Gastbeitrag
Ist das europäische SURE-Programm ein Erfolg?
Die Mitgliedstaaten glauben das nicht

Die Europäische Union hat in der Pandemie mit dem Corona-Wiederaufbauplan Next Generation EU und dem Kurzarbeits-Fonds SURE beträchtliche neue schuldenfinanzierte Instrumente erhalten. Geht es nach dem Willen etwa von Ratspräsident Charles Michel oder Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, dann ist das erst der Anfang. Ob beim Thema europäische Industriepolitik (Souveränitätsfonds), der Energiekrise oder einem möglichen Wiederaufbau der Ukraine. Überall gilt vor allem das SURE-Programm als Vorbild für neue schuldenfinanzierte Programme. Das europäische finanzierte Kurzarbeiterprogramm sei ein derartiger Erfolg dass diese Blaupause auch für neue Felder zur Anwendung kommen sollte.

Das Problem dieser euphorischen Bewertung ist nur: Es gibt bis heute keine belastbaren Belege dafür, dass SURE einen echten Mehrwert bringt. Zwar schreibt die Kommission in ihren SURE-Rechenschaftsberichten, dass das Programm 1,5 Millionen Menschen vor der Arbeitslosigkeit bewahrt hat. Nur fehlt dieser Behauptung ein Beleg in Form einer methodisch überzeugenden Evaluationsstudie. Denn ein Mehrwert des Programms liegt nur vor, wenn es den Mitgliedstaaten helfen würde, eine bessere Politik zu machen als sie alleine dazu in der Lage wären. Dieser Beweis fehlt bis heute. Denn auch Mitgliedstaaten, die SURE nicht in Anspruch genommen haben wie etwa Schweden oder Deutschland, konnten ihre Arbeitnehmer in der Pandemie sehr wirksam vor Arbeitslosigkeit schützen. Auch der Europäische Rechnungshof klagt in seinem SURE-Prüfbericht, dass es bisher keine echte Evaluation von SURE gibt und der Nutzen des Programms bislang nicht belegt ist (European Court of Auditors 2022).

Zinsvorteil und Programmnutzen ist strikt zu unterscheiden

In dieser Debatte gibt es nun eine indirekte Methode, um den Programmnutzen von SURE zu identifizieren, wie er sich aus Sicht der Mitgliedstaaten darstellt. Denn mit SURE sind für die Mitgliedstaaten der EU zwei Arten von Nutzen verbunden, die sich inhaltlich fundamental unterscheiden.

Zum einen können Länder einen Zinsvorteil realisieren. Dies gilt jedoch nur für die Mitgliedstaaten, die eine unterdurchschnittliche Kreditwürdigkeit haben. Diese Länder mit relativ geringer Bonität, können sich über EU-Kredite billiger finanzieren als im eigenen Namen. Ihr Nutzen aus SURE ist somit schlicht ein Zinsvorteil. Diese Länder sind völlig rational, wenn sie den SURE-Kredit in Anspruch nehmen, selbst wenn das Programm für sie in ihrer Arbeitsmarktpolitik nicht den geringsten Fortschritt bringt. Denn sie ersetzen damit nationale Schulden durch europäische Schulden und erhalten ihre Kredite über den europäischen Kanal für niedrigere Zinsen. Dies ist kein programmatischer Mehrwert, sondern entspricht einem klassischen Mitnahmeeffekt.

Zum anderen können Länder aber möglicherweise auch einen Programmnutzen realisieren. Dies wäre qualitativ etwas völlig anderes als der Zinsvorteil. Ein Programmnutzen entsteht, wenn SURE den Mitgliedstaaten tatsächlich zu einer wirksamen Arbeitsmarktpolitik verhilft, zu der sie alleine nicht in der Lage wären. Das wäre denkbar, wenn mit SURE zum Beispiel Lerneffekte über ein gutes Design von Kurzarbeiterregeln einhergehen. Wenn ein solcher Programmnutzen existiert, wäre das ein wirklicher Mehrwert des Programms, der nichts mit einem Zinsvorteil zu tun hat.

Ein Bonitätsvergleich liefert einen aussagefähigen Test

Entscheidend ist nun folgendes: Wenn SURE einen solchen Nutzen stiftet, dann sollte das Programm auch für die Mitgliedstaaten attraktiv sein, die mit der Hilfe der EU-Schulden keine Zinsersparnis erzielen können. Das wären die Länder, die eine Bonität haben, die genauso gut oder besser als die der EU ist. Somit ergibt sich ein aussagefähiger Test um festzustellen, ob die Mitgliedstaaten wirklich glauben, dass SURE einen Programmnutzen hat, der nichts mit einem einfachen Zinsvorteil zu tun hat. In diesem Fall müsste es EU-Mitgliedstaaten geben, die SURE-Kredite in Anspruch nehmen, auch wenn sie davon keinen Zinsvorteil haben.

Dieser Test kommt zu einem Ergebnis, das an Eindeutigkeit nicht zu überbieten ist: Die Europäische Union wird von Standard & Poor’s mit AA+ bewertet. Von den EU-Mitgliedstaaten, die ebenso (Österreich, Finnland) oder besser (Dänemark, Deutschland, Luxemburg, Niederlande, Schweden) bewertet werden, hat kein einziger SURE-Kredit beantragt. Umgekehrt haben ausnahmslos alle EU-Staaten, die von Standard % Poor’s mit AA- oder schlechter bewertet werden, SURE in Anspruch genommen. Auffällig ist außerdem, dass Länder, die bezogen auf ihre Wirtschaftsleistung besonders hohe SURE-Kredite aufgenommen haben, über eine besonders schlechte Bonität verfügen. Mit knapp drei Prozent zur Wirtschaftsleistung steht Griechenland an der Spitze der SURE-Inanspruchnahme und hat auch mit Abstand das schlechteste Rating.

Diese Faktenlage zeigt: Länder, die nicht ein Mindestmaß an Zinsvorteilen aus SURE realisieren können, lassen das Programm links liegen. Die Inanspruchnahme beginnt erst bei einem signifikanten Zinsvorteil und wächst mit sinkender Bonität. Das heißt mit anderen Worten: Die offenbarte Zahlungsbereitschaft der nationalen Regierungen, in den Genuss des Programms zu kommen, um damit die nationale Arbeitsmarktpolitik zu verbessern, liegt bei null. Hingegen wird die Inanspruchnahme erkennbar vom Ausmaß des Zinsvorteils getrieben. Wer auch immer also daran glauben mag, dass SURE im Hinblick auf seine Politikanreize ein erfolgreiches EU-Programm ist: Die Regierungen der Mitgliedstaaten gehören jedenfalls nicht dazu.

Der Kommission unterläuft in ihrer Analyse ein konzeptioneller Fehler

All das passt in keiner Weise zur euphorischen Brüsseler Rhetorik um das SURE-Programm. Zu unterstreichen ist zudem, dass der Zinsvorteil der Länder mit geringer Bonität keinen Mehrwert des Programms darstellt. Das behaupten zwar die SURE-Berichte der Kommission, diese Interpretation entspringt jedoch  einem konzeptionellen Fehler. Denn diesem Zinsvorteil steht ein Kreditrisiko gegenüber, dass die Länder mit guter Bonität aufgrund ihrer SURE-Garantien tragen müssen. Für dieses Kreditrisiko werden sie aber nicht entschädigt. Der Zinsvorteil ist somit Teil eines Nullsummenspiels.

Es ist hochgradig wünschenswert, dass Europa seine Aufgaben in Richtung von Aktivitäten mit einem echten europäischen Mehrwert verändert. Bisher gibt es keinen Beleg dafür, dass SURE ein Beitrag in diese gewünschte Richtung wäre. Insofern eignet sich das Programm auch nicht als Vorbild für neue Programme.

European Court of Auditors (2022): Special report 28/2022: Support to mitigate Unemployment Risks in an Emergency (SURE), Publications Office of the European Union.https://www.eca.europa.eu/en/Pages/DocItem.aspx?did=62745

Eine Antwort auf „Gastbeitrag
Ist das europäische SURE-Programm ein Erfolg?
Die Mitgliedstaaten glauben das nicht

  1. Ist doch eine prima Idee: Kurzarbeitsförderung als „Trojanisches Pferd“ von EU-Anleihen! Wenn man in Brüssel doch nur einmal in sinnvollen Bereichen kreativ wäre!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert