SchieneninfrastrukturSehr viel frisches Geld allein reicht nicht

„Deutschlands Bahnnetz ist marode – Italien macht es besser“: Diese Überschrift in der Neuen Zürcher Zeitung vom 11.05. dürfte arg am Selbstbewusstsein der deutschen Bahnbranche und der Verkehrspolitik kratzen. Der betreffende Artikel, in dem es um die klägliche Rolle Deutschlands bei der Verlagerung des alpenquerenden Güterverkehrs geht, einem der drängendsten Probleme der europäischen Verkehrspolitik, ist aber nur einer von vielen Beiträgen, welche die tatsächlich massiven Probleme des Schienenverkehrs in Deutschland medial fast zu einem Bahn-Bashing zuspitzen. Angesichts chronischer Unpünktlichkeit und zahlreicher Ausfälle im Personenverkehr, Unzufriedenheit der Kunden im Güterverkehr und grottenschlechter wirtschaftlicher Ergebnisse fragt sich der Beobachter, wie mit einer solchen DB AG die geplante Verkehrswende bewältigt werden soll. Es sei daran erinnert, dass im aktuellen Koalitionsvertrag bis zum Jahr 2030 eine Verdopplung der Verkehrsleistung im Schienenpersonenverkehr und ein Marktanteil des Schienengüterverkehrs von 25 Prozent vorgesehen sind. Eine solche „Zeitenwende“ lässt sich aber nur auf der Basis einer intakten und auf den gewünschten Zuwachs ausgelegten Bahninfrastruktur darstellen.

Davon sind wir in Deutschland trotz hoher Milliardenbeträge, die in den letzten Jahren in das Bahnsystem und speziell in die Schieneninfrastruktur gesteckt wurden, meilenweit entfernt. In die Bundesschienenwege wurden nach offiziellen Angaben der Bundesregierung von 2009 bis 2020 rd. 60 Mrd. Euro aus Haushaltsmitteln investiert; der Bundesrechnungshof hat berechnet, dass im Durchschnitt der Jahre 2019 bis 2021 sogar 9,3 Mrd. Euro p.a. aus öffentlichen Kassen in die Schieneninfrastruktur geflossen sind.

Angesichts der hohen Volumina der bisherigen staatlichen Mittelbereitstellung ist es erstaunlich, dass die DB AG Anfang des Jahres einen zusätzlichen Finanzbedarf von 75-80 Mrd. Euro für die Generalsanierung ihrer Gleise und Bahnhöfe angemeldet hat. Der Weg zum „Hochleistungsnetz“ würde zusätzlich neun bis zehn Mrd. Euro p.a. und damit eine Verdopplung der bisher in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehenen Zuwendungen bedeuten. Dass die Politik bereit ist, alle Wünsche der Konzernführung zu befriedigen, zeigen die aktuellen Beschlüsse der Koalition, 45 Mrd. Euro für Infrastrukturmaßnahmen bis zum Jahr 2027 bereitzustellen. Die Gegenfinanzierung dieses „Sondervermögens“ soll im Wesentlichen über eine neue CO2-Komponente der Lkw-Maut ermöglicht werden, die rechnerisch fast einer Verdopplung der bisherigen Mautsätze entspricht. Um die Sanierung der Hauptabfuhrstrecken aus Haushaltsmitteln finanzieren zu können, wird aktuell gerade sogar das Bundesschienenwegeausbaugesetz geändert.

Anscheinend handelt es sich bei der Bahninfrastruktur um ein Fass ohne Boden – auch wenn die Anteile der Schiene am Verkehrsgeschehen sich seit Jahren auf niedrigem Niveau bewegen. Ein „Wumms“ bei der Infrastrukturfinanzierung soll es jetzt richten und dabei helfen, die Ideen der Beschleunigungskommission Schiene und des Deutschlandtaktes zu verwirklichen. Allerdings wird auch (sehr) viel mehr Geld keine dauerhafte und nachhaltige Behebung der Misere herbeiführen, wenn die grundlegenden systemischen Governanceprobleme nicht erkannt, sauber analysiert und gelöst werden. Ganz abgesehen von der Frage, ob die geplanten zusätzlichen Mittel in dieser Größenordnung und in dem angedachten Zeitraum angesichts der Verfügbarkeit entsprechender Planungs- und Baukapazitäten überhaupt sinnvoll eingesetzt werden können.

Kritische Fragen betreffen zum einen die grundsätzliche Finanzierungssystematik. Seit Jahr und Tag werden Neu- und Ausbaumaßnahmen entgegen der ursprünglichen Intention des Bundesschienenwegeausbaugesetzes zum überwiegenden Teil über sogenannte Baukostenzuschüsse durch den Bund finanziert. Diese „verlorenen Zuschüsse“ sind von der DB Netz AG weder zu verzinsen noch zurückzuzahlen. Hieraus resultiert das Fundmentalproblem, dass von den Schienenverkehrsunternehmen Anlagen genutzt werden, die in der kaufmännischen Buchführung der DB Netz AG nicht auftauchen und für die im Transportbetrieb keine Abschreibung und Verzinsung erwirtschaftet werden muss. Diese Tendenz ist bereits durch die Totalentschuldung im Rahmen der Gründung der Deutschen Bahn und die Abwertung der damaligen Neubaustrecken um rd. 34 Mrd. Euro systematisch angelegt.

Mit den ab dem Jahre 2009 abgeschlossenen Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungen hat die DB AG es dann sogar geschafft, dass auch Ersatzinvestitionen und Instandhaltung wesentlich aus Bundesmitteln finanziert wird. Hierdurch hat sich über die Jahre ein riesiger „Shadow Asset Value“ aufgebaut. Eine Indikation der Größenordnung dieser „versteckten“ Assets ergibt sich aus der Differenz zwischen Brutto- und Nettoinvestitionen in der Konzernbilanz der DB AG, die sich im Wesentlichen auf öffentliche Zuschüsse für die Infrastruktur bezieht. Allein von 2013 bis 2022 handelt es sich um 68,7 Mrd. Euro. Die Nutzung der Schieneninfrastruktur, ohne für einen Großteil der Assets zumindest die Abschreibung zu verdienen, bedeutet aber systematisches Fahren auf Verschleiß. Dieses Problem wird aktuell ausgeblendet oder negiert, nicht diskutiert und daher auch mit viel frischem Geld nicht gelöst. Die derzeit praktizierte Trassenpreissubventionierung und die Forderung nach grundsätzlich grenzkostenorientierten Trassenpreisen sorgen für eine zusätzliche Verschärfung.

Ein weiterer Problemherd ist die Frage, ob die Infrastruktur innerhalb oder außerhalb des integrierten Konzerns DB AG besser aufgehoben ist. Die ursprüngliche Idee der Bahnreform, Infrastruktur und Transportebene institutionell sauber zu trennen, wurde systematisch verdrängt und immer wieder als „Zerschlagung“ der Bahn diskreditiert. Jetzt wird die Lösung in einer semantischen Innovation gesucht: Eine gemeinwohlorientierte Infrastruktur (InfraGO) soll es richten. Dieses Konstrukt innerhalb eines nach wie vor aktienrechtlich verfassten Konzerns DB AG wird aber zwangsläufig eine Totgeburt bleiben. Aktuell kolportierte Vorschläge aus dem Bundesverkehrsministerium für eine InfraGO weisen auf nur rudimentären Reformwillen hin. Es steht insbesondere in Frage, ob der Bund so tatsächlich seine Steuerungs- und Einflussmöglichkeiten auf die kritische und teure Ressource Infrastruktur erhöhen kann und ob auf diesem Weg die erwarteten Effizienzgewinne realisierbar sind. Auch die Transparenz der Finanzströme ist in einem solchen Konstrukt nicht automatisch gegeben. Trotz millionenschwerer externer Gutachten werden die umfänglichen Anreiz- und Governanceprobleme der gemeinwohlorientierten Infrastruktur weder abschließend erkannt noch gelöst werden können. Selbstverständlich hat die Konzernführung der DB AG in einem solchen Konstrukt ein Interesse, Regelungen durchzusetzen, welche die Infrastruktur weiterhin als finanzpolitischen Verschiebebahnhof nutzbar und die Politik erpressbar machen. Im Reformprozess wird sie daher ihre eigenen Vorstellungen einer gemeinwohlorientierten Infrastruktur dezidiert durchsetzen.

Die superiore Lösung wäre wohl nach wie vor die Auflösung des integrierten Konzerns, insbesondere um einen stärker steuernden Einfluss des Bundes auf die von ihm mit Milliardenbeträgen subventionierte Infrastruktur zu ermöglichen. Positive Effekte für den Wettbewerb, auf den auch die Monopolkommission immer wieder hinweist, wären dann sozusagen Beifang. Leider drückt sich die Politik nach wie vor vor solchen grundlegenden Strukturentscheidungen, auch wenn zwei der Koalitionspartner grundsätzliche Sympathie für eine Trennungslösung bewahrt haben und auch aus der CDU/CSU wieder Stimmen für einen solchen Ansatz laut werden. Semantische Innovationen und sehr, sehr viel Geld mögen zwar politökonomisch und kommunikativ ein Volltreffer sein, machen aber noch keine gute Bahnpolitik aus.

Hinweis: Der Beitrag erschien auch als Leitartikel in Heft 5 (2023) des Wirtschaftsdienstes.

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