Bündnis für Industrie
Strukturwandel, Korporatismus und nachhaltige Wirtschaftspolitik

„Government‘s view of the economy could be summed up in a few short phrases: If it moves, tax it. If it keeps moving, regulate it. And if it stops moving, subsidize it.“ (Ronald Reagan)

Die Industrie ist in Schwierigkeiten. Der Kanzler steht unter starkem politischem Druck. Die Gewerkschaften fürchten um gut bezahlte Arbeitsplätze. Unbestritten ist, vor allem der energieintensive industrielle Sektor ist in Not. Er braucht dringend Hilfe. Darin sind sich alle drei einig, Industrieverbände, Gewerkschaften und Politik. Korporativ wollen sie auf die Herausforderung reagieren. Der korporatistische Gedanke hat in Deutschland eine lange Tradition. Konzertierte Aktionen und Bündnisse für Arbeit wurden in Zeiten inflationärer und arbeitsmarktpolitischer Not ausprobiert, wenig erfolgreich. Daran hat sich der Kanzler, der sich gerne unterhakt, erinnert. Er lud zu einem Industriegipfel ein. Ein Bündnis für die Industrie soll es richten.

Niedergang der Industrie: Unaufhaltsam?

Der industrielle Sektor ist auf dem absteigenden Ast, überall. Er verliert an Bedeutung: Produktion- und Beschäftigungsanteile sinken. Die „Gesetze des Strukturwandels“ wirken. Dagegen hat sich die deutsche Industrie lange erfolgreich gewehrt. Das „Geschäftsmodell Deutschland“ wirkte. Der Strukturwandel verlief langsamer als anderswo. Dieser deutsche Sonderweg kommt zu einem Ende. Viele Faktoren spielen eine Rolle. Protektionistische Tendenzen weltweit und eine miserable heimische Standortpolitik gehören dazu. Der deutsche Weg wird holpriger. Das internationale Muster des sektoralen Strukturwandels setzt sich nun auch in Deutschland durch. Der „Strukturstau“ löst sich auf. Die Industrie leidet.

Der (unvermeidliche) Strukturwandel kommt in Fahrt. In dieser Situation hat die Politik nichts Besseres zu tun, als Öl ins Feuer des Strukturwandels zu gießen. Eine „dumme“ Energiepolitik setzt energieintensive Branchen, wie die Chemie, massiv unter Druck. Das Verbot der Verbrenner bringt die Automobilindustrie in existentielle Not. Die Bürokratie wuchert. Das (bürokratielastige) Lieferkettengesetz ist die Spitze des Eisberges. Es trifft die stark in die internationale Arbeitsteilung eingebundene deutsche Industrie besonders. Das Irre ist: Die Energiepolitik und das Verbot des Verbrenners haben die Politik allerdings mit Zustimmung der Interessenverbände der Industrie und der Gewerkschaften auf den Weg gebracht.

Industrieverbände: Unrühmliche Rolle?

Der Stress im industriellen Sektor ist unvermeidlich, weil auch hierzulande die „Gesetze des Strukturwandels“ gelten. Er ist aber auch selbst verschuldet. Politisch verursachte Schocks setzen ihm stark zu. Es ist erstaunlich, wie wenig Widerstand viele Verbände gegen energie- und klimapolitische Entscheidungen geleistet haben. Auch die Gewerkschaften machten keine Ausnahme. Einige blieben auffallend leise, andere verlangten von der Politik, schneller voranzugehen. „Als die Ampel-Koalition und ihre Vorgängerregierung den weiteren Anstieg der Strompreise auslöste, hat der BDI schweigend zugesehen“ (Werner Ressing). Auch der VDA hat keinen entschiedenen Widerstand geleistet, als es in der EU darum ging, die C02-Flottengrenzwerte so niedrig anzusetzen, dass sie technologisch kaum erreichbar sind. Das trifft vor allem die deutsche Automobilindustrie empfindlich.

Das Verhalten von BDI und Gewerkschaften ist schwer zu erklären. Einige verweisen darauf, dass das grüne Energiewende-Narrativ längst zu kulturellem Kapital geworden sei (Joachim Weimann). Dem konnten sich auch Verbände und Gewerkschaften nicht entziehen. Vielleicht ist es aber einfacher: In der Industrie hat sich die Haltung breit gemacht, immer öfter nach dem Geld des Staates zu rufen (Nicola Kammüller­-Leibinger). Dieses Verhalten ist bei den managergeführten Großunternehmen stärker verbreitet als im eigentümerorientierten Mittelstand. Wie auch immer: Die Rechnung für den Opportunismus wird der Industrie heute präsentiert. Sie ist mit steigenden Netzentgelte, hohen Stromkosten und drohenden Strafzahlungen an die EU konfrontiert. Und die Politik ist wegen der schwierigen Haushaltslange nicht mehr in der Lage, die Industrie vor den finanziellen Lasten der grünen Transformation zu schützen (Daniel Wetzel).

Korporatistische Arrangements: Die Idee

Die Idee korporatistischer Arrangements ist einfach. Arbeitgeber, Gewerkschaften und Staat einigen sich, an einem Strang zu ziehen, um eine Krise zu bewältigen. Alle erklären sich bereit, einen Beitrag zu leisten. Die Gewerkschaften versprechen, sich bei künftigen Lohn- und Tarifverhandlungen zu mäßigen. Der Staat greift Arbeitnehmer und Arbeitgeber unter die Arme, etwa mit regulatorischen Erleichterungen, steuerlichen Erleichterungen und direkten finanziellen Transfers. Die Industrie(verbände) sagen zu, dass ihre Mitglieder verstärkt investieren. Das ganze Arrangement ist darauf angelegt, Investitionen rentabler zu machen. Die höheren Anreize sollen helfen, dass die Unternehmen verstärkt investieren. Soweit die Theorie.

Die Realität sieht anders aus. Den Gewerkschaften fällt Lohnverzicht schwer. Der ist den Mitgliedern nur schwer zu vermitteln. Auch die Zusagen der Unternehmen sind nicht valide. Die Zusage ihrer Verbände, verstärkt zu investieren, ist nur so viel wert, wie sich Investitionen lohnen. Gewerkschaften und Verbände sind nicht bereit, auf etwas zu verzichten. Alle schauen auf den Staat. Er ist scheinbar der Einzige, der seine Zusagen erfüllen kann, ohne seine Bürger zu belasten. Staatliche Verschuldung macht es möglich. Die Lasten seiner Zusagen werden auf künftige Generationen verschoben. Das Ende vom Lied ist: In korporatistischen Bündnissen einigen sich Gewerkschaften, Verbände und Politik auf Kosten künftiger Generationen.

Pakt für die Industrie: Erfolgversprechend?

Die Verfechter eines Bündnisses für die Industrie sind der Meinung, dass die deutsche Industrie nach wie vor wettbewerbsfähig sei. Exogene Schocks haben sie in Schwierigkeiten gebracht. Ein herber Schock bei den Energiepreisen, auch verursacht durch den Ukraine-Krieg, setzt den energieintensiven Branchen der Industrie zu. Die vermurkste Energiepolitik verstärkt den Energiepreisschock, ohne dem Klima zu helfen. Hohe Strompreise sind unvermeidlich. Diese Schocks werden von ständig steigenden C02-Preisen der Klimapolitik und einer wuchernden Bürokratie begleitet. Es sei deshalb an der Zeit, mit einem Pakt für die Industrie, Nägel mit Köpfen zu machen und der Industrie aus der temporären Schwäche zu helfen.

Es ist eine Illusion zu glauben, die Schwächeanfall der Industrie sei ein temporäres Problem. Der sektorale Strukturwandel ist nicht temporär, er ist dauerhaft. Auch in Deutschland gelten die „Gesetze des Strukturwandels“. Ein temporärer Pakt für die Industrie mag, richtig konstruiert, konjunkturelle Unwuchten verringern. Strukturellen Wandel verhindern, kann er aber nicht. Wird der Staat in solchen Bündnissen zum Finanzier, ist die Gefahr groß, dass der notwendige Strukturwandel aufgehalten wird. Der Staat finanziert industrielle Strukturen auf Pump, die nicht überlebensfähig sind. Und er setzt auf „zukunftsfähige“ Branchen, die sich als Flop erweisen. Er stellt den Prozess der „schöpferischen Zerstörung“ auf den Kopf.

US-Industriepolitik: „Renaissance“ der Industrie?

Der industrielle Sektor verliert an Bedeutung. Daran ist nicht zu rütteln. Das wollen vor allem die unmittelbar Betroffenen nicht akzeptieren. Die Gewerkschaften wollen die alte, industrielle Welt zurück, koste es was es wolle. Und die Industrieverbände stehen an ihrer Seite. Das gilt nicht nur für Deutschland. Auch in den USA ist der Trend, verlorene Arbeitsplätze in der Industrie zurückzuholen, ungebrochen. Präsident Donald Trump versuchte, Industriearbeitsplätze heimzuholen. Er setzte auf Protektionismus, reshoring und Industriepolitik. Joe Biden machte mit dieser Politik weiter. Es wurden milliardenschwere Programme aufgelegt: Infrastructure Investment and Jobs Act, CHIPS and Science Act und Inflation Reduction Act waren die wichtigsten.

Der Erfolg der US-Industriepolitik fällt allerdings bescheiden aus. Robert Z. Lawrence, ein Ökonom beim Peterson Institute in Washington, hat eine Studie über die industriepolitisch versuchte Wiederbelebung des industriellen Sektors in den USA verfasst (hier). Seine Ergebnisse sind ernüchternd: „In sum, in the first three and a half years oft he Biden administration, there was no renaissance in manufacturing. Employment growth stagnated after the pandemic recovery, the share of manufacturing in employment and output declined, and manufacturing labor productivity did not rise.“ Selbst wenn die Industriepolitik einige neue Arbeitsplätze schaffe, seien es Arbeitsplätze für besser Qualifizierte. Die Mittelklasse profitiere kaum davon. Die Macht der Industriepolitik kann ökonomische Gesetze offensichtlich nicht aufhalten.

Alternative: (Angebots)Politik für den Strukturwandel

„Bündnisse für die Industrie“ lösen keine strukturellen Probleme. Sie versuchen, den Strukturwandel mit dem Geld künftiger Generationen aufzuhalten. Es ist sinnvoller, die Anpassungslasten des strukturellen Wandels zu verringern und die gesamtwirtschaftliche Anpassungskapazität zu erhöhen. Die Anpassungslasten, die durch technologische Neuerungen, Fortschritte der Produktivität, veränderte Präferenzen der Konsumenten und den internationalen Handel entstehen, sind unvermeidlich. Damit müssen wir leben. Was aber nicht sein muss, sind staatlich verursachte Anpassungslasten. Eine vermurkste Energiepolitik, Verbote von Technologien, überbordende Bürokratie sind nur einige Beispiele. Sie ruinieren die Industrie vollends.

Geringere Anpassungslasten sind das eine, eine hohe Anpassungskapazität ist das andere. In Marktwirtschaften können sich wirtschaftliche Akteure schneller an exogene Schocks anpassen. Das gelingt umso besser, je flexibler die relativen Preise und je mobiler die Produktionsfaktoren sind. Die treibende Kraft ist der Wettbewerb auf Güter- und Faktormärkten. Dass er intensiv ist, dafür muss der Staat mit einem adäquaten Wettbewerbsrahmen sorgen. Ohne harte Budgetrestriktionen, wie eine wirksame Schuldenbremse, geht es aber nicht. Sie verringern die Versuchung der Politik, den Strukturwandel durch Subventionen aufzuhalten. Eine solche (Angebots)Politik für den Strukturwandel muss sozial abgefedert werden. Den Verlierern des Strukturwandels muss wirksam geholfen werden.

Fazit

Der industrielle Sektor ist in Not. Die „Gesetze des Strukturwandels“ wirken. Der sektorale Strukturstau löst sich auf. Das ist unvermeidlich. Die Politik gießt Öl ins Feuer des Strukturwandels. Energie- und klimapolitische (Fehl)Entscheidungen beschleunigen ihn. Das ist überflüssig. Der energie- und klimapolitische Opportunismus von Verbänden und Gewerkschaften fällt der Industrie auf die Füße. Der Versuch des Kanzlers, auf (noch) mehr Korporatismus zu setzen, macht die Böcke zum Gärtnern. „Bündnisse für die Industrie“ sind verschuldungspolitische Veranstaltungen zu Lasten künftiger Generationen. Das gibt der Schuldenbremse endgültig den Rest. Es führt nur einen Weg aus der industriellen Misere: Eine (Angebots)Politik für den Strukturwandel. Die Politik muss für offene Märkte sorgen, die gröbsten energie- und klimapolitischen Irrtümer korrigieren, dem finanziellen Doping für (industrielle) Unternehmen entsagen und für die Verlierer des Strukturwandels unter den Arbeitnehmern wirksame (humankapitalintensive) Hilfe zur Selbsthilfe organisieren.

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