Rund 40 Millionen Menschen sind hierzulande zahlende Mitglieder der Gesetzlichen Rentenversicherung. Doch das Heer an Empfängern hat noch stärker zugelegt – und wird bald bei über 20 Millionen liegen. Will heißen: Die GRV bekommt irgendwann ein Finanzierungsproblem. Sofern man die steuerfinanzierten Zuschüsse abzieht, die sie vorwiegend für versicherungsfremde Leistungen erhält, würde es wohl jetzt schon düster aussehen.
Dazu zählen beispielsweise die (monetäre) Anrechnung von Kindererziehungszeiten, die Grundrente oder auch Rehamaßnahmen. Doch ursprünglich ist die Beitragsäquivalenz eines der hohen GRV-Credos. Wer Zeit seines Erwerbslebens mehr in das umlagefinanzierte System einzahlt, erhält später auch mehr Rente. Während Tim Krieger dieses Prinzip auch künftig aufrechterhalten will, wirft Gert G. Wagner mehr sozialpolitische Überlegungen mit in die Waagschale.
Pro von Tim Krieger
Hauptargumente
Die Gesetzliche Rentenversicherung kann gesellschaftliche Ungleichheiten reproduzieren oder reduzieren, sollte aber nicht willkürlich neue verursachen. Beitragsäquivalenz erfüllt dieses Kriterium, nicht aber eine stärkere Belastung von Beziehern höherer Renten mit dem Argument, dass diese länger bezogen werden.
Empirie
Wer eine höhere Rente bezieht, tut dies wegen einer höheren Lebenserwartung meist auch über längere Zeit. Allerdings sind sowohl Einkommen als auch Lebenserwartung vom Bildungsstand und weiteren sozioökonomischen Faktoren beeinflusst. Geringe Rentenansprüche bedeuten nicht zwingend eine geringe Lebenserwartung.
Probleme
Eine doppelte Benachteiligung ärmerer GRV-Mitglieder durch niedrige Renten und geringe Bezugsdauer existiert im Durchschnitt aller Mitglieder, aber nicht für einzelne Teilgruppen. Ihre Kompensation löst neue Ungleichheiten aus. Eine finanzielle Absicherung – etwa eine Erbschaft, die erlaubt, auf Arbeit zu verzichten, kann zu niedrigen Renten mit Kompensationsanspruch führen.
Politikvorschläge
Das beitragsäquivalente Rentensystem sollte beibehalten werden. Sonst werden alte durch neue, willkürlichere Ungleichheiten ersetzt. Ärmere Rentner können von allen Bürgern über den steuerfinanzierten Bundeszuschuss zur GRV unterstützt werden. Debatten über die Beitragsäquivalenz verstellen den Blick auf das wahre Problem der GRV, den demographischen Wandel.
Contra von Gert G. Wagner
Hauptargumente
Beitragszahlungen an die Gesetzliche Rentenversicherung sichern eine gewisse Unabhängigkeit vom Staatshaushalt und damit langfristige Stabilität, indem die Beiträge eine Selbstverwaltung der Rentenversicherung rechtfertigen, die von Versichertenvertretern (konkret: Arbeitnehmervertretern) und Arbeitgebervertretern getragen wird. Diese Selbstverwaltung hängt an der Beitragszahlung, jedoch nicht an einer eng ausgelegten Beitragsäquivalenz der Leistungen.
Empirie
Versicherte mit niedrigen Einkommen haben ein erhöhtes Armutsrisiko und zugleich deutlich niedrigere Rentenlaufzeiten als gut verdienende Versicherte.
Probleme
Wie bei marktwirtschaftlich organisierten Lebens- und Rentenversicherungen Unterschiede in der Lebenserwartung konkret berücksichtigt werden, ist durch kein Prinzip festgeschrieben, sondern hängt von der Geschäftspolitik einer jeden Versicherung ab. Die „Geschäftspolitik“ der GRV folgt wiederum von jeher nicht privatwirtschaftlichen Prinzipien, sondern – zu Recht – sozialpolitisch motivierten Überlegungen.
Politikvorschläge
Mindestrenten und degressiv berechnete hohe Renten widersprechen zwar einer eng ausgelegten Beitragsäquivalenz. Sie sind aber sozialpolitisch zielgerichtet und durch soziale Unterschiede der Lebenserwartung rechtfertigbar (solange Beamte und Selbständige nicht in die GRV eingeschlossen sind, bedürfen sie Sonderregelungen).
Pro & Contra wurde zusammengestellt von Jörg Rieger, Würzburg.
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