Was blieb von der befürchteten Kreditklemme?

Anfang des Jahres wurde viel über eine Kreditklemme geschrieben, die Deutschlands Unternehmen bevorstehen würde und die den heraufziehenden Aufschwung abwürgen könnte. Entsprechend intensiv wurden staatliche Maßnahmen gefordert, diskutiert und einzelne Maßnahmen auch umgesetzt. Man denke etwa an die Berufung eines Kreditmediators durch die Bundesregierung, diverse Kreditfonds, KfW-vermittelte Bürgschaften und Haftungsfreistellungen sowie die staatliche Unterstützung bei der Kreditversicherung.

Der Hintergrund

Um dieses Thema ist es nun ruhig geworden, nachdem sich die Konjunktur deutlich gefestigt hat und mit ihr die Situation auf dem Arbeitsmarkt. Bankenverursachte Finanzierungsengpässe werden weder medial noch von den zuständigen Ökonomen problematisiert. Es ist also der richtige Zeitpunkt, noch einmal zurückzublicken, ob damals tatsächlich die Gefahr einer Kreditklemme bestand und vor allem auszuloten, wie sich die Situation heute darstellt. Henning Klodt hatte bereits am 4. Februar 2010 in diesem Blog die begründete Vermutung geäußert, dass es sich bei der damals befürchteten Kreditklemme um ein Phänomen handeln könnte, das dem der Schweinegrippe nicht unähnlich sei: eine „Medien-Pandemie um die Kreditklemme“, die von einer Verschärfung der Kreditkonditionen ausgelöst wurde, deren Ursachenkonstellation jedoch schwer einzuschätzen war. Handelte es sich um die normale Begleiterscheinung einer Rezession oder um ein strukturelles Problem des Kreditmarktes im Zusammenhang mit der globalen Finanzmarktkrise, das staatliche Interventionen rechtfertigen würde? Denn könnte eine ansteigende Kreditnachfrage zur Finanzierung von Investitionen nicht durch Bankkredite, in Deutschland einem der wichtigsten Finanzierungsinstrumente, gedeckt werden, wäre dies tatsächlich problematisch, sowohl damals wie auch heute.

Der Inhalt

Nicht überraschend wird unter einer Kreditklemme Unterschiedliches verstanden. Im engsten Sinn kann eine Lücke zwischen dem Kreditangebot der Banken und der Kreditnachfrage der Unternehmen bei gegebenen Zinssätzen und Konditionen verstanden werden. Ein etwas weiteres Begriffsverständnis zieht die Verschärfung der Kreditkonditionen, die Erhöhung der Bonitätsanforderungen, die Verzögerung der Kreditentscheidungen etc. ein. Eine Kreditklemme ist damit verbunden, dass Kreditnachfrager das gewünschte Kreditvolumen nicht erhalten. Dabei geht es jedoch weder um ein konjunkturelles Problem, noch um Kreditengpässe in Einzelfällen. Dass in Rezessionen die Kreditnachfrage zurückgeht und sich die Bonität der Unternehmen in einem solchen wirtschaftlichen Umfeld verschlechtert, ist normal. Von einer Kreditklemme ist also nur dann zu sprechen, wenn die genannten Indikatoren strukturelle Engpässe signalisieren, also eine Kreditverknappung, die über die konjunkturtypische hinausgeht.

Die Entwicklung

Wird das gesamte Kreditvolumen (inklusive der Kredite an Banken) zugrundegelegt, zeigte sich seit Mitte 2008 ein (vor allem von den Krediten an Banken verursachter) Rückgang nach einem Jahrzehnt eines kontinuierlichen Anstiegs. Dieser Rückgang ist im Frühjahr 2010 zu Ende gekommen. Wird isoliert das Kreditvolumen an inländische Unternehmen und selbständige Privatpersonen (also ohne Kredite an Banken) betrachtet, so zeigen sich negative Wachstumsraten nach einem sehr starken Wachstum ab dem Jahreswechsel 2008/2009. Diesem Rückgang folgten erstmals im zweiten Quartal 2010 nun wieder positive Wachstumsraten (vgl. Abbildung 1). Dabei ist festzuhalten, dass die vorangegangenen negativen Wachstumsraten des Kreditvolumens vor allem durch die kurzfristigen Laufzeiten dominiert wurden. Die Aussagekraft des Kreditvolumens im Zusammenhang mit der Kreditklemme ist generell begrenzt, da erstens sowohl Neuzusagen als auch Tilgungen enthalten sind. Zweitens lässt sich nicht differenzieren, ob ein Angebots- oder Nachfragephänomen zum Ausdruck gebracht wird. Nur ersteres könnte als Indiz für eine Kreditklemme verwendet werden. Dies blieb in der Diskussion um die Kreditklemme im Hintergrund.

Abbildung 1: Bestand an Krediten an inländische Unternehmen und selbständige Privatpersonen

Kreditklemme
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Die Erwartungen

Die Befürchtung einer Kreditklemme wurde jedoch nicht nur aus der Analyse dieser Indikatoren abgeleitet, sondern ebenso aus der Auswertung von Kreditkonditionen und Kreditvergabestandards. In Befragungen wurden gestiegene Anforderungen an Sicherheiten, höhere Zinsen und höhere Anforderungen an die Offenlegung und Dokumentation von Unternehmensinformationen eruiert. Weitere Umfragen deuteten etwa im Dezember 2009 sowie im Januar 2010 auf schwierige, wenngleich stabile Finanzierungsbedingungen hin, deren Verschlechterung in den folgenden Monaten erwartet wurde. Diese gedämpfte Erwartung kam z. B. in den regelmäßigen KfW-Blitzbefragungen von Finanzierungsexperten von 16 Wirtschaftsverbänden zum Ausdruck und bezog sich vor allem auf Investitionskredite (vgl. Abbildung 2). Wird heute zurückgeblickt, haben sich die pessimistischen Erwartungen nicht erfüllt. Es ist müßig, über die Ursachen zu philosophieren: Wurden die Erwartungen damals stärker von Rezession und Finanzmarktkrise getrieben als von den Gegebenheiten auf dem Kreditmarkt, wurden sie dominiert von den noch zu erwarteten Bilanzbereinigungen bei Banken und Unternehmen, führten die wirtschaftspolitischen Maßnahmen zu einem Umschwung oder war es das typische Konjunkturmuster auf dem Kreditmarkt, das sich schließlich doch wieder durchsetzte, wenngleich es vorher – mit durch die Finanzmarktkrise getrübten Befürchtungen – nicht erwartet wurde oder konzentrierten sich manche deutschen Banken nach ihren Engagements im Ausland nun wieder stärker auf den heimischen Kreditmarkt? Rückblickend kann argumentiert werden, dass Anfang des Jahres in Politik und Wirtschaft eine starke Sensibilisierung für eine mögliche Kreditklemme entstand. Dieses Problembewusstsein mit der folgenden Suche nach Indizien für eine Kreditklemme war vielleicht einer von vielen Faktoren, dass sie nicht entstanden ist.

Abbildung 2: Perspektive Investitionskredite zum Jahreswechsel 2009/2010

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Die Gegenwart

Doch wie sieht es heute aus? Auf die Trendwende beim Kreditvolumen wurde bereits hingewiesen. Auch der KfW-Kreditmarktausblick für den September 2010 bringt eine Erholung des Kreditneugeschäfts zum Ausdruck. Mehrere regelmäßige Befragungen von Unternehmen, Banken und Verbänden bringen die Einschätzung der aktuellen Situation sowie der Perspektiven zum Ausdruck. Die Ergebnisse vorweg zusammenfassend kommt in der Einschätzung der Befragten heute ein struktureller Engpass nicht zum Ausdruck und hat sich ihre Einschätzung in den vergangenen Monaten tendenziell verbessert. Die am meisten beachtete Umfrage ist die ifo-Umfrage zur Kredithürde. In kurzen Abständen werden 4000 Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft zur Einschätzung der Kreditvergabebereitschaft von Banken befragt. Diese wird als zuvorkommend, normal oder restriktiv beurteilt. Die Kredithürde wird aus den prozentualen Anteilen der „restriktiv“-Antworten gebildet. Die aktuellste Befragung (September 2010) zeigt deutliche Entspannungstendenzen bei der Kreditvergabe. Seit Herbst 2009 ist der Indikator kontinuierlich gesunken. Er lag nun bei 29%. Mitte 2007 betrug er etwas über 20%, 2003 über 60% (vgl. die folgende Abbildung 3).

Abbildung 3: Kreditklima in Deutschland, September 2010

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Die Verbesserung war über fast alle Größenklassen und Sektoren vorhanden. Lediglich bei den kleinsten Unternehmen und im Handel zeigte sich eine leichte Verschlechterung. Auch eine Sonderumfrage der Deutschen Bundesbank im Juli 2010 zeigte eine optimistische Einschätzung der Neukreditvergabe für die nächsten 12 Monate, die das Wachstum des Kreditvolumens treiben würde. Befragt wurden Bankmanager von 29 Banken sowie Funktionäre von Bankenverbänden. Im Vordergrund standen Fragen nach der prognostizierten Kreditentwicklung und der Entwicklung der Bestimmungsfaktoren für die Kreditvergabe. Diese Informationen gingen auch in das Bank Lending Survey des Eurosystems ein, in dessen Mittelpunkt Fragen nach den Veränderungen der Kreditstandards, der Faktoren, die auf diese wirken und den Kreditkonditionen stehen. Dabei zeigten sich die Bedingungen für Unternehmenskredite verbessert, die Kreditstandards weitgehend unverändert und die Nachfrage nach Krediten deutlich höher als im vorangegangenen Survey vom April 2010. Für die nächsten Monate wird eine weiter ansteigende Kreditnachfrage von Unternehmen erwartet.

Die Perspektive

Es deuten einige Faktoren darauf hin, dass die Kreditentwicklung in den Monaten der Diskussion über die Kreditklemme sowohl nachfrage- als auch angebotsgetrieben war und sich besonders auf die Kreditstandards auswirkte (Konditionen, Bonitätsanforderungen, Dokumentationserfordernisse etc.). Die Unsicherheit über die zukünftige Bankenregulierung sowie über die konjunkturellen Perspektiven schlug sich deutlich in ihr nieder. Aktuell deuten keine Anzeichen auf eine Kreditklemme als einem strukturellen Problem des deutschen Kreditmarktes hin. Das zukünftige Kreditangebot der Banken wird von ihrer Eigenkapitalsituation sowie den konkreten Reformmaßnahmen der Bankenregulierung, aber auch von den geldpolitischen Weichenstellungen der Zukunft beeinflusst werden. Zumindest beim ersten Faktor hat sich die Unsicherheit deutlich verringert. Die Kreditnachfrage wird von einer konjunkturellen Expansion, positiven Erwartungen und damit verbundenen Investitionsplänen getrieben. Vor diesem Hintergrund kann von einer Normalisierung der Entwicklung auf dem Kreditmarkt ausgegangen werden, der keiner besonderen staatlichen Interventionen bedarf, die über die Stabilisierung seiner Rahmenbedingungen hinausgeht.

3 Antworten auf „Was blieb von der befürchteten Kreditklemme?“

  1. „Es ist also der richtige Zeitpunkt, noch einmal zurückzublicken, ob damals tatsächlich die Gefahr einer Kreditklemme bestand und vor allem auszuloten, wie sich die Situation heute darstellt. Henning Klodt hatte bereits am 4. Februar 2010 in diesem Blog die begründete Vermutung geäußert, dass es sich bei der damals befürchteten Kreditklemme um ein Phänomen handeln könnte, das dem der Schweinegrippe nicht unähnlich sei: eine „Medien-Pandemie um die Kreditklemme“, die von einer Verschärfung der Kreditkonditionen ausgelöst wurde, deren Ursachenkonstellation jedoch schwer einzuschätzen war.“

    Es handelte sich weder um eine „Medien-Pandemie“, noch um eine schwer einschätzbare Ursachenkonstellation. Die wesentlichen Dinge sind damals alle geschrieben worden. Aber gerne noch einmal:

    Das Gerede wurde nicht unwesentlich durch Äußerungen von Vorständen einzelner großer deutscher Unternehmen (ich versage mir hier, die Namen zu nennen; in Pressearchiven wird man sie finden) befördert, die über Kreditverknappung klagten. Was war passiert? In den Boomjahren vor der Krise waren große Auslandsbanken (ich versage mir hier wieder, konkrete Namen zu nennen) mit „Kampfkonditionen“ auf den deutschen Markt expandiert. Sie hatten großen Konzernen billig und reichlich Kredit angeboten, um umfassende Geschäftskontakte mit diesen Konzernen zu knüpfen, z.B., in der Hoffnung, künftig auch bei einträglichen Investmentbankprojekten berücksichtigt zu werden. Die deutschen Konzerne haben diese billigen Kreditangebote gerne wahrgenommen. Das alte Hausbankprinzip galt damals als mausetot, statt dessen war „Transaction-Banking“ angesagt.

    In der Krise sahen sich manche dieser Auslandsbanken veranlasst, sich aus dem deutschen Markt zumindest ein Stück weit zurückzuziehen. Für Kreditprolongationen standen sie nur sehr eingeschränkt zur Verfügung. Die großen deutschen Banken wiederum standen als „Ersatzkandidaten“ nur sehr eingeschränkt zur Verfügung. Die Deutsche Bank fährt kein sehr großes Kreditbuch mehr und die Landesbanken hatten nicht nur genug mit sich selbst zu tun – sie sind mit solchen Krediten bereits seit Jahren vollgesogen. (Nebenbei: Wer deutsche Landesbanken großflächig fusionieren will, sollte bedenken, dass daraus riesige „Klumpenrisiken“ entstehen würden. Zumindest die großen Landesbanken haben die deutschen Industriekonzerne schon lange als Kreditkunden in ihren Büchern.) Das „Transaction-Banking“ war in der Krise, aber das war kein fundamentales Problem: Nun sind große deutsche Konzerne nicht auf Kreditaufnahmen angewiesen – sie können auch Anleihen plazieren. Und genau das ist seit dem vergangenen Jahr in großem Stile geschehen.

    Bei kleinen und mittleren deutschen Unternehmen ist es als Folge strengerer Kreditstandards der Banken durchaus zu zeitweiligen Verknappungen gekommen. Dies galt unter anderem für nicht wenige (aber keineswegs alle) Autozulieferer. Nicht vergessen werden sollte, dass Banken in offiziellen Befragungen sich durchaus als kreditvergabewillig präsentieren können, aber durch „Abwehrkonditionen“ in der Praxis dafür sorgen, dass potentielle Kunden keinen Kredit aufnehmen. Dies bewegt übrigens die Banken seit dem vergangenen Jahr natürlich aus Eigeninteresse dazu, diese Unternehmen zu höheren Eigenkapitalaufnahmen zu bewegen – mit bisher eher durchwachsenem Erfolg.

    Noch mal: Das ist in der Presse alles beschrieben worden.

    Best
    gb.

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