Das BuchModern Monetary Theory (MMT) und die Inflation

Die Preise steigen, es droht ein Einbruch der Wirtschaft – höchste Zeit, die Steuern zu erhöhen. Oder? Zumindest in der Welt der Modernen Monetären Theorie (MMT) muss man dies so sehen, denn nach dieser Theorie – wobei Kritiker es ablehnen, ihr überhaupt den Status einer Theorie zu verleihen – wäre dies nun nötig, denn Steuern dienen in der Welt der MMT vor allem der Inflationsbekämpfung. Wie muss man sich das vorstellen?

Es beginnt mit der Budgetbeschränkung, die letztlich der Grund dafür ist, dass es Ökonomen gibt – ohne Budgetbeschränkung gäbe es keine Knappheit, und ohne Knappheit keine Ökonomen. Folgt man aber MMT, so hat zumindest der Staat keine Budgetbeschränkung. Er kann jederzeit und ohne Grenzen seine Ausgaben ausweiten, indem er einfach neues Geld schafft.[1] Da er hinsichtlich des Geldes Monopolist ist, kann er auch nicht Bankrott gehen, er gibt einfach neues Geld heraus. Man könnte jetzt einwenden, dass der Staat Steuern erhebt und damit seine Ausgaben finanziert, und den fehlenden Rest mit Krediten. Nein, sagen die Protagonisten der MMT, in den USA etwa Stephanie Kelton[2], in Deutschland beispielsweise Dirk Ehnts[3], das stimme nicht. Der Staat, so das MMT-Mantra, finanziere sich nur mittels des von ihm selbst geschaffenen Geldes. Dahinter verbergen sich ökonomische Theorien der Vergangenheit, insbesondere Georg Knapps „Staatliche Theorie des Geldes“ von 1905 sowie diejenigen des amerikanischen Ökonomen Abba P. Lerner aus den 1940er Jahren. Nun müssen diese Theorien nicht vollkommen falsch sein. Dennoch gibt es gute Gründe, warum sie die Zeit nicht überlebt haben. Alle scheitern an einer wirtschaftlichen Tatsache, die Inflation heißt.[4]

Inflation entsteht, wenn die nominalen Ansprüche an die gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung, gemessen mit dem Bruttoinlandsprodukt (BIP), höher sind als diese Wertschöpfung. Da die erzeugten Güter und Dienstleistungen nicht ausreichen, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage bei konstantem Preisniveau zu bedienen, steigt letzteres an. Damit kommt wiederum ein Ausgleich zwischen Wertschöpfung und gesamtwirtschaftlicher Nachfrage zustande. Soweit jedenfalls die Analyse für einen einmaligen Inflationsschock. Doch an den anfänglichen Inflationsschock schließen sich leicht weitere Runden an, es wird dynamisch. Ein steigendes Preisniveau bedeutet bei gegebenen Nominallöhnen einen Reallohnverlust und die steigenden Inputpreise führen zu Gewinnverlusten. Beides kann dadurch kompensiert werden, dass das gestiegene Preisniveau über Lohn- und Preissteigerungen weitergegeben wird. Wird dieser Dynamik nicht wirtschaftspolitisch entgegengesteuert, kann es zur gefürchteten Lohn-Gewinn-Preisspirale kommen oder aber zu  wirtschaftlicher Stagnation – wie beispielsweise in den 1970er Jahre.

Die Maßnahmen einer orthodoxen Politik der Inflationsbekämpfung kann gegenwärtig bei allen Zentralbanken der großen Volkswirtschaften beobachtet werden: Sie besteht in einer – mehr oder weniger – aggressiven Zinspolitik. Folgt man der gängigen Version der neukeynesianischen Makroökonomik, müsste der Zentralbankzins etwa bis zur Höhe der Inflationsrate erhöht werden.[5] Momentan scheinen die Zentralbanken darauf hinzuarbeiten, den Zentralbankzins an die Inflationsrate heranzuschieben. Die Konsequenz wird sein, dass noch weitere moderate Zinssatzerhöhungen erforderlich sein werden, um die Inflationsrate auf die Zielgröße – bei der EZB in Höhe von zwei Prozent – zurückzubringen.

Was aber wäre gemäß den Vorstellungen der MMT erforderlich? Nach dieser Theorie hat die Zinspolitik keinen eigenständigen Einfluss auf die Inflationsrate. Man erkennt dabei an, dass Inflation ein Indikator dafür ist, dass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage bei gegebenem Preisniveau die Wertschöpfung übersteigt. Um diese Nachfrage zu reduzieren und die Inflation zu bekämpfen, sieht MMT Steuererhöhungen vor. Im konzeptionellen Rahmen der MMT macht das durchaus Sinn. Wie schon gesagt, finanziert sich der Staat bei MMT grundsätzlich über die Ausgabe neuen Geldes und nicht über Steuern. Letztere dienen in der Welt der MMT nur dazu, andere Ziele zu erreichen, insbesondere der Umverteilungspolitik und der Beeinflussung von Allokationsentscheidungen. Inflation wird aber auch im MMT-Konzept als Indikator für überschüssige gesamtwirtschaftliche Nachfrage angesehen. Steuern sollen Unternehmen und privaten Haushalten letzten Endes dasjenige Geld entziehen, das sie für Investitions- und Konsumausgaben verwenden könnten – der Entzug von Kaufkraft mittels Steuern, so die Idee, reduziert die private Nachfrage und den Anspruch der Konsumenten an das Inlandsprodukt, was inflationsdämpfend wirkt. Daher werden Steuern als das relevante Instrument der Inflationsbekämpfung angesehen. Innerhalb des MMT-Konzepts erscheint das schlüssig.

Allerdings gestaltet sich der Zusammenhang zwischen Besteuerung und Inflation etwas komplizierter, als es die MMT-Welt darstellt. Es beginnt damit, dass Inflation selbst bereits als eine Form der Besteuerung – der Geldhaltung – angesehen werden muss. Man kann einwenden, dass dies eher eine semantische als eine ökonomische Frage sei. Dennoch verbergen sich dahinter weitere Effekte. In der älteren makroökonomischen Literatur, insbesondere in den 1970er Jahren, sind diese Effekte bereits eingehend untersucht worden, um dann in den Jahrzehnten mit sehr niedrigen Inflationsraten und Deflationsängsten in Vergessenheit zu geraten.[6] In dieser Literatur wird theoretisch und empirisch das Phänomen einer „Tax-push Inflation“ untersucht: Demnach gibt es neben der Lohn-Preis-Spirale auch eine Steuer-Preis-Spirale, bedingt durch eine steuerinduzierte Kosten-Lohn-Spirale. Dazu kommt es, wenn Steuern vollständig oder teilweise auf die Preise überwälzt werden können.

Dass diese Überwälzung bei den indirekten Steuern in großem Umfang nicht nur möglich ist, sondern auch stattfindet, ist empirisch weitgehend unstrittig (zudem ist es bei vielen indirekten Steuern auch intendiert). Interessanter ist die Frage, ob und inwieweit Gewinn- und persönliche Einkommensteuern auf die Preise überwälzt werden können. Für die Gewinnsteuern muss man davon ausgehen, dass sie zwar nicht vollständig, aber doch in erheblichem Umfang auf die Preise vor- bzw. auf die Löhne und Gehälter zurückgewälzt werden.[7] Zudem wurden für die weiter zurückliegende Vergangenheit Indizien für ein „Net-of-tax Wage Bargaining“ gefunden.[8] Solche Lohn- und Gehaltsverhandlungen über das Nachsteuereinkommen führen dazu, dass selbst Teile der persönlichen Einkommensteuer, die grundsätzlich als nicht überwälzbar gilt, über Tarifverhandlungen letztlich doch über entsprechend steigende Bruttolöhne auf die Preise überwälzt werden können. Eine progressive Einkommensteuer verstärkt noch den inflationären Effekt einer solchen Tarifpolitik. Ob gegenwärtig eine solche Überwälzung möglich ist, scheint angesichts der angespannten Lage auf dem Arbeitsmarkt nicht unmöglich zu sein. Würde die Inflation mit Erhöhungen des Einkommensteuertarifs bekämpft werden, könnte eine solche Überwälzung zudem wahrscheinlicher werden.

Im Ergebnis zeigt sich, dass Inflationsbekämpfung mit Steuern höchstwahrscheinlich das Inflationsproblem nicht löst, sondern es im Gegenteil sogar verschärfen kann. Steuern können daher nicht als effektives Instrument der Inflationsbekämpfung angesehen werden, einmal abgesehen davon, dass es politischem Selbstmord gleichen dürfte, bei steigenden Inflationsraten die Steuern zu erhöhen. Der Verweis auf die inflationsbekämpfende Wirkung dieser Politik dürfte bei einem Großteil der Wählerinnen und Wähler eher auf Unverständnis stoßen.


[1] Siehe dazu und dem Folgenden im Detail (mit entsprechenden Literaturangaben) Beck, H. und Prinz, A. (2022). Gefahr für unser Geld? Die neuen Propheten des Geldes und die Zukunft unseres Währungssystems. München: Vahlen, insbesondere Kapitel 3, S. 41-62 sowie dies. (2023). Geld und der staatliche Umgang damit: Modern Monetary Theory und die (möglichen) Folgen. In: Norbert Berthold, Jörn Quitzau (Hrsg.), Die Wirtschaftswelt steht Kopf. Abschied von den Illusionen – Konzepte für eine neue Wirtschaftspolitik. München: Vahlen, S. 37-45.

[2] Kelton, S. (2020). The Deficit Myth. Modern Monetary Theory and How to Build a Better Economy. London: John Murray.

[3] Ehnts, D. (2022). Modern Monetary Theory. Eine Einführung. Wiesbaden: SpringerGabler.

[4] Die Idee, dass ein Staat nicht insolvent werden kann, da er ja stets sein eigenes Geld drucken kann, ignoriert zum einen die institutionellen Gegebenheiten unabhängiger Zentralbanken, zum anderen löst sie sich in Luft auf, sobald man eine offene Volkswirtschaft unterstellt – zu dieser Kritik vgl. Beck, H. und Prinz, A. (2022), a.a.O.

[5] Vgl. z.B. Cochrane, J. (2023). Expectations and the Neutrality of Interest Rates. Working Paper, S. 2, Equation (1), verfügbar unter: https://static1.squarespace.com/static/5e6033a4ea02d801f37e15bb/t/6480d180f6c2ff3d1a86cbf2/1686163840798/Phillips.pdf [22.06.2023].

[6] Siehe dazu und dem Folgenden den Übersichtsbeitrag von Nowotny, E. (1980). Inflation and Taxation: Reviewing the Macroeconomic Issues. Journal of Economic Literature 18, 1025-1049, insbesondere Abschnitt IV, S. 1034-1035.

[7] Zur Überwälzung von Gewinnsteuern siehe Quitzau, J. (2004). Wer trägt die Last von Unternehmenssteuern? Deutsche Bank Research Nr. 288 vom 20. Januar 2004; Gravelle, J. C. (2010). Corporate Tax Incidence: Review of General Equilibrium Estimates and Analysis. Working Paper Congressional Budget Office, Washington D. C. Zur Rückwälzung auf die Löhne siehe Fuest, C., Peichl, A. und Siegloch, S. (2018). Do Higher Corporate Taxes Reduce Wages? Micro Evidence from Germany. American Economic Review 108(2), 393-418 sowie dies. (2017). The Incidence of corporate taxation and its implications for tax progressivity. VoxEU.org, 10.10.2017.

[8] Siehe Nowotny (1980) mit Ergebnissen von OECD Committee on Fiscal Affairs (1976). The Adjustment of Personal Income Tax Systems for Inflation: A Report. Paris: OECD.

Aloys Prinz und Hanno Beck
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