Inflation und Finanzmarktstabilität
Das selbstgemachte Zinsdilemma der EZB

Wegen der hohen Inflation hebt die EZB seit Juli 2022 die Leitzinsen an, zuletzt um 50 Basispunkte am 16. März trotz der Turbulenzen auf den Finanzmärkten. Da ihre geldpolitische Strategie seit jeher einem Zinskorridor folgt, gibt es unter dem Leitzins (Hauptrefinanzierungssatz, jetzt 3,5%) einen Einlagenzins als Zinsuntergrenze (mit jetzt 3,0%) (siehe Abb. 1). Über dem Leitzins liegt der Zins auf die Spitzenrefinanzierungsfazilität als Zinsobergrenze (mit jetzt 3,75%). Der gestiegene Einlagenzins hat für Kritik gesorgt, da die Geschäftsbanken nun von der EZB große Zinszahlungen erhalten. Der Zinsanstieg an sich hat für Verunsicherung gesorgt, weil die von den Banken gehaltenen Anleihen an Wert verlieren. Die EZB steckt in der Zwickmühle!

Subventionen für geizige Banken?

De Grauwe und Ji (2023) haben beklagt, dass die Banken von der EZB subventioniert würden. Sonnenberg  (2023) schätzt die Zinszahlungen der EZB an die Banken im Jahr 2023 auf 107 Milliarden Euro, davon 34 Milliarden Euro an deutsche Banken. Wenn die Zinsen weiter steigen – was nicht ausgeschlossen werden kann – wird es noch mehr sein. Es werden bei den nationalen Zentralbanken Verluste generiert, so dass diese keine entsprechenden Zentralbankgewinne an die Regierungen weitergeben können. Den Eurostaaten entstehen dadurch Einnahmenverluste, die in der gegenwärtigen Rezession besonders schmerzhaft sind.

Zudem wird in Deutschland beklagt, dass die Geschäftsbanken zwar beträchtliche Zinszahlungen von der EZB erhalten, diese aber nicht an die Haushalte weitergeben. Während der Einlagezins auf die Guthaben der Geschäftsbanken bei der EZB auf immerhin 3,0% gestiegen ist, verzinsen die meisten Geschäftsbanken die Einlagen der Haushalte fast gar nicht. Nach einer Analyse des Vergleichsportals Verivox bietet fast die Hälfte der Banken noch keine Verzinsung auf den Tagesgeldkonten (ntv 2023).

Zum einen können die Einlagenzinsen, die die EZB an die Geschäftsbanken bezahlt, jedoch nur bedingt an die Einleger bei den Geschäftsbanken weitergegeben werden, weil die Banken bei der Deutschen Bundesbank nur rund 1.200 Milliarden Euro halten, während Haushalte und Unternehmen bei den deutschen Banken ca. 3.500 Milliarden Euro angelegt haben.

Zum anderen lenkt die Kritik davon ab, dass das Problem vor allem von der EZB selbst gemacht ist. Vor der Eurokrise hielten die Banken nur so viele Einlagen bei der EZB wie sie aufgrund der Mindestreserveverpflichtungen mussten. Das wären derzeit ca. 166 Milliarden Euro (siehe Abb. 2). Die entsprechenden Zinszahlungen der EZB lägen in diesem Fall bei nur 4,15 Milliarden Euro. Die EZB hat jedoch im Verlauf der europäischen Finanz- und Schuldenkrise im Rahmen der sogenannten Quantitativen Lockerung Staats- und Unternehmensanleihen im Umfang von ca. 5.000 Milliarden Euro gekauft. Da sie diese in vielen Fällen von den Geschäftsbanken gekauft hat, hat sie den Banken den Gegenwert auf ihren Konten bei der EZB gutgeschrieben.[1] So sind deren Guthaben weit über die Mindestreserven hinausgeschossen, auf derzeit immer noch 4.000 Milliarden Euro (Abb. 2).

Gleichzeitig verlangte die EZB von Juni 2014 bis Juni 2022 auf diese Guthaben negative Zinsen (Abb. 1), die die Banken lange stark belastet haben. Die anhaltende Niedrig-, Null- und Negativzinspolitik der EZB drückte auf die Marge zwischen Kredit- und Einlagenzinsen, was die Nettozinseinnahmen der Banken (Zinseinnahmen abzüglich Zinsausgaben) schmälerte (Schnabl und Stratmann 2019). Auch deshalb blieben die Aktienkurse der großen Banken des Eurogebiets im Gegensatz zu amerikanischen Banken lange Zeit im Keller. Die kleinen und mittleren Banken mussten Filialen schließen, Personal abbauen und fusionieren.

Steigende Zinsmargen dienen der Risikovorsorge

Aus dieser Sicht ist die aktuelle Zinserhöhung der EZB nur eine Normalisierung der Geldpolitik, die es den Banken wieder ermöglicht, mit höheren Kreditmargen ihre Kosten und Risiken zu decken (Abb. 3).[2] Den Einlagen der Kunden stehen in den Bilanzen der Geschäftsbanken viele Staatsanleihen und Kredite gegenüber, die sich aufgrund der dauerhaften Niedrigzinspolitik der EZB kombiniert mit den üblichen Zinsbindungen noch sehr lange gering verzinsen werden. Das gesamte ausstehende Kreditvolumen der deutschen Banken an Unternehmen und Haushalte liegt derzeit bei knapp 5.000 Milliarden Euro (Abb. 4).

Insbesondere haben die Banken in der langen Niedrigzinsphase viele Immobilienkredite vergeben, deren Ausfallrisiko aufgrund der raschen aktuellen Zinserhöhungen steigt. Diese beliefen sich zuletzt auf ca. 1.800 Milliarden Euro – was ca. 17% des Bilanzvolumens der deutschen Geschäftsbanken entspricht. Dank der Zinszahlungen der EZB können die Banken nun Rücklagen für mögliche Kreditausfälle bilden, da die Kreditmarge – also die Differenz zwischen Kredit- und Einlagenzinsen – stark gestiegen ist (Abb. 3). Dass dies wichtig für die Stabilität des Bankensektors ist, hat der Bankrott der kalifornischen Silicon Valley Bank gezeigt.

Darüber hinaus führen die Zinserhöhungen der EZB dazu, dass die in den Bilanzen gehaltenen Anleihen an Wert verlieren. Das gefährdet die Finanzmarktstabilität nicht, wenn die Anleihen bis zum Auslaufen gehalten werden und damit die Rückzahlung der Anleihen zum Nennwert erfolgt. Müssen die Banken jedoch die Anleihen vor Fälligkeit verkaufen, weil beispielsweise – wie bei der Silicon Valley Bank – viele Einlagen abgezogen werden, dann werden die Verluste realisiert. Die betroffenen Banken können ins Wanken geraten und andere Banken mit in den Abgrund ziehen.

Die EZB in der Zwickmühle

Wenn die EZB das Problem der Zinszahlungen an die Banken nachhaltig lösen wollte, müsste sie ihre Staatsanleihen an die Banken verkaufen, was die Guthaben der Banken bei der EZB entsprechend reduzieren würde. Dann würden auch die Zinszahlungen der EZB an die Banken sinken.

Aber die EZB verkauft keine Anleihen! Selbst, wenn die gehaltenen Anleihen auslaufen, will die EZB nachkaufen. Den Bestand der im Rahmen des Pandemischen Notfallkaufprogramms (PEPP) erworbenen Anleihen (1.684 Milliarden Euro) wird bis mindestens Ende 2024 konstant gehalten. Die Anleihebestände aus dem Programm zum Ankauf von Vermögenswerten (APP) (3.254 Milliarden Euro) will sie erst ab April 2023 bis Ende Juni 2023 um ca. 15 Milliarden Euro pro Monat reduzieren, indem sie die Hälfte der auslaufenden Anleihen nicht ersetzt. Insgesamt reduziert die EZB ihre Anleihebestände weit weniger stark als die US-amerikanische Federal Reserve Bank und die Bank of England.

So wird das Zins-Dilemma der EZB deutlich. Sie will einerseits die Inflation bekämpfen, indem sie die kurzfristigen Zinsen erhöht. Andererseits zögert sie, durch das Auslaufenlassen und den Verkauf der von ihr gehaltenen Anleihen die langfristigen Zinsen steigen zu lassen. Der Grund dürfte die hohe Verschuldung von Italien, Griechenland und anderen Eurostaaten sein, die bei zu stark steigenden Zinsen Staatsbankrotte befürchten lässt. Zudem steigt das Risiko für die Finanzmarktstabilität, da die Banken viele Wertpapiere – insbesondere Staatsanleihen! – in ihren Bilanzen halten, die bei vermehrten Verkäufen der EZB an Wert verlieren. Das Volumen der von den deutschen Banken gehaltenen Anleihen und Schuldverschreibungen liegt derzeit bei knapp 1.000 Milliarden Euro (Abb. 4). Das Risiko besteht insbesondere für italienische Banken, die viele Anleihen des hoch verschuldeten italienischen Staates halten.

Die Zwickmühle wird nun dadurch verstärkt, dass das Anheben der kurzfristigen Zinsen Verluste für die EZB und damit Einnahmenausfälle für die klammen Eurostaaten erzeugt. De Grauwe und Ji (2023) haben vorgeschlagen, die derzeit freiwilligen (und verzinsten) Einlagen der Geschäftsbanken bei der EZB in nicht-verzinste Mindestreserven umzuwandeln. Die kurzfristigen Zinsen könnten dann weiter steigen, ohne dass die EZB und die Regierungen finanziell belastet würden. Allerdings würden die Geschäftsbanken wieder geschwächt, da die Zinseinnahmen wieder fallen würden. Die Banken würden destabilisiert, während aufgrund der Leitzinserhöhungen der EZB die Kreditausfallrisiken steigen. Kanzler Scholz fühlte sich bereits genötigt, die Sicherheit der deutschen Ersparnisse zu bekräftigen.

Trübe Aussichten

Damit ist die Aussicht der Sparer auf höhere Einlagenzinsen so oder so gering, während die maßgeblich von der EZB geschaffene hohe Inflation (zuletzt 8,5% im Euroland) die Kaufkraft der Ersparnisse weiter in einem rasanten Tempo auffrisst. Zudem scheint die destabilisierende Wirkung der Zinserhöhungen der EZB auf die Banken im Euroraum den Zinserhöhungsspielraum der EZB bereits einzuschränken, so dass auch auf Dauer höhere Inflationsraten zu erwarten sind.

Die EZB war ursprünglich mit dem primären Ziel der Preisstabilität gestartet. Seit der europäischen Finanz- und Schuldenkrise hat sie auch Verantwortung für die Finanzmarktstabilität übernommen. Inzwischen scheinen weder die Preis- noch die Finanzmarktstabilität gesichert zu sein. Das Risiko steigt, dass das Ziel der Finanzmarktstabilität dem in den europäischen Verträgen verankerten Ziel der Preisstabilität geopfert wird.

Bald könnte sich Christine Lagarde wieder als Retterin, diesmal der Banken und damit der Einlagen der Sparer, profilieren. Das Problem kann jedoch langfristig nur dadurch gelöst werden, dass die EZB die kurzfristigen Zinsen weiter vorsichtig schrittweise erhöht und schrittweise einen Großteil ihrer Staatsanleihen verkauft. Dann wären die Eurostaaten zu Einschnitten bei ihren Ausgabenverpflichtungen gezwungen. Das wäre zwar schmerzhaft, würde aber zu einer Stabilisierung des Euros führen.

Besser wäre es jedoch gewesen, die EZB hätte sich nie auf die Abenteuer der Quantitativen Lockerung und der Negativzinspolitik eingelassen und hätte früher die Zinsen erhöht, um den Banken, Staaten und Unternehmen ausreichend Zeit zu geben, sich an die Zinserhöhungen anzupassen.

Quellen:

De Grauwe, P. und Ji, Y. (2023): Monetary Policies that Do Not Subsidise Banks. VoxEU CEPR. 09.01.2023.

ntv (2023): Nichts für Tagesgeld – 282 Banken zahlen immer noch 0,00 Prozent Zinsen. ntv 16.03.2023.

Sonnenberg, N. (2023): ECB stepping on the brake(s). Monetary Dialogue Papers, European Parliament, März 2023.

Schnabl, G. und Startmann, T. (2019): Warum geht’s unseren Banken so schlecht? Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 20.1.2019, 30.


[1] Auch die sogenannten Gezielten Längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte um Umfang von 2.200 Milliarden Euro haben die Einlagen der Banken bei der EZB erhöht.

[2] Die negativen Zinsen auf die Gezielten Längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte hat die EZB jüngst gegenüber den Banken einseitig aufgekündigt, so dass eine wichtige Einnahmequelle verloren gegangen ist und die Banken die Kredite zurückzahlen.

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