Die Globalisierung ist – mal wieder – auf dem Prüfstand. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos diskutieren die Teilnehmer über die Zukunft des Globalisierungsprozesses. Die Warnungen klingen durchaus dramatisch: Im „Global Risk Report 2023“ des Weltwirtschaftsforums heißt es, es könne zum ersten Rückschritt in der menschlichen Entwicklung seit Jahrzehnten kommen. Zudem bestehe die Gefahr, dass geopolitische Aspekte Vorrang vor wirtschaftlichen Aspekten bekommen, sodass die internationale Arbeitsteilung zurückgestutzt wird. Ineffiziente Produktion und höhere Preise seien die mögliche Folge.
Schattenseiten wurden aufgedeckt
Was ist dran an den Warnungen? Zunächst einmal ist es kein Wunder, dass die Art der bisherigen Globalisierung kritisch hinterfragt wird. Die vergangenen Jahre haben einige Schattenseiten der internationalen wirtschaftlichen Verflechtung schonungslos offengelegt. Den Auftakt machte der Handelskrieg gegen China, den Donald Trump als US-Präsident lostrat. Wenig später folgte die Pandemie, die Lieferketten durchschlug. Plötzlich gab es Knappheiten bei Produkten, deren Verfügbarkeit bis dahin nie infrage gestanden hatte. Und schließlich stellte der Russland-Ukraine-Krieg die letzten Gewissheiten auf den Kopf. Die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland mussten in Windeseile entflochten werden – mit dem Ergebnis einer Energiekrise und deutlich gestiegenen Lebensmittelpreisen. Und im Hintergrund lauert ein potentieller Angriff Chinas auf Taiwan. Da China für den Welthandel ein weitaus wichtigerer Akteur ist als Russland, mag man sich die wirtschaftlichen Folgen einer solchen Konfrontation kaum vorstellen.
Zeiten der Schönwetterglobalisierung sind vorbei
Fakt ist: Die Zeiten der Schönwetterglobalisierung sind vorbei. Die internationale Arbeitsteilung, wie wir sie aus den einfachen Modellen im ökonomischen Lehrbuch zur Außenwirtschaftslehre kennen, ist Vergangenheit. Auf Kostenunterschiede allein kann sich kein verantwortungsbewusster Entscheider mehr berufen, wenn es um Standortentscheidungen geht.
Globalisierung ist hocheffizient, macht aber anfällig
Dass die Globalisierung nicht reibungslos verläuft, hätte man wissen können. In jedem Grundlagenbuch zur Volkswirtschaftslehre findet man den Hinweis, dass Arbeitsteilung und Spezialisierung für den Einzelnen zwar effizient sind, dass dadurch aber auch Abhängigkeiten entstehen. Warum sollte das auf internationaler Ebene anders sein? Die Welt ist durch die internationale Vernetzung eben hocheffizient, aber auch abhängiger und anfälliger geworden. Ebenso hätte klar sein müssen, dass die Globalisierung massiven Strukturwandel zur Folge hat. Strukturwandel bringt aber nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer hervor. Wenn die Verlierer nicht ausreichend kompensiert werden, kann es zu gesellschaftlichen Spannungen kommen. Hilfreich ist ein Sozialstaat, der die Verlierer für einige Zeit auffängt und ihnen eine berufliche Neuorientierung ermöglicht. Insofern ist es kein Wunder, dass sich zunächst in den USA der Unmut breit machte. Da es in den USA keinen ausgebauten Sozialstaat gibt, waren die Verlierer des Strukturwandels auf sich allein gestellt (Stichwort: Rostgürtel).
Globalisierung durchläuft Reifeprozess
Insofern kann man die aktuelle Diskussion auch positiv drehen: Die Globalisierung erlebt keinen Rückschritt, sie durchläuft vielmehr einen Reifeprozess, der allerdings noch längst nicht abgeschlossen ist. Dieser Reifeprozess kostet Geld. „Nearshoring“, „Friendshoring“ und die generelle Kürzung von Lieferketten sind nicht zum Nulltarif zu haben. Aber die Welt wird wirtschaftlich widerstandsfähiger, wenn die größten Risiken, die aus der internationalen Verflechtung entstehen können, gar nicht erst eingegangen werden. Eine Analogie zum Straßenverkehr drängt sich auf: Autos waren zunächst überwiegend schnell, aber noch unsicher. Sicherheits-Features wie Kopfstützen, zweite Außenspiegel, Anschnallgurte, Airbags und ABS wurden erst nach und nach zum Standard. Dadurch stiegen zwar die Autopreise, aber die Zahl der Verkehrstoten sank drastisch (in Deutschland von 19.193 im Jahr 1970 auf 2.562 im Jahr 2021).
Kurzfristig dominieren geopolitische Risiken
Kurzfristig ist die Gefahr nicht wegzudiskutieren, dass geopolitische Aspekte die wirtschaftlichen Vorteile der Globalisierung überlagern. Aber die wirtschaftlichen Kosten der geopolitischen Verspannungen lassen sich durch eine Neuausrichtung der Globalisierung reduzieren („Nearshoring“, „Friendshoring“ etc.). Ob diese Neuausrichtung am Ende tatsächlich teurer wird, muss sich noch zeigen. Möglicherweise ist es besser, Jahr für Jahr auf etwas Wohlstand zu verzichten, wenn dadurch vermieden wird, dass alle paar Jahre schmerzhafte Korrekturen auf einen Schlag Wohlstand vernichten.
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