Was hat Keynes mit der Krise zu tun?

Der Tabubruch ist erfolgt: Deutschland enteignet wieder. Ordnungspolitische Lehrbücher seien jetzt, in dieser außergewöhnlichen Krise, nicht gefragt, sagt die Politische Klasse:  Wenn der Markt versagt, muß der Staat einspringen, damit die systemische Krise keinen Flächenbrand verursacht. Es lebe Keynes! heißt es allenthalben. Es lebe Keynes?

Vor ziemlich genau 40 Jahren hat die „Neue Makroökonomik“  eine Neuinterpretation der Keynesschen  – bzw. keynesianischen – Theorie versucht:  „War Keynes eigentlich ein Keynesianer?“ war die Frage. Und: Was hat Keynes mit seiner „General Theory“ tatsächlich gemeint? Viele kreative Neuinterpretationen hat es gegeben, deren zentraler Kern sich um Marktungleichgewichte und Rationierungsmechanismen bewegte. Unter Ökonomen der Spezies relevance ist es still geworden um diese Theorien, aber Mathematiker der Spezies rigour haben sich ihrer als Spielfeld vielfältig bemächtigt. Damit ging dann jede wirtschaftspolitische Relevanz bald verloren, die Neuinterpretation von Keynes verästelte sich in beliebige mathematische Modellphantasien.

Aber nicht alles erschien irrelevant. Axel Leijonhufvud zum Beispiel, der als Schüler Robert Clowers mit seiner Schrift „On Keynesian Economics and the Economics of Keynes“  1968 berühmt wurde, thematisierte die Selbstregulierungsfähigkeit der Marktwirtschaft:  Bis zu welchem Grad kann eine Volkswirtschaft als selbstregulierendes System aufgefaßt werden?

Angenommen, man könnte einen Zeitpfad (annähernd) vollständiger Koordination für eine Volkswirtschaft definieren, dann würde die (Neo-)Klassik sagen: Die Marktwirtschaft tendiert dazu, stets zum Idealpfad zurückzukehren und, wenn keine Störungen vorliegen, auf diesem zu verbleiben. Schocks, die sie vom Idealpfad abbringen, lösen Rückkoppelungsmechanismen aus, die den Abweichungen entgegenwirken. Im allgemeinen gilt dann: Je größer die Abweichungen, desto stärker die homöostatischen Tendenzen, die das System wieder zurückbringen.

Im Weltbild der (traditionellen) Keynesianer hat das System keine automatische Tendenz zur Rückkehr auf den Idealpfad, erreicht diesen allenfalls zufällig oder durch bewußte wirtschaftspolitische Intervention und verbleibt auch nicht auf dem Pfad, falls er erreicht würde. Das System kann irgendwo zwischen Null- und Vollbeschäftigung zur Ruhe kommen mit allen Servo-Mechanismen in Ruhestellung. Wenn es aufgrund von Schocks aus der Ruhelage geworfen wird, treten zudem endogene (Multiplikator-) Effekte als kumulative Spillover-Effekte auf, die die Abweichungen noch verstärken, anstatt ihnen entgegenzuwirken.

Man könnte die beiden Weltbilder folgendermaßen „vereinen“: Ein System wird bei großen Abweichungen vom Zeitpfad vollständiger Koordination vermutlich anders reagieren als bei nur mäßigen Abweichungen. Innerhalb eines bestimmten Korridors funktionieren die homöostatischen Mechanismen gut, und es verstärken sich die Tendenzen, die den Abweichungen entgegentreten. In diesem Korridor ist (allein) die Geldpolitik als Interventionsvariable der Wirtschaftspolitik adäquat. Aber außerhalb des Korridors  funktionieren die Mechanismen schwächer oder gar nicht mehr, so daß das System im Ungleichgewicht verbleibt oder dieses gar verstärkt, das heißt, daß die Multiplikatoreffekte mit zunehmendem Abstand vom Zeitpfad größer werden. Hier ist die Fiskalpolitk als dominante Steuerungsvariable gefragt: Der Staat als Problemlöser, aber nur außerhalb des intra-stabilen Marktkorridors.

Soweit Leijonhufvuds Versuch einer synthetischen Neuausrichtung der Interpretation von Keynes. Kann sie hilfreich sein für diejenigen, die in der gegenwärtige Krise partout immer auf Keynes verweisen, um die zunehmende Rutschgeschwindigkeit des  Fiskus auf der abschüssigen Bahn zur Staatswirtschaft in Deutschland zu rechtfertigen?

Zunächst einmal: ja, denn Keynes ist eben nicht gleich Keynes, es gibt erhebliche Differenzierungen in der Interpretation dessen, was er wirklich gemeint haben könnte. Er war sich im Übrigen wohl selbst nicht ganz sicher.

Sodann: Die gegenwärtige Krise hat, wie wir wissen, ihren zentralen Ursprung in der seit 2002 angelegten Blasen erzeugenden expansiven Geldpolitik der amerikanischen Fed in Kombination mit dem kreditexpansiven Wohnungsbauprogramm der US-Regierung. Geldpolitik im Korridor: prinzipiell – nach der Korridortheorie –  ok, aber eine überexpansive, den Marktzins künstlich reduzierende und vom Fiskus über gesponserte Banken unterstützte Geldpolitik ließ das Marktsystem aus dem stabilitätsorientierten Korridor auswandern, weil die Störungen der Selbstregulierungsmechanismen einfach zu groß wurden.

Die falsche Geldpolitik innerhalb des Korridors erzeugte also den Ruf nach intervenierender keynesianischer Fiskalpolitik außerhalb desselben. Und natürlich ist hier das gesamte Arsenal institutioneller anreizinkompatibler Störungen innerhalb des internationalen Banken- und Finanzsystems zu nennen, das – um im Bild zu bleiben – das Herausrutschen der Volkswirtschaften aus der Stabilität innerhalb ihrer Korridore in die Instabilität der Korridoraußenwelt hervorragend beförderte – und die gegenwärtige keynesianische Renaissance eingeläutet hat, die nun sogar in Deutschland bis hin zu Staatsbeteiligungs- und Enteignungsarrangements ausartet.

Wohl interpretiert, widerspricht die Korridortheorie keineswegs den Prinzipien guter Ordnungspolitik, ganz im Gegenteil: Die beste korridoradäquate Politik heißt Ordnungspolitik, die die Selbstregulierungsmechanismen unterstützt und nicht außer Kraft setzt. Dann müssen wir auch das Wissensproblem nicht lösen, das in der prinzipiellen Nichtkenntnis der Korridorgrenzen einer konkreten Volkswirtschaft besteht. Zudem bindet sie die politischen Akteure an Regeln, die sie vor dem ständigen Austesten der Korridorgrenzen abhalten und damit verhindern, daß die abschüssige Bahn zur Staatswirtschaft betreten wird. Und obwohl dies – wie jetzt in Deutschland  – schon geschehen ist, könnte sie dennoch die Erkenntnis stimulieren, daß die Bereinigung der Krise nicht mit staatlichen Lösungen gelingen kann, die die Ursachen für die nächste Krise schon in sich bergen.

Jedenfalls ist, wenn man nach Keynes ruft, das Kind immer schon in den Brunnen (aus dem Korridor) gefallen.

2 Antworten auf „Was hat Keynes mit der Krise zu tun?“

  1. „Sodann: Die gegenwärtige Krise hat, wie wir wissen, ihren zentralen Ursprung in der seit 2002 angelegten Blasen erzeugenden expansiven Geldpolitik der amerikanischen Fed in Kombination mit dem kreditexpansiven Wohnungsbauprogramm der US-Regierung.“ und der aktiven Deregulierung der Finanzmärkte in Europa. Hinzukommt, dass eine Menge Geld der Pensionsfonds investiert werden musste. Da waren die hohen Renditeerwartungen einfach besser als die mickrigen aus der Realwirtschaft. Nach der Wirtschaftslogik müssten niedrige Zinsen eigentlich zu sicheren Anlagen führen und nicht auf riskante Investitionen.

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