Gastbeitrag
Das Volk sprach und die Jungen werden zahlen
Ausblick auf die finanziellen Folgen der Schweizer Rentenreform 2026

Die Schweiz gilt weltweit als Vorbild für ihr bewährtes Drei-Säulen-System der Altersvorsorge, das auf eine nachhaltige finanzielle Absicherung der Bevölkerung im Ruhestand abzielt. Die Kombination aus staatlicher Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), beruflicher Vorsorge und privater Vorsorge sorgt für eine breite Absicherung. Auch der hohe Stellenwert der Stabilität der öffentlichen Finanzen und der Sozialversicherungssysteme wird nicht nur durch die vergleichsweise niedrige explizite Staatsverschuldung von 26 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) verdeutlicht, sondern auch durch Ergebnisse vergangener Volksabstimmungen, wie die Zustimmung zur Steuerreform und Reform zur AHV-Finanzierung (STAF) sowie zur AHV 21 zur weiteren Stabilisierung der gesetzlichen Vorsorge. Von zentraler Bedeutung ist dabei, sowohl die Rentenzahlungen als auch die langfristige Finanzierbarkeit des Rentensystems nicht nur für die heutige, sondern auch für kommende Generationen im Blick zu haben. (Bauer, Rudolph, Weisser, 2023).

Die AHV steht trotz bisherigen Reformen angesichts des demografischen Wandels vor erheblichen finanziellen Herausforderungen. Niedrige Fertilitätsraten von durchschnittlich 1,3 Kindern pro Frau und eine gestiegene Lebenserwartung bei Geburt auf 81,6 Jahren bei Männern und 85,4 Jahre bei Frauen führen zu einer wachsenden Zahl an Rentenbeziehern und zu weniger Beitragszahlern (BFS, 2024). Laut dem Bundesamt für Sozialversicherungen wird die AHV, die zu 73 Prozent durch Beiträge finanziert wird, ab dem Jahr 2029 ohne weitere Reformen Defizite verzeichnen. Unsere langfristigen Berechnungen des Forschungszentrums Generationenverträge bestätigen, dass die AHV in ihrer aktuellen Form finanziell nicht nachhaltig ist.

Grundsätzlich kann eine Politik als finanziell nachhaltig bezeichnet werden, wenn sie in die Zukunft fortgeführt werden kann, ohne die intertemporale Budgetbeschränkung des Staates zu verletzen. Vereinfacht ausgedrückt beschreibt dies eine Situation, in der die zukünftigen Einnahmen des Staates unter der aktuellen Gesetzgebung ausreichend sind, um alle zukünftigen Ausgaben des Staates einschließlich der Zins- und Tilgungslasten für die bestehende Staatsschuld auf Dauer zu finanzieren. Reichen diese Einnahmen nicht, entsteht eine Nachhaltigkeitslücke, die sich aus den expliziten Schulden von heute und den impliziten Schulden von morgen zusammensetzt. (Raffelhüschen et. al, 2024; Fehr and Kotlikoff, 1996/97)

Die impliziten Schulden der AHV, d.h. zukünftige Ausgaben im Gegenwartswert, denen keine abdiskontierten Einnahmen entgegenstehen, belaufen sich aktuell auf 101.8 Prozent des Schweizer BIP 2021. Also rund 756 Milliarden Franken, die von heutigen und zukünftigen Generationen finanziert werden müssen, um die Finanzierbarkeit der AHV sicher zu stellen.

Vor diesem Hintergrund durften die Schweizer Stimmberechtigten im Frühjahr 2024 über zwei AHV-Initiativen in einer Volksabstimmung entscheiden.

  1. Die RenteninitiativeFür eine sichere und nachhaltige Altersvorsorge“: Zur Erzielung einer Verbesserung der finanziellen Nachhaltigkeit der AHV durch die Erhöhung des Rentenalters von Männern und Frauen auf 66 Jahre und anschließender Anpassung an die Lebenserwartung.
  2. Die Initiative für eine 13. AHVFür ein besseres Alter“: Zur Bekämpfung der Altersarmut und Existenzsicherung erhalten alle Rentenbezieher ab 2026 jeden Dezember eine 13. Monatsrente ausgezahlt.

Das Volk lehnte die Renteninitiative mit einer Mehrheit von 74 Prozent ab, während 58 Prozent für die Einführung einer 13. AHV-Rente stimmten. Infolgedessen sind zusätzliche jährliche AHV-Ausgaben von etwa 4,7 Milliarden Franken unvermeidbar (BSV, 2024). Durch diese Mehrausgaben steigt die implizite Verschuldung der AHV – sofern keine Gegenfinanzierung erfolgt – um 75,2 Prozentpunkte auf 177,0 Prozent des BIP von 2021. Da die Abstimmung über die 13. AHV ohne konkrete Finanzierungsvorschläge erfolgte, wollen Bundesrat und Parlament bis Ende 2024 eine nachhaltige Finanzierungslösung erarbeiten.

Zur 13. AHV-Finanzierung stehen zwei Alternativen im Raum: Erstens eine Erhöhung der Lohnbeiträge und zweitens eine kombinierte Erhöhung der Lohnbeiträge und der Mehrwertsteuer. Zusätzlich ist geplant, den Bundesanteil, der derzeit 20,2 Prozent der AHV-Ausgaben beträgt, auf 18,6 Prozent zu reduzieren, um den Staatshaushalt zu entlasten. Die dadurch entstehende zusätzlich Finanzierungslücke könnte entweder durch eine weitere Anhebung der Lohnbeiträge und Mehrwertsteuer oder, alternativ, durch den Abbau des AHV-Vermögens geschlossen werden.

Die Auswirkungen der verschiedenen Szenarien über eine Erhöhung der Lohnbeitragsätze und Mehrwertsteuer auf die implizite Verschuldung der AHV sind in Abbildung 1 dargestellt. Zwar zeigen die Ergebnisse, dass durch die Finanzierungsvarianten die zusätzliche Lücke der 13. AHV weitgehend geschlossen werde könnte, jedoch reicht es nicht aus, um die AHV insgesamt langfristig finanziell nachhaltig zu stabilisieren.

Die AHV-Beitragserhöhung in allen Finanzierungsvarianten wird die Schweizer Bevölkerung spürbar finanziell belasten, obwohl der AHV-Beitragssatz im internationalen Vergleich niedrig ist. Mit derzeit 8,7 Prozent liegt der Beitragssatz deutlich unter dem der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung mit 18,6 Prozent. Allerdings hat die AHV in der Schweiz eine begrenztere Funktion, da sie lediglich eine existenzsichernde Grundrente gewährleisten soll. Die Aufstockung der Rente erfolgt über die verpflichtende berufliche Vorsorge sowie die freiwillige Selbstvorsorge. Für diese beide Säulen zahlen die Schweizer weitere Beiträge. Hinzu kommt nun die spürbare Mehrbelastung der 13. AHV-Finanzierung, ohne dass die Auswirkungen der demographischen Entwicklung auf die Finanzierbarkeit der AHV bisher ausreichend adressiert sind. Besonders stark werden diese Belastungen die jüngeren Generationen treffen. Dabei geht es nicht nur um erhöhte AHV-Lohnbeiträge, die aktuell 2,7 Millionen Schweizer Rentenbezieher mit einer zukünftigen 13. Monatsrente während ihrer Erwerbsphase nicht zahlen mussten, sondern auch um die überproportionalen Belastungen durch die Mehrwertsteuererhöhungen. Diese trifft insbesondere Familien mit Kindern bis 4 Jahren und junge Ehepaare zwischen 25-34 Jahren. (ESTV, 2024)

Die Tugend der Nachhaltigkeit

Der demographische Wandel macht keinen Halt vor den Sozialversicherungssystemen der Schweiz. Die AHV ist aufgrund weniger Beitragszahlenden gegenüber einer stetig wachsenden Zahl an Rentenbeziehenden langfristig nicht nachhaltig finanziert. Die Einführung der 13. AHV-Rente hat die finanzielle Nachhaltigkeit dabei deutlich verschlechtert und die Situation verschärft.

Grundsätzlich gilt für jedes Sozialversicherungssystem und jede öffentliche Finanzierung, dass Ausgaben von heute früher oder später von einer Generation bezahlt werden müssen. Die Ausgaben der pauschalen 13. AHV-Renten für alle Schweizer werden vor allem von jungen Erwerbstätigen und Familien in der Schweiz getragen. Das Argument, die 13. AHV diene der Bekämpfung von Altersarmut und sei eine gesellschaftliche Aufgabe, erscheint vor diesem Hintergrund verfehlt. Unerwähnt bleiben zudem zu oft die Ergänzungsleistungen, die speziell darauf abzielen, bedürftige Rentner finanziell zu unterstützen. Eine gezielte Aufstockung oder Reform der Ergänzungsleistungen hätte Altersarmut wirksamer bekämpfen können, ohne die Rentenbezieher aller Einkommensklassen besser zu stellen.

Festzuhalten ist, dass egal welche Finanzierungsvariante der 13. AHV gewählt wird, die AHV ohne grundlegende Reformen in eine ernsthafte finanzielle Schieflage zu geraten droht. Eine nachhaltige Lösung könnte in einer Kombination aus verschiedenen Maßnahmen liegen, wie der schrittweisen Erhöhung des Rentenalters und einer gerechteren Verteilung der finanziellen Lasten zwischen den Generationen. Nur durch solche strukturellen Anpassungen lässt sich die finanzielle Stabilität der AHV langfristig sichern und die Generationengerechtigkeit wahren. Weitere Belastungen in Form von höheren AHV-Beiträgen oder Steuererhöhungen werden zwar wahrscheinlich sein, dürften jedoch nach den finanziellen Belastungen durch die 13. AHV auf politischen Widerstand stoßen. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Befürworter der 13. AHV daran erinnern, für diesen Weg ihre Stimme gegeben zu haben.

Literatur

Bauer, Rudolph und Weisser, Schweizer Generationenbilanz – Analysen zur fiskalischen Nachhaltigkeit der AHV, UBS Vorsorge Studien, 2024.

Bauer, Rudolph und Weisser, Szenarien Einnahmen der AHV – AHV 2030, UBS-Vorsorge Studien, 2023.

Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV), Finanzperspektiven der AHV, 2024.

Bundesamt für Statistik (BFS), Sektion Demografie und Migration, Geburten und Todesfälle, 2024.

Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV), Statistiken zur Mehrwertsteuer, 2024

Hans Fehr and Laurence J. Kotlikoff, Generational Accounting in General Equilibrium, Finanz Archiv, Neue Folge, Band 53, Heft 1 (1996/1997): 1–27.

Raffelhüschen, Bernd; Schultis, Sebastian; Seuffert, Stefan; Stramka, Sebastian, Ehrbarer Staat? Update 2024 der Generationenbilanz. Das Rentenpaket II, Argumente zu Marktwirtschaft und Politik, Bd. 176, 2024.

Karen Rudolph

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