„Krach schlagen statt Kohldampf schieben“ ist das Motto, unter dem die „Erwerbsloseninitiative“ in den nächsten Wochen Hartz-IV-Empfänger auf die Straße schickt. Empört reagiert die Arbeitslosenindustrie auf die Verbesserung der Zuverdienstmöglichkeiten für Aufstocker, die die Bundesregierung am 8. Oktober beschlossen hat: „Schwarz-Gelb zeigt deutlich, welche Gesellschaft sie haben will. Union und FDP führen Hartz IV-Bezieher regelrecht vor, indem sie diese mit Unverschämtheiten verhöhnt. Zuerst wurde solange getrickst bis endlich der gewollte Betrag von nur fünf Euro Hartz IV-Erhöhung raus kam und nun das großzügige Geschenk von 20 Euro Hinzuverdienstfreibetrag, wovon kaum jemand etwas hat.“
Deutlicher hätten die Lobbyisten nicht beweisen können, dass es ihnen nicht darum geht, Arbeitslose zurück in Arbeit zu bringen (das leuchtet ein, würde es doch im Fall des Erfolgs ihr Geschäftsmodell zunichte machen), sondern dass sie sich als eine Art Gewerkschaft der Dauerarbeitslosen verstehen und einzig für die Anhebung ihrer Tarife und Bezugszeiten kämpfen.
Der Bundesregierung muss man zumindest zugute halten, dass die Reform der Zuverdienstmöglichkeiten von der Absicht getragen ist, mehr sozialversicherungspflichtige Jobs zu schaffen, erweist sich doch die Pervertierung der Aufstocker-Idee als zentraler Konstruktionsfehler von HartzIV. Ursprünglich sollten Geringverdiener ihr Einkommen mit Transferleistungen auf das Existenzminimum aufstocken können. Tatsächlich stocken jetzt aber Hartz-IV-Empfänger ihr Transfereinkommen durch ein paar wenige Stunden Arbeit auf – und zwar in Einkommensbereiche, die durchaus über den Verdienstmöglichkeiten für wenig produktive Niedriglöhner liegen. Denn die jetzige Regelung sieht vor, dass die ersten hundert Euro in voller Höhe beim Hartz-IV-Empfänger bleiben, während von hundert bis 800 Euro ein Freibetrag von 20 Prozent und zwischen 800 und 1200 Euro ein Freibetrag von 10 Prozent bleibt. Kein Wunder, dass sehr viele Arbeitslose (vor allem die Alleinerziehenden) ihr ALGII mit 100 Euro (und ein wenig Schwarzarbeit) aufbessern, um daraus ein Dauermodell zu machen, ohne Aussicht und auch ohne Interesse an einer Erwerbsbeschäftigung. Die Hoffnung, 400-Euro-Jobs könnten den Übergang in das Arbeitsleben erleichtern, ist Illusion geblieben.
Wenn nun die Regierung auch bei Einkommen zwischen 800 und 1000 Euro künftig einen Freibetrag von 20 statt 10 Prozent ansetzt, mithin die Transferentzugsrate lockert, dann wäre das eine gute Idee, freilich nur dann, wenn zugleich die ersten hundert Euro künftig nicht mehr komplett anrechnungsfrei blieben, um dieses Lebensmodell weniger attraktiv zu machen. „Während in einer Rezession es eher wahrscheinlich ist, dass individuelle Arbeitslosigkeit Widerschein schwacher ökonomischer Bedingungen ist, wird das in wirtschaftlich besseren Zeiten zu einer Entscheidung des Einzelnen, der die Wahl hat zwischen Freizeit und Arbeit“, schreibt Robert Barro. Deshalb, so Barro in gewohnter Härte, sei es eine Torheit mit klassischer Moral Hazard-Wirkung, Arbeitslosigkeit staatlich zu subventionieren. Wer Leute in Jobs bringen will, muss ihnen Geld entziehen und nicht geben.
Man kann die für viele unmenschlich klingende amerikanische Härte kontinentaleuropäisch entschärfen, indem man sich darauf einigt, in guten Arbeitsmarktzeiten wie jetzt, wo die Firmen wieder auf der Suche sind, die Transferentzugsrate im niedrigen Einkommenssegment zu erhöhen und sie zugleich im höheren Segment zu senken. Minijobs wären dann unattraktiv, besser bezahlte Jobs wären attraktiv. Man könnte – eine Idee strammer noch – die Hartz-IV-Sätze generell atmen lassen und sozusagen im Rhythmus des Konjunkturzyklus indexieren. Und man könnte schließlich – nah am amerikanischen Modell – auch Hartz IV generell befristen: Doch das verträgt sich schwer mit unseren Sozialstaats- und Gerechtigkeitsvorstellungen. Die beiden ersten Vorschläge wären aber erst einmal schon ausreichend, um der Arbeitslosenindustrie das Handwerk zu legen und wieder ernst zu machen mit dem Auftrag, Arbeitslose in Arbeit zu bringen.
- Ordnungspolitische Denker heute (3)
Was wir von Wilhelm Röpke lernen sollten – und was lieber nicht. - 26. Januar 2014 - Über den Umgang mit Unsicherheit und Offenheit
Erfahrungen eines Wirtschaftsjournalisten nach fünf Jahren Finanz- und Wirtschaftskrise - 29. Oktober 2013 - Ungleichheit heute (15)
Ungleichheit und Gerechtigkeit: Was hat das miteinander zu tun? - 2. August 2013