Mit 109 Milliarden EURO wird Griechenland durch das am letzten Donnerstag vereinbarte zweite Rettungspaket mit neuen Krediten versorgt und es werden griechische Staatsanleihen zurückgekauft oder gegen neue Anleihen getauscht. Damit kann zumindest der aktuelle Kreditengpass Griechenlands überwunden werden.
Das ist schön. Wichtiger ist jedoch, ob auch das Staatsverschuldungsproblem selbst bekämpft werden wird. Leider ist dies nicht der Fall. Ganz im Gegenteil. Kapitalmärkte reagieren bei zunehmender Verschuldung mit Zinsaufschlägen, die dem Schuldner das höhere Kreditausfallrisiko signalisieren und ihn disziplinieren. Dies ist bei Staaten nicht anders als bei privaten Haushalten.
Die Krisenstaaten kamen mit ihrem Eintritt in den EURO-Verbund in den Genuss niedriger EURO-Kreditzinsen, die es ihnen ermöglicht haben, ihre Verschuldung übermäßig auszuweiten. Auf diese Weise ist der Zinsbonus der EURO-Mitgliedsstaaten aufgebraucht worden, sodass die Risikoaufschläge angestiegen sind und die Staatsschuldenkrise offengelegt wurde.
Das neue Rettungspaket versorgt Griechenland, Portugal und Irland nicht nur mit Krediten, sondern es liefert ihnen wieder künstlich verringerte Zinsen (derzeit werden 3,5% angestrebt). Damit wird der Druck, weitere Sparprogramme durchzuführen, massiv beeinträchtigt. Dies wird zur Folge haben, dass weitere dringend benötigte Sparmaßnahmen in Griechenland politisch undurchsetzbar werden. Um diesen Effekt zu mildern, sollen die Kredite unter Auflagen vergeben werden, die von der Europäischen Kommission in Verbindung mit EZB und IWF überwacht werden. Dass von solchen Überwachungsmechanismen wenig Durchsetzungskraft zu erwarten ist, zeigt das Schicksal des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, der so strikt überwacht und umgesetzt werden sollte, dass Transferleistungen innerhalb von Europa so absurd seien „wie eine Hungersnot in Bayern“ (Jean-Claude Juncker).
Ähnlich skurril ist die Vereinbarung im Hinblick auf den vermeintlich großen Erfolg Angela Merkels, die Banken und Versicherungen an den Kosten der Rettung zu beteiligen. Natürlich ist eine solche Beteiligung sinnvoll, sehr sogar! Doch nicht, um die Finanzinstitute zu bestrafen, sondern um sie zu einer vorsichtigeren Kreditvergabe zu bewegen.
In der Vereinbarung der Regierungschefs wird jedoch ausdrücklich festgestellt, dass diese Form der Beteiligung des Privatsektors an der Rettung Griechenlands „außergewöhnlich und einmalig“ sei. Mit anderen Worten: Für spätere erforderliche Rettungsprogramme werden die Kreditinstitute nicht herangezogen und somit von den Folgen einer zu laxen Kreditvergabe praktisch freigestellt. Das ist genau das Gegenteil von dem, was erforderlich wäre.
Das schlimmste Element der Vereinbarung besteht jedoch in der Ausweitung der Kompetenzen der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) und dessen Nachfolger, dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Sie sollen zukünftig eigenständig und vorbeugend handeln können, um die Kreditzinsen möglichst gering zu halten. Erneut soll also das zentrale Warnsignal der Märkte, der Risikoaufschlag, außer Kraft gesetzt werden und wieder laden solche Maßnahmen zu stärkerer Verschuldung ein.
Darüber hinaus sollen EFSF und ESM Anleihen bedrohter EURO-Staaten kaufen dürfen. Dies entspricht einer Vergemeinschaftung der Staatsschulden innerhalb der EURO-Zone. Aus der Transferunion wird die Haftungsunion. Wenn nun aber ein Staat Kredite aufnehmen kann, für die andere mithaften, erhöht das die Anreize zur individuellen Verschuldung immens. Es ist fast so, als würde man einem überschuldeten Privathaushalt die Kreditkarte seiner Nachbarn aushändigen.
Das Rettungspaket kann die Problematik überhöhter Staatsschulden nicht lösen. Es verschiebt deren Auswirkung nur in die Zukunft, in der die heute noch „gesunden“ Länder finanziell deutlich weniger stabil dastehen werden. Zudem gefährdet das Paket den europäischen Einigungsprozess an sich. Nichts zerstört die europäische Idee wirkungsvoller als der wechselseitige Aufbau von Anspruchshaltungen, die die jeweils andere Seite nicht einhalten kann oder will.
Hinweis: Der Beitrag ist am 25. Juli 2011 als Gastbeitrag in der Braunschweiger Zeitung erschienen.
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Eine Antwort auf „Die Kreditkarte der Nachbarn“