Zur Ordnungsökonomik des Wehrdienstes: Zapfenstreich?

Ich habe gedient. 15 Monate. Der Verteidigungsminister hieß damals Manfred Wörner; der Vorsitzende des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR war Leonid Breschnew. Muammar al-Gaddafi und Husni Mubarak waren damals schon, noch, an der Macht sich sozialistisch nennender Staaten. Das wären schon viele Eröffnungen für flotte Blog-Beiträge. Ich will aber gleich zur Ordnungsökonomik, Ordnungspolitik, vielleicht auch: Ordnungsethik, des Wehrdienstes kommen.

Meine 15 Monate Wehrdienst waren, für mich, weitgehend verlorene Zeit. Die Erfahrung, in einer oberschwäbischen Panzerartillerie-Division einer der wenigen zu sein, die Abitur hatten und dass es tatsächlich Kameraden gibt, die kaum lesen und schreiben können, war für mich zwar wertvoll und herausfordernd (ich meine das ehrlich, nicht zynisch). Dazu hätten aber auch fünf Monate genügt. Um nachzufühlen, wie es ist, sinnloser Arbeit und zermürbendem Zeitabsitzen ausgeliefert zu sein (auch eine interessante Erfahrung), genügt es vielleicht auch, Kafka zu lesen. Jedenfalls bedarf es dazu keiner Zwangsarbeitsverpflichtung, die noch dazu nahezu willkürlich verhängt wurde. Ich gebe zu: ich war irritiert über meine Klassenkameraden, deren Erstsemesterparties schon ein Jahr zurücklagen, obwohl sie genauso tauglich wie ich gewesen wären, sich von grenzdebilen Unteroffizieren herumkommandieren zu lassen.

Dass diese in den folgenden Jahrgängen immer willkürlicher gewordene Lotterie des „Einziehens“, der staatlich zugewiesenen Zwangsarbeit auf (beträchtliche, wertvolle) Zeit, nie ein als ein rechtes (und noch mehr: linkes oder liberales) Thema der „sozialen Gerechtigkeit“ politisch thematisiert wurde, erstaunte mich schon immer (treffend hierzu auch: Gerhard Wegner in diesem Blog). Welche volkswirtschaftlichen Schäden (Opportunitätskosten) es bedeutet, Jugendliche im Bildungs- empfänglichsten Alter für viele Monate vom Arbeits- und Bildungsmarkt fernzuhalten, wurde auch kaum öffentlich diskutiert (außer in diesem Blog, vgl. Wolf Schäfer (I) und Wolf Schäfer (II)).

Damit zum ehemaligen Verteidigungsminister: Karl Theodor zu Guttenberg. Zur größten (wohl fast einzigen) ordnungspolitischen Leistung seiner politischen Karriere zähle ich die Aussetzung und de facto (wohl) Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht – und dies selbst in seiner CSU durchgesetzt zu haben. Deshalb ist es sicher bedauerlich, dass er – wegen einer „anderen Sache“ zurücktreten musste. Wegen dieser „anderen Sache“ ist es aber auch unbedingt zu begrüßen, dass er zurücktrat – erschütternd zu sehen, wie seine „bürgerlichen“ Partei- “Freunde“ ihn und nicht die Gebote wissenschaftlicher Redlichkeit verteidigten. Aber das ist nicht mein Thema.

Mir scheint, dass wir Ordnungsökonomen (aber auch andere) uns viel zu selten mit der Bundeswehr beschäftigt haben – obwohl die Bundeswehr als eklatant planwirtschaftliches Element in unserer Marktwirtschaft und Privatrechtsgesellschaft kein unbedeutender Fremdkörper war. Mit der recht plötzlichen Abschaffung zunehmend willkürlich verordneter Zwangsarbeit unternimmt die Bundeswehr im Moment eine Art Transformationsprozess, wie ihn im Prinzip auch die sozialistischen Länder nach dem Fall der Mauer durchmachten. Das ging nicht reibungslos ab, wie wir wissen, eher nach der Form einer J-Kurve, wonach zunächst starke Verluste (an Beschäftigung, Wachstum, Staatsbudgets etc.) in Kauf genommen werden müssen, ehe sich die Investition in den Aufbau spontaner Marktordnungen und die Eröffnung von Freiheitsspielräumen früher oder später zu amortisieren begann.

Es ist darum weder überraschend noch skandalös, sollte im Verteidigungshaushalt eine „Freiwilligendividende“ ebenso wie die „Friedensdividende“ erst einmal – und vielleicht auf Dauer – budgetär ausbleiben. Volkswirtschaftlich ist die „Dividende“ schon jetzt da – mit jedem potentiellen „rocket scientist“, Dachdecker oder Maschinenbauingenieur, der sich jetzt endlich schon einmal frei zwischen Militärausbildung und Universität, Lehre oder Unternehmensgründung entscheiden kann. Der bereits demographisch bedingte Fachkräftemangel wirkt sich schon jetzt hemmend einige Branchen aus. Da ist jeder Monat sinnlos abgezwungene Beschäftigung gleichbedeutend mit einer Vernichtung von Humankapital – und damit Steuereinnahmen. Die „Freiwilligendividende“ wird als (sicher so nie ausgewiesene) zusätzliche Wertschöpfungs-Abschöpfung der Finanzminister einheimsen.

Bleibt das Problem der Human- und Sozialkapitalbildung in den Streitkräften. Pfarrer (evangelisch-reformiert) Peter Ruch hat in der frisch-libertären Zeitschrift „eigentümlich frei“, Ausgabe 110, März 2011) einige eigentümliche Thesen geäußert (etwa: „Weil der Krieg die Sache des Staates und somit aller Bürger ist, führt in der Demokratie kein Weg an der allgemeinen Wehrpflicht vorbei“; „Die Abschaffung der Wehrpflicht bedeutet, das Risiko menschenverachtender Übergriffe zu erhöhen“, Wehrpflichtige könnten ja auch ausgelost werden: „wer zu einem geraden Datum oder an einem geraden Monat geboren wurde“). Diese „protestantische Ethik“ ordnungsethisch zurückzuweisen, sprengte den Rahmen meines Beitrags. Ein Argument von Peter Ruch verdient aber aus ordnungsökonomischer Sicht, im Hinblick auf eine künftig freiwillig zu rekrutierende Bundeswehr, ernst genommen zu werden: „Leisten nämlich nur noch die Wehrwilligen und Kriegslustigen – und womöglich die Erfolgslosen und Bildungsfernen – Militärdienst, so fehlt innerhalb der Streitkräfte das Korrektiv“.

Wahrscheinlich hätte der so überaus populäre Minister zu Guttenberg mit einer (wie von ihm geplant) vornehmlich in der Bild-Zeitung und dem privaten „Unterschichtsfernsehen“ lancierten Werbetour mehr Erfolg bei der Rekrutierung der (sicher nicht „kriegslustigen“, aber doch tendenziell eher) „bildungsfernen“ Schichten als der jetzige Minister. Deutet man „bildungsfern“ vorurteilsfrei als Fähigkeit, worauf es für Viele beim häufigeren „Kriegseinsatz“ (auch das so zu benennen war ein Verdienst von zu Guttenberg) ankommt, ist dies auch kein Vorwurf an die freiwillig „Wehrwilligen“. Man muss nicht Niklas Luhmann oder Friedrich von Hayek im Tornister haben, um ein guter Panzerartillerist zu sein. Den Freiwilligendienst unter erhoffter Aufopferung privater Verdienstchancen nun als „Ehrendienst“ an der Gesellschaft (de Maizière) anbieten zu wollen, kommt freilich, unter Bedingungen der Moderne (aufgeklärter Individualismus) und der demographisch verstärkten Opportunitätskosten auf gegenwärtigen Arbeitsmärkten, arg atavistisch-konservativ daher.

Endlich können jetzt auch in Deutschland Jugendliche in dem kritischen Alter, in dem es auf jeden Monat Ausbildung ankommt, wählen, was sie für sich selbst wollen und sich selbst zutrauen. Die Bundeswehr muss und kann hier attraktive und verlässliche Angebote unterbreiten. Sie (und die bisherigen Nutznießer der steuerfinanzierten Ersatzdienste) konkurrieren nun aber mit der Privatwirtschaft um ihren, jeweils, knapp gewordenen Nachwuchs – auf relativ freieren Märkten für wertvolle Arbeit. Das darf die betroffenen Dienstleister (Bundeswehr, Kirchen und andere Sozialdienstleister) auch etwas kosten. Den Steuerzahler insgesamt wird es entlasten. Die Abschaffung der Wehrpflicht wird die Gesellschaft volkswirtschaftlich insgesamt und dauerhaft viel weniger kosten als der verordnete Zwangsdienst, der letztlich eine allen Prinzipien der Besteuerung zuwider laufende „Naturalsteuer“ (s. Schäfer und schon 1752 David Hume in „of commerce“) bedeutete und eine unnötige Verschwendung von Talenten und Ressourcen mit sich brachte.

Nur aus dem, was dauerhaft privatwirtschaftlich erwirtschaftet werden kann, kann auch eine Armee dauerhaft (steuer-) finanziert werden – sei sie nun auf Zwangsarbeit (Wehrpflicht) oder Freiwilligkeit gegründet. Die Bundeswehr, die Sozialverbände und die Kirchen werden auf dem Arbeitsmarkt für freiwillige Dienstleister nun auch attraktivere Angebote für Kandidaten mit exit-Optionen machen müssen. Das ist ordnungsökonomisch, ordnungspolitisch und ordnungsethisch auch gut so. Zudem rechnet sich die Abschaffung unfreiwilliger Arbeit auch volkswirtschaftlich und damit finanzwirtschaftlich.

Ich gebe diese Gedanken gerne freiwillig dem wissenschaftlichen Dienst des Bundestages zur Verfügung – in der vagen Hoffnung, dass in müheloser Kleinarbeit hieraus freigiebig zitiert wird.

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