Pro & ContraDe-Growth Verzicht auf Wachstum für die Umwelt?

Beim 27. Weltklimagipfel im ägyptischen Sharm El-Sheikh herrschte kein gutes Klima, zumindest nicht auf dem Papier. Nach wie vor hinkt man teils deutlich hinter den Zielen zurück, die die Klimakatastrophe noch aufhalten sollen. So wurde die Zusammenkunft der knapp 200 Staaten, die erste auf dem afrikanischen Kontinent, auch von lautstarken Protesten begleitet.

Immerhin verständigte man sich auf einige neue Ansätze. Die Industriestaaten erklärten sich bereit, mehr Geld für die Abfederung der Klimarisiken in ärmeren Ländern bereitzustellen. Aber reicht das? Oder lässt sich das Klima nur retten, wenn die großen Volkswirtschaften weniger wachsen? Ulrike Herrmann (taz) und Hans-Jörg Naumer (Allianz GI) haben dezidiert unterschiedliche Ansichten, ob es grünes Wachstum überhaupt geben kann. Als Alternative bliebe nur ein Schrumpfen.

Pro von Ulrike Herrmann (taz)

Ulrike Herrmann ist Wirtschaftsredakteurin bei der „tageszeitung (taz)“. Sie ist ausgebildete Bankkauffrau und hat Geschichte sowie Philosophie an der FU Berlin studiert. Herrmann ist regelmäßiger Gast im Radio und Fernsehen. Im Herbst 2022 erschien ihr Buch „Das Ende des Kapitalis-mus“ bei Kiepenheuer & Witsch.

Hauptargumente

Die Menschheit tut so, als könnte sie zwei Planeten verbrauchen. Die Klimakrise ist nicht das einzige Problem. Die Menschheit zerstört auch das Süßwasser, die Böden, die Meere und rottet zahllose Arten aus. Wir müssen aus dem Wachstum aussteigen, denn „grünes Wachstum“ ist eine Illusion.

Empirie

„Grünes Wachstum“ setzt auf technische Lösungen. Beispiel Klimakrise: Um die Treibhausgase aus Gas, Öl und Kohle zu vermeiden, soll die Energie künftig vor allem durch Solarpaneele und Windräder gewonnen werden. 2021 haben Sonne und Wind aber nur 6,7 % des deutschen Endenergieverbrauchs abgedeckt. Der Ausbau wird also noch eine riesige Kraftanstrengung. Zudem müssen für Flauten und Dunkelheit enorme Mengen an Strom gespeichert werden – Batterien und grüner Wasserstoff sind aber aufwendig. Ökoenergie wird daher so knapp und teuer bleiben, dass „grünes Wachstum“ ausgeschlossen ist. Es geht um „grünes Schrumpfen“.

Probleme

Der Kapitalismus benötigt Wachstum, um stabil zu sein. Schrumpfen führt ins Chaos und zu Massenarbeitslosigkeit, wenn es nicht staatlich geplant wird.

Politikvorschläge

Das Ziel muss eine ökologische Kreislaufwirtschaft sein, in der nur noch verbraucht wird, was sich recyceln lässt. Für den Weg dorthin bietet sich die britische Kriegswirtschaft ab 1939 an, denn die Briten mussten ihre Friedenswirtschaft schrumpfen, um die nötigen Waffen im Kampf gegen Hitler herzustellen. Damals entstand eine demokratische, private Planwirtschaft: Es wurde nichts verstaatlicht, aber die Regierung hat vorgegeben, was noch produziert wird. Die knappen Güter wurden dann gerecht verteilt, also rationiert. Es war sehr populär, dass Arm und Reich gleich behandelt wurden.

Contra von Hans-Jörg Naumer (Allianz GI)

Dr. Hans-Jörg Naumer leitet seit 2000 den Bereich „Capital Markets & Thematic Research“ bei Allianz Global Investors. Neben zahlreichen Veröffentlichungen ist er auch (Mit-)Herausgeber zweier Bücher zur Mitarbeiterkapitalbeteiligung und zur Vermögensbildungspolitik. Im Sommer 2022 erschien sein Buch „Grünes Wachstum“ bei Springer Gabler.

Hauptargumente

Degrowth ist keine Lösung. Nicht zuletzt die demographische Entwicklung und die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen erinnern uns daran, dass der Kampf gegen Hunger und Armut weitergeführt werden muss. Hierfür ist Wirtschaftswachstum unabdingbar.

Empirie

Die Vereinten Nationen schätzen, dass die Weltbevölkerung bis 2100 um weitere 3 Milliarden Menschen auf dann 11 Milliarden anwachsen wird. Dabei spricht die WHO schon jetzt von den „forgotten 3 billion“: den vergessenen – aber bereits lebenden – drei Milliarden Menschen, die unter unzumutbaren Bedingungen leben.

Probleme

Eine Angleichung der globalen Lebensverhältnisse ist bei Degrowth nur durch Umverteilung von den reichen zu den armen Nationen denkbar. Wie schwierig, ja unmöglich dies ist, zeigt der Ökonom Branco Milanovic: Die Menschen verfügen im globalen Durchschnitt über 16 US-Dollar pro Tag. Aber nur 14 % der in westlichen Ländern lebenden Menschen liegen darunter. Folglich müssten also 86 % dieser Bevölkerungen überzeugt werden, ihren Lebensstandard drastisch zu verringern. Und nicht nur das: Die „alten“ wie „neuen“ armen Länder müssten auf diesem Zustand verharren, während die Weltbevölkerung weiterwächst.

Politikvorschläge

Bei der Frage des Wirtschaftswachstums geht es also nicht um das „Ob“, sondern um das „Wie“. Die Entkoppelung von Wachstum und Treibhausgasemissionen muss weiter fortgeführt werden, bis hin zu deren vollständigen Reduktion auf (im Saldo) null. „Green Growth“ statt „Degrowth“ heißt die Lösung! Damit das gelingt, muss die Bepreisung von Treibhausgasemission über das European Trading Scheme ETS hinaus fortgesetzt werden. Dies kann als Ausgangspunkt für einen „Klimaclub“ genutzt werden.

Hinweis: Pro & Contra wurde zusammengestellt von Jörg Rieger, Würzburg. Es erschien in Heft 1 (2023) der Fachzeitschrift WiSt.

Blog-Beiträge zum Thema:

Norbert Berthold (2021): Produktivitätsrätsel, Klimawandel und Postwachstum. Mehr Fortschritt wagen, weniger Verzicht üben

Podcasts zum Thema:

Wirtschaftliche Freiheit (2021): Postwachstumsökonomik. Entkoppeln statt verzichten

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