Von den Verlockungen der großen Krise

Zu den teuflischen Eigenschaften von Wirtschaftskrisen gehört es meist, dass konjunkturelle, strukturelle und finanzielle Verwerfungen Hand in Hand gehen. Das erschwert die Konzeption schlüssiger wirtschaftspolitischer Maßnahmen. Fast noch schlimmer ist es aber, dass die Verstrickung der einzelnen Probleme Lobbyisten und populistischen Politikern Tür und Tor für ordnungspolitische Sünden öffnet und zugleich solchen Politikern das Leben schwer macht, welche um wirtschaftspolitische Vernunft bemüht sind. Würde nicht die Gesellschaft für deutsche Sprache das Unwort des Jahres küren, so wäre der Begriff des Schutzschirmes ein geeigneter Kandidat. Denn was im Zusammenhang mit der Finanzmarktkrise noch eine zutreffende Bedeutung hat, führt spätestens im Zusammenhang mit den weltweiten strukturellen Verwerfungen – insbesondere im Automobilsektor – in die Irre.

Aber auch im Zusammenhang mit der Konjunkturkrise ist der Erwartungsdruck an die Politik riesengroß. Es ist insofern erstaunlich, dass die Bundesregierung sich in dieser Hinsicht so standhaft zeigt und fiskalpolitisch vergleichsweise umsichtig handelt. Denn es scheint ausgemachte Sache zu sein, dass eine solche Umsicht heute unangebracht ist. Das gilt nicht mehr nur für traditionelle Keynesianer oder solche, die das keynesianische Gedankengut für ihre Zwecke instrumentalisieren, sondern auch für die Wirtschaftsverbände, den größten Teil der Wirtschaftspresse und leider auch für die meisten Vertreter der ökonomischen Zunft. Alle Vorbehalte, die gestern noch Gewicht hatten, scheinen angesichts der Krise gegenstandslos zu sein. Aber wir werden es erleben, dass die Bundesregierung die Früchte ihrer fiskalpolitischen Umsicht erntet. Fürs erste allerding gelten die wenigen verbliebenen Mahner für eine solide Fiskalpolitik als Ewiggestrige, die entweder den Ernst der Lage nicht erkannt haben oder nicht auf dem neuesten Stand der makroökonomischen Forschung sind – oder beides. Als solch Ewiggestrige aber wurden auch die wenigen noch verbliebenen Warner vor einer gedankenlosen Aufblähung der Geldmenge verspottet, welche uns dann am Ende jene Krise beschert hat, deren realwirtschaftliche Folgen nun mit einer ebenso gedankenlosen Aufblähung der Staatsverschuldung bekämpft werden soll.

Es ist selten genug, dass man sich als Ökonom an die Seite der Regierenden stellen und deren Handeln gegenüber dem Druck von nahezu allen übrigen Stellen verteidigen mag. Da möchte es fast beruhigen, dass es neben Finanzmarkt- und Konjunkturkrise noch eine dritte damit verbundene Krise gibt: die vor allem im Automobilbau kulminierenden weltweiten strukturellen Verwerfungen, die die Konjunkturkrise aufgedeckt hat und welcher sich die Politik nur allzu gern mit Hilfe der üblichen Folterwerkzeuge annimmt. Sicher: Die Versuchung ist groß, solche Verwerfungen mit Hilfe von Subventionen abzufedern. Denn in so schwierigen Situationen wie der jetzigen sollte konkrete Hilfe für Betroffene wichtiger sein als ordnungspolitische Grundsatztreue – wenn es denn einen solchen Gegensatz gibt. Gäbe es ihn, dann hätten wir in der Tat wenig Anlass, konkrete Hilfe zu verweigern. Doch in Wahrheit gibt es diesen Gegensatz nicht. Während die konkrete Hilfe des Staates nämlich öffentlich sichtbar ist, gibt es immer auch einen konkreten Schaden, der nur leider öffentlich meist nicht sichtbar, sondern so versteckt ist, dass im Zweifel nicht einmal diejenigen ihn nachvollziehen können, die davon betroffen sind. Denn der wirtschaftliche Schaden steht mit seiner Ursache – der zugrunde liegenden Subvention – meist nur in einem mittelbaren Zusammenhang, welcher zwar durchaus zwingend, aber leider nicht leicht erkennbar ist.

Sicher, Subventionen sind nicht per se wohlfahrtsschädigend. Aber es gibt klare Kriterien dafür, wenn sie es sind und wann sie gar nützlich sein können. Die notwendige Bedingung dafür, dass Subventionen nützlich sind, ist dann erfüllt, wenn Marktversagen im strikten Sinne vorliegt und wenn ein (in der Realität nicht existierender) perfekter Agent der Bevölkerung mit Hilfe einer Subvention das Versagen der Märkte zumindest teilweise kompensieren könnte, es aber nicht überkompensieren würde. Die hinreichende Bedingung ist indes erst dann erfüllt, wenn damit gerechnet werden kann, dass auch eine real existierende – das heißt eine nicht perfekt informierte und Wohlfahrt maximierende – Regierung zumindest eine Verbesserung gegenüber dem unsubventionierten Zustand erreichen würde.

In praktisch allen derzeit diskutierten Fällen – allen voran dem aktuellen Fall von Schaeffler-Conti – ist nicht einmal die notwendige Bedingung erfüllt. Wenn das betreffende Unternehmen eine längerfristige Perspektive hat, dann gibt es keinen Grund, warum es aus dem Markt ausscheiden müsste. Und auch die Kapitalmärkte sind unter diesen Bedingungen trotz Finanzmarktkrise willens und in der Lage, die hierzu nötigen Mittel bereit zu stellen. Denn die Vertrauenskrise besteht innerhalb des Bankensystems und nicht gegenüber der Realwirtschaft, und abgesehen davon können sich größere Unternehmen mit einem zukunftsfähigen Geschäftsmodell nach wie vor an der Börse finanzieren. Es liegt also schon die notwenige Bedingung nicht vor – geschweige denn die hinreichende. Wenn unter solchen Bedingungen dennoch subventioniert wird, dann hat das immer böse Folgen, die weit über die fiskalischen Kosten hinaus gehen. Denn mit den Subventionen übernimmt der Steuerzahler einen Teil der Kosten des subventionierten Betriebes. Die konkrete Wirkung hängt dann von der Reaktion der Preise ab: Sinken die Preise aufgrund der Subvention, so kaufen die Nachfrager das subventionierte Gut anstelle eines anderen, wobei sie die Kosten der Preissenkung im Wege der Steuern selbst schultern müssen. So wird das Verhalten der Menschen weg von deren eigentlichen Wünschen gelenkt und ihnen im Anschluss auch noch die Rechnung präsentiert. Je weniger die Preise indes auf die Subventionierung reagieren, desto bedeutender wird ein anderer Effekt, der noch gravierender ist. Wenn die Preise beispielsweise vom Weltmarkt bestimmt sind, wie dies für die Automobilbranche realistisch ist, so wandert die Nachfrage weg von den Unternehmen, die sich aus eigener Kraft finanzieren, und hin zu jenen, die auf Kosten des Steuerzahlers produzieren. Jeder durch einen populistischen Politiker per Subvention „erhaltene“ Arbeitsplatz wird dann mit genau einem verlorenen Arbeitsplatz in einem anderen Unternehmen bezahlt, welches ohne Subvention eine längerfristige Perspektive gehabt hätte, weil es besser als das subventionierte Unternehmen gewirtschaftet hat.

Die Geschichte vom politischen Gutmenschen, welcher eine ordnungspolitische Sünde in Kauf nimmt, um jenseits prinzipientreuen Starrsinns konkrete Hilfe für Menschen in Not zu bieten, ist also eine Mär – freilich eine, der kaum beizukommen ist. Angesichts der Tatsache, dass die Populisten mit dem Nutzen der Subvention für die Begünstigten so edel daherkommen können, während der viel größere Schaden an anderer Stelle so schwer nachzuweisen ist, mögen sich ehrliche Politiker wünschen, wie Odysseus an einen Mast gebunden zu sein, um auch bei größter Versuchung des süßen Sirenengesangs von den Segnungen ordnungspolitischer Sünden mit gebundenen Händen dazustehen. Die Populisten jedoch nutzen derzeit die teuflische Verwicklung von Finanzmarkt-, Konjunktur und Strukturkrise, um sich von solchen Fesseln zu befreien. Aber die Konsequenz ist immer der Schiffbruch – freilich nicht für die Populisten, wohl aber für die Bevölkerung. Es bleibt also zu hoffen, dass Frau Merkel und Herr Steinbrück auch in diesem Punkte standhaft bleiben und das Lockern der Fesseln unterbinden. Anders als im Falle der Fiskalpolitik könnten sie sich in diesem Punkt immerhin auf die Unterstützung der ökonomischen Zunft verlassen.

Thomas Apolte
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2 Antworten auf „Von den Verlockungen der großen Krise“

  1. Subventionen töten, wörtlich und mittelbar. Durch subventionierte Lebensmittel wurden in vielen 3 te Welt Ländern eigene Landwirtschaft unrentabel, und damit unmittelbar zu Nahrungsmittelknappheit und letztendlich Tod durch Verhungern.

    Subventionen töten mittelbar, da Sie bestimmte Jobs in bestimmten Bereichen bevorzugen, was natürlich zu Fehlinvestionen führt. Warum sollte man nicht in etwas investieren wenn man doch dafür subventioniert wird. Beispiel Bergbau.

    Und Subventionen sind immer ungerecht und haben einen enteignenden und immer einen entmündigenden Charakter…

    Ich denke insgesamt darf man den Gutmenschen reichlich Tote unterstellen. Wie heißt es so schön. Der Weg zur Hölle ist mit guten Absichten gepflastert.

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