Die protektionistisch ausgerichtete US-amerikanische Industriepolitik rund um den Inflation Reduction Act, die immer deutlicher zutage tretende systemische Konkurrenz mit China, der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg in der Ukraine – die globale Wirtschaft ist zunehmend geprägt durch geopolitische Konflikte zwischen wirtschaftlich eng verflochtenen Staaten. Die Logik von Negativsummenspielen ist dabei auf erschreckende Weise bereits Realität geworden. Gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeiten bieten in einer solchen Situation nur noch bedingt Schutz. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie gut Deutschland und Europa in diesem volatilen Umfeld aufgestellt sind, um mit den neuen Risiken umzugehen. Wie kann es gelingen, die eigenen wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen durchzusetzen, ohne dabei die bestehenden globalen Handelsverflechtungen grundsätzlich infrage zu stellen? Zentraler Baustein einer geoökonomischen Strategie ist es, gefährliche Abhängigkeiten zu identifizieren und durch eine strategische Rohstoffpolitik, neue Handelsabkommen, vermehrtes Recycling etc. zu reduzieren. Zudem sollte sichergestellt werden, dass die notwendigen staatlichen Instrumente vorhanden sind, um sensible Infrastrukturen ausreichend schützen zu können. Innerhalb Europas sollte der Regelrahmen für koordiniertes strategisches Handeln, insbesondere in Krisensituationen, weiterentwickelt werden.
Globalisierung und internationale Arbeitsteilung haben in den letzten Dekaden weltweit für Wachstum und Wohlstand gesorgt. Gerade Deutschland als stark mit der Weltwirtschaft verflochtenes Land hat von internationalem Handel und grenzüberschreitenden Direktinvestitionen in hohem Maße profitiert. Das Vertrauen auf ein friedliches und kooperatives Miteinander der Staaten ist jedoch spätestens seit dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine erschüttert. Wird Wirtschaftspolitik als Waffe eingesetzt, um nationale Interessen durchzusetzen, erweisen sich ökonomische Abhängigkeiten und fehlende Substituierbarkeit als hochproblematisch: Sie können die nationale Versorgung mit wichtigen Gütern und Rohstoffen gefährden, uns teuer zu stehen kommen und uns erpressbar machen. Dass solch ein Vorgehen nicht nur von strategischen Rivalen wie Russland – und in gewissem Maße auch China – eingesetzt wird, zeigt das Beispiel USA: Hier wird im Rahmen des Inflation Reduction Act gezielt darauf hingewirkt, amerikanische Produzenten gegenüber ihren ausländischen Konkurrenten besserzustellen, um so Vorteile für die eigene Volkswirtschaft auf Kosten Dritter zu erzielen. Wenngleich die betroffenen „grünen“ Sektoren nicht im selben Ausmaß vom Handel mit den USA abhängig sind, wie es der europäische Energiemarkt von Russland war oder der deutsche Automobilsektor von China, so verdeutlicht das Beispiel gleichwohl ebenso, dass in Zeiten zunehmender geopolitischer Rivalität eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik das Gebot der Stunde ist.
Diese Neuausrichtung sollte jedoch nicht darin bestehen, die wirtschaftlichen Verflechtungen in der Breite zu reduzieren oder in einen Subventionswettlauf einzutreten. In Reaktion auf unkooperatives Handeln aus Drittstaaten sind Unternehmen und Staaten vielmehr aufgefordert, ein dauerhaftes, pro-aktives Risikomanagement zu betreiben. Besonderes Augenmerk sollte dabei auf heimischen Produkten liegen, die hoch profitabel sind, für die es aber keine alternativen Abnehmer gibt, sowie auf Importgütern, bei denen große Abhängigkeiten bestehen. Staatlicherseits können Informations- und Unterstützungsangebote insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen dabei helfen, mögliche Abhängigkeiten zu identifizieren und Lösungen zu entwickeln. Unternehmen sind insbesondere gefragt, die Diversifikation ihrer Lieferketten und Absatzmärkte voranzutreiben, um Klumpenrisiken zu vermeiden – sei es im Güter- oder Finanzmarkt. Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten sollten sich vor diesem Hintergrund dafür einsetzen, bereits weitgehend ausgehandelte Handelsabkommen wie CETA oder MERCOSUR schnellstmöglich in Kraft treten zu lassen und aktiv neue Abkommen abzuschließen.
Um Abhängigkeiten bei kritischen Rohstoffen zu reduzieren, die für die grüne und digitale Transformation unerlässlich sind, sollten Unternehmen und Staaten auch hier die Beschaffung so umfassend wie möglich diversifizieren und strategische Reserven bereithalten. In noch größerem Ausmaß als bislang muss daneben das Recycling von Rohstoffen vorangetrieben und der Ausbau der Kreislaufwirtschaft beschleunigt werden. Auf europäischer Ebene zielen aktuelle Initiativen wie der Critical Raw Materials Act bereits in diese Richtung.
Dem Schutz kritischer Infrastrukturen kommt in einer Welt geopolitischer Rivalität eine besondere Bedeutung zu. Um unerwünschte ausländische Direktinvestitionen verhindern zu können, sollte das notwendige rechtliche Instrumentarium verfügbar sein bzw. sollten vorhandene Instrumente geschärft werden. Und schließlich sollte Europa für den Fall einer erneuten akuten Krise gut vorbereitet sein und mit einem klaren Notfallplan reagieren. Dieser sollte europaweit einheitliche Spielregeln enthalten, um ein koordiniertes Vorgehen sicherzustellen. Hier gilt es, das geplanten Binnenmarkt-Notfallinstrument konsequent in diesem Sinne zu entwickeln und bei Bedarf anzuwenden.
Hinweis: Dieser Policy Brief entstand auf Grundlage des ECONWATCH-Meetings „Zwischen Freihandel und staatlichem Interventionismus: eine geoökonomische Strategie für Europa“ mit Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest (ifo Institut und LMU München).
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