten Öffentlichkeit, Publizistik (z.B. hier und hier) und Politik, aber selbst in der professionellen Ökonomik (Krugman u.a.) die Debatten oft erst klar und verständlich – und auch für sich künftig abzeichnende Krisen unverändert relevant – geführt, indem man sie auf tote Ökonomen wie Hayek, Keynes, Minsky, oder wenige andere bezog?“
Lieber Herr Wohlgemuth,
Ihr Beitrag ist sehr interessant. Ich will auf die oben zitierte Frage eine Antwort versuchen, soweit es die Publizistik angeht. Diese Antwort kann etwas länger werden. Aber da ich bis heute in Ökonomenkreisen ziemliches Unverständnis für die Arbeitswelt von Wirtschaftsjournalisten antreffe, lohnt es vielleicht der Versuch.
1. Kenntnisse in ökonomischer Theorie sind auch in Journalistenkreisen kein überreichlich vorhandenes Gut, auch wenn die Beschäftigung während der Finanzkrise erheblich zugenommen hat. Ich selbst habe in den vergangenen drei Jahren wahscheinlich mehr Fachliteratur gelesen als während meines Studiums, und die führenden Zeitungen haben vor allem viele aktuelle Papiere vorgestellt. Allerdings werden Sie nicht viele Leute treffen, die Klassiker wie die „General Theory“ oder die „Verfassung der Freiheit“ gelesen haben – aber ist das unter Ökonomen anders?
2. Die Finanzkrise war für uns ein unerhörtes Lernprogramm, allerdings „on the job“ und häufig sehr kurzfristig. Das Problem war, dass man, um zu verstehen, was da los war, Kenntnisse in sehr unterschiedlichen Disziplinen brauchte: In Makroökonomik (monetärer und internationaler), in Finanzmarktökonomik von der Theorie effizienter Märkte über Verhaltensökonomik bis zu Kenntnissen von Produkten, Institutionen und Regulierungen. Es gibt praktisch keinen Journalisten, der diese Kenntnisse in sich vereinen kann. Der beste Mann in dieser Hinsicht in der Branche, Benedikt Fehr, ist dann auch noch von der F.A.Z. zur Bundesbank gewechselt.
3. Es bestand daher eine Nachfrage nach einer umfassenden Theorie. Es gibt aber auch nahezu keinen Ökonomen, der in seiner Arbeit ein solches Themenspektrum abdeckt und dies in einem zusammenfassenden Buch gebündelt hätte. Das erklärt, warum Hyman Minsky, der ja ein Außenseiterökonom war, sich einer zumindest vorübergehenden Popularität erfreute, nachdem man zuerst in Amerika sein Werk wiederentdeckte. Denn was immer man von seinem Werk halten mag: Da fand man vieles: Makroökonomik, Kenntnisse von Finanzmärkten, ihren Produkten und den Verhaltensweisen der dortigen Teilnehmer bis hin zu Kenntnissen über Regulierungen und Regulierer. Minskys Hauptwerk lag seit 1990 auch in deutscher Sprache vor (damals übrigens von mir für die F.A.Z. rezensiert), aber innerhalb des Mainstreams war er unbekannt. Das ist ein Grund, warum Minsky dann irgendwann wieder einmal im Dunkel verschwand.
4. Keynes kam eigentlich erst wieder, als aus der Finanzmarktkrise eine Wirtschaftskrise wurde und Parallelen zur Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre gezogen wurden. Außerdem wurde er im Zusammenhang mit den „Animal Spirits“ wiederentdeckt. Ich bin mir aber nicht sicher, dass Keynes wirklich häufig im Original gelesen wurde; stattdessen wurden in den vergangenen 12 Monaten mehrere neue Bücher über ihn geschrieben (darunter auch eines von mir). Keynes‘ eigene Theorie (in Abgrenzung von so manchem, was als „Keynesianismus“ existiert) wurde aber wohl kaum zu Rate gezogen. Sein großer Name diente mehr als Chiffre für die Ansicht, dass man in schweren Krisen auf den Staat nicht verzichten kann und dass es wichtig ist, Makroökonomik zu betreiben. Meines Erachtens ist das aber hauptsächlich ein Medienphänomen. Ich kenne nicht viele zeitgenössische Politiker und Ökonomen, die sich wirklich ernstlich auf ihn berufen. Keynes ist eine Chiffre, um plakativ ein paar Grundpositionen zu beschreiben, die über die Detailverliebtheit moderner Ökonomik ins Grundsätzliche reichen.
5. Ich denke, dass dies auch für Hayek gilt. Die Wiederkehr von Hayek, wenn es denn wirklich eine außerhalb des Liberalismus wahrgenommene gibt, war eine Reaktion der Liberalen auf die von ihnen unerwartete und sicherlich auch nicht sehr willkommene Wiederkehr von Keynes. Beispielhaft war hierfür das bekannte „Keynes-Hayek-Rap-Video“. Man kann mit der Chiffre Hayek ebenfalls eine Reihe von Grundpositionen darstellen. Und weil Duelle für die meisten Menschen interessanter sind als harmonische Tänze, hat man Debatten des Typs „Keynes versus Hayek“ zu starten versucht. Aber auch das ist mehr ein Medienereignis als eine Debatte von praktischer Bedeutung. Und ganz offen gesagt: Mit großen vergangenen Namen wie Keynes und Hayek erweckt man auch mehr Aufmerksamkeit als mit einem zeitgenössischen Duell von, sagen wir, Sinn gegen Bofinger. Dass Sinn und Bofinger in mancherlei Hinsicht übereinstimmen, ist kein Gegenargument. Es gibt auch viele Übereinstimmungen zwischen Keynes und Hayek.
6. Paul Samuelson hat einmal sinngemäß und sehr pointiert gesagt, dass ein großer Ökonom erst dann richtig groß ist, wenn man seinen Namen nicht mehr kennt, weil seine Lehren Bestandteil der anerkannten herrschenden Lehre seien. Die Verehrung der Altmeister ist eine Sache, aber die modernen Ökonomen sind doch längst woanders. Und das finden Sie dann auch in den Medien: In der von meinem Kollegen Philip Plickert betreuten Rubrik „Der Volkswirt“ in der F.A.Z., im „Sonntagsökonom“ der F.A.S. oder in der vom Kollegen Storbeck im Handelsblatt betreuten Rubrik. Da werden hauptsächlich moderne Arbeiten vorgestellt, die keine grundlegenden neuen Theorien vorstellen, aber notwendige Beschäftigungen mit aktuellen Fragen. Wer sich mit der wichtigen Frage befasst, wie bessere Regulierungen von Finanzmärkten aussehen, findet bei Keynes und Hayek wenig, bei Brunnermeier aber einiges. So ist der Lauf der Welt. Und es ist auch kein Zufall, dass das derzeit populärste Buch in meiner Branche von Reinhart/Rogoff stammt, in dem sehr viel lehrreiche Empirie, aber praktisch keine Theorie betrieben wird.
7.Insoweit wäre es einer Überlegung wert, ob das von Ihnen zitierte „Elend des Liberalismus“ nicht auch viel damit zu tun hat, dass zwar liberale Klassiker wie Hayek rauf- und runterzitiert werden, es dafür aber vielleicht an modernen Ansätzen fehlt. Aber das ist hier nicht mein Thema.
Viele Grüße
Gerald Braunberger
ich finde auch, dass es um mehr als den ökonomischen Liberalismus geht. Es geht um die Freiheit des Individuums und die Freiheit der Menschen ihre Strukturen und Prozesse frei von staatlicher Gängelung in spontaner Selbstorganisation und gegenseitigem Respekt selbst zu erschaffen und auszuformen. Hayek dient hier nicht allein als Einstieg, sondern als Verkörperung des unbändigen Willens des Individuums sein Leben in Eigenverantwortung frei und selbst zu gestalten. Eine Gesellschaft, in der der individualistische way of life dominiert ist einzig immun gegen nationalsozialistische und sonstige sozialistische Versuchungen.
Ich stimme zu, dass Hayek dem Individuum den gebührenden Platz einräumt. Aber Hayek als einsamen Streiter zu zeichnen verschleiert, dass seine Anschauungen auf dem Wissen und der Weltsicht von Carl Menger und, noch viel wichtiger, Ludwig v. Mises, dessen Schüler Hayek war, beruht.
Es war von Mises, der nicht nur in seinem Essay „Die Gemeinwirtschaft“ bereits in den 20 Jahren des 20. Jahrhunderts, die Unmöglichkeit einer funktionierenden Planwirtschaft widerlegte, sonder der, mit seinem Magnum Opus „Human Action“ die Stimme der rationalen Volkswirtschaft gegen diejenigen Ökonomen erhob die es sich im Lala Land von Sir Maynard Keynes bequem gemacht hatten.
Lieber Herr Braunberger,
besten Dank für Ihre ausführlichen Kommentare und den Einblick in die Welt des Wirtschaftsjournalismus. Die Welt der Ökonomik ist da gar nicht so verschieden. Auch für uns war die Krise ein „unerhörtes Lernprogramm“ – und ist es noch immer. Auch ich musste erst einmal nachlesen, was ABCP, ARM, CDO, OTC u.v.m. sind und wie sie – nicht -funktionieren (aber auch CRA: Community Reinvestment Act usf). Bei dieser Suche waren wiederum für viele Ökonomen, von denen möglichst rasch möglichst kompetente Analysen und Empfehlungen erwartet wurden, gute Zeitungen (wie die Ihre) sicher oft genug die ersten Einstiegs-Quellen. Vielleicht sogar die ergiebigsten. Gute Zeitungen schaffen das, was spezialisierte wissenschaftliche Journals nicht können: sehr rasch auf sehr viel Expertenwissen und alternative Erklärungsmuster aus den verschiedensten relevanten spezialisierten Fachbereichen hinweisen.
Auch sonst sehe ich die Dinge sehr ähnlich wie Sie bzw. sehe auch Parallelen zur Welt des Ökonomen. Auf die Gefahr hin, „Hayek rauf und runter“ zu zitieren: Es gibt da einen recht interessanten Artikel „Das Dilemma der Spezialisierung“, in dem Hayek (1955) behauptet, im Gegensatz zu den Naturwissenschaften sei in der Gesellschaftsanalyse und Ökonomik „der Weg von der theoretischen Konstruktion zur Erklärung des Einzelfalls viel länger“; auch verlange diese Erklärung sehr viel eher, „eine ganze Menge aus verschiedenen Disziplinen zu wissen“. Spezialisierung und Wissensteilung seien zwar auch in der Ökonomik unvermeidbar. Es folge aber auch, „dass der Ökonom, der nur Ökonom ist, leicht zur Plage, wenn nicht regelrecht zur Gefahr wird“ und: „dass unsere größte Hoffnung darin liegt, Platz für die Vielfalt von Bemühungen zu lassen, die echte akademische Freiheit möglich macht“.
Viele Grüße,
Michael Wohlgemuth
Lieber Herr Wohlgemuth,
ich denke, Arbeitsteilung ist das Gebot der Stunde.
Natürlich brauchen sie einerseits Ökonomen, die im Sinne Hayeks nicht nur Ökonomen sind. Die sind wichtig, es gibt zu wenige, aber sie sind nicht ausreichend. Denn die Welt ist derart komplex, dass solche Ökonomen sich in der Gefahr bewegen, zu sehr auf einer „Meta-Ebene“ zu schweben und zu sehr verallgemeinern. Das ist meines Erachtens ein Kernproblem der traditionellen Ordnungsökonomik in unserer Zeit.
Deshalb brauchen Sie durchaus auch Spezialisten, die in Teilbereichen genau hinschauen. Die befinden sich wiederum in der Gefahr, den Wald vor lauter Bäumen nicht zu sehen.
Da man schlichtweg nicht erwarten kann, dass viele Ökonomen sowohl Ökonomen im Hayekschen Sinne wie auch Spezialisten in Teilbereichen in einem sind, bräuchte man eine fruchtbare Zusammenarbeit. Daran scheint es mir in der Praxis zu mangeln.
Um ein Beispiel zu nennen: Die Debatte über Credit Default Swaps (CDS) und die Frage einer etwaigen Regulierung. Auf der „Meta-Ebene“ finden Sie einerseits die Ansicht, man müsse sich um CDS nicht kümmern, da Finanzmärkte effizient seien. Andere Stimmen wiederum erklären die CDS zum Teufel in Person, der verboten werden müsse.
Da hilft nichts: Man muss sich konkret mit diesen Produkten und ihren Märkten befassen. Das ist aber nicht einfach, weil ein Mangel an aktuellen Informationen besteht. Wir haben uns wirklich viele Stunden mit CDS befasst und im Laufe der Zeit mehrere Sonderseiten geschrieben, aber manches ist bis heute intransparent.
Immerhin kommt man schon zu ein paar Erkenntnissen, die allerdings keinem Generalisten auf der Meta-Ebene gefallen werden, denn die Welt ist weder schwarz noch weiß. CDS sind in punkto Finanzmarktstabilität nicht ganz so harmlos, wie die Anhänger der Theorie effizienter Finanzmärkte meinen. Das zeigt das Beispiel AIG. Hätten alle Marktteilnehmer seinerzeit gewusst, wie viele CDS die AIG ausgestellt hatte, wäre es klar geworden, dass die AIG im Falle einer Krise nicht anders als zusammenbrechen konnte. (Wer am Thema CDS aus Marktsicht interessiert ist, sollte unbedingt „Fool’s Gold“ von Gillian Tett lesen. Das Buch ist aus der sehr seltenen Insiderperspektive geschrieben.)
Andererseits ist es Humbug, die CDS zum Monster zu erklären. Sie sind prinzipiell hilfreiche Produkte mit manchmal allerdings sehr unverträglichen Nebenwirkungen.
Ein Vorschlag aus der Praxis lautet nun, das im Falle der AIG verheerende Kontrahentenrisiko zu beseitigen, indem CDS über zentrale Gegenparteien wie offizielle Börsen gehandelt werden. Man würde den Handel sozusagen aus dem Dunkel ins Licht holen. Der Vorschlag ist meines Erachtens an sich nicht übel (auch wenn er konkrete Probleme aufwirft, die ich hier aber nicht behandeln kann), aber hier kommen wir zu dem Problem, das Herr Kliemt in einem kürzlichen Beitrag aufgezeigt hat. Aus einer Summe von Einzelfallregulierungen entsteht nicht notwendigerweise eine tragfähige Regulierungsarchitektur.
Man müsste, um das Geschäft nicht alleine den Spezialisten zu überlassen, allgemeine Prinzipien herleiten, aus denen dann eine Behandlung der CDS folgt. Dazu müssten die Ökonomen im Hayekschen Sinne mit den Spezialisten zusammenarbeiten. Und daran hapert es in der Praxis. Für konstruktiv denkende und arbeitende Ökonomen jedweder Provenienz gibt es mehr als genug zu tun. Eine zeitgemäße Ordnungsökonomik könnte hier sehr fruchtbar wirken.
Viele Grüße
Gerald Braunberger
Hallo Herr Braunberger,
es ist schön Erkenntnisse ihrerseits so detailiert lesen zu dürfen. Lassen Sie mich einige Anmerkungen dazu machen.
Was denken Sie, oder besser gesagt, woher denken Sie kommen CDS ? Was sind denn Kreditabsicherungsmechanismen ? Haben Sie schon einmal etwas von der Privatisierung von Gewinnen und der Sozialisierung von Verlusten gehört ? Nichts anderes ist ein CDS. Es spielt überhaupt keine Rolle ob AIG solvent war oder nicht. Rechtlich ist das Ganze so gestrickt, dass AIG, oder besser gesagt seine Bondhalter gar nicht abschmieren können. Wenn es ein Problem auf der privaten Finanzierungsseite gibt, springt die Zentralbank ein ( oder – und das ist in unserem Falle das Hauptproblem – andere Jurisdiktionen die rechtlich so mit den USA verzahnt sind, werden so angepumpt, dass sie einfach ausgeblutet werden ).
Aber vielleicht ist es auch interessanter zu erfragen, weshalb all diese Produkte überhaupt eingeführt wurden ?! Sie sind ja nicht wirklich neu.
Dann kommen wir auch gleich zum Thema Griechenland. Was wird uns da erzählt ? Die „Griechen“ sparen jetzt ? Nein, die griechische Bevölkerung wird verschaukelt, es ist wiederum die Regierung, die einen bailout bekommt. Verstehen Sie das ? So etwas nennt man Sozialismus. Schlimm wird es zudem dann, wenn big business dazu kommt. Dann vermischen sich privatrechtliche Fragen mit öffentlichen und führen schiesslich zu einer Untergrabung gewaltenteilender Demokratie. Dieser Prozess ist in Europa im Gange. Wissen Sie, ich verstehe es einfach nicht. Warum wird versucht die USA nach zu bilden ? Sicherlich, wir wissen alle warum, aber das passt jetzt nicht hier her. Herr Braunberger, das einzige was in den USA in den letzten, ja fast 40 Jahren, wirklich expandierte sind Staatsschulden. Fahren Sie doch einfach einmal in die USA und bitte nicht gerade in die Ballungszentren. Reden Sie mit den Menschen, dann verstehen Sie vielleicht in was für einer prekären Situation wir sind.
Herr Braunberger, wie ich hier schon öfters schrieb, werden Länder dann „reich“ ( und das ist sicherlich nur eine materielle, nicht notwendigerweise eine geistige Definition ) wenn die Bevölkerung die Möglichkeit gegeben wird ihre Fähigkeiten voll einzusetzen und sich selber um ihr Fortkommen zu bemühen. Aber das ist heute nicht mehr wirklich der Fall. Sicher, das „System“ an sich ist noch da, aber wir wurden einfach so in Regulierungen und Schulden ersäuft, das es ökonomisch gesehen wirklich schwer ist wieder auf einen rechten Pfad zu kommen. Am Ende heisst es dann immer: Liquidierung und Neustart. Aber wie soll das heute gehen ? Deshalb haben ja auch die G20 mehr oder weniger beschlossen die Währungen gegen die Wand zu fahren und aufs Beste zu hoffen, auch wenn sie wissen, das es nicht funktioniert. Und so befinden wir uns in einer Zeit des ökonomischen und politischen ( gegenseitigen ) Abstiegs, in der mal hier geschriehen wird und dann wieder dort.
Wie sie nun sicherlich wissen ist der Privatsektor in der westlichen Welt ziemlich tot. Ich muss es leider so sagen. Die Gründe dafür liegen jedoch nicht nur in einem IMF, der seinen Weg verloren hat, sondern auch in gesellschaftlichen Veränderungen ( Demographiewandel um das meiner Meinung nach größte „Problem“ zu bennen ).
In diesem Sinne, vergessen wir nicht wie das Spiel am Ende ausgeht. Lassen wir uns nicht von der Propaganda der Medien verschaukeln. Geld wird wertlos werden. Und das ist keine Polemik sondern einfach nur das Résumé aus 40 Jahren „Globalisierung“. Da hätte ich dann auch noch eine Spitze an die Globalisierungsgegner: es ist nicht Kapitalismus ( schon vergessen, Kapital kommt von privaten Ersparnissen und Produktion ) der Global wurde, sondern Regierungsgeld.