Gastbeitrag
Schulden-Inferno
Konjunktureller Stimulus, langfristige Risiken

Europa wird die Verteidigungsausgaben absehbar deutlich anheben. Zu einem grossen Teil werden die Ausgaben durch Schulden finanziert. In Deutschland soll es zudem ein großes Schuldenpaket für Infrastrukturausgaben geben. Die Europäische Zentralbank könnte langfristig wieder in eine ungeliebte Rolle gedrängt werden, um eine zu hohe Zinsbelastung für die Staaten zu verhindern und damit Risiken für die Finanzstabilität zu begrenzen («Fiskalische Dominanz»).

Die Europäische Zentralbank hat die Leitzinsen um 25 Basispunkte gesenkt. Nachdem die Konjunktur in der Eurozone immer noch schwach ist und die Inflationsrate im Februar wieder leicht auf 2,4% gesunken ist, war eine weitere Lockerung der Geldpolitik möglich. Die Zentralbank agiert schon lange in einem unwägbaren Umfeld, in der sie ihre Geldpolitik mit Vorsicht gestalten muss. Neben den neu entflammten Handelsstreitigkeiten, die auch Einfluss auf das Inflationsumfeld haben, hat sie nun auch den absehbaren Schwenk in der europäischen Finanzpolitik zu berücksichtigen.

Deutschland und Europa vor gewaltigen Schuldenprogrammen

Der Eklat im Weißen Haus letzte Woche Freitag hat endgültig die Frage aufgeworfen, ob die USA verteidigungspolitisch noch ein verlässlicher Partner sind. Die Länder Europas werden ihre Verteidigungsausgaben künftig deutlich hochfahren. So beabsichtigt die Europäische Union Meldungen zufolge, 150 Milliarden Euro Schulden für Rüstungszwecke aufzunehmen. Doch auch deutlich höhere Ausgaben sind möglich. In Deutschland haben die CDU/CSU und die SPD im Rahmen der Sondierungsgespräche zur Regierungsbildung bekanntgegeben, schon kurzfristig Schuldenprogramme in großem Stil auf den Weg zu bringen. Unter anderem soll es ein schuldenfinanziertes Infrastruktur-„Sondervermögen“ in Höhe von 500 Milliarden Euro geben – gleichwohl hat dieses Sondervermögen überhaupt keinen Bezug zur veränderten Sicherheitslage, sondern entspringt parteitaktischen und politischen Kalkülen („Never waste a good crisis“).

Lockerung der Schuldenbremse

Zudem soll die Schuldenbremse mit Blick auf den Eklat in Washington D.C. reformiert werden. Zunächst wären nur noch Verteidigungsausgaben in Höhe von 1% des BIP im Geltungsbereich der Schuldenbremse. Verteidigungsausgaben, die darüber hinausgehen, wären für die Schuldenbremse nicht mehr relevant. Dadurch gäbe es Raum für andere Ausgaben im Haushalt, denn bisher werden rund 2% des BIP für die Verteidigung ausgegeben. Ein künftiger Anstieg der Verteidigungsausgaben müsste zudem nicht mehr an anderer Stelle im Haushalt kompensiert werden, um die Schuldenbremse einzuhalten. Außerdem ist geplant, dass die Länder einen Verschuldungsspielraum von 0,35% des BIP erhalten und eine Expertenkommission soll eine weitere Modernisierung der Schuldenbremse erarbeiten. Diese Beschlüsse sollen noch mit dem bestehenden Bundestag in den nächsten Wochen verabschiedet werden. Dies ist möglich, aber die tatsächliche Umsetzung ist noch nicht gesichert.

Konjunktureller Stimulus durch expansive Finanzpolitik

Was wären die wirtschaftlichen Folgen, wenn die Pläne so umgesetzt werden? Die deutsche Konjunktur bekäme einen Schub. Die Infrastrukturausgaben in Höhe von 500 Mrd. Euro sollen auf zehn Jahre verteilt werden. Das sind rechnerisch pro Jahr mehr als 1% des deutschen BIP. Die Verteidigungsausgaben dürften sehr schnell hochgefahren werden. Durch die gelockerte Schuldenbremse würde mehr Spielraum für eine insgesamt expansive Finanzpolitik entstehen. Auch das Wachstum in Europa würde profitieren, zumal auf europäischer Ebene ebenfalls zusätzliche Verteidigungsausgaben auf den Weg gebracht werden. Um die Ausgaben auf Kredit zu finanzieren, wäre eine gemeinschaftliche Finanzierung durch die Ausgabe von Eurobonds möglich. Alternativ können auch die Regeln des Stabilitätspaktes ausgesetzt oder weiter verwässert werden, um den Nationalstaaten höhere Verschuldungsspielräume zu geben.

„Whatever it takes“ – Eine schiefe Analogie.

Höhere Inflationsraten sind zu erwarten, denn die Zusatzausgaben treffen in verschiedenen Bereichen auf ohnehin schon knappe Kapazitäten. Wenn etwa die neue militärische Abschreckungspolitik wirklich glaubwürdig sein soll, helfen nicht nur große Summen, auch das militärische Personal müsste aufgestockt werden (Wiedereinführung der Wehrpflicht?). Es ist nicht klar, ob das Bewusstsein und die Bereitschaft in der Bevölkerung für die realen Veränderungen in ihrem Leben überhaupt vorhanden sind. Selbst wenn dem so wäre, würden diese Arbeitskräfte in anderen Bereichen der Wirtschaft fehlen und damit tendenziell lohn- und preissteigernd wirken.

Der mutmaßlich neue deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz hat bei der Vorstellung der Schuldenpläne eine rhetorische Anleihe beim ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi genommen, indem er sagte, auch für die Verteidigung gelte nun „Whatever it takes“. Diese Analogie ist allerdings nur bedingt tragfähig. Draghis Aussage war deshalb glaubwürdig und wirksam, weil eine Zentralbank wie die EZB die zur Beruhigung einer Finanzmarktpanik benötigten finanziellen Mittel in potenziell unbegrenzter Menge selbst herstellen kann. Bei Mario Draghi reichte deshalb die bloße Ankündigung, um die Finanzmärkte zu beruhigen – tatsächlich musste er seine Ankündigung nie in die Tat umsetzen. Auf den psychologischen Effekt der großen Zahl scheint auch Friedrich Merz zu setzen. Viel Geld allein macht ein Land aber noch nicht verteidigungsfähig oder effizient. Schon heute ist der Verteidigungsetat der zweitgrößte Posten im Bundeshaushalt. Trotzdem ist die Bundeswehr offenkundig kaum ausreichend einsatzfähig. Hier – wie auch bei anderen Dysfunktionalitäten in der öffentlichen Infrastruktur – scheinen Effizienzdefizite eine wichtige Rolle zu spielen. Neben den hohen Summen muss es also auch eine Effizienzoffensive und einen Mentalitätswandel zu einem höheren Qualitätsbewusstsein geben.

Schuldenlast droht kritische Niveaus zu erreichen – „fiskalische Dominanz“ der Geldpolitik möglich

Die absehbar höheren Schulden werden auch Auswirkungen auf die Zinsen haben (wie der gestrige Zinsanstieg schon gezeigt hat). Die EZB müsste bei einer deutlich expansiveren Finanzpolitik wohl vorsichtiger werden. Zudem würde auch Deutschland langfristig ein gefährlicheres Schuldenniveau drohen. Vorläufige Berechnungen des ZEW (Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung) kommen zu dem Ergebnis, dass die deutsche Schuldenquote von derzeit etwas mehr als 60% des BIP bis zum Jahr 2033 auf über 100% des BIP steigen könnte, wenn die neuen Verschuldungsmöglichkeiten voll ausgeschöpft werden (unter der Annahme, dass die deutschen Verteidigungsausgaben von derzeit rund 2% auf 3,5% des BIP steigen). Deutschland würde seinen heutigen Status als sicherer Anlagehafen kaum halten können, zumal mit dem Renteneintritt der „Baby-Boomer“ die in den Sozialversicherungen schlummernden immensen fiskalischen Lasten auch noch zu finanzieren sein werden. Der deutsche Anteil an den europäischen Gemeinschaftsschulden („Next Generation EU“) ist in der nationalen Schuldenquote ebenfalls noch nicht enthalten.

Innerhalb der Europäischen Währungsunion wäre Deutschland dann wohl auch nicht mehr der Stabilitätsanker, der er bisher war. Bisher haben Deutschland und andere finanziell vergleichsweise solide Länder zur Stabilität der Währungsunion beigetragen. Dass die in vielen Ländern hohen Schuldenquoten noch nicht zu größerer Nervosität an den Anleihemärkten geführt haben (so sind die Zins-Spreads zwischen Deutschland und dem hoch verschuldeten Frankreich unauffällig), liegt wohl hauptsächlich an Bailout-Vermutungen der Marktakteure: Im Notfall würden die finanziell stärkeren Länder einem finanziell angeschlagenen Land helfen. Wenn Deutschland selbst zu hoch verschuldet ist (und zu wenig wächst), um anderen Ländern in der Not noch helfen zu können, würde alle Last bei der EZB liegen. Die Wahrscheinlichkeit stiege, dass die EZB erneut und dauerhaft in eine Rolle gedrängt wird, die sie eigentlich nicht haben sollte: die finanzpolitischen Verfehlungen der Mitgliedsländer auszubügeln. Sie wäre gefordert, im Bedarfsfall die Zinsbelastung der Staaten durch Ankäufe von Staatsanleihen zu senken. Die Geldpolitik wäre faktisch nicht mehr unabhängig in ihren Entscheidungen, sie würde von den finanzpolitischen Erfordernissen dominiert („fiskalische Dominanz“).

Politischer Glaubwürdigkeitsverlust

Unabhängig davon, ob man die ökonomischen Folgen der Schuldenpakete positiv oder negativ bewertet, ist die politische Dramaturgie der letzten Wochen verheerend. Der Kanzlerkandidat der CDU/CSU, Friedrich Merz, hat im Wahlkampf mantraartig für finanzpolitische Solidität und den Erhalt der Schuldenbremse geworben. Die von der SPD und den Grünen geforderten schuldenfinanzierte Infrastrukturfonds hat er kategorisch abgelehnt. Änderungen an der Schuldenbremse werde es allenfalls als Gegenleistung gegen zuvor beschlossene Strukturreformen geben. All das hat Merz nun auf den Kopf gestellt und seine Glaubwürdigkeit damit keine zehn Tage nach dem Wahlsieg massiv beschädigt. Und was mag ihn nur getrieben haben, seinen Trumpf gleich zu Beginn auf den Tisch gelegt zu haben?

Dass die Änderungen in Windeseile noch mit dem alten Bundestag beschlossen werden sollen, also mit den Stimmen der Parteien, deren Wunsch nach schuldenfinanzierten Infrastrukturprogrammen Merz geradezu spöttisch ausgeschlagen hat, ist fast nicht zu glauben. Es ist haarsträubend, wie sehr Friedrich Merz mit seinem Vorgehen nicht nur die eigene Glaubwürdigkeit beschädigt, sondern auch die des gesamten Politikbetriebs. Die misstrauischen Wähler werden sich und ihre „Vorurteile“ über unehrliche Politiker bestätigt fühlen. „Es gilt das gebrochene Wort“ lautete eine Kritik damals, als Angela Merkel während der Griechenland-Krise das Bailout-Verbot – und damit einen Eckpfeiler der Währungsunion – abgeräumt hat. Die damalige Entscheidung hat die deutsche Parteienlandschaft drastisch verändert. Hat die CDU daraus nichts gelernt?

Fazit

Noch ist vieles im Fluss und nichts ist beschlossen. Dennoch ist absehbar, dass die Finanzpolitik in Deutschland und in Europa auf die eine oder andere Weise deutlich expansiver wird. Wenn dies so kommt, ist kurzfristig mit einer konjunkturellen Belebung in der Eurozone zu rechnen. Mittel- und vor allem längerfristig sind höhere Zinsen und höhere Preise zu erwarten. Die Inflationsraten könnten in einem solchen Umfeld regelmäßig oberhalb des 2%-Ziels der EZB liegen, ohne dass die EZB entschlossen dagegen vorgehen kann.

Blog-Beiträge zum Thema:

Norbert Berthold (JMU): Schwarz-roter Murks. Anschlag auf die Schuldenbremse

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