Die Transformationsrhetorik, die aktuell die Klimadebatte beherrscht, führt gleich in mehrere Sackgassen: politisch, ökonomisch und gesellschaftlich. Wir sollten uns von der Transformation verabschieden und pragmatischem Problemlösen zuwenden.
In letzter Zeit haben wieder Debattenbeiträge Konjunktur, die einen grundsätzlichen Wandel unserer Lebensverhältnisse fordern, weil nur so eine Stabilisierung des Weltklimas gesichert werden könne. Zuletzt behauptete Hedwig Richter in der Frankfurter Allgemeinen, dass die Politik den Bürgern viel autoritärer vorgeben müsse, wie diese zu konsumieren und zu leben haben. Das hat auch den Autor dieser Zeilen damals schon zu einer Replik veranlasst.
Richters Beitrag war symptomatisch für die aktuelle Transformationsdebatte. Und schon die Terminologie, das Reden von der Transformation, deutet auf ein Problem hin. Seit rund 15 Jahren geistert der Begriff durch die Klimadebatte. Vor 80 Jahren bezeichnete Karl Polanyi die von ihm vermutete historisch wachsende Bedeutung des Marktes als eine Große Transformation, die politisch gewollt und durchgesetzt worden sei. Und Polanyi erwartete, dass dies nicht das Ende der Geschichte sei, sondern dass der Sozialismus auf die Marktgesellschaften folgen werde. Was natürlich eine weitere Transformation voraussetzt.
Diese Erzählung vom Staat, der ganze Gesellschaften transformiert, wurde 2011 in der deutschen Diskussion wieder aufgegriffen. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) begab sich in seinem Jahresgutachten auf die Suche nach einer „globalen Transformationsvision“. Damit diese Realität werden kann, braucht es, so der WBGU zunächst einen Wertewandel, der Verzicht und Selbstbeschränkung in den Vordergrund rückt. Und dann eben eine Politik, die aktiv die Gesellschaft transformiert: „Produktion, Konsummuster und Lebensstile“, all das müsse geändert werden, schreibt der WBGU. Und da so eine Transformation in einem einzelnen Land wenig nutzt, solle auch noch ein „globaler Gesellschaftsvertrag“ geschlossen werden.
Die Große Transformation
Spätestens 2011 ist die politische Klimadebatte auf das falsche Gleis geraten, und zwar gerade deshalb, weil die zentral politisch gesteuerte Transformation zu ihrer zentralen Heuristik wurde. Die Vorstellungen autoritärer politischer Steuerung erhielten zuletzt auch in einer Stellungnahme des Deutschen Ethikrates zur Klimagerechtigkeit einigen Schwung. So wurde beispielsweise der Wechsel zu einem Wachstum vermeidenden Wirtschaften in den Industrieländern vorgeschlagen, bei gleichzeitigen Wohlstandstransfers in Entwicklungsländer. Wie dies ökonomisch gehen soll konnte der Rat nicht erklären.
Während die Allokationsfunktion von Märkten in der Transformationsdebatte entweder gar nicht verstanden oder heruntergespielt wird, erhält die Steuerungskapazität der Politik unendliche Vertrauensvorschüsse, die aber weder von ökonomischer Theorie noch von historischer Erfahrung gedeckt sind. Der Wunsch, den Bürgerinnen und Bürgern einen Lebensstil aufzudrängen, den man subjektiv für vorbildlich hält, dominiert am Ende alle Effizienzerwägungen.
Welche Probleme dies verursachen kann, sieht man schon an den unendlichen Diskussionen um die Sektorenziele. Aus ökonomischer Sicht ist die Sache klar: Das Wissen über die Kosten der CO2-Vermeidung ist weit verstreut und oft auf politisch-bürokratischem Wege überhaupt nicht zentralisierbar, etwa dann, wenn es um subjektive Bewertungen geht. Also sollte man einen CO2-Deckel einführen, die Preisfindung dem Markt überlassen, aber vor allem auch den einzelnen Unternehmen und Haushalten die Freiheit lassen, auf diesen Preis so zu reagieren, wie sie es individuell für sinnvoll halten. Sektorenziele können hier nur als ineffiziente Fremdkörper wirken.
Die Politik aber tickt anders: Sie fordert, dass im Hinblick auf die Einsparungen von Emissionen „jeder seinen Beitrag leisten“ muss, und zwar gemessen in reduzierten Tonnen CO2, nicht in gezahlten CO2-Preisen. An die Stelle der Effizienz tritt eine Verteilungsschablone, und dazu noch eine völlig willkürliche, in der politisch definierten Sektoren politisch gewollte Vermeidungsziele zugeordnet werden. Wenn dann, koste es was es wolle, jeder Minister und jede Ministerin die Planerfüllung nachweist, erscheint das als gerecht. Dabei ist ein Gerechtigkeitsbegriff, der Kosten und Nebenwirkungen nicht berücksichtigt, naiv und uninformiert.
Die dauerhafte Unbelehrbarkeit, mit man dieses Denken gegen jede ökonomische Mahnung die Debatte strukturieren lässt, ist nur ein Vorgeschmack auf das, was bei der Großen Transformation vermutlich noch auf uns zukommen wird. Der Preismechanismus wird immer mehr in den Hintergrund, politische Planung immer mehr in den Vordergrund treten, koste es, was es wolle. Statt rationale Klimapolitik mit dem Markt zu betreiben, droht diese zum Vorwand für autoritäre und wohlstandsgefährdende Gesellschaftssteuerung zu werden.
„Wie wollen wir leben?“
Eine autoritäre Haltung wird nicht selten in sanfter Sprache versteckt. Etwa dann, wenn gefordert wird, dass „wir diskutieren, wie wir leben wollen“, oder dass über Ressourcennutzung und Produktionsprozesse „demokratisch entschieden“ werden solle. Das klingt schön: Man stellt sich Stuhlkreise vor, in denen über das gute Leben diskutiert wird, und gegen demokratische Entscheidungen kann doch auch niemand etwas haben.
Und doch wird hier die Axt an Kernbestände liberalen Denkens gelegt. Was das gute Leben ist, sollte jeder für sich selbst entscheiden dürfen. Wie ich leben will, was ich konsumieren und wie ich verreisen möchte ist keine Frage, über die ein gesellschaftlich-kollektives Wir zu entscheiden hätte. Jedenfalls dann nicht, solange wir Freiheit als individuelle Freiheit noch für schützenswert halten.
Demokratie, auch das sollte nicht vergessen werden, ist dann lebenswert, wenn sie sich als liberale Demokratie selbst beschränkt. Die Arena, in der Freiwilligkeit und Privatrecht herrschen soll groß und die Arena, in der nolens volens das demokratische „Wir“ entscheiden muss und staatlicher Zwang die Durchsetzung besorgt soll klein gehalten werden. Nur dann ist die Freiheit geschützt.
Auch auf das, was passiert, wenn wir diese liberalen Schranken der Demokratie aufgeben, bekommen wir schon Vorgeschmäcke. Egoistisch, bequem, nicht transformationswillig und renitent, eben einen Suppenkaspar, so muss sich schon jeder nennen lassen, der nicht so isst, sich anders kleidet oder ferner verreist, als es das überhebliche Moralbürgertum gerade für angemessen hält. Auf die Frage „Wie wollen wir leben?“ würde die liberale Antwort aber heißen: Mit einem CO2-Preis, aber auf eigene Rechnung, in eigener Verantwortung und in Freiheit.
Problemlösen statt Transformation
Ein erster Schritt, die Klimapolitik (aber nicht nur diese) wieder aufs richtige Gleis zu setzen, wäre eine begriffliche Abrüstung. Es ist an der Zeit, die Transformationsrhetorik zu begraben. Nicht nur deshalb, weil sie wohl mehr oder weniger zwangsläufig zu den oben beschriebenen Anmaßungen führt. Sondern auch, weil man damit wohl kaum Mehrheiten für eine vernünftige Klimapolitik gewinnen kann.
Die Bürgerinnen und Bürger ahnen, was mit dem Begriff der Großen Transformation politisch alles verbunden sein könnte. Die Aussicht, Objekte einer staatlichen Mikrosteuerung zu werden, begeistert sie nicht. Rhetorische Selbstbeschränkung mag für manche Politiker schwer sein, aber es könnte die Akzeptanz der Klimapolitik schon erhöhen, wenn man nicht mehr davon spräche, das Land, die Wirtschaft, die Gesellschaft umbauen zu wollen, sondern einfach davon, den CO2-Ausstoß zu reduzieren.
Problemlösung mit möglichst geringen Effizienz- und Freiheitsverlusten, ein vorsichtiges piecemeal social engineering im Popperschen Sinne, ohne allwissenden Transformationsanspruch, dafür schrittweise und lernfähig – ein solches Denken ist im Zuge der wachsenden Transformationshybris leider vollkommen aus der Mode gekommen. Wenn die Politik es nicht rechtzeitig wiederentdeckt, könnte der Preis in Form von Freiheits- und Wohlstandsverlusten groß sein.