Stuttgart 21 und die direkte Demokratie

Für jeden Bahnfahrer, der häufiger via Stuttgart in den Süden fährt, ist die Sache klar: Der Kopfbahnhof muß weg. Die quälend langen Einfahrten in den und die Ausfahrten aus dem Bahnhof sind ebenso ein Ärgernis wie die langen Aufenthalte der Züge, die ihre Richtung wechseln müssen. Und seien wir ehrlich, Denkmalschutz hin oder her, diese Steinwüste von einem Altbau ist auch keine Zierde für das Stadtbild. Auch wenn man die Sache aus der Perspektive eines Stuttgarters betrachtet, müßten die Pläne für den neuen Bahnhof eigentlich verlockend sein. Die Stadt bekommt riesige Grünflächen und neues Bauland, wo heute Gleise sind. Der neue Bahnhof verspricht recht ansehnlich zu werden. Das alles bekommen die Schwaben dann auch noch zum Teil geschenkt, denn der größere Teil der Finanzierung kommt nicht aus den Budgets von Stadt und Land.

Dennoch demonstierten in der Nacht zum 2. Oktober rund 50.000 Bürger gegen das Bauprojekt, auch mobilisiert von den jüngsten Ereignissen bei der Räumung des Schloßgartens. Das sind immerhin knapp zwei Prozent der Einwohner der Region Stuttgart. Über die Gründe für diese Ablehnung kann man spekulieren; nicht wenige werden schlicht die Aussicht auf eine zehnjährige Großbaustelle mit entsprechendem Schwerlastverkehr in ihrer Innenstadt abschreckend finden. Die Geschmäcker sind verschieden, manch einer mag also tatsächlich auch an seinem alten Bahnhof hängen. Daß man einige Bäume im Schloßgarten schützen will, erscheint angesichts der nach dem Bahnhofsneubau zur Verfügung stehenden neuen Grünflächen dagegen schon wieder ziemlich irrational.

Es könnte also sein, daß wir es hier mit einem versteckten, aber doch sehr typischen Interessensgruppenproblem im Sinne Mancur Olsons zu tun haben. Eine relativ kleine Gruppe von Bürgern ist sehr unmittelbar von den Unannehmlichkeiten des Bauprojektes betroffen. Mit einer ordentlichen Portion Wut im Bauch organisieren sie erfolgreich Demonstrationen und verabreden sich zu der einen oder anderen Nötigung in Form einer Sitzblockade. Ist das Grund genug, um den in allen demokratischen Instanzen beschlossenen Bahnhofsneubau zu kippen? Wäre es nicht im Gegenteil eher undemokratisch, dem von einer lokalen Interessensgruppe organisierten Druck der Straße nachzugeben und damit das Resultat der regulären demokratischen Entscheidungsfindung für null und nichtig zu erklären?

Die Gegner von Stuttgart 21 begegnen diesem Einwand, indem sie einen Volksentscheid fordern. Zweifellos hätte eine Ablehnung des Bahnhofsneubaus in einer direkt-demokratischen Abstimmung ein anderes Gewicht als Versuche Einzelner, durch illegale Aktionen wie Baumbesetzungen den Bau zu verzögern oder zu verhindern. Spricht sich eine Mehrheit in einem Volksentscheid gegen das Projekt aus, dann ist es gestorben. Die Frage ist nur, von welcher Mehrheit hier die Rede sein sollte.

Bevor man abstimmen läßt muß man klären, wer abstimmen darf. Die Gegner des Neubaus scheinen recht zuversichtlich, eine Mehrheit gegen das Projekt in Stuttgart und Umgebung mobilisieren zu können. Das ist vielleicht etwas optimistisch angesichts der Tatsache, daß auch die Befürworter in Stuttgart inzwischen zu tausenden auf die Straße gehen. Aber nehmen wir einmal an, es wäre tatsächlich so, daß eine Mehrheit der Stuttgarter gegen den Bahnhof ist und dies bei einer Abstimmung auch kundtäte. Würde das ausreichen?

Ein ökonomisches Kritierium zur Beantwortung dieser Frage ist die sogenannte institutionelle Kongruenz. Ganz einfach gesagt: Die Gruppen der Nutznießer, der Steuerzahler und der Entscheidungsträger sollten möglichst deckungsgleich sein, wenn eine ineffiziente Entscheidungen verhindert werden soll. Die Finanzierung von Stuttgart 21 erfolgt zu einem großen Teil aus dem Bundeshaushalt und durch die Deutsche Bahn, die vollständig dem Bund gehört. Alle deutschen Steuerzahler sind also im Boot. Auf der Seite der Nutznießer ist zu beachten, daß der Durchgangsbahnhof zusammen mit der Neubaustrecke nach Ulm das Reisen für alle Bahnfahrer auf dieser Nord-Süd-Achse (und auf der südlichen West-Ost-Achse) angenehmer macht. Die Gruppen der Nutznießer und der Steuerzahler befinden sich also zu einem großen Teil außerhalb Stuttgarts und außerhalb Baden-Württembergs. Es ist damit klar, daß es mit einer lokalen Abstimmung in Stuttgart oder auch in Baden-Württemberg nicht getan ist.

Das Ergebnis einer bundesweiten Abstimmung könnte aber leicht ganz anders aussehen als das einer Abstimmung in Stuttgart selbst. Nicht-Bahnfahrer werden zwar gegen das Projekt sein, schließlich ist es für sie nur mit Kosten verbunden. Beachtet man aber die Höhe der Bundesmittel und der Finanzierungsbeiträge des Staatsunternehmens Bahn, dann entstehen über die Laufzeit des Bauprojektes pro Jahr und Steuerzahler Kosten etwa in der Höhe des Kaufpreises einer doppelten Currywurst. Ob diese Last ausreicht, um auch jenseits der Stadtgrenzen Stuttgarts Bahnhofsgegner in nennenswerter Anzahl zu mobilisieren und zum Abstimmungslokal zu bringen, erscheint zweifelhaft. Bahnfahrer könnten dagegen durchaus für eine Verkürzung ihrer Reisezeiten zu begeistern sein.

Eine ausschließlich lokale oder regionale Abstimmung über ein Verkehrsprojekt von bundesweiter Bedeutung wäre also mit dem Problem verbunden, daß der über das gesamte Land verstreute Nutzen im öffentlichen Entscheidungsprozeß nicht berücksichtigt oder zu gering gewichtet wird. Würde ein solches Beispiel Schule machen, dann wäre ein systematisch zu geringes Investitionsvolumen in größere Infrastrukturprojekte die Folge. Man wäre also schlecht beraten, bei Infrastrukturprojekten denjenigen, die während einer Bauphase von temporären, lokalen Unannehmlichkeiten betroffen sind, ein Vetorecht zuzubilligen.

13 Antworten auf „Stuttgart 21 und die direkte Demokratie“

  1. Hallo!
    Ich denke, ein wichtiger Grund dafür, dass so viele Menschen auf die Strasse gehen, wird hier ausser Acht gelassen.
    Es ist eine ganz allgemeine Unzufriedenheit mit der Politik, die sich hier eher Zufällig am Projekt Stuttgart 21 manifestiert.
    Das Problem ist, dass die Entscheidung für Stuttgart 21 eben nicht demokratisch zustande gekommen ist, sondern bestenfalls von einigen Abgeordneten abgenickt worden ist. Diese Abgeordneten sind von den Parteien aufgestellt worden, aber nicht durch die Bürger. Kleinere Parteien werden durch die 5% Hürde verhindert.
    Deutschland ist keine Demokratie!

  2. „Beachtet man aber die Höhe der Bundesmittel und der Finanzierungsbeiträge des Staatsunternehmens Bahn, dann entstehen über die Laufzeit des Bauprojektes pro Jahr und Steuerzahler Kosten etwa in der Höhe des Kaufpreises einer doppelten Currywurst.“

    Das hört sich zwar wenig an, aber die Ausgaben für Stuttgart21 verschlingen nach neuen Berechnungen etwa die Hälfte der zur Verfügung stehenden Mittel für den Schienenausbau für die nächsten zehn Jahre. Eine ganz schöne Hausnummer für ein einzelnes Projekt, dass dann auch noch gegen den Willen der Bevölkerung vor Ort durchgedrückt werden soll.

  3. Mag sein, dass Bahnfahrer bei der Durchfahrt durch Stuttgart profitieren. Die Frage ist aber, ob man mit den Milliarden, die in diesen Bahnhof und diese Strecke fließen, nicht Verbesserungen an anderer Stelle durchführen kann, die zu einer Fahrzeitersparnis in viel größerem Umfang führen würden.
    Es werden in Deutschland für jede Minute Fahrzeitersparnis acht- oder sogar neunstellige Beträge aufgewandt, dafür gibt es dann an anderer Stelle Langsamfahrstellen, schlechte Verbindungen, vergrößerte Taktabstände, wegfallende Halte etc. Mit dem in Stuttgart verbauten Geld kann man an anderer Stelle mehr erreichen. Die Konzentration auf einige wenige Prestigeprojekte nutzt nur einer Minderheit der Bahnfahrer – das sage ich als Bahnvielfahrer ohne Auto, der regelmäßig auf Schnellfahrstrecken unterwegs und damit direkter Profiteur der falschen Investitionspolitik ist.

  4. Diese Art von Fundamentalkritik führt zu nichts, und ich kann sie auch nicht nachvollziehen. Wir haben heute den 3. Oktober. Erinnern Sie sich doch mal daran, wie es bis zum November 1989 in dem Teil des Landes aussah, der damals tatsächlich keine Demokratie war.

  5. Meinen Vorposter muss ich leider recht geben. Auch die Abgeordneten haben ja Interessen und die dürften das Wahlverhalten eines Abgeordneten ja auch wesentlich beeinflussen.
    Dennoch muss ich diesen Artikel loben, da er sich mit der Frage beschäftigt wer darf in der direkten Demokratie abstimmen, wer ist Zahler, wer ist Nutznießer. Ein Problemfeld, über das man in Deutschland kaum etwas liest.
    Nur die Schlußfolgerung muss ich etwas kritisieren. Das Investitionsvolumen würde sinken, dass ist richtig. Aber nur aus einem Grund: Den lokalen Stimmberechtigten muss etwas geboten werden, damit sie zustimmen. Bei einer lokalen Abstimmung für ein überregionales Projekt müssten die Kosten für eine Investition steigen, da sie durch eine lokale Abstimmung einen höheren Preis bekommen. Das macht eine Investition für die Gesamt Volkswirtschaft weniger effizient, dafür wird sie gerechter, da diese lokale Investition in am Beispiel Stuttgart für die Stuttgarter auch erhebliche Nachteile mit sich bringt.

  6. zu:

    „Das hört sich zwar wenig an, aber die Ausgaben für Stuttgart21 verschlingen nach neuen Berechnungen etwa die Hälfte der zur Verfügung stehenden Mittel für den Schienenausbau für die nächsten zehn Jahre. Eine ganz schöne Hausnummer für ein einzelnes Projekt, dass dann auch noch gegen den Willen der Bevölkerung vor Ort durchgedrückt werden soll.“

    Das ist wohl so, allerdings fürchte ich, daß man auch die andere Hälfte nicht mehr wird verbauen können, wenn S21 fällt und die Gegner von Infrastruktur-Großprojekten durch einen solchen Erfolg neuen Aufwind erhalten. Schauen wir uns doch einmal um: Gegen die Strecke Nürnberg-Erfurt regt sich ebenfalls Widerstand, gegen den Ausbau der Rheinschiene engagieren sich auch Anwohner. Wenn das so weitergeht, dann wird Wilhelm II mit seiner berühmten verkehrspolitischen Fehlprognose – „Ich glaube an das Pferd“ – am Ende doch noch Recht behalten, für Deutschland jedenfalls. Ich erinnere mich übrigens auch, daß die gleichen Einwände damals gegen die Neubaustrecke Frankfurt-Köln vorgebracht wurden. Heute freut sich dort jeder über eine gute Stunde Zeitersparnis.

    zu:

    „Bei einer lokalen Abstimmung für ein überregionales Projekt müssten die Kosten für eine Investition steigen, da sie durch eine lokale Abstimmung einen höheren Preis bekommen. Das macht eine Investition für die Gesamt Volkswirtschaft weniger effizient, dafür wird sie gerechter, da diese lokale Investition in am Beispiel Stuttgart für die Stuttgarter auch erhebliche Nachteile mit sich bringt.“

    Nicht unbedingt gerechter. Im Fall eines lokalen Vetorechts könnten die mit diesem Recht Ausgestatteten Zugeständnisse erpressen, die deutlich über ihren eigentlich Schaden hinausgehen. Es wäre reiner Zufall, wenn der Nutzen des Gegengeschäfts dem lokalen Schaden entspräche.

  7. Die Beschreibung der Problemlage hängt natürlich auch davon ab, welche Gruppen wir definieren.

    „Stuttgarter und Nicht-Stuttgarter“ sind da schon zu grob, da es in beiden Gruppen sehr wahrscheinlich unterschiedliche Nutzenverteilungen geben wird. Wir können aber davon ausgehen, dass die Finanzierung zwar überwiegend über die Gruppe der „Nicht-Stuttgarter“ erfolgt, aber auch die Gruppe derjenigen, die so gut wie gar keinen Nutzen aus diesem Projekt haben, dort zu finden sein wird. Nur der Fiskalillusion wäre dann ein Abstimmungsverhalten zuzuschreiben, bei dem sich diese Gruppe in der Gruppe, von der ich ausgehe, dass es sich dabei um die von der Kopfzahl her größte Gruppe handelt, nicht gegen das Projekt entscheidet, da ihr Obolus dem Kongruenzprinzip auch nicht gerecht würde.

    Im Prinzip gibt es drei Nutzerkreise: Erstens die Nutzer der Bahnstrecke, zweitens die betroffenen Stuttgarter, drittens alle von den Infrastruktureffekten indirekt Betroffenen. Erstere sind am besten zu erfassen und sollten bei der Finanzierung eigentlich einen signifikanten Beitrag leisten (was sie wohl nie tun werden). Die „Stuttgarter“ wiederum sind wahrscheinlich die einzigen, die einen nicht-monetären Disnutzen reklamieren können. Und die letzte Gruppe ist die schwammigste von allen.

    Wir wissen, was nicht geht: Dass nur die Stuttgarter ein Entscheidungsrecht haben sollten. Dem Autor ist dahingehend also zuzustimmen. Nur hilft uns das nicht viel dabei, was gehen sollte…

  8. „Nur der Fiskalillusion wäre dann ein Abstimmungsverhalten zuzuschreiben, bei dem sich diese Gruppe in der Gruppe, von der ich ausgehe, dass es sich dabei um die von der Kopfzahl her größte Gruppe handelt, nicht gegen das Projekt entscheidet, da ihr Obolus dem Kongruenzprinzip auch nicht gerecht würde.“

    Fiskalillusion wäre das glaube ich nicht, eher rationale Abstinenz. Aus Sicht dieser Bürger wären die Kosten, die Stuttgart 21 für sie verursacht, sehr gering. Also neigen sie zur Indifferenz, sind schwer zu mobilisieren – schon gar nicht für Protest, aber womöglich auch nicht für den Gang zur Wahlurne. Man kann seine Sonntage ja auch angenehmer verbringen.

    Eine solche Abstinenz wäre also nicht einmal irrational, wie im Fall der Fiskalillusion, sondern vernünftiges Verhalten, wann immer man weiß, daß man von einem politischen Problem selbst nicht in einem nennenswerten Ausmaß betroffen ist.

  9. Eigentlich ein Beitrag, der geeignet wäre eine vernünftige politische Diskussion in Gang zu bringen.
    Es geht mittlerweile tatsächlich nicht mehr um ein Bahnhofsprojekt mit unterschiedlichen Ansichten dazu. Es geht um demokratische Grundfragen. Die Verfechter der „demokratischen Entscheidungen“ zu dem Projekt setzen alles daran, der Demokratie als solcher einen nicht wieder gut zu machenden Schaden zuzufügen. Wesentliche Grundlagen der getroffenen Entscheidungen haben sich dramatisch verändert. Alleine die Kostenexplosion in der sich jetzt offenbarenden Dimension ist Grund genug für ein Innehalten. Ganz zu schweigen von nachträglich bekannt gewordenen Gefahren für Umwelt und Menschen.
    Würde die Politik mit Nachdruck in einen offenen Dialog mit den Projektgegnern treten (im Rahmen eines „vorübergehenden“ Baustopps) ließe sich vielleicht so manches noch retten. Im Hinblick auf das Projekt, aber vor allem im Hinblick auf das Ansehen von Politikern und der Demokratie.

  10. Fazit: Auch hier ist das Geflecht aus Nutznießern und Geschädigten mal wieder so komplex, dass es nicht richtig abbildbar ist.
    Also warum privatisiert man nicht Bahn, Schienen-Netz, Bahnhöfe, etc. und sorgt für anständigen Wettbewerb?
    Zumindest werden dann die Abweichungen zwischen geplanten und tatsächlichen Baukosten geringer.
    Und die Rechung wird von den Bahnkunden gezahlt, die schneller durch Stuttgart wollen, anstatt von denen, die nach wie vor im Schneckentempo übers platte Land kriechen müssen.

    Oder habe ich da jetzt einen Denkfehler?

  11. „Deutschland ist keine Demokratie!“ – Das ist mal wirklich ein mutiger Satz.

    In jeder Demokratie – mal abgesehen von der in Nordkorea – stellen Parteien die Kandidaten auf. Und diese Parteien/ Kandidaten werden vom Volk (ab-) gewählt – bevollmächtigt/ entlassen.
    Die Projekte, die uns die Regierungen aufdrücken, sind heute offen und können sowohl über die Politik wie auch vor Gericht angefochten werden. Nicht umsonst sind die Planungsfristen für Großprojekte in Deutschland ziemlich lang – weil jede Bürgerinitiative politisch wie rechtlich angehört werden muß – und das ist gut so.
    Denn was als Rückschritt bei der Durchsetzung von Projekten „par ordre mufti“ aussieht, ist tatsächlich ein Riesenschritt in Sachen Bürgerbeteiligung.

    Man kann das Verfahren der Nominierung von Kandidaten durchaus kritisieren, aber ihm eine demokratische Legitimation völlig abzusprechen ist hysterisch.
    Auch wenn z.B. die Anwohner von Flughäfen Lärmbelastung hinnehmen müssen, ist es sinnvoll, solche Verkehreinrichtungen zu bauen – zum Wohl der Allgemeinheit, wie auch in Stuttgart. Wie legitim ist der Widerstand auf der Straße – werden wesentliche Belange der Bürger durch das Abholzen von 160 Bäumen beeinträchtigt? Wohl eher nicht.

    Eine von legitimen politischen Volks-Vertretern beschlossene Modernisierung wird nur von der Straße nicht akzeptiert. Das ist kein Zeichen mangelnder Demokratie, sondern ein Rückfall in vordemokratische Zeiten
    Eine Systemkrise der Demokratie liegt hier nicht vor – viel mehr ein mangelndes Demokratieverständnis.

  12. Lieber Herr Schnellenbach,

    ich (als Stuttgarter Bürger) stimme Ihrer Analyse und Bewertung voll und ganz zu – bis auf einem Satz:

    „Spricht sich eine Mehrheit in einem Volksentscheid gegen das Projekt aus, dann ist es gestorben.“

    Meinen Sie das normativ oder positiv? Positiv ist das sicher richtig. Normativ möchte ich dieser These klar widersprechen: Auch die direkte Mehrheitsentscheidung der Bürger selbst ist an Spielregeln gebunden, Spielregeln, die im voraus festzulegen sind und die nicht mitten im Spiel (oder in diesem Fall: nach dem Schlußpfiff, d.h. der Entscheidung) mit einfacher Mehrheit verändert werden können. Und die Spielregeln zu Beginn des Spiels (irgendwann Anfang oder Mitte der 1990er) sahen keine direktdemokratische Entscheidung über das Bahnprojekt vor – mithin hätte ein nun plötzlich durchgeführter Volksentscheid nicht mehr normative Autorität als die Demonstrationen und Blockaden einer Minderheit von Projektgegnern. Soviel Erwartungssicherheit und Fairneß wäre die Mehrheit der Minderheit auch in einer Volksabstimmung schuldig. Nur daraus, daß die Bürger direkt abstimmen, folgt nicht, daß sie frei und ungebunden beschließen könnten, was sie gerade wollen. Das Stichwort heißt „Rechtsstaat“. Aber ich bin optimistisch, daß Sie das ganz ähnlich sehen – oder?

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