Hochtief: Wer hat Angst vor feindlichen Übernahmen?

Markiert der Fall Hochtief erst den Anfang? Geraten demnächst weitere deutsche Unternehmen in das Visier ausländischer Investoren, die auf Schnäppchenjagd im internationalen Übernahmegeschäft sind? Vermutlich ja – aber warum?

Die Unternehmensführung von Hochtief sieht das vergleichsweise laxe deutsche Übernahmerecht als Kern des Problems und mahnt entsprechende Gesetzesänderungen an. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalens zögert noch, ob sie dazu eine Bunderatsinitiative starten soll. Vom Bundeswirtschaftsminister  und von der Bundeskanzlerin gibt es jedoch klare Signale, keine „Lex Hochtief“ auf den Weg bringen zu wollen – und das ist gut so.

Denn deutsche Unternehmen können selbst einiges dafür tun, sich vor internationalen Firmenjägern zu schützen. Der wesentliche Grund für das starke Interesse der Investoren liegt nicht beim Übernahmerecht, sondern bei den Aussichten, mit der Zerlegung des Kaufobjekts in seine Einzelteile hohe Weiterverkaufserlöse erzielen zu können. Nur so kann ein Konzern wie ACS, dessen eigene finanzielle Lage alles andere als rosig ist, genügend Kapital mobilisieren, um ein Unternehmen wie Hochtief überhaupt angreifen zu können. Es geht also um die stillen Reserven, die sich im Börsenwert von Hochtief nur unvollkommen niederschlagen und die für ACS und die dahinter stehenden Investoren so verlockend sind.

In der Öffentlichkeit wird bereits darüber spekuliert, welche Unternehmen die nächsten Opfer feindlicher Übernahmen sein könnten. Potentielle Kandidaten werden vor allem dort ausgemacht, wo hohe stille Reserven vermutet werden, und die scheinen in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern besonders ausgeprägt zu sein.

In gewissem Umfang sind solche Reserven durchaus sinnvoll, um die Resilienz gegen externe Schocks zu erhöhen. Vielerorts scheinen sie aber deutlich darüber hinaus zu gehen. Ursächlich dafür ist das traditionelle Modell der „Deutschland-AG“ mit seiner starken Rolle der Hausbanken und der vergleichsweise geringen Rolle der Börsenkapitalisierung. Denn Unternehmen, die sich mit Bankkrediten und nicht mit Aktienemissionen finanzieren, müssen keine feindliche Übernahme befürchten. Vermutlich strahlen solche traditionellen Verhaltensmuster als Pfadabhängigkeit auch auf jene deutschen Unternehmen aus, die an der Börse gelistet sind

Dennoch ist es  ist es nicht leicht zu erklären, weshalb die stillen Reserven eines börsennotierten Unternehmens Firmenjäger anlocken. Denn nach der Theorie der effizienten Finanzmärkte sollten die Informationen darüber, dass es stille Reserven gibt, im Prinzip ja auch allen anderen Börsenteilnehmern zugänglich sein. Dann müssten sich diese Informationen auch ohne Übernahmekampf im Börsenwert niederschlagen, wodurch das betreffende Unternehmen uninteressant für feindliche Übernahmen würde.

Dafür, dass stille Reserven nur unvollkommen im Börsenwert abgebildet werden, gibt es zwei mögliche Erklärungen: Erstens könnten die Firmenjäger über ein branchenspezifisches Wissen verfügen, das breiteren Investorenkreisen fehlt. Sie wären also in der Lage, Reserven zu erkennen, die anderen verborgen bleiben. Ein Indiz dafür ist, dass sich die Investoren bei ihrem Hochtief-Angriff  auf ACS stützen, da das Unternehmen ebenfalls aus der Baubranche kommt und deshalb das nötige branchenspezifische Wissen hat.

Zweitens könnte der Börse das Vertrauen fehlen, dass das derzeitige Management tatsächlich willens und/oder in der Lage ist, die Anteilseigner an den stillen Reserven teilhaben zu lassen. Dann bräuchte es einen externen Angreifer, der mit der feindlichen Übernahme das Management attackiert und es dadurch schafft, Umorganisationen umzusetzen, gegen die sich das alte Management vehement gewehrt hätte. Die aktuellen (aber wohl zu späten) Bemühungen des Hochtief-Managements, mit der Ankündigung von Teilverkäufen und anderen Maßnahmen eine Mobilisierung der stillen Reserven in Aussicht zu stellen und durch die damit induzierte Erhöhung des Börsenkurses den Angriff von ACS doch noch abzuwehren, liefern Indizien für die zweite Erklärung. Vermutlich ist an beiden  Erklärungen etwas dran.

Im Zentrum der Debatte stehen allerdings nicht die stillen Reserven deutscher Unternehmen, sondern das deutsche Übernahmerecht, das feindliche Übernahmen vermeintlich zu leicht mache. Nach dem im Jahre 2002 in Kraft getretenen Wertpapier- und Übernahmegesetz  müssen Aufkäufer ein Pflichtangebot an alle Aktionäre abgeben, wenn sie 30 Prozent der Aktien des zu übernehmenden Unternehmens erworben haben. Dabei müssen sie mindestens den Kurswert aus dem gewichteten Durchschnitt der vergangenen drei Monate bieten.  Dies ist in aller Regel unattraktiv für die Aktionäre, da es bei Bekanntwerden der Übernahmepläne meist zu Kursgewinnen kommt, die den aktuellen Aktienkurs über den Kurs des Pflichtangebots treiben.

Diesen Punkt hat der ACS jetzt erreicht. Er hat fast 30 Prozent der Aktien von Hochtief erworben und bei der BaFin eine Übernahmeofferte eingereicht,  nach der fünf Hochtief-Anteile für acht ACS-Anteile eingetauscht werden können. Zu aktuellen Kursen entspricht das einem Preis von rund 56 Euro pro Hochtief-Aktie, während das Papier derzeit mit über 60 Euro an der Börse gehandelt wird.

Nicht überall wäre ACS so günstig davongekommen. Nach britischem Übernahmerecht beispielsweise muss das Pflichtangebot nach Überschreiten der 30-Prozent Hürde mindestens so hoch sein wie der höchste Aktienpreis, den der Erwerber in den vergangenen zwölf Monaten gezahlt hat. Außerdem müssen laufend neue Pflichtangebote offeriert werden, während der Anteil weiter von 30 Prozent auf 50 Prozent aufgestockt wird.

Deutlich energischer geht es in anderen Ländern bei ausländischen Übernahmeversuchen zu. Entsprechende Erfahrungen machte Siemens, als es vor einigen Jahren  das Turbinengeschäft von Alstom  übernehmen wollte und die französische Regierung daraufhin die Verstaatlichung des gesamten Alstom-Konzerns ankündigte. Und im Heimatland von ACS wurde von der dortigen Regierung eine Gesetzesänderung ins Auge gefasst, um die Übernahme des spanischen Energieversorgers Endesa durch EON zu verhindern. Auf Druck der EU-Kommission wurden zwar weder die französische noch die spanische Drohung in die Tat umgesetzt, aber sie reichten aus, die geplanten Übernahmen so lange zu verzögern, bis sie sich aus betriebswirtschaftlichen Gründen von selbst erledigt hatten.

Wem würde eine Verschärfung des deutschen Übernahmerechts nützen? Den Aktionären von potentiellen Übernahmeopfern wohl kaum, denn seit Bekanntwerden der Übernahmepläne von ACS im vergangenen September hat die Aktie von Hochtief (wie es in solchen Fällen nicht ungewöhnlich ist) um mehr als zehn Prozent zugelegt. Je höhere rechtliche Hürden für Unternehmenskäufe errichtet würden, desto seltener würde es die Chance auf solche Übernahmeprämien geben. Den Beschäftigten von Hochtief, die derzeit gegen den ACS-Angriff und für Rückendeckung durch den Gesetzgeber auf die Straße gehen, würde ein restriktiveres Übernahmerecht auch nichts bringen, denn eine Integration in den ACS-Konzern oder ein lukrativer Weiterverkauf einzelner Unternehmensteile macht betriebswirtschaftlich nur Sinn, wenn nach wie vor Wertschöpfung erzielt wird. Ein Kahlschlag bei den inländischen Arbeitsplätzen wäre also nicht im Interesse von ACS.

Negativ betroffen wäre vor allem  das derzeitige Management von Hochtief, das sich bei erfolgreicher Übernahme dem ACS-Management unterordnen müsste oder ausgetauscht würde. Dies wäre im Einzelfall sicherlich schmerzlich, konstituiert aber kein Schutzbedürfnis, für das eine Änderung des deutschen Übernahmerechts angezeigt wäre.

Anstatt nach dem Gesetzgeber zu rufen, der Schutzwälle errichtet gegen die Plünderung der Reserven durch feindliche Unternehmensaufkäufer, sollte besser die traditionelle Strategie deutscher Unternehmen, sich heimliche Polster zuzulegen, auf den Prüfstand gestellt werden. Allzu hohe stille Reserven verhelfen in erster Linie dem Management zu einem ruhigen Leben – zumindest so lange, wie sie keine Schnäppchenjäger auf den Plan rufen. Für die Mitarbeiter dagegen und letztlich auch für die gesamte Volkswirtschaft können stille Reserven gleichbedeutend sein mit unterlassenen Investitionen, d. h. mit niedrigerem internen Wachstum und weniger Arbeitsplätzen.

Henning Klodt
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2 Antworten auf „Hochtief: Wer hat Angst vor feindlichen Übernahmen?“

  1. Dafür, dass stille Reserven nur unvollkommen im Börsenwert abgebildet werden, gibt es zwei mögliche Erklärungen

    Es gibt noch eine dritte: Der Börsenwert ignoriert ziemlich konsequent deutsche Besonderheiten. Die Akteure, die ihn im wesentlichen bestimmen, kommen entweder direkt aus dem angelsächsischen Ausland (man betrachte hierzu den üblichen Umsatzeinbruch im DAX-Handel an amerikanischen Feiertagen) oder verwenden von dort stammende Methoden.

    So ist es z.B. keinesfalls ungewöhnlich, dass ein Eigenkapitalausweis, der allein durch die Umstellung der Bilanzierung von HGB auf IFRS zustande kommt, sich plötzlich in einem höheren Börsenwert niederschlägt – wohl weil ganz simpel die Zahlen, die jetzt auf den Bildschirmen erscheinen, „besser“ sind. Dass andererseits „der Markt“ auch mal IFRS-technisch aufgeblähtes Eigenkapital (z.B. durch eine Neubewertung aufgrund von sicher nicht allzu pessimistischen Zukunftserwartungen) vorsichtiger bewerten würde, ist wohl ebenfalls nicht üblich.

    Man glaubt den Zahlen, weil das am einfachsten ist. So lange, bis die Realität einen erbarmungslos einholt, aber dann sind die Boni längst in der Scheuer und der Staat steht eh immer helfend bereit…

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