Die Bundesregierung ist entschlossen, die deutsche Wirtschaft zukunftsfähig zu machen und den dafür nötigen Strukturwandel aktiv und energisch zu unterstützen. Dabei geht es längst nicht mehr nur um die De-Karbonisierung, sondern immer mehr auch um die gezielte Förderung von High-Tech-Industrien. Dazu hat Bundesminister Robert Habeck am 24. Oktober 2023 die neue Industriestrategie des BMWK vorgestellt – „Industriepolitik in der Zeitenwende: Industriestandort sichern, Wohlstand erneuern, Wirtschaftssicherheit stärken“.
In dem BMWK-Papier ist – wie bei Strategiepapieren üblich – viel von Standortbedingungen die Rede und davon, wie wichtig der industrielle Sektor für die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft sei. Doch auch das Wort „Subventionen“ taucht auf, allerdings nur mit Bezug auf die Industriepolitik des Auslandes, insbesondere Chinas und der Vereinigten Staaten. Dabei schimmert das Thema Subventionen auch in der Strategie des BMWK immer wieder durch, wenn auch unter Vermeidung der expliziten Nennung des Begriffs. Vielmehr ist von einer „aktiven Förderpolitik“ die Rede. Man ahnt, was gemeint sein könnte.
Wettbewerbsfähig durch Subventionen?
Es ist für Ökonomen schwer nachvollziehbar, wie verbreitet in Politikerkreisen die Vorstellung ist, mit staatlichen Subventionen ließe sich die Wettbewerbsfähigkeit industrieller Unternehmen verbessern. Wer sich entscheidet, sein Leben der Politik zu widmen, scheint überzeugt zu sein, fortan alles und jedes aktiv gestalten zu können, wenn man nur die dafür nötigen politischen Mehrheiten zusammenbekommt. Aber wie soll denn das funktionieren? Man entlastet die Unternehmen vom Wettbewerbsdruck und erwartet dann, dass sie sich noch stärker als bisher um die Verbesserung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit kümmern? Die Anreize dafür werden durch die staatliche Förderung ja nicht erhöht, sondern im Gegenteil vermindert. Wer darauf vertrauen kann, im Zweifel werde der Staat für die Sicherung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit sorgen, kann sich getrost zurücklehnen und muss sich nicht um unbequeme Strukturanpassungen kümmern.
Die aktive Förderpolitik soll natürlich nicht mit der vielzitierten Gießkanne über den gesamten industrielen Sektor verteilt werden, sondern sich auf strategisch wichtige Branchen und Unternehmen konzentrieren. Denn man will in die Zukunft und nicht in die Vergangenheit investieren, also in fortschrittliche und nicht in rückständige Branchen und Unternehmen. Auf den ersten Blick ein einleuchtender Plan, aber kennt die Ministerialbürokratie die Zukunft wirklich besser als die Unternehmen, die sich täglich im Wettbewerb behaupten müssen?
Apropos Gießkanne: Sie steht bei Politikern seit jeher in schlechtem Ruf, weil man breitgestreute Erfolge nicht so gut politisch vermarkten kann wie spektakuläre Einzelaktionen. Dabei gilt für Investitionen in die Zukunft das gleiche wie beim Gärtnern: Zarte Pflänzchen werden kaum gedeihen, wenn man den kräftigen Wasserstrahl direkt auf sie richtet. Die Gießkanne ist weniger spektakulär, aber besser für die Pflänzchen.
Pleiten mit staatlichen Großprojekten
Erinnerungen an die 1980er Jahre werden wach, als das Schreckgespenst des japanischen MITI in ganz Westeuropa mit den Waffen der strategischen Industriepolitik bekämpft werden sollte. Im Zentrum der strategischen Subventionsprogramme stand damals die mikroelektronische Chip-Industrie. Am Ende hatten sich praktisch alle größeren Industrieländer in eine Überproduktion von Standard-Speicherchips hineinmanövriert. Die technologisch anspruchsvolleren und auch lukrativeren Mikroprozessoren hatte man damals leider nicht im Blick.
Weitere Beispiele staatlich geförderter Großprojekte aus jener Zeit sind der Hochtemperaturreaktor in Hamm, der mittlerweile zum Freizeitpark umgerüstete Schnelle Brüter in Kalkar oder der Transrapid, der mit mehr als dreihundert Sachen an den staunenden Kühen im Emsland vorbeisauste. All diese Projekte sind gescheitert – genau wie das Siemens-Großrechner-Programm, in das selbst dann noch fleißig Steuergelder investiert wurden, als der Siegeszug des PC längst absehbar war.
Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit bietet das Unternehmen CureVac, das nach den Worten von Mehrheitseigentümer Dietmar Hopp „den besten Corona-Impfstoff der Welt“ entwickeln sollte. Im Sommer 2020 stieg auch die staatseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau mit ein, und zwar mit einer kräftigen Kapitalbeteiligung von 300 Mio. Euro, die sogar den Kapitaleinsatz von Hopp übertraf. Man traute es der profitorientierten Privatwirtschaft nicht zu, den so dringend benötigten Impfstoff rasch und in genügend großen Mengen herzustellen. Außerdem sollte das zu erwartende große Geschäft mit den Impfstoffen nicht allein der Privatwirtschaft überlassen werden. Doch CureVac war zu schwerfällig und zu langsam. Mitte Oktober 2021 zog CureVac seinen Impfstoff CVnCoV aus dem Zulassungsverfahren bei der Europäischen Arzneimittelagentur EMA zurück; die Forschungsarbeiten wurden eingestellt.
Das Zauberwort in der heutigen Zeit heißt KI. Spätestens seit den spektakulären Auftritten von ChatGPD kennen alle strategisch denkenden Politiker nur noch diesen einen Schwerpunkt. Zumindest in Deutschland wird meistens pflichtschuldig erwähnt, dass die regenerativen Energien ebenfalls im Fokus der strategischen Industriepolitik stehen, aber diese Technologien sind in weiten Bereichen recht ausgereift. Ihre Implementierung scheitert in der Regel nicht daran, dass es zu wenig technologischen Fortschritt gäbe, sondern es hakt vor allem beim Netzausbau, damit der grüne Strom von Regionen, in denen der Wind weht, zu Regionen transportiert werden kann, wo die Fabriken stehen.
Die Anmaßung von Wissen
Wenn die Politik glaubt, mehr über die Zukunft zu wissen als die auf den innovativen Märkten im Wettbewerb stehenden Unternehmen, ist der Weg ins technologische Abseits vorprogrammiert. Friedrich August von Hayek hat dafür einst das bekannte Wort von der „Anmaßung von Wissen“ geprägt. Er war überzeugt, dass die unsichtbare Hand des Wettbewerbs immer mächtiger sei als die sichtbare Hand des Staates. Wirtschaft und Wohlstand würden am besten gedeihen in Systemen ohne zentralistische Steuerung, ohne hochfliegende staatliche Pläne und ohne bürokratische Kontrolle. Das ist Hayeks Erbe. Nach diesem Erbe wird eine lenkende Strukturpolitik, die aktiv in die Branchenstruktur einer Volkswirtschaft eingreift, auf längere Sicht mehr Schaden als Nutzen stiftet.
Wenig zukunftsorientiert erscheint es auch, dass die staatliche Förderung in aller Regel auf Großunternehmen fixiert ist. Allen Lippenbekenntnissen zur immensen Bedeutung des Mittelstands zum Trotz ist staatliche Förderung immer wieder gleichbedeutend mit der Förderung von Großkonzernen. Besonders ins Auge fällt dies bei den Plänen für den sogenannten Industriestrompreis, der keineswegs der gesamten Industrie zugutekommen soll. Lediglich die Reduzierung der Stromsteuer soll nach den aktuellen Plänen für alle Unternehmen des industriellen Sektors gelten, während die Subventionen in Form der sogenannten Strompreiskompensation nur besonders energieintensiven Branchen zufließen sollen. Ihnen sollen die Ausgaben für die CO2-Zertifikate, die eine zentrale Rolle bei einer ökonomisch durchdachten Klimapolitik spielen, komplett vom Steuerzahler erstattet werden. Insgesamt geht es dabei um rund 350 Unternehmen, deren Schwerpunkte in der Chemischen Industrie und der Glasindustrie liegen. Beide Branchen hatten sich – beflügelt durch billiges russisches Gas – aus der Produktion von High-Tech-Produkten immer weiter zurückgezogen und sich auf die energieintensive Herstellung chemischer Grundstoffe bzw. auf Hohl- und Flachglas konzentriert. Ihnen soll jetzt mit der Strompreiskompensation aus der Kostenklemme geholfen werden. Sieht so ein vielversprechender Aufbruch in die Zukunft aus? Auch im Mittelstand gibt es energieintensive Produktionen, etwa bei Bäckereien, Lackierereien und Gießereien oder in der Schokoladenherstellung. Viele Unternehmen sind hier akut von Insolvenz bedroht, aber für sie ist die Strompreiskompensation nicht vorgesehen.
Wer ist „wir“?
Doch zurück zum Strategiepapier des BMWK. Im gesamten Text ist durchgängig von „wir“ die Rede, wenn es darum geht, wer die Modernisierung der Industrie vorantreiben soll. Dahinter verbirgt sich ein sonderbares Verständnis der Rollenverteilung in unserer Gesellschaft. Die Vorstellung, der Staat sei zuständig für die Rahmenbedingungen und die Unternehmen für die konkreten wirtschaftlichen Aktivitäten, gilt offenbar in weiten Kreisen der Bundesregierung als nicht mehr zeitgemäß. „Wenn wir Wertschöpfungsketten diversifizieren, …“ oder „Wenn wir… Wertschöpfung in Europa erhalten und neu aufbauen, …“, heißt es in dem Papier. Sollte sich dahinter eine längst überwunden geglaubte Allmachtsphantasie der staatlichen Wirtschaftspolitik verbergen, könnten wir uns sorgen um den Wirtschaftsstandort Deutschland, der zuallererst verlässliche Rahmenbedingungen braucht. Das Wirtschaften selbst kann dann getrost den Unternehmern und Arbeitskräften in der Privatwirtschaft überlassen werden.
Zur vermeintlichen Weitsichtigkeit zukunftsorientierter Industriepolitiker stellte Lord Kelvin, der Erfinder der gleichnamigen Temperatur, schon vor einhundert Jahren fest: „Had government funding of science existed in the stone age, mankind would now have splendid stone machines – and no metal.”
Blog-Beiträge zum Thema:
Norbert Berthold (2023): Standortwettbewerb statt Industriepolitik. Schuldenfinanzierte Industriestrategie führt auf Abwege
Podcast zum Thema:
Industriepolitik: Was ist dran an den neuen (und alten) Argumenten?
Prof. Dr. Norbert Berthold (Julius-Maximillians-Universität Würzburg) im Gespräch mit Prof. Dr. Reto Föllmi (Universität St. Gallen)
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