Die Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft stellt insbesondere energieintensive Unternehmen in Deutschland vor große Herausforderungen. Um die Industrie zu dekarbonisieren, gilt es, fossile Energieträger durch Energieträger aus erneuerbaren Quellen zu ersetzen. Dies erfordert umfangreiche Investitionen. Erschwert wird die Transformation durch das aktuelle makroökonomische Umfeld mit hohen Zinsen und stark gestiegenen Energiepreisen. Da sich Wettbewerber außerhalb der EU, vor allem in den USA, weit geringeren Energiepreissteigerungen ausgesetzt sehen und auch mittel- bis längerfristig mit einem deutlichen Preisgefälle zwischen Europa und anderen Teilen der Welt zu rechnen ist, wird befürchtet, dass im internationalen Wettbewerb stehende energieintensive Unternehmen zumindest Teile ihrer Produktion verlagern könnten und es so zu einer Deindustrialisierung in Deutschland kommen könnte. Vor diesem Hintergrund sollte die Politik für investitionsfreundliche Rahmenbedingungen sorgen, das Energieangebot durch den schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien sowie der Netze für Strom und Wasserstoff ausweiten und einen transparenten Markt für national hergestellten sowie importierten Wasserstoff und seine Derivate schaffen. Zudem sollten neue Handels-, Rohstoff- und Energielieferverträge abgeschlossen werden, um die Bezugsquellen zu diversifizieren.
Um industrielle Prozesse und Technologien auf erneuerbare Energien umzustellen, stehen zwei Optionen zur Verfügung: die meist günstigere und technisch einfachere direkte Elektrifizierung und der Einsatz von grünem Wasserstoff und seiner Derivate wie Ammoniak, Methanol oder E-Fuels. Während für die Beheizung von Gebäuden mittels Wärmepumpen und die Elektromobilität in großem Maß auf eine direkte Elektrifizierung gesetzt wird, spielt für die Dekarbonisierung der energieintensiven Industrie die so genannte Sektorkopplung über Wasserstoff eine wichtige Rolle. Viele industrielle Anwendungen lassen sich aber auch direkt elektrifizieren.
Insgesamt ergibt sich ein deutlich höherer Strombedarf als heute. Um bis 2030 in Deutschland das notwendige Angebot an grünem Strom verfügbar zu haben, müsste der Ausbau der erneuerbaren Energien in den kommenden acht Jahren viermal so schnell erfolgen wie in den vergangenen acht Jahren. Auch der Netzausbau müsste entsprechend mit dem Ausbau der Erneuerbaren Schritt halten. Um dies zu erreichen, müssen Planungs- und Genehmigungsverfahren weiter beschleunigt und Bürokratie abgebaut werden. Zudem müssen vor Ort die notwendigen Flächen bereitgestellt werden. Damit würden auch die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Strompreise perspektivisch sinken können.
Um die Industrie in Deutschland auf eine klimaneutrale Produktion umzustellen, sind große Mengen an grünem Wasserstoff notwendig. Die hierfür nötigen Strommengen werden die Herstellungskapazitäten in Deutschland bei weitem übertreffen. Zudem werden u.a. angesichts der klimatischen Verhältnisse und begrenzten Flächenverfügbarkeiten die Kosten für die Strom- und Wasserstoffproduktion in Deutschland auch langfristig höher sein als in anderen Teilen der Welt. Dies wird strukturelle Veränderungen in der Industrie mit sich bringen, denn Teile der industriellen Wertschöpfungsketten, wie z. B. die Produktion von energieintensiven Vorprodukten wie Ammoniak oder Methanol, werden sich in das Ausland verlagern (müssen), da dort die Produktionskosten deutlich geringer sind.
Ein Großteil des benötigten Wasserstoffs bzw. seiner Derivate müssen importiert werden, 2030 geschätzt zwischen 30 und 67 Terawattstunden. Um dabei nicht in eine (erneute) Importabhängigkeit von Energieträgern zu kommen, ist es zentral, diversifizierte internationale Bezugsquellen zu erschließen. Dies gilt nicht nur für Wasserstoff, sondern auch für kritische Rohstoffe, die z. B. für den Ausbau der erneuerbaren Energien oder die E-Mobilität benötigt werden. Für einen schnellen Markthochlauf der Wasserstoffwirtschaft sollten anfangs alle verfügbaren Technologien zur Wasserstoffherstellung zum Einsatz kommen, so z. B. auch blauer Wasserstoff, der auf Basis von Gas mit CO2-Abscheidung gewonnen wird. Nur so können Skaleneffekte auch in der kurzen Frist erreicht werden. Langfristig muss allerdings die komplette Wertschöpfungskette auf treibhausgasneutrale Energieträger umgestellt werden, um nationale wie internationale Klimaziele einhalten zu können.
Die Herausforderungen, die es zu meistern gilt, sind enorm und nicht allein auf einzelstaatlicher Ebene zu stemmen. Gemeinsam mit den europäischen Partnern sollte Deutschland daher die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen, um den Import von Wasserstoff voranzutreiben. Auch eine gemeinsame Beschaffung kann sich durch eine verbesserte Verhandlungsposition und damit günstigere Konditionen auszahlen. Um Preistransparenz zu gewährleisten und die Entstehung von Monopolen zu verhindern, sollte auf marktwirtschaftliche Instrumente wie zweiseitige Auktionen gesetzt werden. Flankiert werden sollte dies durch die Erschließung neuer Bezugsquellen, insbesondere den Abschluss neuer Handels- und Rohstoffverträge mit internationalen Partnern, z. B. in Südamerika, Afrika oder Australien.
Die grüne Transformation stellt die Industrie vor große Herausforderungen und wird zu einem Strukturwandel führen. Dieser sollte aktiv begleitet werden, so dass langfristig wettbewerbsfähige Industrien in Deutschland bleiben und zum Wohlstand beitragen können. Statt einzelne Unternehmen zu unterstützen, sollte die Politik die Anreize für die Reduktion von CO2-Emissionen und die Produktion grüner Energie durch starke Preissignale erhöhen, den Aufbau internationaler Wasserstoff(derivate)märkte vorantreiben und internationale Kooperationen ausbauen.
Hinweis: Dieser Policy Brief entstand auf Grundlage des ECONWATCH-Meetings „Energiekrise und Transformation: Ist der Industriestandort Deutschland in Gefahr?“ mit Prof. Dr. Veronika Grimm (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Sachverständigenrat).
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