In der Neuen Zürcher Zeitung wurde eine Lockerung der Schuldenbremse in Deutschland gefordert. Der Zwickmühle aus einer Verteidigung von Konsumausgaben bei gleichzeitig hohem Investitionsbedarf sei nur so zu entkommen. Bei genauerem Hinsehen sind die Argumente aber nicht plausibel.
Gujers Diagnose
Manchmal gibt es auch noch publizistische Überraschungen: In dieser Woche forderte Eric Gujer, Chefredaktor der ehrwürdigen Neuen Zürcher Zeitung, eine Lockerung der Schuldenbremse in Deutschland. Während die Schuldenbremse in der Schweiz gut funktioniere, so Gujer, leide Deutschland unter schwerwiegenden Problemen wie schlechter Infrastruktur und nicht kampfbereitem Militär, die ohne zusätzliche Verschuldung kurzfristig nicht zu lösen seien.
Was also tun? Gujer schlägt ein großes politisches Geschäft vor. Die Union solle einer vorübergehenden Aussetzung der Schuldenbremse zustimmen. Im Gegenzug sollen die Sozialdemokraten Einschnitte in den Sozialstaat mittragen und alle gemeinsam sollen endlich spürbare Subventionskürzungen durchsetzen.
Diese Therapieempfehlung Gujers hängt allerdings nur lose mit seiner zuvor gestellten Diagnose zusammen. Demnach ist der Haushalt zwar groß genug, die Mittel werden aber ineffizient und für die falschen Dinge eingesetzt. Dem kann man uneingeschränkt zustimmen. Ob dann aber ein großer Kompromiss, so wie von Gujer skizziert, der richtige Weg ist, wenn dieser dem Staat vor allem noch mehr Geld in die Kassen spült? Hier sind einige Zweifel angebracht.
Der große, faule Kompromiss
Effizienzsteigerungen im öffentlichen Sektor durch größere Ausgabenspielräume sind unwahrscheinlich. Sind Mittel da, dann finden sich auch Wege, diese wie üblich für politisch präferierte Projekte auszugeben, also Sonderinteressen zu bedienen, die einem selbst nahestehen. Dabei sind ökonomische Kriterien wie Effizienz allenfalls zweitrangig, die politische Opportunität dominiert. Und bei allem Respekt für die Union muss man hier doch sagen: Gujer traut der Fraktion zu viel zu, wenn er unterstellt, dass sie bei vollen Kassen als Wächterin effizienter Mittelverwendung agieren würde.
Dagegen spricht schon die Erfahrung; so schnell sollten wir die Prioritätensetzung bei den Staatsausgaben in der letzten unionsgeführten Regierung nicht vergessen und verklären. Aber was dort passierte lag eben nicht nur an der Union, sondern an den strukturellen politischen Anreizen. Ist die Schuldenbremse weg, dann kann jede Regierungspartei dem Impuls, kurzfristige Zustimmung durch populäre, aber nicht unbedingt effiziente Ausgaben zu kaufen, wieder uneingeschränkt freien Lauf lassen.
Denn formalisieren ließe sich der große Kompromiss, den Gujer vorschlägt, kaum. Ist die Schuldenbremse ausgesetzt, dann hängt der zweite Teil der Vereinbarung von der Disziplin und Worttreue aller beteiligen Akteure ab. Viel Glück damit.
Die Flucht ins Sondervermögen
Aber wenn man einfach ein zweckgebundenes Investitions-Sondervermögen mit Zweidrittelmehrheit ins Leben ruft, analog zum Bundeswehr-Sondervermögen der gerade scheiternden Zeitenwende? Eine solche Herangehensweise wäre vor allem eine Einladung, die Investitionen im Kernhaushalt mehr oder weniger auf null zu kürzen, und durch politisch kurzfristig attraktivere Konsum- und Umverteilungsausgaben zu ersetzen.
Irgendwann einmal ist aber jedes Sondervermögen aufgebraucht. Und dann? Wird es dann eine leichte politische Aufgabe, im Kernhaushalt wieder Platz für Investitionsausgaben zu schaffen? Wohl kaum. Man macht sich etwas vor, wenn man behauptet, dass eine solche Lockerung der Schuldenbremse zeitlich begrenzt sei. Man leitet damit vielmehr pfadabhängige Veränderungen in der Haushaltsstruktur ein, die nicht leicht revidierbar wären und die dazu führen würden, dass auf das erste Sondervermögen ein zweites und ein drittes folgen müssten.
Erschwert wird dies noch dadurch, dass die Zinsen, die auf ein solches Sondervermögen fällig werden, unmittelbar den Bundeshaushalt belasten. Geht man so weit, wie manchmal gefordert, gleich ein Investitionssondervermögen von 1.000 Mrd. Euro einzurichten, dann sind das mindestens 25 Mrd. Euro im Jahr. Auf eine vollständige Selbstfinanzierung durch ein keynesianisches Schulden-Perpetuum-Mobile sollte man angesichts zahlreicher struktureller Wachstumshemmnisse in Deutschland dabei nicht hoffen.
Wider die einfachen Lösungen
Die Sanierung der physischen Infrastruktur im Land durch Umgehung der Schuldenbremse klingt verlockend: Bessere Straßen, bessere Bahn und bessere Schulen, ohne auf irgendetwas anderes dafür verzichten zu müssen. Aber das bleibt eine gefährlich trügerische Hoffnung. Jemand wird zahlen müssen, im Zweifel die zukünftigen Steuerzahler.
Auf diese kommt ohnehin schon einiges zu. Zwar ist die Schuldenstandsquote in Deutschland vergleichsweise niedrig. Aber die implizite Verschuldung, die sich vor allem in den sozialen Sicherungssystemen gebildet hat, ist enorm. Wir sollten für die späteren Generationen die finanzpolitische Ausgangssituation nicht noch verschlechtern, nur weil wir politisch zu ängstlich und zu unentschlossen sind, im Kernhaushalt Platz für zusätzliche Investitionen zu schaffen.
- Auch Du, Brutus?
Die NZZ auf einem Irrweg zu höherer Staatsverschuldung - 21. Oktober 2024 - Wie steht es um den Bundeshaushalt 2025 – und darüber hinaus? - 19. September 2024
- Die Krise des Fiskalföderalismus
Dezentralisierung und Eigenverantwortung sind notwendiger denn je - 31. Juli 2024