Schreit sie nieder: Trier, Singer, Kevorkian!

Natürlich muss man davon ausgehen, dass Medien jede Chance ergreifen, Skandale zu erzeugen und auszunutzen, um Aufmerksamkeit für sich selbst zu erzeugen. Trotzdem überraschen im „Fall von Lars von Trier“ Art und Ausmaß, in dem auch von Seiten öffentlich geförderter Medien gefälscht wird. Der eigentliche Skandal liegt hier und nicht bei Trier. Als Herr von Trier Opfer einer massiven Verfälschung von Nachrichten durch Auslassung wurde, waren die öffentlichen Medien ebenso unzuverlässig wie die anderen. Wenn die Herde rennt, sollten aber die öffentlich besoldeten Redakteure nicht einfach mit laufen. Wir bezahlen sie dafür, auch abweichende Meinungen zu Wort kommen zu lassen. Wir hoffen, dass sie aufgrund ihrer größeren finanziellen Unabhängigkeit plural und fundiert zu berichten vermögen. Wenn sie das nicht tun, verliert ihre Förderung ihre Berechtigung.

Deutsche und Dänen

Nachdem sich die erste Aufregung etwas legte, konnte man erfahren, dass Herr von Trier Däne mit jüdischem Hintergrund ist. Obwohl diese Information für die sachliche Richtigkeit oder Falschheit seiner Ausführungen irrelevant ist, ist sie doch durchaus geeignet, von allzu leichtgläubigem Skandalgeschrei Abstand zu nehmen und zunächst einmal den Sachverhalt genauer zu betrachten.

Kann man den „Hitler-Versteher“ von Trier selber verstehen? Zum Ende seiner Jugend scheint er erfahren zu haben, dass er von einem deutschen Vater gezeugt wurde. Das war für ihn persönlich vermutlich nicht einfach. Man muss ihm gewiss zugestehen, wiederholte Verweise darauf ironisch abzuhandeln. Zudem ist Dänemark ein Land, das Freimut und Offenheit im persönlichen und im öffentlichen Umgang pflegt. Erinnern wir uns, dass man in Dänemark auf dem Recht der freien Meinungsäußerung bis hin zum Abdruck der so genannten „Mohammed-Karikaturen“ bestanden hat. Dänemarks Bürger ebenso wie seine Presseorgane zeigten in ihrem entschiedenen Eintreten, gegen Tabuisierung Bürgermut und politischen Verstand. Wenn ich recht erinnere, war der Hintergrund der folgende: Zeichnungen zu religiösen Szenen sollten Religionen jeweils für die Kinder anderer religiöser Gruppierungen zugänglich und verständlich machen. Das sollte in einem Schulbuch geschehen. Als sich dänische Muslime dagegen verwahrten, insoweit gleich behandelt zu werden, wurde ihnen zu Recht entgegengehalten, dass sie in Dänemark nach den dänischen politischen Regeln lebten. Um diesen Punkt zu unterstreichen, wurden die inkriminierten Mohammed-Karikaturen von einer Zeitung in Auftrag gegeben. Dänen nahmen es nicht hin, dass religiöse Gruppen nach anderen als den in Dänemark üblicherweise herrschenden Toleranzmaßstäben behandelt werden sollten bzw. wollten.

Es wurde bewusst ein Zeichen für die Meinungsfreiheit gesetzt. Dieses Eintreten für die Freiheit führte dazu, dass sich die Muslime ähnlich wie jetzt die Nazi-Nichtversteher den Empörungsschaum vor den Mund redeten. Die Ähnlichkeit des Verhaltens in den beiden Fällen scheint aber niemanden zu irritieren. Die gleichen Presseorgane, die sich zu Recht über die skandalösen Verfälschungen und Auslassungen der Medien in den muslimischen Ländern mokierten, verhalten sich nun ebenso, wenn es um die Pflege der eigenen Tabus geht. Der Umgang mit den Äußerungen von Herrn von Trier vor allem in der deutschen veröffentlichten Meinung trägt ähnliche Züge wie der Umgang mit den dänischen Mohammed-Karikaturen in den einschlägigen islamischen Medien. So, wie man dort nur verfälschend einen Ausschnitt aus einer ganzen Serie von Karikaturen herausgriff, um Empörung zu orchestrieren, so hat man aus den Äußerungen von Herrn von Trier nur herausgenommen, was geeignet schien, den Skandal zu schüren. Wenn man nur die Szene, in der die inkriminierte Hauptäußerung vorkam, etwas länger ausspielte, reduzierte sich das Skandalpotential dramatisch. Das war aber unerwünscht und alle verhielten sich erwünscht.

Keine Duckmäuserei!

Es ist unzweifelhaft so, dass man die Maos, Stalins und Hitlers und andere „große Humanisten“ des 20. Jahrhunderts in ihren persönlichen Sichtweisen und Motivationslagen erst einmal verstehen muss, wenn man solchen Verbrechern in Zukunft optimal entgegentreten will. Die Maxime, dass man seinen Feind kennen solle, gilt überall im Leben. Vermutlich hatte Herr von Trier in seinen Reaktionen auf Fragen aus dem Publikum der Journalisten keineswegs primär solche ernsthaften Argumente im Sinn. Dennoch ist es relevant, dass man diese Argumente ins Feld führen kann. Dass sich Intellektuelle mit jüdischem Hintergrund freier fühlen, mit der Nazivergangenheit umzugehen, könnte allen helfen, sich auf eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Nazizeit einzulassen. Was man Herrn von Trier unter tatkräftiger Beihilfe öffentlich-rechtlicher Anstalten angetan hat, verhindert die Auseinandersetzung. Tabus sind vor allem für die bequem, die eine offene Diskussion fürchten müssten.

Gewisse Fortschritte im Umgang mit jüdischen Intellektuellen scheint es aber auch in Deutschland zu geben. Zumindest konnte der australische Philosoph Peter Singer in der letzten Woche an der Universität Frankfurt sprechen, ohne dass es zu Störungen der Veranstaltung kam. Das ist recht erstaunlich, wenn man sich an die Geschichte der Auseinandersetzungen um Peter Singer in Deutschland erinnert. Es ist ein gutes Zeichen, dass halbwegs zivilisierte Formen im Umgang mit unliebsamen Meinungen sogar in den Geisteswissenschaften der Universität Frankfurt wieder Einzug zu nehmen scheinen. Peter Singer konnte auftreten, ohne durch Geschrei zum Schweigen gebracht zu werden.

Vor mittlerweile mehr als zwanzig Jahren hatte man noch empfohlen, dass seine Bücher generell nicht mehr diskutiert werden dürften und ihm die Einreise nach Deutschland verwehrt werden sollte. Das alles, weil er bestimmte Formen der Früheuthanasie befürwortet hat. Mit dem gleichen Argument hätte man eine weitere Diskussion der Schriften von Aristoteles an deutschen Universitäten untersagen müssen.
Mittlerweile scheint sich eine gewisse Einsicht in die Unteilbarkeit der entsprechenden Freiheitsrechte erneut zu verbreiten. Das ist erfreulich. Dennoch ist – wie die Geister-Debatte um die Äußerungen von Herrn Sarrazin illustriert –, keineswegs Anlass zur Sorglosigkeit gegeben. Unsere Medienlandschaft ist nicht intakt. Wie die von Trier Affäre erneut gezeigt hat, sind vor allem unsere öffentlich-rechtlichen Anstalten das viele Geld nicht wert, das wir dafür ausgeben, unabhängige Stimmen im Konzert der Meinungen zu etablieren. Unser aller Herdentrieb muss gebrochen werden. Wir müssen uns dagegen versichern, zum Opfer unserer eigenen Neigung zur Blindgläubigkeit und zum blindem Engagement zu werden. Ob die sogenannten Rundfunk- und Fernsehgebühren – de facto eine Steuer – dafür gut angelegt sind, muss man sich erneut fragen. Auch um den Tod von Jack Kevorkian am 06.06.2011 ist es in diesen Quartieren merkwürdig ruhig geblieben, verdächtig ruhig. Dafür sorgen schon die Kirchenvertreter unter den Rundfunkräten und Käsfrauen sind viel interessanter!

Literatur:

Anstötz, C., Hegselmann, R. und Kliemt, H. (1997): Peter Singer in Deutschland: Zur Gefährdung der Diskussionsfreiheit in der Wissenschaft (erhältlich hier)

Deutsches Ärzteblatt (2011): US-Sterbehilfeverfechter Kevorkian ist tot (erhältlich hier)

Eine Antwort auf „Schreit sie nieder: Trier, Singer, Kevorkian!“

  1. Thxx für den link zum Umgang innerhalb von Hochschule und Presse etc. mit Peter Singer. Das Paper hat mir einen schaurig-interessanten Nachmitttag bereitet.
    Bedauerlicherweise hat sich die Medienlandschaft in D in den rot-grünen Konsensraum des Pseudowissens verändert, angeführt von den zwangsfinanzierten Medien. Zunehmend mehr Probleme/ Thesen können in D kaum noch seriös diskutiert werden. Dafür werden wir ständig von absolut gesetztem Halbwissen gepaart mit heftiger Erregungsbereitschaft regiert, die für den Diskurs kaum mehr zugänglich ist.
    Was die Wutbereiten heute zur Kernenergie „wissen“, vertraten sie 1933 mit ähnlicher Verve zur Juden-Frage, wussten sie 1945 zum Thema Sozialismus und 1968 zur „Schuld der Väter“.
    Insofern darf ich Sie in einem Punkt erweitern, nicht nur „die Selbstbescheidung in der Expertenrolle“ scheint äußerst schwer geworden zu sein, heute sind wir alle Experten, und wir alle – genau genommen: alle Anderen – haben dieses Problem.
    Ich meine, es ist die These von Deirdre McCloskey, dass die industrielle Revolution weniger dem technischen Fortschritt geschuldet ist.
    DMcC sieht sie vorrangig mehr als Folgeeffekt der (schottischen) Aufklärung, der Verbreitung von bürgerlichen Werten von Respekt und Toleranz und dem Verfahren des Diskurses zur Gewinnung von stabilerem Wissen.
    Vor diesem Hintergrund könnte es interessant werden, die Thesen von Tyler Cowan zur „Great Stagnation“ mit dem zunehmend anti-aufklärerischen Verhalten der Bürger zusammen zu bringen.

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