Zeitenwende

„Was ihr den Geist der Zeiten heißt, das ist im Grund der Herren eigener Geist, in dem die Zeiten sich bespiegeln …“ (Goethe, Faust)

‚Zeitenwende‘ ist von den Repräsentanten der ‚Schwätzenden Stände‘ zum Wort des Jahres erklärt worden; doch noch ist kein Jahr vergangen und sie sprechen in ihrer nach Neuigkeiten lechzenden Ungeduld bereits von einer ‚Zeitlupenwende‘. Das mag man beklagen, aber es entspricht dem, was die Mechanismen öffentlicher Meinungsbildung erwarten lassen. Ohnehin haben die Zeiten sich nicht gewandelt, sondern allenfalls der Zeitgeist.

Ein durchaus gelungener Anfang

Mit der Bundestagsrede zur „Zeitenwende“, die ‚Olaf der Bedächtige‘ im Februar 2022 unmittelbar nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine hielt, hat er einen Weckruf an die Nation gerichtet. Die staatspolitische Leistung bestand darin, dass die Rede trotz der gebotenen Eile offenkundig vorab mit maßgeblichen Politikern auch der Opposition inhaltlich koordiniert war. Alle im rechtsstaatlich-demokratischen Sinne ‚staatstragenden Parteien‘ haben Scholz in entscheidenden Punkten unterstützt (und u.a. richtigerweise die Bildung eines Sondervermögens zur mittelfristigen Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit der Bundeswehr umgehend beschlossen).

Es ist ein Verdienst vor allem der CDU/CSU, den Versuchungen der Tagespolitik insoweit widerstanden und diesen Schritt als Oppositionspartei ermöglicht zu haben. Sie hat damit eine staatspolitische Verantwortlichkeit gezeigt, die man historisch vor allem von Sozialdemokraten kannte, wenn der Rechtsstaat auf dem Spiel stand. Die Grünen erwiesen sich ebenfalls als entschlossene Verteidiger der Rechtsstaatlichkeit, während die Freien Demokraten klare Kante zeigten. Selbst die rechtsstaatlichen Schmuddelkinder von links und rechts zeigten ein gewisses Maß von Anstand.

Für die Rechtsstaatlichkeit in der Bundesrepublik war 2022 ein gutes Jahr – ohne dass das von uns aktuell hinreichend gewürdigt würde. Ein Anfang hin zu mehr Akzeptanz von Realpolitik ist jedenfalls gemacht. Jetzt geht es zunächst darum, die konventionelle Verteidigungsfähigkeit zu erhöhen, die Entwicklung der eigenen Rüstungsindustrie nicht weiter zu behindern und das eigene wirtschaftliche Gewicht unter Anerkenntnis der relativen geopolitischen Bedeutungslosigkeit Deutschlands in rechtsstaatssichernde Koalitionen mit anderen westlichen Rechtsstaaten einzubringen.

Alte Wahrheiten

Die Vorstellung, dass wir in einer Welt leben, die von einer naturrechtlich geprägten Friedensordnung dominiert wird, hat sich endgültig als Wunschdenken herausgestellt. An die Maxime des „si vis pacem, para bellum“ oder „willst Du Frieden, dann bereite den Krieg vor!“ kann man mittlerweile erinnern, ohne gleich als ‚kalter Krieger‘ hingestellt zu werden. Dies Maxime müssen gerade diejenigen, die es mit dem Wunsch nach Frieden ernst meinen, beherzigen. Die Notwendigkeit, entsprechend zu handeln, wird von den meisten maßgeblichen Politikern und anscheinend auch von den meisten Bürgern zumindest stillschweigend anerkannt. Diese Änderung des Zeitgeistes gibt grundsätzlich zu vorsichtiger Hoffnung Anlass, dass bestimmte langfristig notwendige Sicherheitsstrategien auch an der Wahlurne bestehen könnten.

Es ist allerdings keineswegs trivial, sich darauf zu verständigen, was langfristig zur Sicherung der freiheitlichen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie beiträgt. Unzureichend ist in jedem Falle das traditionelle Gemeinschaftsgewese der Kollektivisten von links und rechts, denen nichts Besseres einfällt als die Forderung nach Dienstpflichten militärischer oder sozialer Art (vgl. etwa https://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?tag=kliemt). In der Konkurrenz mit Autokratien wie Russland können wir so unsere komparativen Vorteile in der privat- und öffentlich-rechtlichen Organisation gewiss nicht in’s Spiel bringen.

Die Nato als Kartell

Die staatlichen Maßnahmen, die bislang in Reaktion auf den russischen Überfall auf die Ukraine ergriffen wurden, sind im Großen und Ganzen angemessener ausgefallen, als man es noch vor einem Jahr, hätte erwarten dürfen. Das sollten wir mit einer gewissen Befriedigung zur Kenntnis nehmen.

Das Handeln führender russischer Strolche sollte uns aber auch gelehrt haben, dass Wandel durch Annäherung eine Illusion ist. Wenn der Wandel auf Abhängigkeit hinausläuft, die dem rechtsstaatlichen Partner nur kurzfristiges Appeasement als Reaktion auf Aktionen des nicht rechtsstaatlichen Partners lässt, ist sie gefährlich. Ohne glaubwürdiges Drohpotential jener, die an rechtsförmigen internationalen Beziehungen interessiert sind, lädt ein Verhalten wie das der früheren Regierung Merkel nur zu Rechtsbrüchen ein. Ohne Drohpotential und Diskriminierung gibt es keine Hoffnung auf internationales Recht und dauerhaften internationalen Frieden.

Die Nato ist insgesamt eine friedenssichernde Koalition auch wenn sie nicht so erfolgreich war, wie wir uns das wünschen sollten. Dass die westliche Politik jedenfalls keine glaubwürdige Abschreckung gegenüber der barbarischen Entschlossenheit der russischen Führung beinhaltet hat, ist offenkundig. Dass der Westen aus interner Uneinigkeit zur wirtschaftlichen Stärkung von politischen Pariahs wie Russland (und natürlich auch China) unnötig beigetragen hat, ist ein machtpolitisch relevantes Faktum. Ebenso offenkundig ist zugleich, dass die Glaubwürdigkeit der nuklearen Abschreckung wirksam ist: ungeachtet der traditionellen russischen Neigung zu brutaler Barbarei wird der Krieg in der Ukraine bislang auch von der russischen Seite nicht als unbeschränkte Auseinandersetzung geführt.

Die Wirtschafts- und Militärmacht der westlichen Staaten und nicht die sogenannte internationale Friedensordnung sind wohl ausschlaggebend für die relative Zurückhaltung der russischen Armee und ihrer politischen Führung. Die Erfahrung des sogenannten kalten Krieges sollte als Erinnerung daran genügen, dass wir es mit einem Langstreckenlauf zu tun haben, wenn es darum geht, Russland in quasi-rechtliche Schranken zu weisen. Gleiches gilt allgemein für den Umgang mit den Autokratien dieser Welt.

Die UN und das Diskriminierungsgebot

Natürlich war es immer schon Unfug, die Vereinten Nationen als eine Institution anzusehen, die als solche die Rechtsförmigkeit des internationalen Verkehrs garantieren kann. Das internationale Recht hat zwar eine gewisse steuernde Relevanz in der Formierung von politischen Durchsetzungskoalitionen; aber es bewirkt gerade keine weitgehende Entpolitisierung der Rechtsdurchsetzung (vgl. zur Politisierung anarchischer Rechtsdurchsetzung Njal’s Saga).

In Kombination mit organisierter militärischer und wirtschaftlicher Macht können die Rechtsstaaten die UN allerdings ebenso strategisch für ihre Interessen nutzen, wie es die autokratischen Systeme zu tun versuchen. Das ist solange unbedenklich, wie die Rechtsstaaten gegen die Nicht-Rechtsstaaten konsequent im Interesse der Sicherung der eigenen Rechtsstaatlichkeit diskriminieren.

Konkret ist es wünschenswert, dass insbesondere Staaten, die der EU und der Nato angehören, in Zusammenarbeit mit Japan und Ozeanien ihre immer noch überlegene Wirtschafts- und auch Militärmacht koordiniert einsetzen, um bestimmte, ihre eigene Rechtsstaatlichkeit sichernde, Kollektivgüter als Kartell zu organisieren. Die erwünschte Diskriminierung gegen die Nicht-Rechtsstaaten nicht nur auf dem Gebiet der Rüstung, sondern vor allem auch auf wirtschaftlichem Gebiet wird allerdings nur funktionieren, wenn Rechtsstaaten auch gegen andere Rechtsstaaten aus ihren eigenen Reihen diskriminieren, falls diese nicht hinreichend diskriminieren.

Über die Friedenssicherung hinaus

Damit globale Kollektivgüter wie die Beschränkung militärischer Konflikte, aber auch die Beschränkung von CO2 Emissionen bereitgestellt werden können, bedarf es gerade nicht der Konkurrenz und Öffnung von Märkten, sondern der Kartellbildung. Das ist ein für überzeugte Anhänger der Globalisierung und die prinzipiell segensreichen Wirkungen globaler Konkurrenz gewöhnungsbedürftiger Gedanke. Es ist jedoch schwer vorstellbar, dass ein Problem wie „global warming“ ohne global wirksame CO2 Besteuerung angegangen werden könnte. Ebenso wie einseitige Friedlichkeit nur dazu einladen wird, die Rechtlichkeit anderer auszunutzen, so werden einseitige unbedingte CO2 Einsparungen nur andere dazu einladen, mehr CO2 zu produzieren.

Wenn wir dann selbst CO2 einsparen und die von anderen CO2-lastig produzierten Güter abnehmen, fragen wir de facto CO2 nach. Dem können die entwickelten Industrienationen nur begegnen, wenn sie ein Kartell bilden, Importe, die nicht bestimmten Kriterien genügen, zu besteuern.

Die Bildung entsprechender Koalitionen muss in freiheitlichen Rechtsstaaten von der öffentlichen Meinung unterstützt werden. Die Hoffnung darauf ist insofern nicht aussichtslos, als die Dynamik der Wählerbewegungen immer schon Zölle zum Schutz heimischer Industrien begünstigt und insoweit Globalisierung behindert hat. Allerdings ist es ziemlich unklar, ob entsprechende Qualitätskartelle ohne Mitwirkung Chinas noch wirkungsvoll sein können.

Die institutionelle Ökonomik wird sich zukünftig mehr damit befassen müssen, wie man Kartelle bildet als damit, wie man deren Bildung verhindert. Dass sich im Jahr 2023 der Geburtstag von Adam Smith (1723) zum dreihundertsten Male jährt, wird die Ökonomen und alle anderen hoffentlich an die segensreichen Wirkungen von Arbeitsteilung, Austausch und Marktintegration erinnern.

Referenzen

https://www.deutschestextarchiv.de/book/view/goethe_faust01_1808?p=51

Cook, Robert. Njal’s Saga. London et al: Penguin, 1997.

2 Antworten auf „Zeitenwende“

  1. Wenn man CO2-intensive Produkte besteuert, dann hat das nur dann eine Lenkungswirkung wenn es bessere Alternativen gibt. Ansonsten schadet man sich nur selber. Außerdem reduziert man so die eigenen Chancen auf dem Weltmarkt oder die Produktion für den Weltmarkt wird ins Ausland ausgelagert. Besser wäre es wahrscheinlich wenn man die Alternativen mit Geld fördert. Wie gut das funktionieren kann hat man bei den Erneuerbaren Energien gesehen.

  2. Bemerkung zum Kommentar von Robert Müller
    Wenn man CO2 dadurch reduzieren will, dass man erneuerbare Energien fördert, dann schadet man auch nur sich selbst, insoweit der deutsche CO2 Ausstoss auf die Welt bezogen allein keine hinreichend signifikante Größe ist. Förderprograme müssen wie die Besteuerung bedingte Programme sein, die gegen alle diskriminieren, die nicht entsprechend CO2 Einsparungen vornehmen bzw. fördern. Der Fokus auf unseren eignen CO2 Ausstoss ist nur dann berechtigt, wenn wir eine Zukunft antizipieren, in der es für uns selbst vorteilhaft ist, weniger CO2 zu generieren. Das ist aber nicht die Zukunft, die sich ohne wirksame Diskriminierungskartelle entfalten wird.
    Die eigentliche Zeitenwende besteht darin, dass wir erkennen und öffentlich anerkennen, dass diejenigen, die globale Kollektivgüter bereitstellen wollen –frei nach Wilhelm Buschs frommer Helene –, zu allererst darauf bedacht sind, die anderen dazu zubringen, nämliches zu tun. Auf der Ebene der internationalen Politik vermag ich nicht zu erkennen, wie eine weniger warme Zukunft zu erwarten sein soll, wenn wir nicht, so wie in der klassischen Macht- und Gleichgewichtspolitik, unser Augenmerk auf die Formierung von Koalitionen richten, die gegen jene diskriminieren, die ‚freifahren‘ wollen.
    Deutschland ist im wesentlichen insignifikant, was globale Kollektivgüter anbelangt. Signifikantes Diskriminierungspotential von Rechtsstaaten kann sich nur aus dem Zusammenwirken von USA, Europa, Japan und Ozeanien ergeben; wobei optimistisch angenomen sei, dass ein Kartell auf rechtsstaatliche Schmuddelkinder wie Indien und autoritäre Regime wie China wirksamen Einfluss ausüben kann. Wenn man eint, dass sich CO2 Reduktion lohnen kann, dann muss man annehen dass eine Kostenkaskade entstehen kann, die es für alle hinreichend verteuert, wenn sie sich nicht beteiligen. Das ist nur zu erreichen, wenn wir das prioritäre Ziel in der Koordination von Sanktionen gegen Freifahrer und nicht in eigenem vorbildlichem Verhalten sehen. Es scheint, dass große Teile der Grünen das mit Bezug auf die Friednessicherung begiffen haben. Der Schritt, dies auch auf den Klimaschutz zu übertragen, wenn man diesen wirklich will, sollte eigentlich naheliegen.

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